Читать книгу Tod in der Schorfheide - Richard Brandes - Страница 12
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ОглавлениеCarla war abgespannt, als sie gegen halb fünf an der Haustür eines Mehrfamilienhauses in der Zehdenicker Clara-Zetkin-Straße klingelte. Die Brandleiche machte ihr schwer zu schaffen, trotz ihrer jahrelangen Routine. Gewöhnlich untersuchte sie die unterschiedlichsten Todesarten, doch lebendig verbrannt zu werden war etwas, was ihr in ihrer gesamten Berufslaufbahn noch nicht begegnet war. Der Gedanke daran war unerträglich. Wer tat so etwas und warum? Der Mörder musste von einem beispiellosen Hass getrieben worden sein. Es blieb zu hoffen, dass Freunde und Verwandte des Toten mögliche Hintergründe aufdecken konnten. Sofern nicht einer von ihnen selbst der Täter war.
Nachdem Carla Sturm geklingelt hatte, ertönte der Türsummer. Das Haus war ein sanierter DDR-Block aus den 1950er Jahren, der sich mit zwei Stockwerken und Spitzdach etwa hundert Meter an der Straße entlangzog. Die Wohnung von Nico Römers Kompagnon Leo Rapp lag im oberen Geschoss.
Als Carla die Treppe hinaufstieg und in der zweiten Etage ankam, stand der junge Mann im Türrahmen und kniff verschlafen die Augen zusammen. Er hatte eine drahtige Figur und war lediglich mit einer knappen schwarzen Unterhose bekleidet. Auf einer unbehaarten Brust prangte ein Eidechsen-Tattoo.
»Ja?«
Carla hielt ihre Dienstmarke hoch.
»Sind Sie Leo Rapp? Carla Stach von der Kripo Neuruppin. Wir haben mehrere Male versucht, Sie auf Ihrem Handy zu erreichen.«
»Hallo? Vielleicht penn ich mal nachts? Geht es um den Einbruch?«
»Das würde ich gerne drinnen mit Ihnen besprechen.«
Der junge Mann bedeutete Carla mit einer Handbewegung, einzutreten. Im Flur roch es muffig nach Schlaf und Bier.
Carla wurde in ein Wohnzimmer geführt, wo Chaos herrschte. Überall lagen Kabel, leere Bierflaschen, Klamotten und zerknüllte Taschentücher herum. In den Ecken stapelten sich Computer und Monitore; an einer Wand hing ein überdimensionaler Fernseher.
»Leo! Wer ist denn da?«
Eine weibliche Stimme kam aus einem angrenzenden Zimmer, dessen Tür einen Spaltbreit offen stand.
»Leo! Ist da Besuch?«
Der junge Mann verdrehte die Augen. »Halt’s Maul! – Bitte nehmen Sie Platz«, sagte er zu Carla und befreite eilig einen Sessel von einer gebrauchten Unterhose.
»Ich stehe lieber«, sagte Carla, der es widerstrebte, sich in dem Durcheinander niederzulassen.
»Leo! Warum antwortest du nicht? Geht man so mit einer Frau um?«
»Ich zieh mir nur rasch was über«, sagte Rapp zu Carla und verschwand im Nebenzimmer, ohne die Tür ganz zu schließen, sodass Carla den Geräuschen nebenan folgen konnte.
»Kannst du nicht einfach mal die Klappe halten? Da draußen ist ’ne Kripotante.«
»Kripo? Hast du schon wieder was ausgefressen?«
Es folgte ein Rascheln, als würde eine Bettdecke weggezogen.
