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Kapitel 10

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David Clarks Haus in Carmel war eine zweistöckige Villa im spanischen Stil mit Fußböden aus Makassar-Ebenholz und Pietra-Firma-Kacheln. Große Panoramafenster boten einen atemberaubenden Blick auf die Bucht und die Sonnenuntergänge über dem Pazifik. Die Kücheneinrichtung war nahezu futuristisch. Es gab außerdem einen gemütlichen Billardraum und ein großes Heimkino. Im ersten Stockwerk befanden sich sechs Schlafzimmer und sogar eine Master-Suite. Das Bett war ein speziell angefertigtes Hästens Vividu, sechs Zoll länger und fünf Zoll breiter als ein standardmäßiges Kingsize-Bett, das ihn 568.342,88 Dollar gekostet hatte, nach allen Maßstäben ein absolut wahnsinniger Preis.

Seine Golfplätze waren Pebble Beach und Cypress Point, zwei der spektakulärsten Plätze auf der ganzen Welt. Er dinierte wie ein König. Er besaß zwölf Autos. Eines von ihnen war ein Bugatti Veyron. Für jede einzelne seiner 1.001 PS hatte er tausend Dollar bezahlt, und letztes Jahr hatte er sein neuestes und extravagantestes Fahrzeug gekauft – eine Gulf Stream G550, sein persönlicher Jet – für einen absolut günstigen Preis von 48.450.000 Dollar. Darin waren aber noch nicht die siebenundzwanzig Millionen Dollar enthalten, die für die Umrüstung angefallen waren, um das Innere noch schalldichter zu machen.

Aber sein opulentes Leben beschränkte sich nicht nur auf die Westküste. Jedes Jahr spielte er vier Runden Golf beim Augusta National in Georgia. Bei Rao‘s in New York war er mal Jennifer Aniston auf die Zehen getreten, als er bereits drei Cocktails intus gehabt hatte. Er war davon überzeugt gewesen, dass sie seine Einladung zu einem Drink annehmen würde, und sie hatte ihn auch tatsächlich sehr amüsant gefunden. Er hielt sie für sexy und zugänglich. Sie hatten sich dreimal zum Abendessen getroffen, aber dann hatte sie einen Schauspieler kennengelernt, den sie anscheinend für noch amüsanter hielt.

Er war ein Neureicher, also gab es für ihn gewisse Grenzen, aber David konnte so ziemlich alles tun, was er wollte. Er konnte hingehen, wo immer er hingehen wollte. Aus Wichita Falls war er geflohen wie ein Strafgefangener aus einem Gefängnis. Jetzt war er so weit entfernt von diesem kulturell unbedeutenden Höllenloch, wie man nur sein konnte. Er war seinen texanischen Akzent ebenso losgeworden wie sein provinzielles Übergewicht und seinen antiquierten Sozialkonservativismus.

Aber irgendetwas stimmte dennoch nicht. Irgendetwas, das ganz in seiner Nähe war, folgte ihm überallhin. Er konnte es irgendwie wahrnehmen, aber es entschwand sofort, wenn er versuchte, es direkt anzusehen. Es verfolgte ihn seit jenem Tag im Wald als gewaltiger Hagelsturm, und selbst jetzt suchte es ihn in den Nächten als gespenstischer Laut heim, den er gerade so eben hören konnte, wenn er intensiv lauschte. Ein schrecklicher Laut, der, da war er sicher, wenn man ihn verstärken könnte, einer Tornado-Sirene ähneln würde.

David hatte dieses Gefühl bisher noch niemandem anvertraut, aber die Leute, die ihn am besten kannten, schienen trotzdem zu spüren, dass da etwas war. Er spielte seine Rolle als entspannter und sorgenfreier Millionär perfekt, der immer gebräunt und unglaublich gepflegt war und ausschließlich Maßanzüge trug. Aber er sprach niemals über seine Jugend in Texas und erwähnte niemals seine Familie. Er ignorierte entsprechende Fragen einfach so lange, bis man es schließlich aufgab. Das schuf unvermeidbar eine gewisse Distanz, die es ihm erschwerte, enge Beziehungen einzugehen, besonders die von der romantischen Art.

