Читать книгу Aus dem bösen Wirtschaftsleben - Rolf Anton Bartonek - Страница 16

Make the Future

Оглавление

Wenn du überhaupt etwas gelernt hast im Marketing, dann ist es der resolute Einsatz von ein paar Phrasen Schulenglisch. Das verhilft dir im Bewerbungsgespräch bei der Agentur „moneymaker“ zum entscheidenden Vorsprung vor allen anderen Konkurrenten. Auf die Frage, ob du Englisch sprichst, antwortest du nicht: „Yes, paar Brocken“, sondern „Yes, I do“. Dann steigerst du dich weiter und erwähnst im Zusammenhang mit dem Chinesen, es sei von „beginning“ an dein Plan gewesen, dessen Unternehmen rechtzeitig zu verlassen, weil es bald „will be sinking“ wie die „Taitennic“.

Die Aussprache „Taitennic“ ist ganz wichtig, denn sie zeugt von hoher Bildung. Von 1912 bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg sagten die Deutschen „Titanic“, weil sie kein Englisch konnten und nicht wussten, dass die Briten „Taitennic“ sagen. Das war ziemlich analotiv. Nur sehr allmählich bessert sich die Lage. Es ist eure Aufgabe im Marketing, das Wissen der einfachen Leute zu mehren. Wie sollen sich diese bedauernswerten Geschöpfe denn zurecht-finden, wenn sie mal nach London oder gar New York kommen? Dann folgt doch bloß eine Peinlichkeit auf die andere.

Manche machen es dann wie die Engländer und bleiben sogar im Ausland bei ihrer Mut-tersprache. Aber bei den Engländern klingt das wenigstens englisch. Die müssen sich dafür nicht schämen. Deutsch dagegen war schon immer eine Beleidigung für empfindsame Ohren. Nur die an Größenwahn leidenden Nazis haben das nicht begriffen. Ansonsten war das Deut-sche jahrhundertelang dem dummen Volk vorbehalten. Die Gelehrten schrieben und unter-hielten sich lateinisch, die Künstler pflegten das Italienische, der Adel parlierte französisch.

Inzwischen hat sich die Welt verändert. Französisch ist heute selbst für die Gebildeten zu schwierig, das Lateinische ist zur Geheimsprache der Mediziner verkommen, und die Künst-ler bevorzugen beim Italienischen eher die Küche. Bleibt das Englische. Es wurde zur Weltsprache, weil es genügt, ein paar Brocken davon aufzuschnappen. Davon profitierst du als Marketing-Mann gewaltig. Außerdem ist die Sprache im Vergleich zum Deutschen unheimlich elegant. Die Deutsche Post zum Beispiel hat mal die Position eines Floor Mana-gers eingeführt. Das klingt nach etwas sehr Bedeutsamem, also waren die Posten heiß begehrt. Und wie heißt das im Deutschen? Korridor-Direktor. Peinlich, peinlich. Wer will so was schon werden?

Oder nehmen wir die Autoindustrie. Was holen sich die Menschen lieber, einen Ess Ju Vi (SUV) oder – in deutscher Aussprache – einen Suff? Du liebe Güte! Alkohol mag ja noch ge-hen, aber gleich ein Suff? Eine „Powerhouse Fashion Industry GmbH“ aus Wittgensdorf in Sachsen liefert modische „Underwear“. Man stelle sich das deutsch vor: Schlüpfer aus dem Krafthaus. Frisöre sind längst ausgestorben, seit es die „Hairstylists“ gibt. Und eine heiße Linie würde wohl eher an ein Freudenhaus erinnern. Deshalb sagen alle „Hotline“.

Deine erste Aufgabe bei der Agentur besteht darin, einen schönen Spruch zu finden, den ein Unternehmen an seine Mitarbeiter als Richtschnur herausgeben kann. Dir kommt deine Erfahrung mit Offensiven und Losungen zugute. „Make the Future“ lautet deine Kreation. Dein neuer Chef ist begeistert, denn so etwas kann er verkaufen. Der Spruch ist englisch und damit hochmodern. Er klingt positiv und ist nach vorn gerichtet. Das Wichtigste aber: Er ist unkonkret. Losungen müssen immer möglichst unkonkret sein. Oder so englisch, dass sie niemand versteht. Anderenfalls kommt Fragwürdiges dabei heraus. In der DDR hing am Ortsausgang von Berlin-Pankow einst eine Losung: „Senkt die Brände um 50 Prozent!“

Ja, das ist wirklich toll. Nur, warum gerade um 50 Prozent, warum nicht um 51 Prozent oder etwas mehr? Das wäre doch noch toller. Die richtige Losung müsste lauten: „Senkt die Brände!“ oder besser: „Stop the Fire!“ Die Genossen haben das bald erkannt und sind danach auch immer unkonkreter geworden. So wie du jetzt mit deiner Losung. Sei ehrlich: Du hast so wenig Ahnung von der Zukunft wie dein Chef und die auftraggebende Firma.

