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1Es findet eine grundlegende Beschleunigung der Welt statt

In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die Hauptursache für die derzeitige Beliebtheit von Agilität. Wir sind überzeugt, dass genau hier der Kern der Sache liegt. Nicht bei der Agilität selbst, sondern bei der zugrunde liegenden Ursache: der weitreichenden Beschleunigung durch Digitalisierung.

Der Fortschritt macht traditionelle Organisationsstrukturen unhaltbar

Schaut man auf die Menschheitsgeschichte, insbesondere seit der industriellen Revolution, erkennt man einen Trend. Technologische Neuentdeckungen haben dazu geführt, dass manuelle Arbeit durch Maschinen ersetzt wurde, was die Geschwindigkeit erhöht und Kosten senkt. In allen Sektoren, Branchen und Ländern sehen wir eine Abfolge von Mechanisierung, Automatisierung, Digitalisierung und (zunehmend) Robotisierung.

Die Folgen davon sind Veränderungen in der Arbeit und der Ausbildung, Verschiebungen in den sozialen Positionen von Bevölkerungsgruppen und die Wiedererlangung eines neuen Gleichgewichts, bei der sich Begeisterung und Widerstand abwechseln. Dies begann schon mit der Erfindung der Dampfmaschine und zieht sich bis ins heutige Zeitalter, in dem eine weitreichende Vernetzung zwischen Menschen, Big Data, Cloud-Technologien und intelligenten, selbstlernenden Systemen Einzug hält.

Durch die zunehmende Beschleunigung ist eine neue Ausgewogenheit im Aufbau von Organisationen notwendig. Dies gilt insbesondere für die Art und Weise, wie die tägliche Entscheidungsfindung stattfindet. Zur Veranschaulichung ist es schön, wenn man mal im Internet nach Organisationsdiagrammen sucht, die vor ungefähr 100 Jahren entstanden sind. Das Bild oben ist ein typisches Beispiel dafür.


Die Zeichnung1 zeigt eine hierarchische Aufteilung der Organisation mit abnehmender Autonomie und Entscheidungsbefugnissen für die Mitarbeiter, die in dieser Hierarchie weiter unten stehen. Je näher man an der eigentlichen Arbeit war, desto weniger durfte man selbst entscheiden. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange nur die Geschwindigkeit so niedrig ist, dass diese Hierarchieform hilfreich ist. Ein größeres Problem ist die hier sichtbare Trennung der verschiedenen Fachbereiche. Vor 100 Jahren sorgten jedoch relativ einfache Prozesse dafür, dass solche Organisationen doch funktionierten.

In der heutigen Zeit ist dies nicht mehr der Fall. Unter anderem durch die Digitalisierung ist die Geschwindigkeit in Unternehmen – und vor allem in der Welt um sie herum – so hoch, dass Hierarchien und strikte Trennungen der Fachbereiche ein Hindernis für schnelles Funktionieren darstellen. Das überrascht erst einmal nicht. Wie kann es aber sein, dass viele moderne Unternehmen noch immer so aufgestellt sind wie Fabriken vor mehr als 100 Jahren? Ist der Einfluss von Computern, Internet, Smartphones, Cloud und Software so gering, dass Unternehmen immer noch auf die gleiche Art und Weise organisiert werden können wie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts?

Das glauben wir nicht. Wir sind davon überzeugt, dass diese traditionelle Entscheidungshierarchie und die Aufteilung in Silos in Organisationen nicht weiter haltbar sind. Um im Tagesgeschäft erfolgreich zu sein, bedarf es einer anderen Art von Entscheidungsfindung als entlang der hierarchischen Linien. Eine intensive Zusammenarbeit ist entscheidend. Es ist besser, das Organisationsmodell durch Selbstorganisation und autonome Entscheidungsfindung zu ersetzen. In vielen Fällen verlagern wir die Entscheidungsfindung in die Teams, weil die Anzahl der Kompetenzen, die zum Erreichen von Ergebnissen erforderlich sind, für eine einzelne Person zu groß ist. Agilität bietet erfolgreiche Denk- und Arbeitsweisen, die Struktur und Vorhersagbarkeit innerhalb autonomer, selbstorganisierter, cross-funktionaler Teams bieten.