Doch es war leicht, diese Unzufriedenheit auf das perfekte Klischee zurückzuführen, dass ein reicher unverheirateter Mann nun mal keine Befriedigung in einem konventionellen Leben finden konnte. Für einen normalen amerikanischen Mann in seinem Alter war es jetzt an der Zeit, dass er heiratete und Kinder in die Welt setzte. Alles verändert sich, so sagt man, wenn man sieht, dass ein Köpfchen aus dem Mutterleib kommt und wenn man den allerersten Schrei hört. Die Prioritäten verändern sich dann ganz von selbst. Die existenzielle Unsicherheit löst sich auf und das Leben wird auf einmal ganz klar und einfach. Du wirst schon sehen, hatte ihm einmal sein Freund Jim Thain gesagt. Eigentlich hatte er es ihm schon hundert Mal gesagt. Millionen Väter können sich nicht irren.

Wenn David geglaubt hätte, dass seine Angst dadurch beseitigt werden könnte, dass er ein Kind in die Welt setzte und ein normales Familienleben führte, dann hätte er schon vor langer Zeit geheiratet. Jede seiner engeren Freundinnen hätte eine wunderbare Ehefrau und Mutter abgegeben. Aber ganz tief im Inneren wusste David, dass die Probleme mit seinem Leben nicht dadurch gelöst werden konnten, dass er sie mit jemandem teilte. Das bedeutete, dass jede Frau, die darauf bestand, ihr Leben mit ihm zu teilen, Schwierigkeiten bekommen würde, gleichgültig welche Argumente sie auch vorbringen würde.

Es war kurz nach Mitternacht und er lag mit seiner gegenwärtigen Freundin Meredith im Bett. Ihr blondes Haar lag wie ein Sternregen auf dem Kopfkissen – das Haar eines schlafenden Engels. David saß im Bett, mit dem Rücken zum Kopfende. Er las gerade die New York Times auf seinem Laptop und überlegte, ob er mit ihr Schluss machen sollte.

Er hatte Meredith vor fast einem Jahr im Golfladen von Pebble Beach getroffen. Er hatte sich sofort von ihrem intensiven Blick und ihrem Pferdeschwanz, der aus ihrer weißen Nike-Golfkappe herausragte, angezogen gefühlt. Sie war allein dort gewesen und hatte einem Mitarbeiter erzählt, dass sie gerade auf die Halbinsel gezogen war und hoffte, sich einer Gruppe anschließen zu können, der man bereits einen Termin zum Golfspiel erteilt hatte. Der Mitarbeiter hatte da seine Zweifel gehabt. Er hatte ihr erklärt, dass Startzeiten nur sehr schwer zu bekommen seien, und hatte ihr vorgeschlagen, es ein anderes Mal zu versuchen. David hatte das Mädchen noch einmal abgecheckt und sich gefragt, ob der Typ hinter der Theke blind war.

»Ich habe morgen eine Startzeit«, hatte er zu ihr gesagt. Es war schon fast lächerlich … diese wahnsinnig hübsche Frau, die hoffte, auf einem exklusiven Golfplatz, der von den reichsten und attraktivsten Männern des Staates frequentiert wurde, einen Golfpartner zu finden.

Das Mädchen hatte sich zu ihm umgedreht. Ihre Augenbrauen waren natürlich geformt gewesen und sie hatte nur leichtes Make-up getragen. Sie war nicht der Model-Typ, aber ihr athletischer Körper war schon ein wahnsinniger Anblick, und David hatte sich bemühen müssen, sie nicht anzustarren.

»Sie können sich mir gern anschließen, wenn Sie wollen«, hatte er gesagt.

