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2Die Beschleunigung der Welt hat Folgen für jede Organisation

Viele Unternehmen befinden sich in einer Identitätskrise. Manchmal sind sie sich dessen bewusst. Das ist dann eine gute Nachricht, denn ein Problem zu erkennen, ist der erste Schritt. Leider sind sich die meisten Unternehmen dessen aber noch nicht bewusst; sie konzentrieren sich hauptsächlich auf die Symptome ihrer Identitätskrise. Es treten Probleme auf, die sie versuchen so zu lösen, wie sie es immer getan haben. Tatsächlich handelt es sich aber um Symptome eines viel tiefer sitzenden Problems.

Übrigens, es läuft auch vieles gut. Viele Unternehmen bleiben auch in turbulenten Zeiten bestehen, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. Dennoch gibt es noch zu wenige Unternehmen, die realisieren, dass sie vor einer Veränderung stehen, wenn sie die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit von Mensch und Gesellschaft nachhaltig überleben wollen.

Geschäftsmodelle verändern sich

Das Wort »Geschäftsmodell« stammt auf den 1950er-Jahren – Geschäftsmodelle, die damals gültig erschienen, sind heute veraltet. Tatsächlich wurden viele Organisationen einst für ein Bedürfnis gegründet, das mittlerweile überholt ist. Weitreichende Digitalisierung und Automatisierung haben genügend Organisationen zusammenbrechen lassen. Die berühmte Geschichte vom Kodaks Untergang, der Konkurs von Intertoys2 und Kijkshop3 und zahlreiche andere Beispiele zeigen es: Aufgrund der Unfähigkeit, mit einer sich verändernden Umgebung Schritt zu halten und sich an neue Technologien anzupassen, reichen bestehende Geschäftsmodelle nicht mehr aus.

Die Digitalisierung betrifft mittlerweile alle Bereiche, auch den Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und die Telekommunikation. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Branchen wie das Gesundheitswesen, das Baugewerbe und das Bildungswesen die Auswirkungen der Digitalisierung voll zu spüren bekommen. Dies erfordert eine Unternehmensführung, die die Fähigkeit besitzt, immer schneller reagieren zu können und innovativ zu bleiben.

Menschen verändern sich

Bei den Arbeitnehmern sind zwei große Verschiebungen erkennbar. Zum einen gibt es eine immer größere werdende Gruppe von Mitarbeitern, die nach Sinn in der Arbeit strebt. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht so abwegig, den Mitarbeiter als »Kunden« des Unternehmens zu betrachten. Mitarbeiter wollen einen Beitrag für die Welt leisten, sowohl bei der Arbeit als auch im täglichen Leben. Teilzeitarbeit wird zum Standard, auch für Männer, sodass Betreuungsaufgaben im häuslichen Bereich einfacher zu bewältigen sind. Immer häufiger haben Menschen auch mehrere Jobs. Und neben der »normalen« Arbeit wird auch noch »andere Arbeit« geleistet, angefangen von ehrenamtlicher Arbeit bis zur unentgeltlichen Pflege eines Familienangehörigen. Menschen wollen gut in etwas sein, vielleicht sogar der Beste. Sie wollen sinnvolle Arbeit verrichten und ein hohes Maß an Autonomie haben: Sie wollen die Kontrolle über die Gestaltung der eigenen Arbeit, Homeoffice und flexible Arbeitsmöglichkeiten und vor allem selbst entscheiden, woran sie arbeiten wollen. Dies erfordert eine andere Art der Zusammenarbeit als hierarchische Kontrolle. Viele Untersuchungen zeigen auch, dass Geld ein viel schwächerer Motivator ist, als bisher angenommen wurde.

Die andere große Verschiebung ist die Diversifizierung der Arbeitnehmer. Die Unterschiede zwischen den Generationen sind groß. Somit arbeiten im Unternehmen Generationen zusammen, die mit Knappheit aufgewachsen sind, bis hin zur jüngsten arbeitenden Generation, die es gewohnt ist, alles auf Abruf verfügbar zu haben. Außerdem kommen wir durch die Internationalisierung auch mit allerlei Kulturen in Kontakt. Neben technisch geschulten Fachkräften aus Osteuropa und Indien kommen immer mehr Wissensarbeiter aus Afrika und Südamerika. Diese Vielfalt ist schön und wünschenswert, weil sie stets bessere und kreativere Lösungen für bestehende komplexe Probleme bietet. Infolgedessen muss auch dem gegenseitigen Verständnis mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Nicht nur rein sprachlich, sondern auch in Bezug auf Kultur, Geschichte und Verhalten. Diese Tatsache erfordert auch eine komplett andere Art der Zusammenarbeit und der Organisation.

