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II. Kulturelle Pluralisierung und neue Interkulturalität

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Parallel zur Globalisierung existiert innerhalb der deutschen Gesellschaft ein Trend zur kulturellen Pluralisierung. Ursachen hierfür sind einerseits die Migration nach Deutschland seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, andererseits der starke Bedeutungsverlust des traditionell die Kultur prägenden Christentums.[233] Die ehedem weitgehend homogene Sozialmoral[234] hat sich seit den 60er Jahren teilweise aufgelöst und einer kulturell heterogenen Gesellschaft Platz gemacht. Ganz ähnliche Prozesse haben sich auch in anderen westlichen Industrienationen vollzogen, etwa den USA, England, Kanada und Frankreich.[235]

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Damit stellt sich die Frage, ob die überwiegend vor dem Hintergrund vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse entstandene Strafrechtsordnung Deutschlands den neuen Verhältnissen angepasst werden muss.[236] Vor allem die Auseinandersetzung um die religiös motivierte Genitalbeschneidung bei Säuglingen[237] hat die Schwierigkeiten offenbart, die sich beim Aufeinandertreffen von religiös gestützten Moralvorstellungen und den ihnen entsprechenden Traditionen mit dem modernen säkularen Strafrecht ergeben. Ältere Auseinandersetzungen dieser Art bezogen sich etwa auf die Durchführung von Exorzismen,[238] das Schächten von Tieren[239] und auf als unangemessen oder gar verwerflich empfundene Kritik an religiösen Glaubensinhalten (Blasphemie).[240]

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Die bislang herrschende Meinung in der Strafrechtswissenschaft geht zu Recht davon aus, dass zur Lösung der damit angesprochenen Probleme tiefergreifende Änderungen des deutschen Strafrechts nicht erforderlich sind und rechtspolitisch auch nicht sinnvoll wären.[241] Dies bedeutet, dass der im Strafrecht festgeschriebene Rechtsgüterschutz auch gegenüber Positionen durchgesetzt wird, die sich auf religiöse Einstellungen oder auf eine bestimmte kulturelle Praxis berufen. Ein Strafrecht, welches sich am Grundgesetz, insbesondere am Rechtsstaatsprinzip, an den Grundrechten und an der Menschenwürde orientiert,[242] muss rechtsgutsverletzende Praktiken auch dann erfassen können, wenn diese aus Sicht der Gläubigen durch Religion oder durch altehrwürdige Traditionen motiviert werden.[243]

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Andererseits ist zu bedenken, dass die Religionsfreiheit grundrechtlich geschützt wird (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) und das Grundgesetz den Religionen nicht lediglich neutral-tolerierend, sondern grundsätzlich positiv-fördernd gegenübersteht.[244] Zudem sprechen in der modernen, kulturell stark pluralisierten Gesellschaft starke rechtspolitische Gründe dafür, religiöse und fremdkulturelle Einstellungen und Praktiken, auch wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt werden, zu tolerieren und wenn möglich sogar als gleichberechtigte Ausprägungen kulturellen Lebens zu akzeptieren. Eine angemessene Grenzziehung zu finden ist überaus schwierig und gerade deswegen eine der wichtigsten rechtspolitischen Aufgaben der Zukunft. Die Debatte um das Verhältnis von Strafrecht und neuer Interkulturalität ist noch lange nicht abgeschlossen.[245]

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