Digitalisierung sorgt für Beschleunigung

Der Grund, warum gerade die Digitalisierung für die zunehmende Beschleunigung sorgt, lässt sich anhand einfacher Physik veranschaulichen. Das zweite Newton’sche Gesetz (1687) zeigt, dass Beschleunigung (a) das Ergebnis aus Kraft (F) geteilt durch Masse (m) ist. Oder als Formel: a=F/m. Software, Daten, Bits und Bytes haben keine Masse. Wenn somit von weitreichender Digitalisierung die Rede ist, bei der die physische Welt eine viel kleinere Rolle spielt, nimmt die Beschleunigung bei gleichbleibender Kraft drastisch zu. Die gesamte Plattformökonomie basiert auf diesem Prinzip. Angebot und Nachfrage sind digital verknüpft. Da kommt kein Stift, kein Papier, geschweige denn ein Mensch ins Spiel. Geschäftsmodelle dieser Art können sich unglaublich schnell entwickeln und wachsen, da es ihnen an Masse mangelt.

Es gibt immer noch Geräte und Menschen in Organisationen, somit werden sie nie vollkommen frei an Masse sein. Je mehr jedoch digitalisiert wird, desto weniger Masse und desto mehr Beschleunigung tritt auf. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten und wird noch lange andauern. Durch die Digitalisierung entsteht eine grundlegende Beschleunigung, die uns zwingt, uns selbst und die Organisationen, in denen wir uns befinden, auf eine komplett andere Art und Weise zu organisieren und zu strukturieren. Diese Veränderung und Beschleunigung finden in der Außenwelt einer Organisation statt.

Die Beschleunigung unserer Gesellschaft ist grundlegend und unumkehrbar. Wir können versuchen, diese zu ignorieren, aber das bedeutet, den Kopf in den Sand zu stecken. In der Zwischenzeit ist der Moment gekommen, in dem Unternehmen unter ihrer eigenen hierarchischen Linienorganisation leiden. Diese scheint heutzutage ungeeignet zu sein für die vielen und schnellen Entscheidungen, die täglich getroffen werden müssen. Selbstorganisation in kleinen, beweglichen Teams ist eine gut funktionierende Lösung für dieses Problem. Und Teams scheinen auch in der Lage zu sein, mithilfe von agilen Werten, Prinzipien und Arbeitsmethoden schnell und beweglich zu werden. Die ursprüngliche Hierarchie dient somit in erster Linie als Struktur und Unterstützung und greift nicht mehr in tägliche und operative Entscheidungen ein; diese liegen bei den Teams, die die Arbeit erledigen und das auch viel besser können, weil sie einen direkten Einblick in das haben, was sinnvoll ist oder nicht.

Beweglichkeit als Lösung für Digitalisierung und Beschleunigung

In der Praxis hat sich der Begriff »agil« zu einem Sammelbegriff mit vielen verschiedenen Bedeutungen für viele verschiedene Menschen entwickelt. Obwohl der Begriff klar durch das Agile Manifest (www.agilemanifesto.org) umrissen ist, wird er in der Praxis oft sehr weit gedehnt. Beispielsweise wird die Arbeit mit einem Framework wie Scrum als agil bezeichnet. Ebenso der flexible Umgang mit Anforderungen und Wünschen mithilfe von Moderationswandpapier oder Post-its sowie die Organisation in Squads, Tribes und Chapter wie bei Spotify. Die breite Anwendung der organisatorischen Blaupause des SAFe®-Frameworks wird ebenfalls agil genannt. Auch, dass man sich nicht mehr an bestehende Regeln und Prozesse hält, wird mit diesem Etikett begründet: »Nein, wir halten uns nicht an getroffene Absprachen und Prozesse, denn wir arbeiten ja jetzt agil.« Oder: »Wir haben nicht pünktlich geliefert, was wir abgesprochen hatten, aber nun gut, wir sind nun mal agil.« Sogar Arbeit ad hoc aufzunehmen, nicht zu beenden und ständig die Richtung zu wechseln, wird von manchen als agil bezeichnet.