»Hey, Leo, was soll das? Spinnst du?«
»Abflug jetzt!«
»Hey! Vielleicht bin ich mal deine Freundin?«
»Gewesen. Raus!«
»Leo! Ich warne dich! Du gehst zu weit!«
Wieder Geraschel. Dieses Mal hörte es sich so an, als streifte sich jemand Kleidung über. Kurz darauf kam eine stark geschminkte Frau in einem engen Kleidchen heraus. Sie hüpfte auf einem Bein, während sie sich einen hochhackigen Schuh anzog. Von hinten flogen eine Handtasche und ein Felljäckchen auf sie zu; beides traf sie an der Schulter.
»Aua! Leo!«
Sie schlüpfte in den anderen Schuh, streifte das Jäckchen über und warf Carla einen schmollenden Blick zu.
»Sehen Sie, was er mit mir macht? Das ist doch Gewalt, oder? Kann ich ihn jetzt anzeigen? Mein Name ist übrigens Sherrie, falls Sie ihn brauchen. Sherrie Schmidt.«
Carla hatte nicht die geringste Lust, sich in den Zank einzumischen, obwohl sie den Impuls verspürte, der Frau zu raten, dem Kerl eine saftige Ohrfeige zu verpassen. Oder einen Tritt in seine empfindlichste Stelle. Aber darauf musste sie selbst kommen.
Carla hatte auch einige Beziehungen zu Typen wie Leo Rapp hinter sich, von deren Dominanz sie sich anfänglich sexuell angezogen gefühlt hatte. Ihr Unwille, sich unterzuordnen, hatte jedoch immer dazu geführt, dass diese Beziehungen mit viel Getöse in die Brüche gegangen waren.
Inzwischen war Leo Rapp in Jeans und T-Shirt geschlüpft, kam aus dem Schlafzimmer geschossen und versetzte Sherrie einen Schubs, der sie vorwärtsstolpern ließ. Die Handtasche hob er flink auf.
»Wissen Sie, was er von mir verlangt hat?«, rief Sherrie in Carlas Richtung, bevor sie mit einem zweiten Schubs im Flur verschwand. »Fesseln und vergewaltigen wollte er mich, das perverse Schwein!«
Carla hörte, wie die Haustür aufgerissen und die Frau nach draußen gestoßen wurde. Ein dumpfer Knall deutete darauf hin, dass die Handtasche hinterhergeworfen worden war.
»Bild dir bloß nichts ein, Arschloch«, schrie Sherrie in einer Lautstärke, die vermutlich die gesamte Nachbarschaft aus den Betten riss. »Ich hab schon besser gefickt, du Schlappschwanz!«
Das war zu lau, Kleine, dachte Carla, als die Wohnungstür mit einem Rums ins Schloss fiel. Du hättest ihm den Absatz in die Eier rammen sollen.
»Entschuldigung!« Rapp rieb sich die Hände und steuerte eine kleine Küche an, die neben dem Wohnzimmer lag. Eine Kühlschranktür wurde geöffnet. »Manchmal muss man halt durchgreifen. Auch eins?« Der Zeuge erschien im Türrahmen und hielt eine Bierflasche in die Luft.
Carla hätte ein Bier gut gebrauchen können.
»Nein.«
Solche Typen wie Rapp weckten in Carla kämpferische Gefühle. Am liebsten hätte sie dem Kerl eine aufs Maul gegeben. Schade, dass sie im Dienst war.
Zurück im Zimmer schnappte sich Rapp einen Stuhl, schwang ihn in einem Halbkreis vor sich hin und setzte sich verkehrt herum drauf.
»Ich hab der Bullerei doch schon alles gesteckt«, sagte er. »Außerdem: Checken Sie hin und wieder mal die Uhrzeit?« Er klopfte auf seine Armbanduhr.
»Ich bin nicht wegen des Einbruchs hier«, sagte Carla. »Es geht um Ihren Geschäftspartner.«
»Nico? Was hat er angestellt?« Rapp trank einen Schluck aus der Bierflasche.
»Wissen Sie, wo er sich heute Nacht aufhält?«, fragte Carla.
