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Kapitel 5

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Adam Altman konnte nicht verstehen, warum seine Mutter noch nicht von der Apotheke zurückgekehrt war. Sie hatte das Haus etwa dreißig Minuten zuvor verlassen, um Medizin zu besorgen, und da niemand in der Familie krank war, war die Medizin, die sie meinte, wahrscheinlich Schnaps, den sie in ihre Limonade kippte oder in die Gläser, die so winzig waren, dass nur ein kleiner Schluck darin Platz fand. Es war schon ziemlich seltsam, dieses Zeug als Medizin zu bezeichnen, denn wenn seine Eltern es tranken, ging es ihnen am nächsten Morgen nicht besonders gut.

Seine Mutter hatte es ziemlich eilig gehabt. Sie hatte nicht einmal den Fernseher abgestellt, sodass Adam und seine Schwester Christi jetzt davorsitzen und den Mann von der Wetterkarte sehen konnten, der gerade sagte, dass die Tornados mittlerweile die ganze Stadt bedrohen würden.

Das war ziemlich seltsam, wenn man bedachte, wie nahe seine Eltern Gott standen, und dass sie schon sehr oft erklärt hatten, dass kein Tornado einer Familie etwas anhaben könne, die zu Gott und seinem eingeborenen Sohn Jesus Christus betete. In jedem Frühjahr versammelte sich die ganze Familie im Vordergarten, um Gott zu preisen und um Schutz gegen das stürmische Wetter in Texas zu bitten. Vier Jahre hatte das auch sehr gut geklappt. Die einzigen Tornados, die Adam jemals gesehen hatte, waren in Büchern abgebildet gewesen. Doch jetzt sagte der Typ im Fernsehen plötzlich, dass jeder in der Stadt Schutz suchen sollte.

»Steigen Sie in die Badewanne und decken Sie sich mit Matratzen ab«, erklärte der Mann von der Wetterkarte. »Oder gehen Sie in einen Schrank und verschließen Sie die Tür. Was immer Sie tun – tun Sie es jetzt, denn es ist ein sehr großer Tornado, der gerade auf Wichita Falls zurast.«

Adam hatte eigentlich gar nicht vorgehabt, etwas zu tun, denn er war fest davon überzeugt, dass Gott über ihr Haus wachen würde. Aber dann fiel der Strom aus, die beiden starrten auf den leeren Bildschirm, und ihre Mutter war immer noch nicht da.

»Ich habe Angst«, sagte Christi. Sie war erst fünf Jahre alt und fürchtete sich so ziemlich vor allem. Adam machte sich immer über ihre Angst lustig.

Doch jetzt sagte er: »Denk daran, was Mom und Dad uns beigebracht haben. Wir beten zu Jesus, also kann uns überhaupt nichts passieren.«

»Aber der Mann im Fernsehen hat gesagt …«

»Mom kommt jeden Augenblick nach Hause, und sie wird uns schon sagen, was wir tun sollen.«

»Aber was ist, wenn sie nicht nach Hause kommt?«

Das war eine Möglichkeit, an die Adam überhaupt nicht denken wollte. Was für eine Mutter würde ihre Kinder bei einem solchen Sturm allein zu Hause lassen? Und warum sollte Gott einer Familie einen Sturm schicken, die ihn doch so verehrte?

Adam ging zur durchsichtigen Sturmtür und schaute hinaus. Der Himmel war tiefschwarz, der Wind heulte, und die Bäume in ihrem Vordergarten stöhnten, als ob sie im Sterben lagen.

»Gehen wir in den Schrank«, sagte er daraufhin zu Christi. »Ich bin mir sicher, dass nichts passiert, aber seien wir lieber vorsichtig.«

Bald standen die beiden zwischen Jacken und Mänteln in beängstigender Dunkelheit. Seine Schwester hielt sich ängstlich an den Taschen seiner Jeans fest. Sie zitterte und stand kurz davor zu weinen. Sie versuchte, ihre Arme um ihn zu schlingen, aber er stieß sie von sich weg. Er mochte es nicht, in diesem engen Schrank zu stehen und ihr so nahe zu sein, oder irgendjemandem sonst.

»Adam, halt mich fest!«

Aber das konnte er nicht, denn er war nicht so wie andere Kinder. Alles hatte sich an jenem Abend vor langer Zeit verändert, als ein Mädchen namens Evelyn ihn dazu überredet hatte, etwas ganz Schreckliches zu tun. Danach hatten ihn seine Eltern nicht mehr geliebt. Sie liebten Christi, die ihr Favorit war, und die reingeblieben war … die keine Todsünde begangen hatte.

Der Sturm wurde jetzt immer lauter. Er heulte wie ein gigantisches und wütendes Monster. Dieses Heulen klang so, als ob gleich die Welt untergehen würde, als ob Autos zerschmettert würden und Mauern einstürzen, und die Füße dieses Ungeheuers den Boden zertrampeln würden, während es sich ihnen mehr und mehr näherte.