Mangelhafte Liebe

Das dümmste Marketing stammt immer von Banken, Versicherungen und Finanzdienstleis-tern. Diese Anzug-Schlips-Weißhemd-Branchen sind stocksteif aufgestellt. Sie übertragen das auf ihre Werbung und wirken damit ungewollt analotiv statt innovativ. Witziges im Drehbuch mögen sie nicht. Denn es geht um die ernsteste Sache der Welt: das Geld.

Genau das steht im Zentrum deines nächsten Auftrags. Der erweist sich als ungeheuer schmierig, denn du sollst Fernsehzuschauern das Glück der Kunden vermitteln, die von einem Vertreter des Finanzdienstleisters „Glücksbringer“ besucht werden. Um das Glück näher zu erkunden, machst du einen großen Fehler: Du recherchierst ungebeten herum und findest heraus, dass es ziemlich viele Pechvögel gibt, die beim „Glücksbringer“ Verträge abgeschlossen haben. Dessen Berater brachten es fertig, Tausenden kleinen Leuten Steuer-sparmodelle in Form von Bankkrediten zum Kauf geschlossener Immobilienfonds aufzu-schwatzen. Eine todsichere Sache sei das und traumhaft für die Altersvorsorge. Die Kunden begriffen zu spät, dass todsicher etwas mit dem Sterben zu tun hat und dass es auch Albträume gibt. Ein paar Steuern sparten sie, allerdings verloren sie fast ihr ganzes Geld.

Du hast zwar schon einige Erfahrungen im Lügen, aber die „Glücksbringer“ spielen dies-bezüglich in einer anderen Liga. Verbissen kämpfst du gegen auftragsschädliche Skrupel an. Der Chef würde dich sonst als Spinner, Träumer, linken Phantasten oder gar Menschen-freund einstufen. Er könnte sehr bösartig fragen, ob du schon vergessen hast, wie die Agen-tur heißt, bei der du jetzt offenbar viel zu viel Geld verdienst: „moneymaker“ - Geldmacher. Und Geld macht man mit Liebe, mit ganz viel Liebe zum Kunden, verstehst du. Dein Chef liebt Kunden über alles. Kunden wohlgemerkt, nicht allgemein Menschen. Kunden sind diejenigen Menschen, die sowohl zahlungskräftig als auch kaufwillig sind. Gegen solch eine wahre Liebe kannst du nichts ausrichten. Du wirst es nie schaffen, dich da irgendwie da-zwischen zu drängen.

Sogar die „Glücksbringer“ lieben ihre Kunden, solange die ihr Geld noch nicht bei ihnen verloren haben. Erinnert sei an die bulgarische Airline Balkan, deren Flugzeuge in den 70-er und 80-er Jahren überdurchschnittlich häufig vom Himmel fielen. Damals kreierten Witzbolde den Slogan: „Fliegen Sie mit Balkan, solange wir noch Maschinen haben.“ Genauso verhalten sich die „Glücksbringer“. Ja, was sollen die denn mit abgestürzten Kunden? Merke: Eine Liebe im Finanzgeschäft ist ebenso heftig wie zeitlich begrenzt.

Und wie steht es mit deiner Liebesfähigkeit? Wenn du es nur mit Weibern kannst, dann bist du hier fehl am Platze. Die Wirtschaft ist in der Liebe nicht so wählerisch, aber sie ist voller Liebe. Bald merkst du, wie sehr du an deinen Empfindungen noch arbeiten musst. Denn du hast zwar gehorsam dein Werbefilmchen gedreht mit der im Finanzsektor gebotenen Einfalt, aber eben nicht mit der gehörigen Portion Liebe. Der Mann vom „Glücksbringer“ fühlt bei der Präsentation sofort, was fehlt.

Am Anfang lächelt er noch. Dein Video zeigt einen Vertreter, wie er eine vor Glück strahlende Familie mit Ratschlägen versorgt. Papa und Mama herzen sich. Bis hierhin ist noch ausreichend Liebe zum „Glücksbringer“ spürbar. Aber dann verabschiedet sich der Finanzmann, die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Und in deinem Abspann steht: „Noch mal Glück gehabt.“ Schlagartig verfinstert sich die Miene Kunden. „Wieso denn Glück!“ brüllt er. „Die haben doch gar nicht unterschrieben!“ Du stotterst herum, dass du die Unterschrift vorausgesetzt hast. Doch der Mann tobt weiter: „Wieso denn vorausgesetzt! Sie Trottel! Das ist doch das Wichtigste, so was muss man zeigen! Unterschreiben, unterschreiben, unter-schreiben!“ Bei den letzten drei Worten haut er im Takt mit der Faust auf den Tisch.