Der Zeuge verzog seinen Mund. »Vermute mal, zu Hause. Hab die Fluppe seit fast einer Woche nicht gesehen.«
»Seit einer Woche? Warum?«
»Gute Frage! Letzten Montag rief er an und meinte: ›Kann heute nicht kommen, bin platt.‹ Darauf ich: ›Ey, Alter, was ist mit den Rechnern? Die Kunden warten.‹ Darauf er: ›Gib mir zwei Tage.‹ Von wegen! Ich hatte den Mist die ganze Woche allein an der Hacke. Nicht mal das Geschäft konnte ich aufmachen, weil ein Außentermin den nächsten gejagt hat.«
Leo Rapp stellte die Bierflasche am Boden ab.
»Verstehe ich das richtig?«, sagte Carla. »Sie betreuen die Kunden vor Ort, und Ihr Kumpel repariert im Geschäft die Rechner?«
»Jep. Meistens mach ich die Computer bei den Kunden klar. Bei größeren Sachen und wenn ich länger brauche, nehme ich das Ding mit in den Laden. Da beginnt dann Nicos Job. Aber mein Kumpel bewegt seinen Arsch auch zu Kunden, so ist das nicht.«
»Warum, glauben Sie, ist er nicht zur Arbeit gekommen?«
»Fragen Sie mal was Leichteres. Ich war ein paarmal draußen bei seinem Hexenhäuschen. Aber wer war ausgeflogen? Monsieur Mir-geht’s-so-mies. Weiß der Geier, wo der sich rumgetrieben hat.«
Carla zog einen kleinen Block hervor und notierte sich, dass sich Nico Römer am letzten Montag krankgemeldet hatte und danach nicht mehr aufgetaucht war.
»Haben Sie miteinander telefoniert?«
»Zwei-, dreimal. Nico nimmt sich manchmal Computer zum Basteln mit nach Haus. Ich wollte wissen, wann er gedachte damit durch zu sein. Er meinte, ich soll mir keinen Kopf machen. Er würde sich schon darum kümmern.«
»Ist er normalerweise zuverlässig?«
»Nico? Aber so was von! – Sagen Sie: Warum fragen Sie das eigentlich alles? Was ist mit ihm?«
Carla ignorierte die Frage. »Wann haben Sie das letzte Mal telefoniert?«
Rapp sah in die Luft, während er angestrengt nachdachte.
»Dienstag … Mittwoch! Mittwochabend, so gegen sieben. – Aber jetzt sind Sie erst mal an der Reihe.«
Carla sammelte sich. Trotz ihrer Berufserfahrung scheute sie noch immer das Übermitteln von Todesbotschaften, selbst wenn überhaupt noch nicht klar war, ob es sich bei dem Toten tatsächlich um Nico Römer handelte. Es half ihr, sich an die Grundregeln des Angehörigengesprächs zu klammern. Eine Aussage in einem Satz. Nur das Nötigste. Dann das Gegenüber kommen lassen. Knapp die Fragen beantworten. Niemals mehr sagen, als wonach gefragt wurde.
»Im Haus Ihres Kumpels hat es gebrannt heute Nacht.«
»Gebrannt? Herrje. Ist Nico was passiert?«
»Wir haben eine Leiche gefunden.«
Rapp sackten die Mundwinkel ab. »Eine Leiche? Nico?«
»Das wissen wir noch nicht.«
Rapp zog ein Handy aus seiner Hosentasche und tippte eine Nummer ein.
»Das tun wir auch schon die ganze Nacht«, sagte Carla, ohne dass dies den Zeugen von einem Anrufversuch abhielt.
»Keine Verbindung«, sagte er, steckte das Handy zurück in die Tasche und stand auf, wobei die Flasche umkippte und Bier herauslief. »Kommen Sie, ich schau mir die Leiche mal an.«
»Das wird nicht möglich sein. Der Tote ist nicht identifizierbar.«
Rapp sackte zurück auf seinen Stuhl. Ihm war die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Carlas Ärger, den sie vorhin noch auf ihn verspürt hatte, verwandelte sich in Mitgefühl.
