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16 Und immer wieder das Denken

Fragen wir Meditierende, was sie am meisten davon abhält, in der Gegenwart zu sein, dann würden sie wohl sagen: das Denken. Denken scheint das Haupthindernis zu sein für ein Leben in der Gegenwart. Tatsächlich drehen sich viele Meditationsanleitungen darum, wie wir aus dem Denken aussteigen können. Dabei entsteht schnell der Eindruck, dass Denken ein Problem sei und wir uns vom Denken befreien müssten.

Aber unsere Gedanken sind nicht das Problem. Wenn wir nicht denken könnten, dann hätten wir tatsächlich ein Problem. Gedanken sind genauso natürliche Bewegungen unseres Geistes wie Atmen, Spüren oder Hören. Achtsamkeit bedeutet nicht, die natürlichen Bewegungen in unserem Geist zu unterdrücken. Auch innere Stille ist kein Zustand, in dem jede Regung in uns schweigt. Der Versuch, nicht zu denken, ist genauso unnatürlich, wie zu versuchen, nicht zu spüren oder nicht zu hören.

Die Gedankenbewegung wird oft mit den Wellen auf dem Meer verglichen. Niemand würde auf die Idee kommen, die Wellen des Meeres glatt streichen zu wollen. Das Auf und Ab der Wellen ist natürlich und nimmt der Weite und Tiefe des Meeres nichts. Auch würde niemand versuchen, die Wolken am Himmel zu vertreiben. Wolken sind natürliche Phänomene am Himmel, sie können nicht die grenzenlose Ausdehnung des Himmels einengen.

Auch das Denken nimmt dem Gewahrsein nichts. Lediglich das Verlorensein in Gedanken verstellt uns den Blick auf die Weite und Offenheit des Gewahrseins. Wenn es also überhaupt ein Problem für die Achtsamkeit gibt, dann sind es nicht die Gedanken, sondern das Verlorensein in unseren Gedanken. Wir sind uns dabei nicht mehr des Denkens bewusst, sondern wir lassen uns durch Gedanken in innere Geschichten hineinführen, die dann unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Meditation ist kein Zustand des Nicht-Denkens und die Praxis der Gegenwart ist kein Versuch, aus den Gedanken auszusteigen, sondern sich des Denkens bewusst zu sein. Diese Haltung ist vollkommen annehmend, gewaltlos und bedingungslos. Nur so bringen wir uns wieder in Einklang mit dem Gewahrsein, das alle Gedanken einschließt, aber gleichzeitig davon unberührt bleibt.

Auch wenn es uns in der Praxis der Meditation immer wieder gelingt, uns des Denkens bewusst zu sein, werden wir uns weiterhin in Gedanken verlieren. Auch dies ist ein natürlicher Vorgang in unserem Geist und wir tun gut daran, uns damit anzufreunden. Die Praxis des Gegenwärtigseins ist kein Kampf gegen unsere Tendenz, uns von Gedanken vereinnahmen zu lassen. Es ist vielmehr ein Hin- und Herpendeln zwischen dem Pol des Denkens und dem Pol der Bewusstheit. Einmal sind wir mehr in Gedanken zu Hause und ein andermal mehr im Gewahrsein.

Wenn wir in der Meditation bemerken, dass wir gerade in einem Tagtraum verloren waren, sind wir uns in diesem Augenblick dessen bereits bewusst und brauchen nichts zu kontrollieren oder zu korrigieren. Wir sind bereits erwacht. Es gibt dann keinen Grund mehr, uns über den Tagtraum zu ärgern. Der Moment des Bemerkens ist auch der Moment des Aufwachens.

• Wie ist deine innere Haltung zum Denken? Was ist wertvoll am Denken?

• Wie ist dein Erleben, wenn du ganz in Gedanken bist, und wie, wenn du dir deines Denkens bewusst bist? Wie erfährst du den Raum in dir, der sich des Denkens bewusst sein kann?

• Wenn du in einer Phase sehr stark von Gedanken vereinnahmt bist, erforsche, welche Gefühle sich unter dem Denken verbergen und lasse sie zu.

Nach innen lauschen

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