Dein Chef erkennt deine Fehlleistung. Es gelingt ihm, den Kunden zu beruhigen. Du aber erhältst eine Abmahnung: wegen mangelhafter Liebe.

Gewissensfrage

Außerdem musst du am nächsten Tag beim Chef antanzen. Er sitzt hinter seinem dicken Schreibtisch und betrachtet dich eine Weile. Du fühlst dich wie ein Wurm, der schutzlos auf dem Parkett herumkringelt. Dann endlich spricht der Herr zu dir: „Nun, in der Liebe scheinen Sie mir noch sehr unerfahren. Aber über Gewissen verfügen Sie bestimmt im Überfluss.“ Du erschrickst. Leute mit wenig Liebe und viel Gewissen können im Marketing leicht zum Pro-blemfall werden. Das ist eine ganz ungünstige Mischung. Wenn du deinen Job noch eine Weile behalten willst, solltest du das mit dem Gewissen jetzt unzweideutig klarstellen und deine Fehlleistung aufrichtig bedauern. Gewissen ist nichts Innovatives, sondern oft schlicht für den Arsch, also analotiv.

Du begreifst, dass du im Chef-Hirn einen gravierenden Wandel bewirken musst, indem du aus der Schublade für linke Spinner heraus- und in die für gewissenlose Hunde hinein-springst. Ja, eigentlich bist du ein ziemlich gewissenloser Hund. Das wäre eine Einschätzung, die dich nicht nur retten, sondern auch dauerhaft weiterbringen könnte. Direkt aussprechen darfst du das mit dem Hund aber nicht. Pfui, so etwas verstößt gegen jede Etikette. Der Chef kann sich Gewissen zwar auch nur in kleinen Portionen leisten. Zugeben würde er das aber nie. Es gibt Dinge, die brauchen eine stillschweigende Übereinkunft. Also wirst du vor-nehmer zur Sache gehen, um Vertrauen werben. Betone einfach, dass du nicht zu den Leuten gehörst, die ständig die Welt verbessern wollen. Für derlei Ziele gibt es keine Liebe und erst recht kein Geld. An beidem hängst du aber sehr. Nach dieser Darstellung darfst du ein wenig lächeln. Du wirst sehen, auch beim Chef hellt sich das Gesicht auf.

Da du nun nicht mehr im Verdacht stehst, die Welt verändern zu wollen, wird er lockerer und verrät dir, dass er die „Glücksbringer“ auch nur als Geschäftsmann liebt. Privat kämen ihm diese Geldabzocker niemals über die Schwelle. Dem Chef würde sogar noch etwas viel Bösartigeres einfallen als dein harmloses Filmchen mit der vergessenen Unterschrift. „Glücksbringer“-Verträge bringen nur einem Glück: dem Eigentümer dieses Finanz-dienstleisters. Das ist jetzt ein richtiger Milliarden-Glückspilz. Auch für den schlechtesten Vertrag ist gleich am Anfang eine fette Abschlussprovision fällig, von der Bank erhält der Vertreter für die Kreditvermittlung eine weitere Provision. Der „Glücksbringer“-Mann hat sein Geld gleich im Sack, die Kunden merken oft erst nach Jahren, dass sie ihres verlieren. Außerdem: Was ist angesichts der Inflation ein heute eingezahlter Euro in 20 Jahren wert? 50 Cent oder 20? Die Inflation kann Zinsgewinne mehr als auffressen. Hahaha.

Ein Saukerl ist das, dieser Glückspilz. Erst hat er mit seiner Lobby eine Herde dummer Politiker beschwatzt, wegen der Bevölkerungspyramide seien die Renten nicht mehr sicher. Dann haben die das verbreitet, damit den Leuten Angst eingejagt und den Finanzhaien die Schäfchen zugetrieben. „Siehst du“, sagt der Chef, „was wir hier machen, ist ganz im Sinne der Politik.“ An dieser Stelle ist es Zeit, die Analyse des Chefs zu bewundern. Der quittiert das mit dankbarem Lächeln und setzt noch einen drauf. „Die Abgeordneten haben das mit der Alterspyramide anstandslos gefressen. Entweder sind das Trottel oder sie wurden bestochen. Der ganze Pyramidenquatsch lässt nämlich die Produktivitätsentwicklung und die Verteilung der steigenden Gewinne völlig außer Acht.“