»Nicht identifizierbar? Aber wie kann denn jemand … ich meine … hat Nico denn nicht versucht, rauszukommen?«
Carla presste verlegen die Lippen zusammen. »Ich darf Ihnen momentan keine Einzelheiten verraten. Wir müssen erst die Obduktion abwarten.«
Rapp sah Carla fassungslos an, während seine Gesichtsmuskeln zu zucken begannen. Plötzlich stieß er einen Schrei aus, der Carla zusammenfahren ließ. Er sprang auf, griff nach seinem Stuhl und schmetterte ihn gegen die TV-Wand, die splitternd zerbarst.
Carla packte ihn am Arm. »Jetzt beruhigen Sie sich! Noch wissen wir nicht, ob der Tote Ihr Freund ist.«
Rapp schüttelte Carlas Arm ab, hob den Stuhl auf und schleuderte ihn noch einmal gegen den Fernseher. Dann taumelte er zur Couch und ließ sich darauf fallen.
»Hat Ihr Kumpel Feinde?«, sagte Carla, während sie Rapp eine halb volle Mineralwasserflasche reichte, die auf einem Sideboard stand.
Nachdem Rapp getrunken hatte, starrte er vor sich hin.
»Nico ist der übelste Nerd, den ich kenne. Da ist weit und breit niemand. Außer seinem Bruder und mir.«
Rapp schnäuzte in ein Taschentuch und warf es auf den Boden.
»Niemand«, wiederholte Carla ungläubig. »Nicht mal eine Freundin?«
Rapp zögerte. »Ich blick nicht so richtig durch, was mit Nico los war in der letzten Zeit.«
»Was meinen Sie damit?«
»Nico war irgendwie verändert. Sah gut aus, hat sich neue Klamotten gekauft und wollte von mir wissen, wie ich die finde. Nico und coole Klamotten, das gab’s vorher nicht. Ich sag: ›Ey, Alter, was ist Sache? Hast du ’ne Braut, oder was?‹ Er meinte, das ginge mich gar nichts an. Was in meinen Augen so viel hieß wie ›Ja‹.«
»Und er hat Ihnen die Freundin nie vorgestellt?«
Rapp schüttelte den Kopf. »Nie. Das Ganze fing vor ein paar Wochen an, kurz bevor er Sila aus dem Tierheim geholt hat. Überhaupt: Was ist mit ihr?«
Carla dachte mit Erleichterung daran, dass sie den Hund, eine hellbraune Labrador-Retriever-Mischung, gefunden hatten. Das Tier hatte sich während des Brandes in einem Gebüsch verkrochen, und Carla hatte veranlasst, dass es statt im Tierheim bei einem älteren Ehepaar im Dorf untergebracht wurde; zumindest vorübergehend, bis die Erbfragen geklärt waren.
»Es geht ihr gut«, sagte sie. »Haben Sie ein Foto von Nico?«
Rapp stand auf und schlurfte zu einem Laptop, der auf dem Schreibtisch stand.
»Das war diesen Sommer«, sagte er zum Rechner gebeugt, wo ein Foto in bildschirmfüllender Größe erschien. Man sah zwei Männer vor einem Computergeschäft. Sie hatten sich die Arme um die Schultern gelegt und lachten in die Kamera. Einer war Leo Rapp, der andere vermutlich Nico Römer, der auf dem Bild hübsch und sympathisch aussah. Er hatte dichte braune Haare, einen Dreitagebart und ausdrucksstarke große Augen. Carla fand, dass sein Äußeres auf Frauen anziehend wirken musste. Einen Nerd stellte sie sich anders vor.
