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1.2. Der verstörende Buchtitel

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Wer von den älteren Lesern während dem Kalten Krieg in einem geteilten Europa aufwuchs, für den assoziiert der Buchtitel nichts gutes. Die Konferenz von Jalta Anfang 1945 schuf die Grundlagen für eine 44jährige Teilung des Kontinents, in deren einen Hälfte die zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Fortentwicklung für die Dauer mehr als einer Generation komplett eingefroren wurde, von der Abschaffung bürgerlicher Freiheiten ganz zu schweigen.

Der damalige Konferenzschauplatz liegt darüber hinaus derzeit in einem Gebiet (der Halbinsel Krim), welches heute ein völkerrechtswidrig besetztes Gebiet ist, dessen zukünftiger Status einer abschließenden Klärung bedarf. Insgesamt steht der Begriff für den Beginn einer Periode der gegenseitigen Beschuldigungen, eines ständig drohenden Atomkriegs, weltweiter gegenseitiger Obstruktion, Stellvertreterkriegen in der Dritten Welt, geteilten Ländern (Deutschland, Korea, Vietnam), Wettrüsten zu Lasten der Entwicklungshilfe, sowie ausgeprägten Feindbildern auf beiden Seiten.

Doch diese Zeit hatte nicht nur ihr Schlechtes. Der Wettlauf ins All kann in dem Sinne als durchaus produktiv betrachtet werden, dass er auf beiden Seiten die größten wissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Tugenden und Fortschritte hervor brachte, die in der damaligen Zeit möglich gewesen sind. Viele Errungenschaften aus diesem Bereich haben auch sehr schnell ihren Weg in die Zivile Nutzung gefunden. Gleiches kann in eingeschränktem Maße auch für die Waffentechnik gesagt werde, deren ziviler Sekundärnutzen zum Beispiel in Atomkraftwerken und Strahltriebwerken für Passagierflugzeugen bestand.

Darüber hinaus waren diese 44 Jahre, bei aller Unsicherheit, letztlich eine Periode des Friedens und der Stabilität, in der es zumindest in Westeuropa und den USA keine zerreißenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüche gab. Der Ost-West-Dualismus zwang die Länder Westeuropas, die einzeln zu schwach gewesen wären, um nach dem Verlust der meisten Kolonien noch eine relevante Rolle zu spielen, zu einer immer engeren und immer weiter gehenden Kooperation, deren Ergebnis die Europäische Union ist, wie wir sie heute kennen.

Über allem steht die Erkenntnis, dass, bei weniger zementierten Verhältnissen, ein Atomkrieg, dessen Ausbruch nicht hätte verhindert werden können, alles, aber auch wirklich alles hinweggefegt hätte, worüber es sich noch zu schreiben gelohnt hätte. Wir müssen also feststellen, dass die Konferenz von Jalta die hässliche Großmutter der Europäischen Union ist. Und wie das bei Enkeln so oft der Fall ist, werden sie meist genau in dem Moment erwachsen, in dem die Großeltern sterben.

Was bedeutet das für die Zukunft? Ein neues Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren östlichen Nachbarn, namentlich Russland und der Türkei, wird ebenfalls wieder die Großmutter weiterer Veränderungen innerhalb der Europäischen Union werden. Ein solches Abkommen bietet die Chancen, nicht nur Fehlentwicklungen im Verhältnis zu Russland und der Türkei zu korrigieren, sondern auch Fehlentwicklungen innerhalb der Europäischen Union und möglicherweise auch im Verhältnis zu den USA, insbesondere nach der Wahl von Donald Trump im Jahre 2016.

Wir leben im postideologischen Zeitalter. Im Gegensatz zur damaligen Sowjetunion ist eine Verständigung mit Russland heute insofern einfacher, als dass Moskau heute nicht mehr versucht, eine ganz bestimmte Gesellschaftsform und Ideologie weltweit zu etablieren, sondern jetzt eher darauf bedacht ist,

1. International als gleichberechtigte Großmacht wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden.

2. In der eigenen „Sicherheitszone“ nicht von anderen Mächten bedrängt zu werden.

Diese machtbewusste, aber undogmatische, pragmatische Herangehensweise, gepaart mit einer nüchternen Kosten-Nutzen-Abwägung eröffnet Spielräume für Vereinbarungen, die es mit einem hoch dogmatischen Gegenspieler in der Hochphase des kalten Krieges mangels der nötigen Flexibilität nicht geben konnte. Im Gegensatz dazu kann man beobachten, wie die Türkei unter Erdogan seit seinem Wechsel ins Präsidentenamt immer ideologisierter und dogmatischer wird. Hier werden die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei eher immer schwieriger als immer leichter werden.

Jalta – dort, wo alles begann, wird es auch wieder enden und von neuem beginnen. Mit einem Zuwachs an Erfahrung, mit einem Zuwachs an Rationalität und mit erheblich mehr politischem Gestaltungsspielraum als damals nach einem verheerenden Weltkrieg.

Jalta 2.0

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