In New Orleans hatte Evelyn ihn in jener Nacht betrogen. Adam hatte sich noch nie so verlassen und allein gefühlt. Es war ein schreckliches Gefühl gewesen, das er keinem anderen wünschen würde. Aber jetzt, wo seine Schwester bei ihm Schutz suchte, verweigerte er sich ihr. Er konnte einfach nicht verstehen, warum sie in den Arm genommen werden wollte, oder warum er derjenige sein sollte, der es tun musste.

»Adam!«, schrie Christi. Sie griff nach seinen Armen und Beinen und klammerte sich eng an ihn, aber er reagierte nicht darauf.

Jetzt war das Heulen ohrenbetäubend und es war überall um ihn herum. Das Haus ächzte. Es war ein Geräusch, als ob eine Hose zerrissen würde oder als ob man Nägel einschlug und dann wieder herauszog. Glas zerschmetterte, Holz riss ein, die Erde öffnete sich. Alles erstickte.

Seltsamerweise kam es Adam bei all diesem Lärm so vor, als ob er Musik hören könnte. Er stellte sich vor, dass ein Junge für ihn Musik spielte … für sie alle. Es war heiß draußen. Es war Sommer.

»Adam!«, schrie seine Schwester. »Mach, dass es aufhört! Bitte!«

Es waren seine Freunde, diese vier Jungs. Es war Sommer. Der Lärm, den der Sturm machte, war ohrenbetäubend. Adam konnte nicht verstehen, wo Gott war. Warum ließ er sie beide ganz allein?

Dann war der Schrank verschwunden, oder jedenfalls die Hälfte von ihm, und sie standen plötzlich im Freien. Das übrige Haus, mit Ausnahme der beiden Wände des Schranks, war ebenfalls verschwunden. Der Wind peitschte und heulte um sie herum. Auf seinem Gesicht und auf den Armen spürte er ein Prickeln und Stechen, wie Blätter und Zweige und kleine Holzstücke. Seine Schwester schrie ihm die ganze Zeit die Ohren voll. Er konnte das Schuldgefühl einfach nicht länger ertragen. Hier war die nackte Betonwand ihres Hauses, und das sah irgendwie falsch aus, und doch irgendwie auch vertraut. Lange Zeit sollte er nicht verstehen, wie diese Rechtecke sein weiteres Leben bestimmen würden.

Der Tornado wütete immer weiter. Adam konnte sehen, wie er durch die Häuser, die er verschlungen hatte, immer fetter wurde. Aus irgendeinem Grund hatte er sie beide verschont. Gott war groß! Gott war gut!

»Christi?«, sagte er. »Geht es dir gut?«

Schon bevor Adam hinschaute, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Irgendwann hatte sich der Griff seiner Schwester gelockert. Sie klammerte sich nicht länger an ihn, so wie sie das zuvor getan hatte. Eigentlich konnte er ihr Gewicht überhaupt nicht mehr spüren.

Als er nach unten zu seiner Schwester schaute, schien sie sich irgendwie verändert zu haben. Adam hatte das Gefühl, dass sein Kopf aufgeblasen wurde wie ein Ballon. Jeden Moment könnte er platzen. Sein Körper schien schwerelos zu werden und in den Weltraum zu steigen, wo es kein Oben und kein Unten mehr gab, und wo es auch keine Richtungen gab. Für eine Weile sah er nichts außer etwas, das formlos und weiß war. In diesem Raum schwebte er für einige Zeit. Er konnte nicht sagen, für wie lange. Vielleicht hatte er Leute sprechen gehört oder auch schreien, vielleicht aber auch nicht. Er war sich nicht sicher, denn alles war mit diesem Schleier des Nichts bedeckt.

Schließlich wurde Adam bewusst, dass um ihn herum Leute waren. Seine Nachbarin Mrs. Merrill, kniete vor ihm. Sie schien zu sprechen, aber Adam konnte nicht hören, was sie sagte. Vielleicht wollte er es auch gar nicht hören, denn Christi war gegangen, und sie würde niemals mehr zurückkommen. Adam hatte sich geweigert, sie festzuhalten. Er hatte es vorgezogen, ihren Körper nicht mit seinem eigenen zu schützen. Er hatte als ihr großer Bruder versagt. Er konnte sich nicht vorstellen, wie seine Eltern reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass ihr kleiner Schatz für immer gegangen war.

Später betete er zu Gott und bot ihm sein Leben für das von Christi an. Nicht nur, weil es ihm leidtat, sondern auch, weil er dieses Leben eigentlich gar nicht mehr wollte. Neun Jahre waren für ihn lange genug, um zu verstehen, dass sich einige Dinge niemals verbessern würden. Sie würden höchstens noch schlimmer werden. Irgendwann würde die gesamte Welt in Flammen aufgehen, und da Adam nicht dabei sein wollte, wenn dies geschah, betete er immer wieder zu Gott, ihm diese kleine Gnade zu gewähren.

Doch alles, was er bekam, war Schweigen.

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