»Da ist noch etwas«, sagte sie. »Wir wissen, dass ein Mann und eine Frau, vermutlich aus der rechten Szene, nach Ihrem Kumpel suchen. Vielleicht sind das die Typen, die Ihren Laden kurz und klein geschlagen haben. Fällt Ihnen dazu jemand ein?«
Rapp überlegte einen Moment. »Nee. Ich hab mit solchen Leuten nichts zu tun. Nico auch nicht, falls Sie das jetzt fragen wollen.«
»Aber was könnte jemand für einen Grund haben, Ihren Laden zu demolieren?«
Rapp zog die Schultern hoch. »Ich weiß es nicht. Ehrlich!«
Carla beschloss, die Befragung zu beenden. Es reichte fürs Erste.
»Wo waren Sie heute Nacht zwischen halb zwölf und halb eins?«, sagte sie.
Rapp ließ sich zurück auf das Sofa fallen. »Da hab ich gefickt. Nebenan.«
Carla beließ es dabei. Sie war hundemüde, auch wenn an Schlaf nicht zu denken war. Der Bruder des mutmaßlichen Brandopfers musste noch informiert werden.
***
Die Frau, die öffnete, trug einen weißen Bademantel. Beim Anblick von Carlas Dienstmarke zog sie eine Augenbraue hoch.
»Guten Morgen. Wissen Sie, wie viel Uhr es ist?«
Sie rollte das R, »Uhrrrr«. Carla glaubte, einen russischen Akzent herauszuhören. Sie mochte die Aussprache, auch wenn sie die Nuancen einzelner osteuropäischer Länder mit Ausnahme des Bulgarischen nicht so recht zuordnen konnte.
»Sind Sie Ljudmila Römer?«
Die Frau stemmte einen Arm in die Seite. »Es geht um einen Mandanten, richtig?«
»Das würde ich gerne im Beisein Ihres Mannes besprechen.«
Carla betrat ein Foyer, das von einem Kreuzgewölbe überspannt wurde. Die Römers lebten in einer ehemaligen Stallung am Ufer des Mühlensees in Liebenwalde.
»Hier entlang, bitte.«
Sie wurde in ein Wohnzimmer geführt, das von einem Panoramafenster dominiert wurde. Schales Dämmerungslicht drang ein. Carla sah auf eine Wiese, die sich bis zum Seeufer erstreckte. Eine Trauerbirke neigte sich über die Wasseroberfläche, an einem morschen Schuppen lehnte ein Kajak.
Ljudmila Römer schaltete eine Stehlampe an. »Nehmen Sie Platz, bitte. Mein Mann kommt gleich.«
»Danke, aber ich stehe lieber.«
Ljudmila Römer verschwand für einige Minuten, bevor sie in Begleitung ihres Gatten zurückkehrte.
Jan Römer war ein kräftiger, attraktiver Mann Anfang vierzig mit einem Vollbart. Er trug einen dunkelblauen Strickpullover zu einer hellen Leinenhose. Carla fand, dass er um die Augenpartie herum seinem Bruder ähnelte, und er gefiel ihr ausgesprochen gut. Wäre sie Single, nicht im Dienst und fünfzehn Jahre jünger, hätte sie ihn verführt.
Sie hielt ihre Dienstmarke hoch. »Stach, Kripo Neuruppin. Ich bin wegen Ihres Bruders hier.«
Jan Römer steckte seine Hände in die Hosentaschen, während sich seine Frau in aufrechter Haltung auf einen antiken samtroten Hocker setzte und die Beine übereinanderschlug.
»In seinem Haus hat es gebrannt heute Nacht«, sagte Carla.
