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Antisemitismus im protestantischen Siegerland

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Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr seid einerin Christo Jesu.

Apostel Paulus: Brief an die Galater, 3,28.

(Das heißt, mit der Taufe gibt es keine Hierarchie mehr, auch nicht zwischen Mann und Frau.)

Für so manches, was evangelikale Christen gesellschaftlich vertraten und vertreten, konnten sie nicht allein ein Erstgeburtsrecht in Anspruch nehmen, sondern es war eine naive Rezeption dessen, was der Zeitgeist vorgab, so zum Beispiel der verdeckte oder offen ausgesprochene Antisemitismus. Obwohl Juden durch die deutschen Verfassungen und Gesetzgebungen, insbesondere die Verfassung des Preußischen Staates vom 31. Januar 1850, die völlige Gleichstellung mit den übrigen Staatsbürgern erhielten, war der latente Antisemitismus nicht auszurotten. Vor allem, wenn er von der Kanzel gepredigt wurde, verfehlte er seine Wirkung nicht. Wenn Christen ihren Vertrauensbonus dazu missbrauchen, geschickt verpackte rassistische Ideen zu verbreiten, ist das besonders infam. Vor allem der Dom- und Hofprediger Adolf Stoecker (1835 – 1909) in Berlin schreckte vor antisemitischen Agitationen nicht zurück. 1878 gründete er die Christlich-Soziale Arbeiterpartei, die 1881 in Christlich-Soziale Partei umfirmiert wurde, und 1880 die Berliner Bewegung als Zusammenschluss antisemitischer Gruppierungen. Da sein Versuch, die Arbeiterschaft für die Christlich-Sozialen zu gewinnen, gescheitert war, wandte er sich nun erfolgreicher mit antisemitischer Propaganda an den kleinbürgerlichen Mittelstand. Auch bei Studenten fand er Zuspruch. Zu den verschiedenen antisemitischen Strömungen gehörte unter anderem die Kritik an der völligen staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden. Für Stoecker war der Antisemitismus nicht nur ein Rand-, sondern ein Zentralthema seines gesamten Denkens und öffentlichen Redens. Besondere Erfolge feierte Stoecker in seinem Wahlkreis, den ausgedehnten Waldgebieten an Lahn, Eder und Sieg, also nicht zuletzt im Siegerland. Der Chronist U. F. Opfermann kommentiert: Dieser „Bayerische Wald für protestantische Politiker, und seine mental in einer traulichen Vormoderne verharrenden Bewohner müssen ihm als ideal für seine Zwecke erschienen sein“.20

Stoecker kandidierte fortan immer in diesen Gebieten und das hinterließ Spuren. Ein Parteimitglied der 1878 von Stoecker gegründeten antisemitischen Christlich-Sozialen Arbeiterpartei war in Siegen der reformierte Pfarrer Julius Winterhager, der als Ortsschulinspektor ausgerechnet für die Schule der jüdischen Gemeinde zuständig war. „1934 hielt ein Pfarrer und Reichsredner der NSDAP in Eiserfeld, Schwerpunkt des protestantischen Fundalismus, eine scharfe antisemitische Rede. Er lobte Luther und Adolf Stoecker als antisemitische Vorkämpfer und beschimpfte ‚ernste Christen‘, die ‚in Eiserfeld jüdische Geschäfte christlichen vorziehen‘ würden.“21

Dass ein prominenter Prediger und Mitglied des Generalsynodalvorstandes im kirchlichen Raum wie bei Amtsbrüdern Zuspruch und Nachahmer fand, muss nicht weiter verwundern, erst recht nicht, wenn er seine Botschaften zusätzlich durch die Neue evangelische Kirchenzeitung verbreiten konnte, deren Herausgeber er war. Auch seine Parteigenossen bewunderten an ihm, die Judenfrage volkstümlich gemacht zu haben. Als unterstützende Autorität konnten die Christlich-Sozialen Martin Luther zitieren, so etwa dessen Forderung nach Vertreibung aller Juden und Beschlagnahme ihres Vermögens.22 Damit lieferten die Meinungsbildner eine Vorlage für das, was sich nach 1933 ereignen sollte. So sah es 1935 auch der ehemalige Stadtverordnete Otto Beckmann in einer posthumen Laudatio auf Stoecker und damit die von ihm geführte politische Bewegung als Vorläufer des Nationalsozialismus.23

Das Siegerland war einer antisemitischen Bewegung sehr aufgeschlossen, da dort die Chrislich-Soziale Bewegung stark verwurzelt war. In der katholischen Minderheit des Siegerlandes hingegen, dem katholischen Sauerland wie bei der katholischen Berleburger Minderheit kamen die nationalsozialistischen Botschaften schlecht an. Noch im September 1943 verurteilten Bischöfe in einem Hirtenwort an die deutschen Katholiken, das in Kirchen verlesen wurde, die mörderische Praxis der NS-Politik. Es verurteilte grundsätzlich die Tötung menschlichen Lebens und bezog sich mit den Worten, dies betreffe auch Menschen fremder Rassen und Abstammung, auf die Massenverbrechen an Juden, Sinti und Roma, wenn es die Opfer auch nicht beim Namen nannte.24 Ganz anders im Siegerland: „Überall im Siegerland und in Wittgenstein wurde die Übergabe der Regierungsgewalt an die verbrüderten Rechtskräfte (‚Kabinett Hitler‘) am 30. Januar 1933 mit Freudenfeuer, Fackelzügen, Dankgottesdiensten und Festveranstaltungen volksfestartig begangen.“25

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