Читать книгу Tod in der Schorfheide - Richard Brandes - Страница 17

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Ihre Kehle brannte vor Durst.

Sie tastete nach der Plastikflasche, die sie am Kopf ihres Lagers vermutete, doch ihre Finger griffen ins Leere. In ihrer Verwirrung musste sie sie am Fußende gelassen haben, womöglich an den Rucksack gelehnt. Wenn sie sich richtig erinnerte, war ohnehin kaum noch etwas darin. Der Gedanke, dass sie verdursten könnte, war beängstigend. Sie schob ihn beiseite, zumindest versuchte sie es. Genauso wie die Schmerzen, die sie an das erinnerten, was geschehen war.

Es kostete Überwindung, unter dem Deckenberg hervorzukriechen, denn der Ort, an dem sie gefangen war, war kalt. Bitterkalt und stockfinster. Eine Weile hatte sie geglaubt, blind zu sein, so schwarz war die Welt um sie herum. Nicht einmal Konturen zeichneten sich ab, nicht ein einziger noch so schwacher Schimmer erreichte ihre Netzhaut. Doch ihre Augen schienen unversehrt, zumindest schmerzten sie nicht. Wo hatte er sie eingesperrt? Warum drang kein Licht zu ihr durch?

Sie schlug die Decken zur Seite und kroch über sandigen Boden bis zum Fußende, wo ihr Rucksack lag. Die Hände brannten. Sie hatte sich Wunden zugezogen, vom Hämmern gegen eine Tür. Dann befühlte sie den Rucksack, die Außentaschen, den Reißverschluss. Wo war ihre Wasserflasche – die, die sie von zu Hause mitgebracht hatte? War sie im Begriff, verrückt zu werden?

Ihre Gedanken schweiften zu Mama, denn schließlich war sie es gewesen, die ihr die Flasche in den Rucksack gepackt hatte. Wenn es nach Emma gegangen wäre, hätte sie sich selbst ein Wasser gekauft, an einer Tankstelle oder in einem Supermarkt. Aber Mama musste sich immer und überall einmischen. Deshalb war Emma am Morgen der Klassenfahrt auch so genervt gewesen. Mama hatte nicht aufgehört, dumme Fragen zu stellen. »Willst du nicht lieber einen dickeren Pullover mitnehmen? Soll ich dir nicht wenigstens eine Stulle machen? Willst du das Geld nicht besser in einen Brustbeutel stecken?, sonst ist es nachher weg. Soll ich dich nicht doch am Sonntag am Bus in Empfang nehmen?«

Aber hier in dieser Finsternis tat es ihr plötzlich leid, dass sie so gemein zu Mama gewesen war. Dass sie gesagt hatte, sie solle endlich ihren Mund halten. Es schmerzte. Sollte sie jemals hier herauskommen, würde sie nie mehr so böse zu Mama sein, das schwor sie sich.

Plötzlich ertastete sie etwas, das sich anfühlte wie eine Flasche. Aber es war nicht ihre Flasche, die Form war anders – wo kam sie her? Sie war gefüllt, bis obenhin. Nun verstand sie es. Er musste hier gewesen sein, ein weiteres Mal! Sie hatte es nicht mitbekommen, weil sie geschlafen hatte oder bewusstlos gewesen war. Bei seinem ersten Besuch hatte er ihr die Decken gebracht und nun diese Flasche. Er hatte sie also nicht vergessen. Er wollte, dass sie überlebte. Sie brauchte keine Angst zu haben. Sie musste nur durchhalten.

»Bitte, lieber Gott, mach, dass er noch einmal kommt und mich hier rausholt!«, flüsterte sie.

Dann trank sie einen großen Schluck.

Tod in der Schorfheide

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