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Der genormte Mensch

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Wir brauchen unbedingt ein kurzes Wort zur Bezeichnung der Wissenschaft von der Verbesserung des Erbguts, die sich keineswegs auf Fragen zweckmäßiger Paarung beschränkt, sondern vor allem in Bezug auf den Menschen, auch all diejenigen Einflüsse berücksichtigt, die in einem wenn auch noch so geringem Maße dazu beitragen, den tauglichen Rassen oder Einschlägen eine bessere Behauptungschance gegen die weniger tauglichen zu bieten, als sie sonst bestanden hätte. Das Wort „eugenics“ schien zur Bezeichnung dieses Gedankens geeignet zu sein.

Francis Galton, in: Hereditary Genius (Erbliches Genie), London 1883

Wer in Zeiten des Nationalsozialismus zur Welt kam, größere gesundheitliche Schäden aufwies als die eher harmlosen, behandelbaren, wie bei mir, konnte Schwierigkeiten bekommen. Denn der Staat ließ nur starke, gesunde Menschen der nordisch-arischen Rasse gelten. Laut Hitler sollten die Menschen flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl werden. Hebammen, Ärzte und Gesundheitsämter wurden aufgefordert, Neugeborene mit Behinderungen zu melden. Das zeigt unter anderem der Beitrag des Arztes und Eugenikers Dr. Heinrich Schade, der im Übrigen nach Kriegsende als Professor in der Landesheilanstalt Düsseldorf Grafenberg weiterarbeitete. Noch 1974 verbreite er mit seinem letzten Buch Völkerflut und Völkerschwund. Bevölkerungswissenschaftliche Erkenntnisse und Mahnungen im neonazistischen Vowinckel Verlag rassistisches Gedankengut.

1937, zur Zeit, als ich geboren wurde, erschien unter dem Titel Erbbiologische Bestandsaufnahme ein Aufsatz von besagtem Professor Schade, in dem er die gesetzliche Maßnahme der „Inventarisierung der Bevölkerung auf dem Wege über die Gesundheitsämter“ und deren Vertiefung „durch eine eingehendere wissenschaftliche Allgemeinuntersuchung der gesamten Bevölkerung“17 in verschiedenen Bezirken in Hessen zusammenfassend darstellt. Angestrebt war eine vollständige Erfassung, ausgehend von Aufzeichnungen von Fürsorgestellen für Trinker, Geschlechts-, Gemüts- und Nervenkranke sowie von Fürsorge-, Hilfsschul- und Vormundschaftsakten ergänzt durch Daten und Akten der Nervenkliniken und Gefängnisse nach dem Vorbild der erbbiologischen Bestandsaufnahme in Frankfurt am Main. Dort war 1937/38 bereits die Hälfte der Bevölkerung in dem 250.000 Akten umfassenden Erbarchiv erfasst und zum größten Teil in Karteikarten dokumentiert.

Was war dem vorausgegangen? Schade hatte 1935 eine bis dahin einmalige anthropologisch, medizinische Erhebung im Schwalm-Eder-Kreis durchgeführt, mit der er sich 1939 habilitierte. Laut Schade sollte die Untersuchung „unter Berücksichtigung des genealogischen Aufbaus der ‚Bevölkerungsbewegung‘ Aufschluss geben über die gesunden und krankhaften körperlichen und geistigen Eigenschaften der Bevölkerung und die Verbreitung ihrer Erbanlagen. Dazu gehört auch die Häufigkeit von Erbkrankheiten“.18 Das Ergebnis entsprach dem, was er sich erhofft hatte, und zwar, dass häufig ganze Sippen mit Debilen intellektuell ein im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung deutlich niedrigeres Niveau haben. Solche Menschen wurden dann als erbkrank im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes diskreditiert. Nach dem 1935 beschlossenen Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des Deutschen Volkes wurden nach eugenischen Maßstäben die somatische und psychische Qualität von deutschen Staatsangehörigen festgelegt, die für eine gesunde Nachkommenschaft verantwortlich gemacht wurden. Eine Ehe durfte erst gar nicht geschlossen werden, wenn ein Partner nicht den Kriterien der Erbgesundheit entsprach. Dass auch rassisch Andersartige nicht erwünscht waren, hatte zur Folge, dass 1937 in einer Nacht- und Nebelaktion, an der Schade ebenfalls beteiligt war, die Sterilisation der sogenannten Rheinlandbastarde beschlossen wurde.19 Sie waren zwar gesund, dennoch rassisch unerwünscht.

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