Kurzum, der Begriff »agil« bedeutet viele verschiedene Dinge für viele verschiedene Menschen. Es ist somit auch nicht überraschend, dass sich bei vielen Unternehmen ein richtiger Widerstand gegen die Einführung von Agilität entwickelt hat.

Die treibende Kraft ist nicht Agilität als »Modeerscheinung«, sondern die zugrunde liegende Digitalisierung und die veränderten Kundenerwartungen.

Manchmal zu Recht, manchmal zu Unrecht. Es wird eine Vielzahl neuer Begriffe, Bezeichnungen und Rollen eingeführt, was zu babylonischer Sprachverwirrung führt. Auch wenn man zwar die grundlegende Veränderung vor Augen hat, entsteht im Alltagswahnsinn oft nichts anderes als alter Wein in neuen Schläuchen. Experten und Berater tauchen auf, wobei oft gilt: Im Land der Blinden ist der Einäugige König. Und all das geschieht unter dem Etikett agil. Dazu kommen noch die Diskussionen über den agilen Ansatz. Welcher ist besser? Scrum, Kanban oder eine eigene Arbeitsweise? Und wenn es unternehmensweit eingeführt werden soll, welches Skalierungsmodell passt dann am besten? LeSS, SAFe®, Spotify, Scrum@scale, oder ist es schlauer, ein eigenes Modell zu entwerfen?

Es ist also nicht alles Gold, was glänzt, wenn es um Agilität geht. Wir stellen deshalb fest: Die treibende Kraft ist nicht Agilität als »Modeerscheinung«, sondern die zugrunde liegende Digitalisierung und die veränderten Kundenerwartungen. Dieser Wandel erfordert eine komplett andere Art und Weise der Organisation. Ob Sie das nun mit Agilität angehen oder es einfach nur agil nennen, ist dabei nicht so relevant. Nicht die Agilität selbst, sondern die zugrunde liegende Beschleunigung von außen erfordert eine grundlegende Umgestaltung von Organisationen – die Kunden verlangen diese Flexibilität und Schnelligkeit.

Diese Beschleunigung ist die treibende Kraft für dieses Buch und bildet die Grundlage für einen transformatorischen Blick auf Organisationen. Was uns betrifft, kann diese Veränderung gerne agile Transformation genannt werden. Wir hoffen jedoch, dass deutlich geworden ist, dass nicht so sehr die Einführung von Agilität die notwendige Veränderung herbeiführen wird. Die wirkliche Veränderung findet dann statt, wenn Organisationen nachhaltig beweglich werden, sodass sie schnell und erfolgreich mit der Digitalisierung und Beschleunigung umgehen können.

Dieses Buch beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie eine solche Transformation selbst erfolgreich ist. Im Kern geht es darum, sich Schritt für Schritt zu verändern: schnell Ergebnisse liefern und durch Handeln lernen – ein diszipliniertes, schrittweises Durchlaufen einer Entdeckungsreise. Bewahren, was gut funktioniert, und es öfter tun. Abschaffen, was nicht funktioniert, und schnell nach etwas suchen, das funktioniert. Diese Art der Transformation basiert auf empirischer Verbesserung und funktioniert gut in komplexen, dynamischen und sich schnell verändernden Umgebungen. Schnell lernen, indem man in kurzen Zyklen tätig wird. Diese Art der Organisationsveränderung nennen wir agile Transformation.

Agile Transformation

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