»Ich würde mich sehr freuen. Haben wir noch mehr Partner, oder nur wir zwei?«

»Ich hatte einen Partner«, erklärte David. »Aber er macht momentan nicht mit.«

Sie hatte ihm daraufhin ein strahlendes Lächeln gezeigt und es hatte sich etwas zwischen den beiden entwickelt. Er hatte sie zum Abendessen eingeladen, hatte sie zu Theateraufführungen, und zum Sundance in Park City mitgenommen. Schon bald war sie für Tage in seinem Haus geblieben und David hatte sich mit der Möglichkeit einer langfristigen Beziehung konfrontiert gesehen.

Es war spät geworden, und er merkte, dass er die Augen geschlossen hatte. Er konnte sie kaum noch offenhalten. Ein normaler Mensch würde jetzt seinen Laptop beiseitelegen und schlafen, aber David schlief von jeher nur sehr schlecht. Selbst in Nächten wie diesen, wenn seine Augenlider bleiern schwer waren, fingen seine Gedanken an zu rasen, sobald sein Kopf auf dem Kissen lag. Wann, so fragte er sich, würde seine zweifelhafte Existenz in Kalifornien wohl enden?

Um sich selbst zu beweisen, dass er kein Gefangener seines früheren Lebens war, hatte David vor sechs Wochen impulsiv einen Verlobungsring mit einem vierkarätigen Neil-Lane-Diamanten gekauft, aber bisher hatte er nicht weniger als fünf Mal vorgehabt, Meredith diesen Ring zu präsentieren, und hatte es dann doch nicht getan, und er war sich nicht sicher, ob er jemals …

Neben ihm auf dem Nachttisch, pulsierte jetzt sein iPhone. David hob es schnell auf und hoffte, dass Meredith dadurch nicht aufgewacht war. Er stieg aus dem Bett und lief auf Zehenspitzen in den Flur hinaus, bevor er sich meldete. Die Nummer und die Vorwahl waren ihm unbekannt.

»David Clark.«

»Mr. Clark?«, sagte eine Stimme, die ein wenig brüsk und müde klang, so wie jemand, der mit wichtigen Aufgaben betraut war, die ihm mittlerweile jedoch zum Hals heraushingen. »Mr. David Clark?«

»Ja. Wer ist da?«

»Ich bin Detective Jerry Gholson. Ich rufe aus Wichita Falls an.«

Für einen Augenblick glaubte David, dass er in Ohnmacht fallen würde. Es war fast so, als ob sein Name von irgendeinem fernen Ort aus gerufen wurde. Es klang dumpf, wie ein Echo.

»Mr. Clark. Sind Sie noch da?«

»Ja«, sagte David. »Sie rufen aus Wichita Falls an?«

»Ja, Sir. Ich fürchte, ich habe schlimme Nachrichten für Sie. Ihr Vater, Fred Clark, wurde heute Abend ermordet.«

David hörte ein Geräusch in der Nähe und merkte dann, dass seine Augen geschlossen waren. Er öffnete sie und sah, dass Meredith direkt neben ihm stand.

»Wie?«, fragte er ins Telefon. »Was ist passiert?«

»Anscheinend wurde er ermordet, Mr. Clark. Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen.«

»Aber wie? Wissen Sie, wer es getan hat?«

Meredith berührte ihn am Arm. Ihre Augen waren groß und besorgt.

»Etwas ist mit meinem Vater passiert«, flüsterte er ihr zu.

Am Telefon sagte der Detective: »Ja, wir sind uns ziemlich sicher. Der Hauptverdächtige ist Bob Steele. Er scheint ins Restaurant Ihres Vaters eingebrochen zu sein, und dann ist es wohl zu einer Konfrontation gekommen. Er hat das gesamte Gebäude angezündet. Die Feuerwehr war ziemlich schnell da, aber anscheinend hat er einen Brandbeschleuniger benutzt, den er zuvor überall im Gebäude verteilt hat. Das Gebäude ist so ziemlich verschwunden.«

David schluckte und wandte sich von Meredith ab. Er hatte seine Augen wieder geschlossen, als wollte er die Welt draußen halten, aber die Dunkelheit machte die Sache nur noch schlimmer. Jetzt konnte er den Rauch sehen, der so dick wie Nebel war. Er konnte das Feuer sehen, das sich in den Augen von Todd Willis widerspiegelte.

