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WO GEHT’S HIER ZUR

RASENHEIZUNG?

Winter in Franken. Vorweihnachtszeit. Nürnberg als Stadt des Christkindels und seines Markts rauscht im Dezember an die Spitze der internationalen Citycharts. Die ganze Welt kämpft und drängt sich auf den Hauptmarkt zur weltberühmten kleinen Stadt aus Tüchern am schönen Brunnen.

In jenem Jahr war ich ebenfalls dort, um an dem sagenhaften Ring zu drehen, der Wünsche erfüllen soll. Denn der Club benötigte dringend Punkte, um wieder aufzusteigen. Es gab nur noch diesen einen eminent entscheidenden Kick in der Hinrunde. Zuvor hatte es tagelang geschneit und so rumorte die Gerüchteküche zwischen Tiergärtnertor und Gibitzenhof. Permanent sprachen sich wildfremde Menschen an und kurz darauf Zuversicht zu. Es wurde gefachsimpelt, abgewogen und prognostiziert. „Schaffen sie es?“ „Wie weit sind die?“ „Der Rasen ist schon halb frei.“ „Auf die Gegengerade muss man schon können, dann pfeift er an.“ So oder ähnlich munkelte es aus allen Ecken. Halbwahrheiten, Einschätzungen und vage Prognosen machten in einer Zeit vor beheizten Fußballtempeln mit Schiebedächern die Runde. „Fällt garantiert aus.“ „Brauchst gar nicht rauszugehen.“ „Findet doch statt.“ „Ich bin jetzt extra aus Laufamholz da.“ Und so weiter.

Denn bei Schneefall, besonders bei heftigem, drohte der GAU: die Spielabsetzung. Rasenheizung hatten wir damals als fußballverrückte Region natürlich – sie bestand aus sechs hüftsteifen Ordnern, angeführt vom Capo Erwin, allesamt mit Schneeschaufeln ausgestattet. Dazu gesellten sich Freiwillige aus der Geschäftsstelle des FCN. Auch willige Fanclubs aus Pottenstein und Umgebung reisten an. Die schufteten dann am Spieltag bis kurz vor Anpfiff. Danach erhielten sie als Dankeschön Freikarten und einen kleinen, freundlichen Bericht mit Foto in der Lokalpresse.

Ich war damals zu jung, zu schwächlich und wohl auch etwas zu faul, um als lebendiger Eiskratzer zu glänzen. Aber auch für den gemeinen Fan stellte so ein sibirisch anmutender Spieltag enorme Herausforderungen an Logistik und Flexibilität. Wie viele Socken kann man übereinander tragen, um noch einigermaßen vernünftig geradeaus zu gehen? Das Trikot wollte einfach nicht über den Winteranorak passen, und wenn doch, dann sah es wirklich fürchterlich aus. Aber ohne Winterjacke war man nach spätestens 15 Minuten Spielzeit mit Erfrierungen zweiten Grades auf dem Weg ins Krankenhaus Hallerwiese. Dann doch lieber nur den gestrickten Schal und die Pudelmütze mit Clubbommel.

Da hockte ich nun mal wieder. Noch weit mehr als 100 Minuten bis zum Anpfiff. Eingepackt in drei Wolldecken und natürlich Omas Steppdecke. Ich starrte ins Niemandsland der zweiten Liga. Unten türmten sich dreckige Schneemassen, die sich fein säuberlich um das Spielfeld formierten. Ich sah mich bibbernd um. Die Hälfte der Blocks wegen Glatteis gesperrt. Der Gegner auch noch eine halbe Stunde zu spät – steckte auf der A9 fest. Unten schlitterte der Schiedsrichter das Geläuf ab. Spiele mit einem roten Ball konnte ich noch nie leiden. Meine rechte Körperhälfte war bereits nicht mehr zu spüren. In solchen Momenten half nur eins: Kinderglühwein!

Also stapfte ich runter zur einzigen Bude und schüttete mir das Heißgetränk literweise rein. Und endlich kamen die Kumpels. Schneeverkrustete Gesichter, die dem Cover eines Outdoormagazins oder Abenteuerromans entstammen könnten. Einer trug sogar das Trikot ohne was drunter oder drüber. Das waren die ganz „Coolen“, die „Eiskalten“ unter uns verweichlichten Clubfans. 90 Minuten froren wir, warmsingen funktionierte bei eisigen Windböen und einem 0:1-Rückstand ab der dritten Spielminute nicht wirklich. „Da left heit nix, des kannst vergessn“, hörte ich die Zweifler gegen Spielende raunen. Als wir mit der letzten Chance durch einen abgefälschten Schuss den Ausgleich erzielten, konnte ich nicht mehr klatschen, ich war schockgefrostet.

