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IM TRIKOT MEINES LEBENS

Ein Haus bauen. Einen Baum pflanzen. Eine Familie gründen. Soll man alles mal gemacht haben, heißt es oft. Nichts dagegen zu einzuwenden, aber für einen echten Clubberer fehlt in dieser Aufzählung noch etwas wirklich Entscheidendes: der Kauf eines echten und aktuellen Trikots. Die Betonung liegt hier auf „echt“ und „aktuell“, also eine Oberbekleidung, die direkt vom Verein offeriert wird, zu Saisonbeginn natürlich. So viel Aktualität schraubt den Preis in schwindelerregende Höhen.

Die Berge von Geldsäcken, die man schon früher ranschaffen musste, um so ein exquisites Kleidungsstück zu erwerben, überforderten damals den Inhalt meines neuen Sparschweinchens alias Altstadtturms, den ich von der Nürnberger Sparkasse an der Wodanstraße zum Weltspartag geschenkt bekommen hatte, erheblich. Auch meine Erziehungsberechtigten zeigten wenig guten Willen, mir diesen Herzenswunsch zu erfüllen. Wieso ich für die damaligen Werbepartner wie ARO, Reflecta oder Grundig freiwillig als Litfaßsäule durch die Gegend laufen wollte, entzog sich komplett ihrem Verständnis.

Also musste ich für mein Glück arbeiten. Und wenn meine Mannschaft Gras fraß, konnte ich das auch. Wenn meine Mannschaft90 Minuten ackerte, um den spielstärkeren Gegner mürbe zu machen, dann würde für mich ein brandneues Trikot unter die Bezeichnung „hart umkämpft“ fallen. Motiviert zog ich mit unserem Bollerwagen los. Ich wurde Ferienjobber mit Unmengen von Flugblättern, auf denen die Sonderangebote vom Schocken gedruckt waren, einem Kau aus in der Nürnberger Südstadt, auch als Horten bekannt. Der Schocken war ein Kau aus der Marke: Wenn etwas Entscheidendes fehlt oder der Junge etwas Besonderes benötigt, einen Winteranorak zum Beispiel, dann gehen wir halt zum Schocken. Der hat alles. Nein, Clubtrikots hatte er leider nicht im Sortiment, wenigstens keine „echten“. Die gab es nur im Epizentrum namens FCN-Fanshop.

Ich stampfte also bei Nieselregen die Münchener Straße Richtung Amikaserne entlang und stopfte die Werbebroschüren in die Briefkästen des Nibelungenviertels. Eine harte Schule, denn als ich nachrechnete, wie viele von diesen widerspenstigen Flyern ich noch loswerden musste, um meinem Clubleibchen nahezukommen, waren das eher finstere Aussichten. Diese und die nächste Saison „overdressed“ im Stadion flanieren, konnte ich schon mal abhaken. Es setzte starker Regen ein, als ich mich in die Gudrunstraße schleppte. Ich konnte die auf den Prospekten als besonders lecker gepriesene Hähnchenkeule für 2,34 DM nicht mehr sehen. Auch die Vollmilch der bayerischen Milchwerke für weniger als eine Mark stieß mir schon seit längerem sauer auf. Also beschloss ich, eine Pause einzulegen. Ich saß auf einer Parkbank, und plötzlich kamen sie: die Zupfer! Die in der Stadt stationierten Amerikaner. So nannten wir sie: Zupfer. Ich habe bis heute keine Ahnung, was das bedeuten sollte.

Die Zupfer trotteten immer eine Runde um den Dutzendteich, singend und in Dreierreihen. Einer intonierte, die anderen stimmten ein. Ein spektakulärer Chor in Soldatenuniformen. Die amerikanischen Boys belebten am Wochenende die Diskos, schnappten uns die Mädels weg und putzten am Sonntagnachmittag ihre tollen, langen Autos auf dem Zeppelinfeld. Natürlich mit lauter Musik, vornehmlich Soul: Earth, Wind & Fire, Commodores oder The Whispers. Und sie spielten auf der Wiese beim Schuttberg neben dem Silbersee (der heißt wirklich so) mit diesem komischen Ei. „Das ist denen ihr Fußball“, sagte mein Vater immer kurz angebunden, weil er wohl auch nicht viel mehr darüber wusste. Meine Mutter ergänzte dann immer: „Wenn die beim Club so rennen würden …“. Und dann folgte ein tiefer Seufzer von beiden.

Das laute Singen der Zupfer riss mich aus meinen Gedanken. Sie trotteten gerade an mir vorbei, manche nickten oder grinsten, aber die meisten der muskelbepackten GIs ignorierten mich mageren „German“ Grünschnabel. Obwohl sie vermutlich dafür verantwortlich waren, dass ich Jahre später in ihrem Treff, dem Superfly, Stammgast wurde. Meist endeten solche Besuche immer in Prügeleien wegen Nichtigkeiten, Sprachbarrieren oder wegen der Girls.

An diesem Tag, als ich nichtsahnend auf der Bank saß, gesellte sich Jim zu mir. Der war umgeknickt und verlor den Anschluss zur Jogginggruppe. Stöhnend zog er den rechten Militärstiefel aus, am Knöchel konnte man eine Schwellung deutlich erkennen. Jim fluchte leise und wollte pflichtbewusst weitergehen. Ging aber nicht. In genau diesem Moment richteten sich unsere Blicke gleichzeitig auf den Bollerwagen. Und ich sah meine Felle (also mein Trikot) nun endgültig davonschwimmen. Denn wenn der sich da jetzt reinsetzt und ich seinetwegen meine Schicht nicht ordnungsgemäß zu Ende brachte, wäre das Kapitel „Angeben im Originaltrikot“ bis auf Weiteres geschlossen.

Aber ich war ja gut erzogen, und die Freunde aus Übersee mochte ich gut leiden. So schob ich Jim also in meinem Bollerwagen zur Kaserne. Der studierte dabei interessiert meine Flyer und fand die Hähnchenkeule „amazing“. Es war der Anfang einer langen Freundschaft, und als Dank für den Fahrdienst lud er mich spontan zu einer Pizza ein. Diese gab es in zwei Buden, die vor dem Kasernengelände auf Kundschaft warteten. Die linke davon war die bessere. Wir Kinder durften nie hin, weil dort ja die Zupfer herumlungerten. Aber endlich war ich an der Reihe. Und wie! Pizza Americana. Mit Hackfleisch und viel Käse. Was Besseres hatte ich im Leben nicht gegessen. Sollte ich einmal wissen, dass ich nur noch einen Tag zu leben hätte, schnell würde ich noch mal hierher fahren und diese Leckerei ein letztes Mal verspeisen.

Ich jedenfalls habe Jim aus Oregon viel zu verdanken: einen freien, weiten Blick. Die Neugier, Dinge zu probieren und Zweifel abzuschütteln. Scheitern und weitermachen. Und einen passablen Musikgeschmack, der bis heute anhält. Doch das Wichtigste war: Ich bekam mein erstes „echtes“ Clubtrikot. Er spendierte es mir. Obwohl er mit Fußball nichts anzufangen wusste, war er vermutlich der erste Zupfer im Fanshop, der für den Club in harten Dollars bezahlte. Dazu fällt mir nur noch eins ein: amazing.

Naus zum Glubb

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