»Ja, und? Was habe ich damit zu tun?«
»Es gibt einen Toten.«
Jan Römer entglitten die Gesichtszüge. »Nico?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir versuchen die ganze Nacht, ihn auf seinem Handy zu erreichen. Leider geht niemand ran.«
Jan Römer ließ sich in einem Sessel nieder und schaute Carla verstört an. »Wie … wie kam es zu dem Brand?«
»Wir gehen von Fremdverschulden aus. Brandstiftung.«
»Warum … warum hat sich das … das Brandopfer nicht nach draußen gerettet?«
»Er wurde ermordet.«
Jan Römer wurde bleich. »Ermordet? Wie … ich meine, was ist passiert?«
Carla beschloss, weitere Fakten für sich zu behalten. »Ich kann Ihnen momentan keine Einzelheiten mitteilen. Wann haben Sie Ihren Bruder zuletzt gesehen?«
»Mein Mann und Nico haben seit über zwei Jahren keinen Kontakt mehr miteinander«, sagte Ljudmila Römer aufgeräumt. »Sie haben sich gestritten. Wegen ihrer Mutter.«
»Meine Mutter ist vor zwei Jahren nach langer Krankheit gestorben«, erläuterte Jan Römer. »Nico hat es nicht für nötig befunden, sie zu besuchen. Sie hätte ihn gerne noch einmal gesehen. Aber meinen Bruder hat das einen Scheißdreck interessiert, Entschuldigung. Nicht mal zur Beerdigung ist er gekommen.«
»Wissen Sie, warum er sich so verhalten hat?«, sagte Carla.
Jan Römer schüttelte den Kopf. Seine Augen wirkten müde. »Es ist mir ein Rätsel.«
»Haben Sie gar keinen Kontakt mehr seitdem?«
»Nichts. Kein Telefonat, keine Mail, keine SMS.«
»Hat Ihr Bruder Feinde?«
»Nicht dass ich wüsste. Nico ist der typische einsame Wolf. Er war schon als Kind so. Ich kann mir nicht vorstellen, warum ihn jemand umbringen sollte. Haben Sie eine Idee, wer der Tote sonst noch sein könnte?«
»Laut einer Zeugenaussage haben zwei Rechtsextreme nach Ihrem Bruder gesucht. Wissen Sie, ob er in der Szene verkehrt?«
»Nico ein Rechter? Niemals!«
»Ich weiß dazu nichts«, sagte Ljudmila Römer, die sich anscheinend durch Carlas Blick zu einer Antwort aufgefordert fühlte. »Ich kenne Nico kaum. Wir sind uns nur ein paarmal begegnet.«
»Wo waren Sie diese Nacht gegen halb eins?«, sagte Carla zu Jan Römer.
»Warum sollte ich meinen Bruder ermordet haben?«, fragte er zurück.
»Immerhin waren Sie zerstritten.«
»Er war in seiner Kanzlei«, sagte Ljudmila Römer.
»Um diese Uhrzeit?«
»Er musste sich auf eine Verhandlung am Montag vorbereiten und wollte den Sonntag frei haben.«
»Das stimmt«, sagte Jan Römer. »Meine Frau und ich haben kurz nach Mitternacht telefoniert. Ich hatte ein paar Fragen wegen einer Akte.«
Ljudmila Römer stand auf und setzte sich zu ihrem Mann auf die Sessellehne.
»Ich arbeite als Anwaltsgehilfin in der Kanzlei meines Mannes«, sagte sie, während sie einen Arm um seine Schultern legte. »Wir sind beide Juristen und haben uns im Studium kennengelernt. Als unsere Tochter Inga geboren wurde, bin ich aus meinem Beruf ausgestiegen. Damit ich mehr Zeit für das Kind habe.«
»Wie lange haben Sie miteinander telefoniert?«, sagte Carla.
»Eine Viertelstunde vielleicht«, sagte Jan Römer, nachdem er sich der Zustimmung seiner Frau vergewissert hatte.
»Handy oder Festnetz?«
»Beide Festnetz.«
»Das lässt sich ja leicht überprüfen. Das war’s fürs Erste. Sie hören von mir.«
Carla ging zur Tür.
Als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie, wie der Anwalt seine Hände vors Gesicht hielt und weinte.