Читать книгу THE BOYS OF SUMMER - Richard Cox H. - Страница 10
Kapitel 1
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Der Tag war irgendwie elektrisch geladen und voller Möglichkeiten. Bobby Steele konnte es in der feuchten Luft und im auffrischenden Wind fühlen. Über ihm wurde der Himmel immer dunkler. Er war zehn Jahre alt und hatte das seltsame Gefühl, dass etwas Wichtiges unmittelbar bevorstand; etwas, das sein Leben für immer verändern würde. Bobby fuhr gerade in Richtung Süden, wo Jonathan Crane wohnte, und als er den Midwestern Parkway überquerte, war es gerade mal fünf Uhr.
Sein Haar wurde gegen seinen Kopf geweht, es war blond und dick. Sein Lächeln war anziehend.
Es war der zweite Tag der Frühlingsferien und seine Mutter erwartete ihn nicht vor Anbruch der Dunkelheit zurück. Sie hätte ihn sogar noch länger draußen bleiben lassen, wenn nicht sein Vater Kenny wäre, der ziemlich irrational reagierte, wenn Bobby Zeit mit Jonathan verbrachte. Doch sein Vater arbeitete als Bauarbeiter, und abends spielte er Karten. Vor acht Uhr kam er niemals heim, und bis dahin waren es noch drei Stunden. Drei Stunden waren eine halbe Ewigkeit.
Die Straße war in diesem Teil der Stadt breiter als die in seiner eigenen Nachbarschaft, und die Häuser waren größer und aus Ziegeln gebaut. Jeder konnte Bobbys leicht verbeultes Fahrrad sehen, das sie gebraucht gekauft hatten, und gleich erkennen, dass er nicht in dieser Gegend wohnte. Jeder konnte sehen, dass er gerade weit von seinem Haus entfernt war. Aber er fuhr ganz entspannt dorthin, wo es ihm gefiel … manchmal auch freihändig. Denn selbst als Kind wusste er schon, dass man an jedem Ort am besten fuhr, wenn man so tat, als ob man dort hingehörte.
Es war eine lange Fahrt, und inzwischen war er ein wenig außer Atem. Doch wenn es ein Rennen gewesen wäre, dann hätte er noch sehr lange durchhalten können. Er war ein ziemlich kräftiger Junge, einer, der keiner Kraftprobe aus dem Weg ging. Er war ein Gewinner, und das musste er auch sein, denn sein Vater wurde niemals müde, überall zu erzählen, dass er keinen Verlierer großgezogen hatte.
So war das Leben von Jungen, die als Söhne legendärer Football-Stars aufwuchsen, eben. 1966 hatte Kenny als Quarterback die Onley Cubs in die 1A Texas State Football-Meisterschaft gebracht, indem er fünf Touchdowns schaffte und damit für seine Mannschaft den Sieg über eine, wie er sie nannte, Mannschaft voller Mexikaner errang. Im letzten Viertel des Spiels, als sie den Sieg schon fast in der Tasche gehabt hatten, entschied sich sein Vater, nicht in der Endzone des Gegners zu knien, um das Spiel abzubrechen, sondern stattdessen ohne einen Blocker weiter zu rennen. So wie sein Vater die Geschichte erzählte, war Kenny Steele ein armer Junge aus einer Kleinstadt gewesen, der versucht hatte, die Trainer von einigen Colleges zu beeindrucken, und das alles war ihm von irgendeinem zweitrangigen mexikanischen Spieler versaut worden. Doch in Wirklichkeit hatte der alte Mann nur ein wenig angeben wollen, und Bobby nahm an, dass der wütende Linebacker, der den sechsten Touchdown nicht anerkennen wollte, ihm einfach ein wenig Karma hatte zurückgeben wollen. Der Zusammenprall zerschmetterte die Kniescheibe seines Vaters, als ob sie aus Glas gewesen wäre, und das war das letzte Mal, dass er die Gelegenheit hatte, auf dem Spielfeld anzugeben.
