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c) Unionsrechtskonforme Auslegung

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aa) Ein insbesondere im materiellen Strafrecht zunehmend einflussreicher (und in der Bedeutung wohl über die EMRK hinausgehender) Topos ist die unionsrechtskonforme Auslegung,[147] welche das allgemeine Phänomen bzw. den Oberbegriff zu dem häufig diskutierten Spezialfall der (mitunter wohl auch als pars pro toto begrifflich herangezogenen) „richtlinienkonformen Auslegung“[148] darstellt.[149]

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Die Grundlagen der Diskussion einer unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts sind nicht strafrechtsspezifisch (und liegen vielmehr historisch sogar außerhalb des Strafrechts). Genannt werden können hierzu zum einen die (arbeitsrechtlichen) Entscheidungen des EuGH in den Fällen „von Colson und Kamann“[150] sowie „Harz“.[151] Der Gerichtshof stellt in ihnen klar, dass alle Träger der öffentlichen Gewalt und damit auch die Gerichte bei der Rechtsanwendung verpflichtet sind, alle zur Verwirklichung eines Richtlinienziels erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die in der Folgezeit weiter entwickelten unionsrechtlichen Grundlagen eines solchen Gebotes der unionsrechtskonformen Auslegung werden – mit unterschiedlichen Nuancierungen im Detail – einerseits im Loyalitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 UA 2, 3 AEUV (= Art. 10 EGV a.F.) und in der Umsetzungsverpflichtung des Art. 288 UA 3a AEUV (= Art. 249 Abs. 3 EGV a.F.) gesehen.[152] Daraus ergibt sich eine Bindung des Rechtsanwenders an die unionsrechtlich (insbesondere durch Richtlinien) verfolgten Ziele jedenfalls nach Ablauf einer entsprechenden den Mitgliedsstaaten zugestandenen Umsetzungsfrist.[153] Da es sich hierbei um – wenngleich historisch überwiegend anhand von Richtlinien entwickelte – allgemeine unionsrechtliche Verpflichtungen handelt, gelten diese Grundsätze auch nicht nur für Richtlinien, sondern für alle Akte, welche einerseits einer Umsetzung bedürfen, andererseits jedoch verpflichtend umzusetzen sind. Insoweit ist auch – freilich innerhalb der hier vielfach weiteren Grenzen des Umsetzungsspielraums – eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung letztlich anzuerkennen (wenngleich hierdurch die Differenzierung der bis zum Vertrag von Lissabon in besonderer Weise betonten drei Säulen teilweise verwischt wird).[154] Daneben können aber auch die Freiheiten des Primärrechts (insb. die Waren- und Dienstleistungsfreiheit) nationale Straftatbestände im Kollisionsfall „neutralisieren“.[155]

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Neben der unionsrechtskonformen Auslegung als (zwar das deutsche Recht betreffende, aber) letztlich unionsrechtlich geschuldete Methode kann sich das Erfordernis einer Berücksichtigung von europäischen Rechtsakten auch aus den klassischen „allgemeinen“ Auslegungsmethoden ergeben. Insbesondere im Rahmen einer historischen Auslegung können neben den nationalstaatlichen Gesetzesbegründungen selbstverständlich auch die europäischen Rechtsakte, welche etwa die Grundlage einer neuen Strafnorm bilden, sowie deren Entstehungsgeschichte heranzuziehen sein.

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bb) Die unionsrechtskonforme Auslegung betrifft zunächst die Durchsetzung der entsprechenden Ziele bei der Auslegung solcher Normen, welche in Umsetzung des Unionsrechts geschaffen worden sind. Nach nicht unbestrittener, aber h.M. ist sie jedoch auch darüber hinaus bzw. unabhängig von der Entstehung einer Vorschrift als Umsetzung europäischen Rechts anwendbar.[156] Der Interpretationsakt ist dabei ein mehrstufiger bzw. „mehrphasiger“, da nicht nur die nationale Vorschrift anhand des Sekundärrechtsakts (z.B. der Richtlinie), sondern beide (nationale Vorschrift und Sekundärrechtsakt) anhand des primärrechtlichen Hintergrundes interpretiert werden müssen.[157] Beispielhaft erwähnt werden kann hier die Frage nach einer einschränkenden Auslegung des Täuschungsbegriffs auch in § 263 StGB mit Blick auf die EG-Richtlinie 2005/29, die das Leitbild des aufmerksamen und verständigen Verbrauchers zugrunde legt.[158]

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cc) Umstritten ist (wenngleich vielleicht teilweise auch nur scheinbar), ob eine Rangfolge zwischen unionsrechtskonformer Auslegung und weiteren Auslegungsargumenten angegeben werden kann. Teilweise wird in der Literatur der Eindruck vermittelt, als ob der unionsrechtskonformen Auslegung gegenüber etwa dem klassischen Methodenkanon ein absoluter Vorrang zukomme,[159] im Ergebnis dürfte wohl ein zwingender Vorrang der unionsrechtskonformen Auslegungsargumente nicht begründbar sein. Insbesondere ist die im Europarecht anerkannte Lehre vom „Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht eine Kollisionsregel, die dem Widerspruch zwischen unmittelbar geltendem Unionsrecht und nationalem Recht betrifft“,[160] nicht aber die Rangfolge von mittelbar wirkenden Auslegungsargumenten. Dies schließt nicht aus, einen relativen Vorrang im Sinne einer Vorzugsregel jedenfalls dann anzunehmen, wenn im Übrigen (freilich eher als theoretischer Fall denkbar) auslegungsmäßig eine Patt-Situation entsteht.[161] Ein Anwendungsvorrang kommt demnach nur zum Tragen, wenn im Sinne einer streng verstandenen Konformauslegung ein bestimmtes Auslegungsergebnis europäisches Recht im Kern verletzen würde; in der großen Mehrzahl der Fälle, in denen eine „unionsrechtskonforme Auslegung“ (in einem weiteren Sinne verstanden) „nur“ die Ziele der Unionsrechtsakte möglichst optimieren möchte, ist das Verhältnis kein zwingendes, sondern das Auslegungsargument letztlich mit anderen abzuwägen.[162]

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Eine solche Sichtweise erklärt dann auch relativ zwanglos, weshalb jedenfalls der Normalfall einer unionsrechtsorientierten Auslegung z.B. auch nicht über das Gesetzlichkeitsprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG oder andere allgemeine, verfassungsrechtlich verbürgte strafrechtliche Grundsätze hinwegführen kann.[163] Dies bedeutet freilich nicht, dass jede strafbarkeitserweiternde Auslegung gegenüber einem bisher gefundenen Auslegungsstand anhand von unionsrechtskonformen Argumenten untersagt wäre;[164] letztlich wirkt sich aus, dass die unionsrechtskonforme Auslegung (jedenfalls im weit verstandenen Sinne einer auch unionsrechtsorientierten Auslegung) letztlich eben auch „nur“ ein Auslegungsargument ist und sich die Auslegung von Gesetzen bei der Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte bzw. (ganz ähnlich bei der systematischen Auslegung) bei einer Änderung der flankierenden Bestandteile der Rechtsordnung ebenfalls ändern kann. Inwieweit dann bei einer „eigentlich angezeigten“ geänderten Auslegung für eine Übergangsphase noch allgemeiner Vertrauensschutz gewährt werden muss[165] bzw. zumindest über die Zubilligung eines gegebenenfalls unvermeidbaren Verbotsirrtums „hinweggeholfen“ werden kann, beurteilt sich insoweit dann nach allgemeinen Grundsätzen.

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