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II. Ethik

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Unter Ethik soll hier mit dem wohl überwiegenden Sprachgebrauch die wissenschaftliche Beschäftigung mit Moral verstanden werden[172] (nach einem anderen, weniger spezifischen Sprachgebrauch sind „Ethik“ und „Moral“ Synonyme). Die älteste bekannte Ethik ist die „Nikomachische Ethik“ des Aristoteles (384–322 v.Z.), worin mittels einer Analyse von Konzepten wie „Handlung“, „Tugend“ und „Glückseligkeit“ eine Theorie des guten Lebens formuliert wird.[173]

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Ethik beschäftigt sich, ähnlich wie die Strafrechtsdogmatik, mit der begrifflichen Analyse moralischer Begriffe, mehr aber noch mit der Analyse moralischer Argumente (für oder gegen bestimmte Positionen). Hinzu tritt vor allem in traditionell ausgerichteten Ethiken der Versuch, bestimmte moralische Positionen zu begründen. In dieser Begriffsverwendung ist „Ethik“ gleichbedeutend mit „Moralphilosophie“. Gelegentlich wird auch von einer „Letztbegründung“ gesprochen: Es wird versucht, mit den Methoden der Wissenschaft zu zeigen, dass bestimmte moralische Positionen unzweifelhaft „richtig“ sind.

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Seit annähernd 2500 Jahren ist die Moralphilosophie auf der Suche nach einem festen Fundament der Moral.[174] Die wohl ältesten Vorschläge, Moral absolut zu begründen, rekurrierten auf den Willen eines Gottes oder einer Göttin, man denke nur an den vom Berg Sinai herabsteigenden Moses, der seinem Volk die in Stein gemeißelten Gebote seines Gottes bringt. Auf diesen theonomen Ansatz folgte der erste und gleichzeitig folgenreichste philosophische Versuch einer Letztbegründung von Moral, die platonische Ideenlehre.[175] Zu nennen sind ferner das christliche und später das neuzeitliche Naturrecht, das Vernunftrecht, der Utilitarismus, der Rekurs auf Logik und andere formale Verfahren (z.B. der kategorische Imperativ Kants), die Geschichtsphilosophie und die Sprachreflexion (Diskursphilosophie bzw. Diskursethik).[176] In der Gegenwart verbreitet sind auch Versuche, Begriffe als Moralquelle zu verwenden und etwa den strafrechtlichen Schutz von Embryonen davon abhängig machen zu wollen, ob es sich bei diesen um „Personen“ handelt oder nicht.[177]

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Von den geschilderten absoluten (d.h. von menschlichem Dafürhalten unabhängigen) Ansätzen zu unterscheiden sind relative oder relativistische Begründungsansätze, die moralische Positionen durch den Rekurs auf menschliche Bedürfnisse oder andere Interessen zu begründen versuchen. Auf diesem Weg ist eine dem menschlichen Dafürhalten entzogene „Letztbegründung“ nicht erreichbar, es sei denn, man würde versuchen, die Begründung auf bestimmte als unveränderlich angesehene Elemente der menschlichen Natur zu stützen. Man könnte insofern von einer Variante des Naturrechts sprechen. Nimmt man an, es existierten Interessen, die allen Menschen gemeinsam sind, so lassen sich auch unter Zugrundelegung eines relativistischen Ansatzes universalistische Moralnormen formulieren, also Normen, die für alle Menschen gelten sollen.[178] In der jüngeren Wissenschaftslehre und Ethik findet sich der Vorschlag, Moralnormen und selbst ganze Moralsysteme als „Entwürfe“ (Konstruktionen) zu betrachten, die sich daran zu bewähren haben, inwieweit sie in der Lage sind, menschlichen Interessen gerecht zu werden.[179] In derartigen Ansätzen stellt sich das klassische Begründungsproblem nicht mehr.

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Die Rechtsethik stellt ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Rechtswissenschaft und Rechtspolitik einerseits, der Ethik andererseits dar. Sie thematisiert aus ethischer Perspektive juristische Grundfragen,[180] aber auch Anwendungsfragen und rechtspolitische Problemstellungen und ist damit hervorragend geeignet, fachspezifische Verknöcherungen und Sehstörungen zu identifizieren und u.U. auch zu korrigieren.[181] Besonders einflussreich wurden rechtsethische Untersuchungen im Zusammenhang mit der Bioethik bzw. Biopolitik (Embryonenschutz, Organtransplantation, Sterbehilfe usw.).[182]

1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung§ 1 Strafrecht im Kontext der Normenordnungen › G. (Straf-)Recht und Religion

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