Читать книгу Nach innen lauschen - Richard Stiegler - Страница 12
Оглавление3 Gegenwärtigsein
Das schlichte „Sein dürfen“ führt uns automatisch zu einem weiteren Aspekt von Meditation: dem Gegenwärtigsein. Gegenwärtigsein bedeutet: dieser Augenblick genügt. Wir brauchen den Moment nicht zu verstehen, zu ändern oder zu verbessern. Im Gegenwärtigsein gibt es kein Richtig und Falsch. Bewertungen haben in der unmittelbaren Wahrnehmung keinen Platz. Es genügt, ganz unmittelbar zu sein. Das ist die Grundhaltung.
In manchen buddhistischen Traditionen nennt man die Orientierung am unmittelbaren Augenblick die Makellosigkeit des Meditierenden1. Makellos steht hier nicht für Fehlerlosigkeit oder Perfektion, sondern für eine eindeutige und immerwährende Ausrichtung auf das jetzige Lebendigsein. Wir öffnen uns dem Augenblick, wie auch immer er sich gerade zeigt. Makellosigkeit ist eine Art innere Disziplin, sich immer wieder neu am Jetzt zu orientieren.
Wir richten uns auf die Wirklichkeit aus, so wie sie sich von Moment zu Moment zeigt. Nicht unsere Ideen, Vorstellungen, Wünsche und Pläne stehen dabei im Zentrum der Betrachtung, sondern die tatsächliche Wirklichkeit des Augenblicks.
Diese kompromisslose Haltung, uns am Jetzt zu orientieren und uns für den Augenblick zu öffnen, bedeutet, uns der Führung durch das Leben zu überlassen. Das ist diametral dem entgegengesetzt, was das Ego will. Das Ego sucht Sicherheit, Kontrolle und angenehme Gefühle. Aber Gegenwärtigsein ist eine Haltung der Hingabe. Daher ist diese Haltung in der Meditation Ego transformierend.
Die Orientierung an der unmittelbaren Wirklichkeit beinhaltet eine fundamentale Wahrheit: das Anerkennen der Existenz. Wir messen dem Tatsächlichen mehr Wert bei als unserer Gedankenwelt. Durch diese Grundhaltung entfaltet sich eine große Einfachheit: Wir sind unmittelbar mit dem, was ist – nichts weiter.
In dieser Einfachheit werden wir reduziert. Unsere Pläne, Vorstellungen und Wünsche fallen weg. All unsere Filter von Richtig und Falsch, von Wollen und Abneigung fallen weg. Selbst unsere üblichen Selbstbilder, unsere alltägliche Identität, sind in dieser Einfachheit nicht mehr von Belang.
Wenn wir uns dieser Einfachheit des Gegenwärtigseins überlassen, werden wir darin einen schlichten, stillen Frieden finden. Wir sind im Einklang. Es gibt keine Reibung und keinen Widerstand mehr.
Diese Einfachheit ist gleichzeitig erfüllend und intensiv. Sogar ein schlichtes Geschehen wie das Spüren der Atembewegung oder das Lauschen einer Vogelstimme wird zu einer erfüllenden Erfahrung, wenn wir unmittelbar wahrnehmen und in dieser Erfahrung anwesend sind. In solch einem Moment erschließt sich uns das Sosein der Dinge. Dieser einfache, erfüllende Friede ist ein Aspekt von Stille.
• Wie reduziert dich Unmittelbarkeit? Was fällt dabei alles weg?
• Wie erfährst du „Unmittelbarkeit“ jetzt?
1 Lediglich aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form gewählt, die die weibliche Form mit einschließt.