Die Idee, dass er sich mit dem Luxus in Carmel selbst isolieren konnte … dass eine Mauer von Geld ihn irgendwie vor der Realität seines Leben schützen konnte … das war mehr als dumm gewesen. Es war immer dumm gewesen. 1983 hatte er mit vier anderen Jungs ein Haus betreten, Benzin im Schlafzimmer und im Bad von irgendjemandem verschüttet und dann die ganze Bude in Brand gesteckt. Er hatte das getan, weil Todd Willis es ihm vorgeschlagen hatte, ein enger Freund von ihm, der während des Tornados von 1979 eine seltsame Verletzung davongetragen hatte. Er hatte ihn auf eine Art und Weise beeinflusst, die er bis heute nicht verstehen konnte. Aber es war die Erinnerung an den zweiten Brand, den im Restaurant seines Vaters, die ihm wirklich Sorgen machte. Nicht, weil er das Gebäude, in dem sich sein Vater eine Existenz aufgebaut hatte, vorsätzlich abgefackelt hatte. Der alte Mann hatte das wirklich verdient. Was David Angst machte, war die Erinnerung an Todds Augen in jener Nacht … dieser geheimnisvolle und abwesende Blick und das dunkle Geheimnis, das sie beide fortan teilten, ein Geheimnis, an das sich David nicht erinnern konnte, das ihn aber dennoch zutiefst verstörte.

»Das trifft mich ziemlich unvorbereitet«, sagte er. »Ich bin mir nicht sicher, was ich jetzt tun soll. Muss jemand die Leiche identifizieren? Wurde Bobby wegen des Mordes angeklagt?«

Den Namen seines Freundes auszusprechen, rief unweigerlich weitere Erinnerungen aus dieser Zeit hervor. Die fünf – Todd, Bobby, Jonathan, Adam und David selbst – waren die einzigen Mitglieder eines Klubs mit dem Namen The Boys of Summer gewesen. Sie hatten zusammen Football und Videogames gespielt und waren gemeinsam durch die Wälder gestreift. In der Nacht des Feuers hatte ein Junge namens Joe Henreid irgendwie herausgefunden, was sie taten, und hatte sie in dem Haus überrascht, als die Flammen gerade anfingen, die Inneneinrichtung zu zerstören. Ihre Reaktion war es gewesen, einfach davonzulaufen und ihn allein in dem Haus zurückzulassen. Seitdem hatte man niemals wieder etwas von ihm gesehen oder gehört.

David hatte in seinem späteren Leben als Erwachsener nie wieder an Joe oder Todd oder seine Kindheit gedacht. Doch jetzt hatte er plötzlich das Gefühl, als ob alles erst gestern passiert wäre.

»Die Identifizierung wird anhand der Zahnarztunterlagen durchgeführt. Das Feuer hat leider sehr gründliche Arbeit geleistet. Es wird keine Anklage gegen Bob Steele geben, denn er ist bei dem Brand ebenfalls ums Leben gekommen. Aber es gibt einige juristische Dinge, die erledigt werden müssen. Ihr Vater hat Sie als Notfallkontakt angegeben und wir wissen von keinem anderen Familienmitglied oder engen Verwandten in der Nähe. Deshalb wäre es hilfreich, wenn Sie in den nächsten Tagen nach Wichita Falls kommen könnten. Wenn das möglich wäre.«

»Äh, ja das kann ich machen«, antwortete David. »Ich komme in den nächsten ein bis zwei Tagen.«

»Das wäre schön. Ich gebe Ihnen meine Nummer, und Sie rufen mich dann bitte an, sobald Sie in der Stadt sind.«

Sie tauschten ihre Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus, dann legte David den Hörer auf. Er merkte erst, dass er das Schlafzimmer wieder betreten hatte, als er bereits dort war. Er drehte sich um und wäre beinahe mit Meredith zusammengestoßen.

