Читать книгу Tod in der Schorfheide - Richard Brandes - Страница 11
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ОглавлениеKappe war ein Straßendorf mit hübsch sanierten Bauernhäusern und einer neugotischen Kirche. Maik kannte den Ort, denn er war vor einigen Jahren mit seinem Rennrad hier durchgefahren, hatte aber umkehren müssen, weil sich die Straße hinter dem Dorfrand als sandiger Weg in einer Feldlandschaft verlor. Der Ort lag im äußersten Westen der Schorfheide, die sich nach Osten hin fast vierzig Kilometer bis zum Werbellinsee und nach Joachimsthal erstreckte.
Maik war umringt von Dorfbewohnern, die sich vor dem »Waldkater« versammelt hatten und mit dem Bierglas in der Hand aufgeregt durcheinanderredeten. Aufgrund der nächtlichen Unruhe, die der Brand verursacht hatte, hatte die Wirtin die Kneipe kurzerhand geöffnet. Der kleine Platz davor wurde von einer alten Straßenlaterne beschienen, die ein warmes Licht spendete.
Maik zückte seinen Notizblock aus der Jackentasche. Wegen des Geräuschpegels konnte er den Zeugen, der vor ihm stand und eine wichtige Beobachtung gemacht zu haben schien, nicht deutlich genug verstehen.
»Ich bitte um Ruhe!«, rief er in die Gruppe der Herumstehenden, doch niemand scherte sich darum. Der Brand hatte alle aufgewühlt, und obwohl es fast drei Uhr in der Früh war, verspürte kaum jemand Müdigkeit. Nur der Alkohol hatte einigen ganz schön zugesetzt.
Bisher hatte Maik leider nicht viel über das Mordopfer erfahren können. Nico Römer – sofern er überhaupt der Ermordete war – hatte zurückgezogen gelebt und nur spärlich Kontakt zu den Bewohnern gepflegt. Im Dorf wusste man lediglich, dass er Computer repariert hatte, und der ein oder andere hatte seine technische Hilfe in Anspruch genommen, ohne dass daraus eine nähere Beziehung entstanden wäre.
Sein Haus hatte Römer vor acht Jahren gekauft. Vorher hatte es dem Förster gehört, der bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Den Dorfbewohnern zufolge war er von einem Keiler zerfleischt worden, den er angeschossen hatte, aber nicht rechtzeitig hatte töten können.
Maik hatte im Moment genug von grausamen Toden. Die Vorstellung, dass das Brandopfer bei lebendigem Leib angezündet worden war, machte ihm schwer zu schaffen. Es gelang ihm nicht immer, eine professionelle Distanz zu Verbrechen herzustellen.
»Ruhe, verflucht noch mal!«, rief er in die Menge, woraufhin der Stimmenlärm endlich versiegte.
»Also noch mal von vorne.«
Er sah auffordernd zu dem Zeugen, der sich als Ronny vorgestellt hatte und am Hinterkopf einen Zopfzipfel trug, während es obendrauf schon licht geworden war. Seine Augen waren vom Alkohol gerötet.
»Das war so«, lallte er wankend, und Maik hoffte inständig, dass er erst am Ende der Aussage kollabieren würde. »Am Donnerstag, nein Freitag, nein Donnerstag, da war ich in der Klostermetzgerei in Zehdenick. Gleich gegenüber von dem Computer-Dingsda von diesem Nico Römer. Jedenfalls kamen plötzlich zwei Typen auf einem Motorrad angefahren. Die sind erst zu dem Computergeschäft, aber weil da geschlossen war, sind sie zur Fleischerei rüber. Die Ulla Köritz, also die Verkäuferin, und ich, wir haben uns nur angeschaut und gedacht: Na, wenn das mal keinen Ärger gibt.«
»Klar gab’s Ärger«, rief ein Mann um die fünfzig mit Jack-Wolfskin-Jacke und Bierbauch. »Du wolltest der Köritz an die Wäsche!«
Gelächter brandete auf.
»Der kriegt doch gar keinen mehr hoch«, rief die Wirtin, eine ältere, korpulente Frau, die hinter dem Tresen Bier zapfte. Es hatte ein noch lauteres Gelächter zur Folge.
Ronny drehte sich mit erhobenem Zeigefinger zu den anderen Gästen um, und Maik verspürte den Impuls, den Zeugen festzuhalten, weil er das Gleichgewicht zu verlieren drohte.
»Ich will euch mal was sagen, ihr Klugscheißer. Ich kann sehr wohl eine Frau glücklich machen, kapiert?«
»Mit einem Dildo!«, rief eine männliche Stimme, und alle lachten erneut.
»Was waren das für Typen?«, sagte Maik, dem der Pubertätshumor ziemlich auf die Nerven ging.
Ronny rülpste. »’tschuldigung. So Nazitypen. Der eine war so ’n Brecher und hatte eine blonde Stoppelfrisur und ein Tattoo auf der Stirn. Irgendwas in Englisch, aber in dieser Nazischrift. Ich kann nämlich kein Englisch. Außerdem so ’ne Jacke, wo ›Thor Steinar‹ draufstand.«
»Wie sah der andere aus?«
»Das war so ein Schmachtfetzen. Ziemlich blass im Gesicht.«
Der Zeuge taumelte so sehr, dass ihn Maik mit beherztem Zupacken vor dem Umfallen bewahren musste.
»Ups, danke. Jedenfalls kamen die in den Laden und haben ganz freundlich gefragt, wo der Nico Römer wohnt. Sie müssten unbedingt mit ihm sprechen.«
»Na logo sind die freundlich«, rief der Mann mit dem Bierbauch. »Die sind nämlich gar nicht so schlimm, wie alle immer tun.«
Einvernehmliches Brummen erklang.
Ronny wandte sich dem Zwischenrufer zu.
»Quatsch nicht so ’nen Blödsinn! Das sind Verbrecher, sag ich euch! Wenn jemand ein Haus abfackelt, dann die!«
»Was haben Sie denen denn erzählt?«, fragte Maik.
»Nichts. Die Köritz und ich, wir haben uns nur angeschaut. Und dann haben wir denen gesagt, dass wir diesen Nico nicht kennen. Die Typen waren uns nicht geheuer, verstehen Sie?«
Der Zeuge machte eine Pause, indem er Maik mit entrücktem Blick anschaute, und Maik sah sich genötigt zu nicken.
»Dann haben die sich bedankt und sind wieder abgehauen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Ein kräftiger Rülpser setzte einen Punkt hinter seine Aussage.
»Hatte Nico Römer Kontakte in die rechte Szene?«, rief Maik in die Runde.
Einige verzogen ratlos ihren Mund, zuckten mit den Schultern oder schüttelten den Kopf.
»Könnten Sie die Männer für eine Phantomzeichnung beschreiben?«, sagte Maik zu Ronny.
»Glaub schon! Den Schmachtfetzen würde ich sofort wiederkennen. Und die Olle auch.«
»Die Olle? Welche Olle?«
»Na, die mit dem Tattoo und der Thor-Steinar-Jacke!«
»Das war eine Frau?«
Maik blätterte in seinem Block, um die Information zu ergänzen.
»Hab ich das nicht gesagt?«
»Nein. Das sagten Sie nicht.«
Maik steckte seinen Block zurück in die Jackentasche. Die Aussage war ein erster ernst zu nehmender Hinweis, auch wenn der Zeuge alles andere als bewusstseinsklar war. Zwei Nazitypen waren auf der Suche nach Nico Römer, dessen Adresse der Zeuge nicht preisgegeben hatte.
Jemand anders hatte womöglich nicht die gleichen Skrupel gehabt.