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Wahnsinnige Woche

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Da passiert etwas vollkommen Überraschendes, etwas, womit du nie im Leben gerechnet hät-test. Am Montag kommt der Oberste von den Nadelgestreiften, der Herr Gierpickel, in dein Zimmer und erklärt fröhlich: „Grüß Gott, Herr Betriebsrat, ich hab's mir überlegt. Es ist ja wirklich eine Schande, wie wenig ihr verdient. Und das in einem der reichsten Länder der Welt. Ab morgen zahlen wir jedem 200 Euro mehr im Monat.“

„Was, so viel?“, stammelst du. Eigentlich möchtest du den Mann jetzt küssen. Aber du stehst unter Schock. Außerdem sagt dir dein Verstand, dass es dem Herrn sehr unangenehm wäre, von einem Betriebsrat berührt zu werden. Erst als er wieder gegangen ist, finden deine erstarrten Knochen ihre Beweglichkeit wieder, Freudentränen laufen über dein Gesicht. Du hast es geschafft! Die Gehaltsoffensive läuft, und was für eine!

Aber sie ist noch längst nicht vorbei. Am Dienstag ruft der Gierpickel bei dir an und teilt mit: „Ich lege noch einen Hunderter drauf.“ Du verstehst die Welt nicht mehr, die Kollegen tragen dich auf ihren Schultern durch den Betrieb. Dann rackern sie richtig los, die Pro-duktivität steigt um 180 Prozent. Am Mittwoch läutet wieder das Telefon. Der spendable Vor-stand erhöht eure Gehäter um weitere 100 Euro. Das sind nun schon 400 Euro in drei Tagen. Du bekommst es mit der Angst zu tun. Kann der Betrieb diese Last schultern? Es klingt fast weinerlich, wie du deine Sorgen formulierst: „Aber die Kosten, die Konkurrenz, die Chine-sen, die Osteuropäer, können wir uns das überhaupt leisten?“

Daraufhin reagiert der Herr Gierpickel ziemlich ungehalten: „Was gehen mich die Chine-sen an? Sie müssen doch auch mal an Ihre Kosten denken, an die Inflationsrate, steigende Mieten und Energiepreise.“ Da hat der Mann recht, denkst du. Das ungute Gefühl in deiner Magengrube wirst du jedoch nicht los. Am Donnerstag verstärkt es sich weiter, denn der Vorstand legt erneut einen Hunderter drauf. Diese Herren sind unberechenbar. Binnen weniger Tage haben sie dein Weltbild völlig zerstört. Du nutzt die allgemeine Euphorie in der Belegschaft und dankst ab. Niemand braucht noch einen Betriebsrat. Sogar die einst mächtige IG Metall zeigt Auflösungserscheinungen.

Am Freitag klärt sich die Lage. So plötzlich, wie die Gehaltsoffensive begann, so rasch endet sie auch. Ein führender Abgeordneter des Bundestages lässt durchsickern, dass ein bisher geheim gehaltener Gesetzentwurf, nachdem leitende Manager nicht mehr das 300-fa-che, sondern nur noch maximal das 30-fache des durchschnittlichen Entgelts ihrer Mitarbeiter verdienen dürfen, nicht umgesetzt wird. Diesmal kommt der Herr Gierpickel nicht zu dir, er zitiert dich in sein Büro und erklärt: „Tut mir leid. Wir haben das alles noch einmal durchgerechnet. Es klappt doch nicht mit den Gehaltserhöhungen. Die Kosten sind viel zu hoch, die Konkurrenz schläft nicht. Und dann diese Chinesen! Wir brauchen jetzt Lohn-verzicht, außerdem müssen wir Stellen streichen.“

Damit hat sich auch in diesem Fall bewahrheitet, dass Offensiven gewöhnlich im Sande verlaufen. Statt Moneten dürfen deine Kollegen nun Sandkörner zählen. Sie sind sauer auf dich. Niemand spricht davon, deine Abdankung rückgängig zu machen. Der Herr Gierpickel findet es sogar ausgesprochen lustig, wie er dich losgeworden ist. Er bietet dir einen Job als Packer an. Aber für solch niedere Arbeiten fühlst du dich nicht geboren.

Dir bleibt also nichts anderes übrig, als wieder auf Arbeitssuche zu gehen. Für ehemalige Betriebsratsmitglieder ist das gewöhnlich ein schwieriges Unterfangen. Aber für dich spricht, dass du gegen deinen Willen gewählt worden bist. Außerdem hast du deinen Job geschmis-sen, als dir klar wurde, in welch unverantwortlicher Weise eine Gehaltsoffensive an der Subs-tanz des Unternehmens zehrt. Wenigstens ein Chef findet das toll. Du kommst bei einem Hersteller von Pissoirs und anderen Kloausstattungen unter.

Aus dem bösen Wirtschaftsleben

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