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DIE WINTERPAUSE IST DOCH NUR EINE

WEIHNACHTSGESCHICHTE

Die fußballfreien Tage in der stillen Zeit um Weihnachten bis in den Januar hinein fühlten sich für mich wie ein Gefangenenstraflager an. Die vom DFB verordnete Zwangsabstinenz namens Winterpause kam meiner Meinung nach wenig besinnlich daher. Zudem hatte ich heftigen Krach zuhause, weil ich nach dem letzten Spiel der Hinrunde auf dem Gewaltmarsch nach Hause meine Clubpudelmütze mit Bommel verloren hatte. Für mich eine Lose-lose-Situation. Doch es existierten auch in den Achtzigern Fluchtmöglichkeiten aus dieser fußballarmen Periode. Eine davon drehte sich um heißblütige Spekulationen um das leidige Thema Wintereinkäufe. Sollte man einen vielversprechenden Kicker aus Südamerika verpflichten, der den Verein in der Rückrunde ins Oberhaus ballerte? Eine andere Möglichkeit der Ablenkung war ein Ausflug auf den Christkindlesmarkt. Zugegeben, ein Wagnis, weil es dort zuging wie in der Nordkurve. Zu voll, zu viel Gedränge, und heiße Getränke wurden dir dort schonungslos in den Kragen gekippt.

Ich konnte mich dem Getümmel nie entziehen, denn ich musste ja dort sein, wenn die Clubspieler in der Rushhour Rostbratwürste grillten und verkauften. Der eine oder andere Torwart soll sich schon dabei die Finger verbrannt haben, was dann einige Wochen Spielpause nach sich zog. So lauteten jedenfalls Gerüchte, die ich nicht bestätigen kann, aber sich bis heute hartnäckig halten. Daher sind aktuell meist Feldspieler als Grillmeister zugange. Dieses Ritual wird vom Verein bis heute gepflegt. Die Erlöse der Veranstaltung gehen an einen guten Zweck. Drei, vier Spieler erbarmen sich und stellen sich mehr oder weniger gutgelaunt in kitschigen Schürzen als Bratmeister und Verkäufer zur Verfügung. Was natürlich einen enormen Rummel unter der Anhängerschaft nach sich zieht.

Und ich jedes Jahr mittendrin. Angeblich hatten sich Clubfans aus dem Steigerwald schon mal Tage vorher die besten Plätze gesichert und wurden bundesweit bekannt als erste Dauercamper vor Wurstbuden. Ich wollte aber mehr als eine Semmel mit Würstchen. Deshalb trug ich immer Opas alten Fotoapparat fest an mich gepresst, um ein Foto meines Lieblingskickers mitsamt Wurstbrötchen zu schießen. Es war für einen kleinen Mann wie mich damals eine echte Herausforderung, in dem Gedränge ein anständiges Bild zu knipsen. Oft funktionierte der Blitz nicht, manchmal war die Linse mit Senf verschmiert oder man wurde rüde weggedrängt. Anstelle Nobert Eders Gesicht hatte ich dann nur ein Stück seiner Schürze mit der Aufschrift: „Bratwurst-Paradies“ im Kasten. Zudem musste so ein Film ja auch noch entwickelt werden.

Foto-Quelle benötigte in der Vorweihnachtszeit schon mal Wochen, um den Auftrag zu entwickeln. Und in dieser Zeit konnte man bei seinen Freunden prahlen und sich brüsten:

„Yippie ya yeah! Ich hatte den Beierlorzer neben mir stehen.“

„Echt?“

„Ja! Ganz nah! Und in seinen Haaren klebte Ketchup.“

„Wow.“

Mit solchen Schilderungen war ich natürlich wie jeden Dezember in unserem inoffiziellen Fanclub der King. Nachdem ich 31 Aufnahmen geschossen hatte, erwartete ich auf dem Hauptmarkt noch das Christkind. Denn das letzte Bild sollte ihm gelten. Das hatte ich meinen Eltern hoch und heilig versprochen.

Für Nichteingeweihte möchte ich diese weihnachtlich anmutende Person kurz erläutern. Ein Schulmädchen, meist im Sommer von einer Fachjury unter Tausenden Fränkinnen auserkoren, meist blond und nett anzusehen, muss sich ähnlich dem Kölner Funkenmariechen in ein Kostüm zwängen. Im Nürnberger Fall handelt es sich dem Anlass gemäß um ein Rauschgoldengel-Outfit mit wallender Perücke. Ferner ist das Einstudieren eines Vortrags vertraglich festgelegt, den jenes auserwählte Christkind zur Eröffnung des Marktes auf dem Oberdeck der Christuskirche mehr oder weniger holprig vorträgt. Mangels Balkon wird das Christkind also zur Sicherheit angeschnallt, damit der Trubel keine dramatische Note erhält. Links und rechts an seiner Seite stehen verkleidete Gesellen mit Pauken und Trompeten. Wenn oben alle fertig sind, ist auch der Markt eröffnet. Ich finde, das ist ein sehr würdevoller Beginn eines Volksfestes. Jedenfalls schöner als ein klobiges Bierfass aufzuklopfen und „O’zapft is!“ zu grölen.

In den weiteren Tagen flaniert das Christkind in Kindergärten, Krankenhäuser und andere Einrichtungen – eben zu den Schwachen und Armen. Wären wir also wieder beim Club und mir. Das Christkind steuerte doch tatsächlich zielsicher auf mich zu. Ich hielt mit meiner Kamera voll drauf. Eine Woche später schlenderte ich die Siegfriedstraße entlang nach Hause. Den Umschlag mit den entwickelten Fotos in den Händen. Eder nur halb, Beierlorzer nur der Daumen. Nur das Christkind, das hatte ich richtig gut getroffen. Und ich glaubte meinen Augen kaum zu trauen. Es lächelte mich an und trug meine verloren gegangene Clubmütze mit Bommel auf seiner goldblonden Lockenpracht. Hatte ich das im Getümmel zwischen Oblaten und Holzschnitzereien übersehen? Und seine Hand war zur Faust geballt und schien zu flüstern: „Der Club steigt doch noch auf, trotz Punkterückstands und miesem Torverhältnis!“

Heiligabend überreichte ich meiner Mutter dieses Foto als Geschenk. Ab diesem Zeitpunkt war der Club bei uns heiliggesprochen. Nach den Feiertagen ging ich ins Fundbüro Nürnberg. Vielleicht hatte ja jemand meine Pudelmütze dort abgeliefert? Und in der Tat. Der Angestellte kramte etwas aus dem Regal. „A blonds Wackerla hat’s Heiligabend abgebn.“ Er drückte mir meine Clubpudelmütze hin, leider ohne Bommel. Ich streifte sie mir über den Kopf und fühlte mich erstligareif. Ganz klar, mein Club besaß himmlischen Beistand. Bei jedem anderen Verein konnte da eigentlich nichts mehr schiefgehen, außer …

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