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1. Die verfassungskonforme Auslegung

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Als verfassungskonforme Auslegung wird die Überlegung bezeichnet, dass unter mehreren grds. denkbaren Auslegungsergebnissen im Zweifelsfall demjenigen der Vorrang gebührt, welches zu einer auch verfassungskonformen Lösung führt, wenn andere Auslegungsergebnisse gegen die Verfassung verstoßen würden. Insoweit würde die verfassungskonforme Auslegung im o.g. Sinn stets nur „bedeutungsreduzierend“ wirken, weil sie (eine) bestimmte Lesart(en) gerade ausschließt. Streng genommen ist sie freilich im Unterschied zum bisher betrachteten klassischen Methodenquartett[103] kein eigenständiges Auslegungskriterium, sondern „nur“ ein Kontrollmechanismus nach Abschluss einer Auslegung, welche verschiedene Ergebnisse nebeneinander bestehen lässt.

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Theoretisch ist dies als Konzept ohne weiteres überzeugend; die praktischen Anwendungsfälle halten sich dagegen – jedenfalls auf den ersten Blick – in Grenzen. Dies nicht einmal so sehr wegen des Erfordernisses, dass „nach Abschluss“ des (originären) Auslegungsvorganges noch verschiedene Ergebnisse weiterhin möglich sind. Denn unter Berücksichtigung der oben beschriebenen grundsätzlichen Offenheit der Sprache dürfte dieser Fall nicht selten sein; dagegen dürfte es häufig an der zweiten Voraussetzung fehlen, dass bei der originären Auslegung einer als solchen verfassungsgemäßen einfachrechtlichen Vorschrift starke (etwa systematische, historische oder teleologische) Argumente nicht nur für verfassungskonforme, sondern auch für ein verfassungswidriges Ergebnis sprechen, denn nur dann greift dieses Kontrollkriterium ja ein.

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Auf den zweiten Blick könnte man indes etwa in all den Fällen, in denen das BVerfG eine Norm per se als verfassungsgemäß, eine bestimmte Auslegung aber als verfassungswidrig beanstandet[104] bzw. für die Auslegung bestimmte Vorgaben gemacht hat,[105] als potentielle Anwendungsfälle einer verfassungskonformen Auslegung betrachten, bei denen dieser Kontrollschritt freilich nun durch das BVerfG schon für die Zukunft vorweggenommen worden ist. Allerdings betreffen die hierzu bekannt gewordenen Fälle überwiegend Art. 103 Abs. 2 GG. Insoweit scheint es in den im Strafrecht wirklich praktischen Fällen oft weniger um eine materiell-verfassungskonforme Auslegung zu gehen,[106] sondern die formelle Komponente der Einhaltung des Gesetzlichkeitsprinzips im Vordergrund zu stehen.[107] Eine prominente Ausnahme bildet die „Soldaten-sind-Mörder“-Rechtsprechung[108] – und dies wohl nicht ohne Grund, handelt es sich hier doch um einen Bereich, der einerseits durch Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise verfassungsrechtlich geprägt ist und in dem andererseits die gesetzliche Vorgabe („Beleidigung“) denkbar offen und vage ist, so dass sich die oben formulierte Frage, ob bzw. wie gängige Auslegungsargumente überhaupt zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen können, nicht in gleicher Schärfe stellt.

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