Hier würde ich also enden. Als Schneemann auf Block 7. Doch einer meiner Freunde erbarmte sich und rubbelte mich mit seinem Trikot wieder weich und warm. Der Heimweg dauerte 60 Minuten länger, denn die Eisplatten ließen uns rutschen und fallen. Beinbrüche waren keine Seltenheit. Als einer von uns mit der Trage wegen eines Oberschenkelhalsbruches abtransportiert wurde, reckte er die Faust nach oben. „Der Punkt vor der Winterpause war lebensnotwendig“, frohlockte er und sackte dann ohnmächtig nach hinten. Mit lauter Sirene entfernte sich der Krankenwagen.

Für uns klang das „Tatütata“ wie ein „Olé, olé, olé“. Wir reckten unsere Fäuste ebenfalls in die Luft und brüllten ihm ein „Hier regiert der FCN!“ hinterher. Danach wurden untereinander Halsbonbons verteilt. Unsicher tapsten wir vorsichtig weiter. Jetzt waren wir nur noch zu dritt. Eine kleine Expedition kurz vor Weihnachten kämpfte sich nach Spielende zurück ins echte Leben. Die (h)eiligen drei Könige in Rot-Schwarz. Es fing wieder an zu schneien. Flocken auf meinem Clubbommel, Schneematsch in den Stiefeln und klitschnasse Handschuhe. In unserem Rücken das noch hell erleuchtete Nürnberger Achteck als letzter Orientierungspunkt. Vor uns fahle Sicht, denn die wenigen Laternen konnten sich gegen das dichte Schneetreiben nicht durchsetzen. Immer wieder sammelten wir einzelne verstreute Clubfans auf, die sich bereitwillig unserem Tross anschlossen. „Keiner wird zurückgelassen“, gab ich als Losung aus, und mein bronchialer Hustenanfall gab dem Ganzen den nötigen Schuss Dramatik.

So schleppten sich die frierenden Gefährten weiter. Alle freuten sich auf die warmen Wohnzimmer und die um 18 Uhr beginnende Sportschau. Es wurde wenig gesprochen. Doch dann kam ein Satz, der mir bis heute im Kopf geblieben ist. Weil er so viel über das Dasein als Clubfan und die fränkische Fußballseele aussagt. Während die einen bereits nach Huskys und Hundeschlitten Ausschau hielten, um uns in Sicherheit zu bringen, und andere schon mal beratschlagten, wo sie jetzt gleich begraben werden wollten, brummte einer von hinten: „In Barcelona hams zwar besseres Wetter und mehr Pokale, aber wir ham den besseren Club!“

Stummes Beipflichten derer, die gegen das Eindämmern kämpften. Unsere müden Schritte knirschten im Schnee. In diesem Moment knipste der Hausmeister im Stadion das Flutlicht aus und es wurde zappenduster um uns herum. War nun alles aus? Würden wir nie wieder die aktuelle Tabelle lesen dürfen? Nie wieder erfahren, wie die anderen gespielt haben? Mit wie vielen Punkten Rückstand auf die Aufstiegsränge der Club in die Winterpause ging? Ich könnte bis heute schwören, dass über dem Stadion plötzlich ein Weihnachtsstern aufging, der mich und mein versprengtes Häuflein Clubberer sicher und pünktlich zur Anmoderation von Ernst Huberty nach Hause führte. Oder war es das Christkind, das mal kurz vom Hauptmarkt rüberflatterte und uns sicheres Geleit gab?

Egal, nur noch drei Punkte nach ganz oben. Das war meine schönste Bescherung in der Winterweihnacht der Achtziger. Und auf meinen Wunschzettel, auf dem ich eigentlich die Gesamtedition der Fünf Freunde von Enid Blyton notiert hatte, wurde diese kurzerhand durchgestrichen. Ich schrieb stattdessen: „Aufstieg vom 1. FCN“. Als Clubberer muss man eben Prioritäten setzen!

Naus zum Glubb

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