Ein vielgehörter Satz lautet: »Meine Mitarbeiter sind der Veränderung überdrüssig.« Es scheint somit wenig hilfreich, die Mitarbeiter sich immer schneller aneinanderreihenden Reorganisationen auszusetzen. Man sollte seine Mitarbeiter eher dabei unterstützen, für die kontinuierliche Veränderung vorbereitet zu sein.

Das kann erreicht werden, indem man sie dabei unterstützt, die Dinge so weit wie möglich selbst in die Hand zu nehmen, und ihnen die Möglichkeit gibt, einen Beitrag zu sinnvollen Zielen zu leisten.

Es verändert sich also viel in und um Organisationen herum. Und diese Veränderungen folgen immer schneller aufeinander. Die eine Veränderung ist noch nicht abgeschlossen, da steht die nächste schon bereit.

Es verändert sich also viel in und um Organisationen herum. Und diese Veränderungen folgen immer schneller aufeinander.

Es ist schwierig – wenn nicht gar unmöglich –, Organisationen so zu gestalten, dass sie nachhaltig gegen alle neuen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen resistent sind.

Führung verändert sich

Die Führungsebene von Organisationen erkennt diesen Paradigmenwechsel an. Die Dringlichkeit, sich auf die Kunden und ihre Erfahrungen zu konzentrieren, ist klar. Jedoch wurde jahrzehntelang die Maximierung des Shareholder-Values angestrebt. Der war schließlich der Eigentümer des Unternehmens. Immer mehr wächst jedoch das Bewusstsein, dass das kein Ziel, sondern eine Folge von guter Unternehmensführung sein sollte. Es erweist sich als wesentlich erfolgreicher, den Kunden und den eigenen Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen. Oder wie Peter Drucker es formulierte: »Das einzige Ziel eines Unternehmens ist es, einen Kunden zu schaffen!«

Die New York Times4 veröffentlichte im August 2019, dass sich mehr als 200 Vorstände des Business Roundtable, darunter die Chefs von Apple, Pepsi, Walmart und JP Morgan Chase, einig waren, dass die reine Maximierung des Shareholder-Values unerwünscht und unvernünftig ist. Ihrer Meinung nach müssen Unternehmen für alle Stakeholder, von den Mitarbeitern über die Lieferanten bis hin zu den Kunden, Wert liefern.

Eine kürzlich von Deloitte veröffentlichte Studie5 mit mehr als zehntausend Führungskräften zeigt, dass weniger als 10 % von ihnen ihre jetzige Organisation als »sehr beweglich« betrachten. Außerdem sind 90 % von ihnen der Meinung, dass »Beweglichkeit und Kooperation« entscheidend sind, um ihre Organisation erfolgreich in die Zukunft zu führen. Dies wird durch Daten von McKinsey & Company6 bestätigt, die zeigen, dass Organisationen, die Agilität implementieren, finanziell besser abschneiden als Organisationen, die das nicht tun.

Es gibt zwei explizite Veränderungen innerhalb der Führungsmannschaft. Auf der einen Seite ändert sich die Tagesordnung der »Chief Officers« immer häufiger und schneller und es stehen auch immer mehr Punkte auf ihrer Agenda. Die ständigen Veränderungen im Umfeld erhöhen die Komplexität und Unsicherheit, während die Zeit für Entscheidungen abnimmt. Es ist mittlerweile jedem klar, dass sich etwas in der Steuerung von Unternehmen ändern wird – und vielleicht auch ändern sollte. Aber was genau? Wann? Und, vor allem, wie? In einer solchen Ungewissheit schaut man in Organisationen dann doch immer zu den Entscheidungsträgern. Von ihnen wird erwartet, dass sie eine Antwort auf diese Fragen haben. Dass sie in der Lage sind, vorauszugehen, den Weg zu zeigen und eine Richtung vorzugeben, sodass jeder wieder genau weiß, was zu tun ist. Aber was ist, wenn Sie das als Führungskraft selbst auch nicht wissen? Was, wenn für Sie die Richtung noch unklar ist? Was können Sie tun, wenn Ihre Umgebung klare Pläne und Sicherheit von Ihnen erwartet, wenn Sie die schlichtweg nicht bieten können?