»Schatz«, sagte sie und nahm ihn in die Arme. »Es tut mir so wahnsinnig leid. Möchtest du darüber reden?«

»Ich weiß nicht, was es da zu bereden geben sollte. Mein Vater ist tot. Anscheinend wurde er ermordet. Ich muss mich jetzt um seine Angelegenheiten kümmern.«

»Oh, mein Gott!«, schrie Meredith. Sie ergriff ihn am Arm und schob ihn ins Licht, wo sie ihn sehen konnte. »Oh, mein Gott! Wer hat das getan?«

»Dieser Typ, mit dem ich früher immer zusammen gewesen bin. Er war der Quarterback in unserem Highschool-Team. Doch ich habe seit vielleicht zwanzig Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen.«

»Oh, David. Du musst ja vollkommen fertig sein. Es tut mir so leid.«

Sie umarmte ihn wieder, und David ließ zu, dass sie ihn festhielt. Doch er wusste nicht, was er denken oder wie er sich verhalten sollte. Sein Geist war wie leer gefegt … ein weißes Blatt, das darauf wartete, dass jemand darauf schrieb, wie er sich fühlen und was er jetzt tun sollte.

»Ich weiß, dass du nicht gern über ihn sprichst«, sagte Meredith. »Ich weiß auch, dass ihr euch nicht besonders nahestandet. Aber du hast trotzdem ein Recht darauf, traurig oder wütend zu sein, David. Du behältst deine Gefühle immer für dich, und das funktioniert ja meistens auch, aber wenn du darüber reden willst, dann bin ich immer für dich da. Okay?«

Er wusste es durchaus zu schätzen, was sie da sagte. Ja, wirklich. Aber in diesem Fall wusste Meredith doch gar nicht, wovon zum Teufel sie eigentlich redete.

Denn David hatte immer gewusst, dass sein Traumleben irgendwann zusammenbrechen würde. Er wollte ja wirklich daran glauben, dass seine Fähigkeit, Investmentchancen zu erkennen, eine angeborene Gabe war, die er im Laufe der Zeit entwickelt hatte, und dass er sein riesiges Vermögen, das inzwischen zehnstellig war, seinen eigenen Verdiensten zu verdanken hatte, aber er hatte ständig eine leise Stimme in seinem Kopf.

Don‘t look back you can never look back.

Diese verriet ihm, dass seine finanziellen Entscheidungen nichts anderes waren als reine Spekulation. Qualcomm war für einige Zeit jedermanns Lieblingsinvestition im Telecom-Bereich gewesen, aber einige Investoren waren vorausschauend genug gewesen, um aus der Sache auszusteigen, bevor die Aktien der Gesellschaft fielen wie ein Stein. David hatte auch eine Menge Amazon- und Apple-Aktien erworben, und er hatte auch in einige längst vergessene Dotcom-Unternehmen investiert, aber welcher Teufel hatte ihn geritten, sein Vermögen in Aktien mit niedrigem Risiko zu investieren, kurz bevor der Aktienmarkt im Jahre 2000 komplett zusammenbrach?

»Lass uns zu Bett gehen«, sagte er zu Meredith. »Danke, dass du mir zuhören willst, aber im Augenblick habe ich nichts zu sagen.«

Im Bett schmiegte sich Meredith an ihn, und die feurige Hitze ihrer Haut, die ihn normalerweise ziemlich anmachte, stieß ihn heute irgendwie ab. Im Augenblick konnte er sich kein körperliches Gefühl vorstellen, das er sich jetzt weniger wünschen würde als die Berührung eines Menschen.

