Читать книгу Naus zum Glubb - Roland Winterstein - Страница 10
Оглавление„EGAL WO DU STEHST,
WIR STEHEN HINTER DIR!“
Umrahmt war der Schriftzug von einem überdimensionalen, leicht schiefen Herzen, dem in der rechten Kammer die rote Farbe etwas ausging und deshalb mit gelber Kreide nachgemalt wurde. Dieser Satz ist mir seit Kindheitstagen im Gedächtnis haften geblieben und hat meine Einstellung zum 1. FC Nürnberg nachhaltig geprägt. Der Spruch stand auf einer dicken Mauer des Stadions und war mir sofort ins Auge gefallen. Ich radelte damals mit meinem Bonanzarad (unterdessen von mir notdürftig rot-schwarz lackiert – Bibbers, unser Künstler, hatte leider keine Zeit!) zur Arena. Denn ich fand diese sehr frühe Form eines Graffitis unwahrscheinlich spannend, auch wenn ich dessen hingeschmierten Sinn nicht gänzlich umriss.
So trat ich heftigst in die Pedale, um in den Schwalbenweg der bis heute benachbarten städtischen Kleingartenanlage zu düsen, wo wir eine kleine Parzelle unser Eigen nannten. In diesem Eldorado lokaler Hobbygärtner lag mit hoher Wahrscheinlichkeit die erste Saat meiner großen fußballerischen Liebe. Denn schon als Windelträger, wenn ich zwischen Apfelbaum und Radieschenbeet dort mit Bagger und Schaufel spielte, vernahm ich an jedem Wochenende die vielen Oooohs und Aaaahs bei vergebenen Chancen aus dem weiten Rund nebenan. Aus unzähligen Transistorgeräten der Schrebergärten um uns herum quäkte zudem der aufgeregte Kommentar des Radioreporters Günther K.
Während Mutter also den Kopfsalat erntete, wurde mir hier sozusagen das Club-Gen eingepflanzt. Das Rad flog in den Himbeerbusch. Ich eilte aufgewühlt zur kleinen Sonnenterrasse. Atemlos berichtete ich von dem Spruch, den ich entdeckt hatte. Meine Mutter erklärte mir die Bedeutung des Satzes – und zwar auf ihre typisch sanftmütige Art und Weise: Sie legte meine Hand auf ihr Herz und dann auf meines. „Egal was passiert“, begann sie zu erzählen, „wir passen aufeinander auf. Wir lassen niemanden alleine. Gemeinsam gehen wir durch die guten und weniger guten Zeiten. Wir schimpfen, jubeln und verlieren zusammen. So was nennt man Liebe, kleiner Mann!“ Sie nickte kurz Richtung Stadion, in dem gerade ein Gegentor fiel. Ich kannte dieses Geräusch. Dieses qualvolle Raunen und Stöhnen. Sie schien das im Gegensatz zu mir nicht besonders zu stören. Stattdessen blickte sie mir in die Augen. „Das bedeutet dieser Schriftzug da drüben.“ Mein Vater nickte bloß und blickte – ganz kurz – gerührt vom Rosenschneiden hoch. Ich könnte schwören, dass seine Augen glänzten und einige Tränen in den Strauch tropften. Er streitet das bis heute genauso energisch ab, wie Expräsident Voack vehement dementiert, den Club beinahe zugrunde gerichtet zu haben.
Wie auch immer, ganz kapiert hatte ich das mit der Liebe zwar nicht, aber eines wurde mir schon klar: Beim nächsten Heimspiel wollte ich dort drüben dabei sein. Mir das Spektakel aus der Nähe betrachten. Denn dieser Club musste ja was ganz Besonderes sein, wenn mein Vater heulte und meine Mutter so versonnen blickte. Das tat sie sonst eigentlich nur, wenn ich mal keine Fünf in Mathe nach Hause schleppte.
Dass ich bis heute selbst schniefen muss und auch so versonnen dreinblicke, wenn ich meinen Söhnen vom 1. FCN erzähle, wer hätte das damals geahnt? Ich nicht! Aber so ist es. Bis heute. An jedem verdammten, wunderbaren Wochenende der Saison!
Um Knacki, so der Name meines Sparschweins, war es bald geschehen. Bluten für den Club, hieß es für ihn und lautet meine Devise bis heute. Der Inhalt seines dicken Bauchs musste für meine erste Eintrittskarte herhalten. Eine lohnende Investition.
Einige Jahre später habe auch ich heimlich etwas an die Wand neben meinem damaligen Lieblingsblock 7 geschrieben. Obwohl die Wichtigtuer von Ordnern ja immer so streng und mächtig unleidig dreinblickten, als ob sie einen ungespitzt in den Boden nageln wollten. Ihre Patrouillengänge vermittelten bei mir Knirps immer den Eindruck, unser Stadion wäre von Invasionen außerirdischer Wesen bedroht. Sie haben mein illegales Tun nicht bemerkt, sonst wäre der Autor dieses Buches ein anderer.
„Hätte ich zwei Leben, beide gehörten dir!“ Fiel leider der Modernisierung zur WM 2006 zum Opfer, aber gilt natürlich für immer und ewig …