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IV. Antworten

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Die neuen Herausforderungen lassen sich nur bewältigen, wenn die Strafrechtswissenschaft ihre Fixierung auf Strafrechtsdogmatik kritisch reflektiert und sich gegenüber anderen Disziplinen stärker öffnet. Dies gilt zum einen in Richtung auf die (empirischen) Sozialwissenschaften,[251] deren Erkenntnisse z.B. in Bezug auf die Wirkungen von Globalisierung, interkulturelle Spannungen und Nebenwirkungen des technischen Fortschritts[252] in viel stärkerem Maß als bisher rezipiert und in den Prozessen der Rechtsanwendung und Gesetzgebung berücksichtigt werden sollten. Vor allem die Rechtssoziologie hat zu den neuen Fragestellungen viel beizutragen, von einer empirisch soliden Problembeschreibung über das Aufzeigen möglicher Problemlösungen bis hin zur vergleichenden Darlegung von Lösungsansätzen anderer Länder.[253] Ohne kriminologische und insbesondere auch kriminalstatistische Grundlagen ist eine rationale Strafrechtsanwendung kaum möglich. Noch dringlicher ist die realwissenschaftliche Aufklärung für die Kriminalpolitik.

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Aber auch die Ergebnisse der modernen angewandten Ethik verdienen größere Aufmerksamkeit, als ihnen bislang von Seiten der Strafrechtswissenschaft entgegengebracht wurde. Teile der Ethik, insbesondere die analytische Ethik, verfügen über Begrifflichkeiten, Methoden und Analysekonzepte, die an Trennschärfe und Konsistenz denen der Strafrechtsdogmatik ebenbürtig sind und sie bisweilen sogar übertreffen dürften. Die Rechtspolitik, auch und gerade die Strafrechtspolitik, kann von der angewandten Ethik viel lernen.[254] Die ethische Reflexion kann dazu dienen, die anstehenden Fragestellungen klar zu erfassen, zu analysieren und zu strukturieren. Sie kann Problemlösungsvorschläge erarbeiten und kritisch prüfen. Die Ergebnisse derartiger Bemühungen lassen sich sodann gesetzlich umsetzen. Jede anspruchsvolle Rechtspolitik ist auf ethische Reflexion angewiesen.

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Viel spricht dafür, die erforderliche Öffnung der Strafrechtswissenschaft schon in der juristischen Ausbildung vorzubereiten, um spätere Kommunikations- und Verständnisprobleme vermeiden zu helfen.[255] Dies ließe sich etwa dadurch erreichen, dass der ethischen Reflexion in der Juristenausbildung eine stärkere Rolle zugewiesen wird. Außerdem sollte bereits den Studierenden die Bedeutung empirischer Forschung (z.B. in der Rechtssoziologie) sehr viel deutlicher gemacht werden, als dies bisher der Fall ist. Es geht nicht darum, die Bedeutung der Rechtsdogmatik zurückzudrängen – dogmatische Arbeit sollte auch in Zukunft im Mittelpunkt der strafrechtswissenschaftlichen Bemühungen stehen. Es gilt jedoch, bestimmte Engführungen, die mit der großen Idee einer „gesamten Strafrechtswissenschaft“[256] nicht zu vereinbaren sind, zu überwinden.

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Ein modernes, auf Rechtsgüterschutz ausgerichtetes und an der Menschenwürde und den Menschenrechten orientiertes Strafrecht sollte sich nicht länger scheuen, die zentrale Bedeutung von Kriminalitätsprävention für das Strafrecht und die Strafrechtswissenschaft offen anzuerkennen und sich von überholten „absoluten“ Strafkonzepten verabschieden.[257] Ein wichtiger Schritt in diese Richtung kann die Debatte um „Compliance“ sein. Auch wenn das Konzept an einigen terminologischen Verwirrungen und modischen Übertreibungen leidet, lenkt es doch den Blick auf zwei Umstände, die in der neueren Strafrechtsdogmatik teilweise in Vergessenheit geraten sind: 1) Recht, und damit auch Strafrecht, ist nur ein Teil des Normengefüges, welches menschliches Verhalten steuert, und 2) Kernaufgabe des Strafrechts ist nicht die vergangenheitsorientierte Verarbeitung von Kriminalfällen, sondern die zukunftsgerichtete Gestaltung der Gegenwart.

1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung§ 1 Strafrecht im Kontext der Normenordnungen › Ausgewählte Literatur

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