»Wenn du nicht darüber reden willst«, sagte sie mit zärtlicher Stimme, »warum denkst du dann nicht an all die angenehmen Dinge, an die du dich mit ihm erinnern kannst?«

Im Zusammenhang mit seinem Vater konnte sich David nicht an eine einzige angenehme Sache erinnern. Er erinnerte sich lediglich an all die sinnlosen Regeln und die starren Grundsätze, nach denen sein Vater gelebt hatte. An all die Anweisungen, die er durchgesetzt hatte, und die er letzten Endes doch selbst verraten hatte.

»Versuch, dich daran zu erinnern, wie er dich geformt hat«, flüsterte Meredith. »Im Guten wie im Schlechten ähneln wir letztlich doch unseren Eltern.«

Das ließ David an die Zeit denken, als er seinen besten Freund verraten hatte. Als er ohne besonderen Grund Jonathan Cranes Freundin geküsst hatte. Er konnte sich an diesen Tag noch deutlich erinnern. Er sah jetzt praktisch in Zeitlupe vor sich, wie er auf seinem Fahrrad saß und die Shady Lane hinunterfuhr, auf ein unbekanntes Ziel zu.

Als er schließlich ihre Silhouette im Vordergarten gesehen hatte, wo sie mit ihrer Mutter Unkraut gejätet hatte, hatte er innerlich zugeben müssen, dass er ihr absichtlich hinterhergelaufen war.

Alicia war über den Rasen auf ihn zugegangen. Sie hatte ein hellblaues T-Shirt getragen, das nicht ganz zu ihren rosafarbenen Shorts hinuntergereicht hatte. Ihre Haut war braun gebrannt gewesen und hatte vor Schweiß geglänzt und er hatte ihren Bauchnabel sehen können. Sie hatte eine Sonnenbrille und rosa Badesandalen getragen.

I can see your brown skin shining in the sun, you got your hair combed back and your sunglasses on, baby …

Meredith flüsterte ihm immer noch etwas zu, und versuchte ihn zu trösten, aber ihre Stimme ging in den dissonanten Geräuschen seiner Vergangenheit komplett verloren. Jetzt sah David plötzlich das Haus auf dem Driftwood vor sich, zuerst während ihrer Eskapaden am Nachmittag und dann in der Nacht des Feuers. Todd hatte eine ziemliche Kontrolle über sie ausgeübt. Manchmal war er mehr Erwachsener als Kind gewesen. Dann war plötzlich Joe Henreid aufgetaucht. Seine Augen hatten wie Glühwürmchen im Rauch geleuchtet, und sie alle waren panisch geflohen. Sie hatten ihn einfach seinem Schicksal überlassen.

I will never forget those nights, I wonder if it was a dream …

Doch er wusste, dass es kein Traum war. Er wusste, dass das, was er da sah, real war, und die Folgen seiner damaligen Handlungen forderten jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, einen Preis von ihm. Vielleicht hatte er seinen Vater nicht mehr geliebt. Vielleicht war er auch froh, dass man den alten Mann endlich aus seinem Elend befreit hatte. Aber trotzdem musste er auf diesen Mord reagieren. Zumindest würde dieser Mord David dazu zwingen, seine Heimatstadt zu besuchen und das Chaos zu beseitigen, das Fred Clark bestimmt hinterlassen hatte. Aber es war auch möglich, dass der Tod seines Vaters nur das erste Glied in einer Kette von Ereignissen sein würde, und dass Davids Rückkehr nach Wichita Falls ihn dazu zwingen würde, sich dem zu stellen, wovor er einst geflohen war.

Wenn er endlich verstehen würde, was ihn von allen anderen unterschied, dann wäre David vielleicht endlich in der Lage, ein richtiges Leben zu führen. Denn trotz aller Privilegien und aller weltlichen Güter, die er besaß, war da etwas, das ihn zurückhielt. Irgendetwas Unerledigtes.

War es ein neuer Anfang, der auf ihn zukam oder das Ende?

THE BOYS OF SUMMER

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