Auf der anderen Seite bedarf es einer völlig anderen Art von Management. Nicht durch das Festlegen von detaillierten Plänen, Schritten und Prozessen, sondern durch das Setzen von Zielen und Schaffen von Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Mitarbeiter selbst nachdenken und gute, kreative Lösungen finden können. Servant Leadership: Dieser Führungsansatz zielt darauf ab, Unterstützung zu bieten, statt die Kontrolle zu behalten. Es geht nicht um das Erstellen von detaillierten Plänen und komplett ausgearbeiteten Strategien, die danach »einfach nur noch« ausgeführt werden müssen. Sondern es wird ein Umfeld geschaffen, in dem Erfolge erzielt werden können. Es wird mit Zielen und Rahmenbedingungen gearbeitet, innerhalb derer die Mitarbeiter und Teams sich selbst organisieren können.

In einer komplexen Welt ist empirisches Arbeiten die einzige Lösung

Wir müssen Lösungen rasch überprüfen, damit die Marktvalidierung schnell durchgeführt werden kann. Weil diese Marktvalidierung auch noch in einem sich schnell verändernden Umfeld stattfindet (Markt, Gesellschaft, Welt), wird deutlich, dass empirisches Arbeiten die einzige Lösung ist. Das heißt, kleine Teile des Plans erstellen, validieren und danach einen neuen Teil des Plans machen.

Es ist nichts Falsches daran, einen Plan zu erstellen. Vorausgesetzt, man akzeptiert prinzipiell, dass es nie nach Plan laufen wird. Und es ist normal, dass man ursprüngliche Pläne kontinuierlich justieren und anpassen muss. Dadurch verschiebt sich die gesamte Steuerungsfunktion. Früher ging es darum, zu überprüfen, ob sich alle an den Plan hielten, heute geht darum, inwieweit das Ziel erreicht und dem Kunden Mehrwert geliefert wurde. Spielt es dann eine Rolle, dass sich dafür der ursprüngliche Plan geändert hat? Das Ergebnis dient als Steuerung und ist wichtiger als der Plan. Somit ist dies eine ganz andere Art zu denken, zu fühlen und zu handeln.

Zusammenarbeit ist wichtiger als je zuvor, um den Kunden optimal bedienen zu können, und zwar nicht nur mit einigen wenigen Teams, sondern mit einer ganzen Kette an Dienstleistern. Arbeiten in Silos und funktionale Steuerung sind überholt – sie tragen nicht zur cross-funktionalen Erfüllung der Kundenbedürfnisse bei.

In den kommenden Jahren werden sich noch mehr Organisationen mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Wer sind wir? Warum sind wir hier? Müssen wir uns verändern, um zu existieren und zu überleben?

Jedes Unternehmen wird sich eines Tages mit den Folgen der Digitalisierung, Beschleunigung und den sich stark ändernden Kundenbedürfnissen beschäftigen müssen.

Und wenn ja, was müssen wir verändern? Das sind grundlegende Fragen. Und in vielen Fällen werden die Antworten zu einer (vorübergehenden) Unsicherheit über die eigene Position führen und der Beginn der Transformation sein.

Das Besondere ist, dass dies bei jeder Organisation der Fall ist oder sein wird. Jedes Unternehmen wird sich eines Tages mit den Folgen der Digitalisierung, Beschleunigung und den sich stark ändernden Kundenbedürfnissen beschäftigen müssen. Dieser Wandel findet draußen statt, in der Gesellschaft, in der Welt. Und irgendwann kommt er von außen in die Organisation herein. Es handelt sich dabei nicht um einen Zwischenfall, vielmehr ist etwas Grundlegenderes im Gange. Sonst würde es vergehen und nur einer begrenzten Anzahl an Organisationen passieren. Die zugrunde liegende Ursache ist eine fundamentale Veränderung (und Beschleunigung) unserer Gesellschaft. Dieser Wandel ist im Gange, wird noch eine Weile andauern und ist dauerhaft. Er ist die Quelle der oben skizzierten Verschiebungen und damit auch die Ursache der meisten agilen Transformationen.

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