Bobby liebte Football ebenfalls, und er wusste, dass er eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, aber er hatte das Gefühl, dass es im Leben noch mehr gab als nur Football. In letzter Zeit hatte er immer öfter in Jonathans Haus gespielt, weil er dort Dinge tun konnte, die er in seinem eigenen Haus einfach nicht durfte. Zum Beispiel Schach spielen. Während sein eigener Vater Brettspiele für ziemlich sinnlos hielt, sah Jonathans Vater gern dabei zu, wie die beiden Jungs Schach spielten. Manchmal brachte er ihnen auch strategische Züge bei. Strategie war ein Begriff, der Bobby vollkommen fremd gewesen war, bis er mit dem Schachspielen anfing. Es war so, also ob man mit seinem Gehirn statt mit seinem Körper gewinnen würde. Manchmal fragte er sich, was passieren würde, wenn er Football spielen so angehen würde wie ein Schachspiel, wenn er Sport mit Strategie verbinden würde. Aber sein Vater hielt nicht viel von dieser Idee. Er erklärte ihm, dass Football ein Spiel war, bei dem es auf Geschwindigkeit und Stärke ankam, und auch auf Einschüchterung. Schach war nur etwas für Weicheier, und wenn sein Sohn vorhätte, einer von diesen laschen intellektuellen Uni-Typen zu werden, dann solle er gefälligst woanders wohnen. Danach erwähnte Bobby das Wort Schach nie wieder, und versprach, Jonathan nicht mehr zu besuchen. Er war nicht besonders stolz darauf, so unehrlich zu sein, aber manchmal war sein Vater doch ziemlich unvernünftig.
Als er sein Fahrrad in Jonathans Einfahrt abstellte, bemerkte er, dass die Wolken am Himmel im Südwesten noch dunkler geworden waren, und dass sie sich auf eine Art und Weise bewegten, wie er es niemals zuvor gesehen hatte. Es war fast so, als ob jemand dort oben sie mit Absicht durcheinanderwirbelte. Der Klang der Türglocke war lauter, als er erwartet hatte. Sie klang fast so, als ob sie irgendetwas sagen wollte. Als Jonathan die Tür öffnete, war Bobby erleichtert, das Haus zu betreten.
»Hallo. Ich hätte nicht gedacht, dass du heute kommst.«
»Warum nicht? Ist alles in Ordnung?«
»Irgendwas ist seltsam draußen.«
»Ja, schlechtes Wetter.«
»Vielleicht wärst du besser daheim geblieben.«
Jonathans Haus roch wie immer angenehm. Es war so, als ob jemand Hühnchen briet, Kartoffeln kochte und Plätzchen backte, und das alles gleichzeitig. Manchmal wünschte sich Bobby, dass Mrs. Crane seine eigene Mutter wäre.
»Was für ein schlechtes Wetter?«, fragte er.
»Durch Vernon ging gerade ein Tornado durch. Meine Mutter guckt Fernsehen und sie zeigen ständig das Radar.«
»Wo liegt Vernon denn?«
Jonathan schaute ihn mit so einem verächtlichen Blick an, dass Bobby versucht war, ihm eine reinzuhauen, aber er ließ es bleiben. Schließlich war einer der Gründe, warum er sich mit ihm angefreundet hatte, dass er hoffte, dass ein wenig von Jonathans Intelligenz auf ihn abfärben würde.
»Vernon liegt nordwestlich von hier«, erklärte Jonathan.
»Also kommt der Tornado auf uns zu?«
»Der nicht. Der Typ im Fernsehen sagte aber, dass noch ein weiterer Sturm aus Richtung Seymour kommt.«
Bobby nickte, als wenn das einen Sinn ergäbe. In Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, wo Seymour lag. Allmählich hatte er das Gefühl, dass heute niemand Schach spielen würde.
»Also, was machen wir jetzt?«
»Schauen wir uns doch mit meiner Mutter das Radar an. Mein Vater ist auf der Arbeit, und sie ist ziemlich besorgt.«
Jonathan ging daraufhin zum hinteren Teil des Hauses, wo die Schlafzimmer waren, und Bobby folgte ihm.
