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b) Vorbehalte gegen die Berücksichtigung
verfassungsrechtlicher Überlegungen?

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Bevor näher auf die verfassungsorientierte Auslegung und ihr Verhältnis zur verfassungskonformen Auslegung eingegangen wird, sind einige wenige Sätze zur Berechtigung einer Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Erwägungen angezeigt,[110] die in der älteren Literatur vereinzelt in Frage gestellt wird,[111] weil wegen des naturrechtlichen Gedankens des „neminem laedere“ Rechtsgarantien für illegitime Verletzungen ausgeschlossen seien.[112] Zumindest Strafrechtsnormen für solche Delikte, die „sich im Bewußtsein der Volksgenossen als ‚crimen‘ darstellen“, wurden von Dürig als „immanente Schranken“ aller Grundrechte gesehen.[113] Eine solche Restriktion des Schutzbereiches kann trotz der Suggestivkraft der herangezogenen Beispiele – besonders beliebt in diesem Zusammenhang: Grundrechtsschutz auch für den „kaltblütigen Killer“? – nicht überzeugen: Dass Straftatbestände nicht generell der umfassenden Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG entzogen sein können, ist evident. Der beschränktere Ansatz hinsichtlich der Handlungen, die den „Volksgenossen“ als „crimen“ erscheinen, ist in seiner mangelnden Klarheit[114] für eine so grundlegende Weichenstellung schon zu Beginn der Prüfung methodisch ungeeignet. Zuletzt sind auch solche Überlegungen nicht erforderlich, da sich die vielleicht intuitiv für richtig gehaltenen Ergebnisse unproblematisch auch bei einem weiten Schutzbereichsverständnis mit der gesicherten Grundrechtsdogmatik begründen lassen – wäre es doch mehr als erstaunlich, wenn sich gerade für solche Verhaltensweisen, die einem erhöhten sozialethischen Vorwurf ausgesetzt sein sollen, keine überzeugende Begründung für die Zulässigkeit und Angemessenheit ihrer Beschränkung finden ließen.[115]

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Ernster wiegen daher Einwände, die sich nicht gegen die Zulässigkeit, sondern gegen die Ergiebigkeit einer verfassungsrechtlichen Argumentation richten, insbesondere bei einem Vergleich der detaillierteren Vorschriften des Strafrechts und seiner ausdifferenzierten und elaborierten Dogmatik mit den relativ allgemein gehaltenen Normen des GG,[116] die etwa Naucke als nur „verfassungsrechtlich ein(gekleidete)“[117] Argumentationsstränge bezeichnet, bei der die Verfassung die „Überpositivität gegenüber dem relativistischen Positivismus“ vertrete. Indes dürfte der zugegebenermaßen oft knappe Verfassungstext insbesondere durch die Spruchpraxis des BVerfG mittlerweile vielfach in einem Maße an Substanz gewonnen haben, das durchaus reichhaltiges Argumentationsmaterial an die Hand gibt. Zudem gilt es eben, die beschränkte Leistungsfähigkeit einer verfassungsrechtlichen Beurteilung realistisch einzuschätzen und diese Beschränktheit auch bei der Gewichtung des Arguments redlich zu berücksichtigen – indes ist dies kein Problem allein der verfassungsorientierten Auslegung, sondern gilt auch für das klassische Methodenquartett (mal mehr, mal weniger). Und gewiss ist die Erkenntnis, wie ein Auslegungsergebnis auf keinen Fall aussehen darf, zur Minimierung verfassungsrechtlicher „Risiken“ möglichst nicht aussehen sollte oder zu einer möglichst optimalen Verwirklichung verfassungsrechtlich begründeter Postulate sogar wünschenswert wäre, schon ein Fortschritt.

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