Читать книгу Gott hat viele Fahrräder - Richard Fuchs - Страница 20
Vielfalt statt Einfalt
ОглавлениеDie in den vorausgegangenen Kapiteln beschriebenen Verbrechen gegen die Menschheit, wie das internationale Militärgericht der Alliierten in Nürnberg urteilt, Eugenik und Rassenhygiene, sollten für alle Zeiten der Vergangenheit angehören. Denn vor Gott und dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Das sichern heute die Universellen Menschenrechte wie auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in dem es unter anderem heißt: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […] (Art. 2 (1) GG). Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich […] (Art. 2 (2) GG). Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Art. 1 (1) GG).“ Zumindest in Europa leben wir – Gott sei Dank – weitestgehend in Frieden. Wer hätte das vor 1945 gedacht? Keine Feindbilder mehr, keine Kopfgeburten mehr, die aus Menschen anderer Nationen, anderer Hautfarbe Feinde machen. „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden“, heißt es in Art. 3 (3) GG.
Wenn ich heute in der Düsseldorfer Altstadt in der Bolkerstraße oder an der Uferpromenade einen Wein trinke, genieße ich gleichzeitig das muntere Treiben des vorbeiziehenden, multikulturellen Publikums – eine bunte Vielfalt, fernab jeglicher eugenischer und rassenhygienischer Normerfüllung wie damals im Dritten Reich. Wer in der Altstadt oder auf der Prachtstraße Königsallee flaniert, erlebt zudem ein babylonisches Sprachengewirr – erst recht zu Messezeiten – von Menschen aus aller Herren Länder. Man begegnet allen Gesellschaftsschichten, jeder Hautfarbe, jeder Moderichtung. Japaner und Chinesen haben mit großen Kolonien ihren Wohnsitz und ihre Niederlassungen in Düsseldorf. Es gibt wieder eine Synagoge (seit 1948, vorher im großen Sitzungssaal des Oberlandesgerichts) und ein jüdisches Gemeindeleben – mit 7.000 Mitgliedern ist sie die drittgrößte Gemeinde in Deutschland. Anstatt Trennendes zu betonen, bemüht man sich, durch einen interreligiösen Dialog Brücken zu bauen. Große arabische Familien-Clans residieren im Sommer im Fünf-Sterne Breidenbacher Hof an der Königsallee, genießen das gemäßigte Klima, lassen sich in den Kliniken medizinisch runderneuern und gehen ausgiebig shoppen. Kein Mensch dreht sich um, wenn die Frauen in schwarzer Burka (Ganzkörperverschleierung) das Straßenbild verändern. Ein Großteil der Düsseldorfer Gastronomie würde zusammenbrechen, wären da nicht die Spanier, Italiener, Griechen, Türken, Japaner, Chinesen und Inder als Betreiber.
Im Rheinland ist man tolerant, kann spontan mit Menschen reden. Hier lässt jeder jeden leben wie sie/ er ist. Deshalb lässt sich’s hier so gut leben. Jeder Jeck is anders ist in Düsseldorf nicht nur eine Redensart, sondern auch Programm. Das ist ein Kontrast zu dem, was mit dem Dritten Reich hinter uns liegt, ein Stück weit auch in dörflichen Gemeinschaften wie auch in streng ausgerichteten christlichen Gemeinschaften.
Mit zwanzig Jahren zog ich nach Düsseldorf. Das ist nicht zuletzt der offenen, unverkrampften rheinischen Lebensart wegen für immer meine Heimat geblieben. Hier konnte ich durchatmen, mir letztlich alle privaten und beruflichen Wünsche erfüllen, unzensiert das kulturelle Leben mit Theater-, Ober-, Konzertbesuchen genießen. Nicht selten führte mich abends der Weg mit Kollegen in die Altstadt, der längsten Theke der Welt. Soziale Kontrolle war Vergangenheit. Dennoch besuchte ich auch in Düsseldorf weitere Jahre die Christliche Versammlung, sang im Chor und hatte vergnügliche Stunden vor allem mit Jugendlichen der Gemeinde, bis ich mich auch von dieser Umklammerung löste. Nun glaube ich zwar immer noch an ein Leben nach dem Tod, aber auch an ein Leben vor dem Tod. Nur noch in großen Intervallen erreichte mich in Düsseldorf der lange Arm der Erziehung meines Vaters.