»Du glaubst doch nicht, dass der Tornado ausgerechnet hierherkommt, oder?«
»Kann man nie wissen«, sagte Jonathan. »Sie meinten, er sei ziemlich schlimm, und dass es vielleicht mehrere sind.«
Er führte Bobby ins Zimmer, wo der Fernseher lief. Mrs. Crane saß auf der Kante ihres Bettes und starrte auf den Bildschirm. Sie saß so nahe am Gerät, dass sie die Programme wechseln konnte, ohne aufzustehen.
»Hi, Mom«, sagte Jonathan. »Bobby ist hier.«
Jetzt sah sie auf. »Bobby? Warum bist du nicht zu Hause?«
»Ich wusste nicht, dass das Wetter so schlecht wird.«
»Er könnte doch mit uns zu Abend essen«, schlug Jonathan vor. »Er wird es nie zurückschaffen, bevor es anfängt zu regnen.«
»Ich weiß nicht, Bobby. Könntest du nicht deine Mutter anrufen, damit sie dich abholt? Sie wird sich wahrscheinlich besser fühlen, wenn du bei ihr bist.«
»Wir haben nur einen Lieferwagen, und damit fährt mein Vater jeden Morgen zur Arbeit.«
»Vielleicht macht er ja heute früher Schluss«, warf Jonathan ein. »Im Regen kann er ja nicht arbeiten.«
Daran hatte Bobby noch gar nicht gedacht. Plötzlich war er sich sicher, dass es ein Fehler gewesen war, heute hierherzukommen. Wenn sein Vater früher heimkam und ihn suchte, dann waren die Tornados noch seine geringste Sorge.
»Ja, vielleicht sollte ich wirklich gehen«, meinte er. »Vielleicht bin ich ja schon zu Hause, bevor der Sturm losgeht.«
Im Fernsehen erklärte ein Reporter gerade, wo man Schutz suchen konnte, und dass man jederzeit dazu bereit sein müsste.
»Nein, wenn du schon mal da bist«, sagte Mrs. Crane, »dann ist es wahrscheinlich besser, wenn du hierbleibst, falls wir deine Eltern telefonisch nicht erreichen können.«
»Aber mein Vater …«
»Wir rufen sie an, und sagen ihnen, dass du bei uns bleibst, okay?«
»Gut«, sagte Bobby. Es war leicht, seinen Vater für das verantwortlich zu machen, was als Nächstes geschehen würde, aber eigentlich war die Anwesenheit von Bobby hier doch eher so eine Art vorsätzlicher Betrug, und noch schlimmer war, dass er sich (sehr häufig) gewünscht hatte, dass Mrs. Crane seine Mutter wäre. Natürlich hatte er das nicht so ganz wörtlich gemeint, aber wer auch immer für solche Dinge zuständig war, musste wohl etwas falsch verstanden haben. Als die Tragödie vorüber war und seine Mutter zu den Opfern zählte, hatte Bobby keine andere Wahl mehr, als die Verantwortung dafür zu übernehmen. Aber es war eine zu große Bürde für einen Jungen von gerade mal zehn Jahren, besonders für einen Jungen, der schon mit den Erwartungen seines dominanten und verbitterten Vaters belastet war, der seine eigene Chance auf Ruhm und Größe längst verspielt hatte. Doch Bobby nahm diese Bürde auf sich, und trug sie bis zu jenem Abend neunundzwanzig Jahre später, als er sein Leben gab, um für diesen und all die anderen Fehler, die er begangen hatte, zu büßen.
Das Radar im Fernsehen war mit großen orangefarbenen und gelben Flecken bedeckt, die ihn aus irgendeinem Grund an Feuer erinnerten, so als würden die Stürme, die sich näherten, nicht aus Regen und Wind bestehen, sondern aus gewaltigen Säulen wirbelnder Flammen.
Einen Augenblick später heulten auch schon die Tornado-Sirenen.