Karrierebewusste nicken an dieser Stelle und widersprechen dennoch ganz vorsichtig. Die Einheit von starker Zustimmung und leichten Einwänden zeigt dem Chef, wer seine Darlegungen begreift und trotzdem eigene Gedanken hat. Manchmal braucht er Leute mit eigenen Gedanken. Du wendest ein, eine private Altersvorsorge könne aus deiner bescheidenen Sicht trotz allem nützlich sein. „Klar!“, brüllt der Chef. „Aber doch nicht bei diesen Banditen!“

Du darfst jetzt gehen und dich der Banditen-Liebe widmen. Die Szene wird neu gedreht. Mama und Papa unterschreiben und umarmen sich. Am Schluss sagt der „Glücksbringer“-Vertreter: „Da haben Sie ja noch mal Glück gehabt. So einen Vertrag kriegt nicht jeder.“

Flucht ins Wetter

Diesmal ist der Botschafter vom Finanzhai zufrieden. Den Abschnitt mit der Unterschrift sieht er sich gleich dreimal an, klatscht in die Hände und schnalzt mit der Zunge. Jetzt ab mit dem Filmchen ins Fernsehen. „Wissen Sie, wie sauteuer das ist?“, stöhnt der Mann. Der Chef grinst: „Das zahlen doch Ihre Kunden, ist ja eingepreist.“ Der „Glücksbringer“ grinst zurück: „Gott sei Dank ist das so.“ Die Tür fällt ins Schloss. „Da haben wir noch mal Glück gehabt“, sagt der Chef.

Das ist aber nicht von Dauer. Nach ein paar Wochen ruft der „Glücksbringer“ wieder an und storniert den geplanten Folgeauftrag. „So ein sau-, sau-, sau-, saublöder Journalist hat einen Artikel über uns veröffentlicht und unser Produkt diffamiert. Angeblich würden wir die Leute falsch beraten. Jetzt können wir noch nicht einmal mehr den Spot mit der Unterschrift senden. Der geht nämlich nach hinten los. Alles für den Arsch!“

Ist noch was zu retten? Dein Chef weiß Rat. Und du darfst mal wieder etwas lernen. Es geht um die Frage, was jemand tun kann, wenn er ein scheiß Produkt hat, aber trotzdem positiv erwähnt werden will. Das interessiert den Kunden gewaltig. Offenbar zappelt der Mann vor Aufregung so stark, dass sich das durch den Äther überträgt und das Telefon in der Hand des Chefs wackelt. Geld spielt nun wieder keine Rolle. Die Agentur organisiert eine Image-Werbung.

Der „Glücksbringer“ lobpreist nun nicht mehr seine Finanzprodukte, er präsentiert im Fernsehen das Wetter. Irgend jemand hat immer Glück. Mal lacht die Sonne für die Urlauber, mal regnet es für die Bauern. Die Idee ist einfach: Das Glück überträgt sich auf den Über-bringer. Sein Name prägt sich ein, Bekanntheit fördert das Geschäft. Das flutscht solange prächtig, bis selbst das Wetter die Nase voll hat vom „Glücksbringer“. Es fängt an zu regnen und hört tagelang damit nicht mehr auf. Die Flüsse treten über die Ufer, Deiche brechen, Dörfer und Städte werden überflutet. Und immer ist es der „Glücksbringer“, der die neuen Hiobsbotschaften präsentiert.

Wutentbrannt und völlig durchnässt erscheint der Mann vom Finanzdienstleister wieder in eurer Agentur. Der kräftige Kerl möchte deinen Chef am liebsten in den Papierkorb stecken. „Ihr Pfeifen wollt eine Werbeagentur sein!?“, schreit er. „Nicht mal das Wetter habt ihr im Griff!“ Dein Chef flötet angstvoll etwas von Entschuldigung. Er ist schon zur Hälfte unter dem Schreibtisch verschwunden. Dort, ziemlich weit unten, kommt ihm eine neue Idee. Er bietet dem Finanzhai an, den Papst zu präsentieren. Der kommt bald nach Deutschland. Oder Fußballspiele! Fußballspiele sind immer gut! Das machen sogar Brauereien, wenn ihr Bier nicht schmeckt.

Der Mann überlegt kurz. „Was soll ich mit dem Papst? Der ist doch schon halb tot. Wir brauchen was Frisches. Verstehen Sie? Unser Produkt wendet sich nicht an ein greisenhaftes Publikum. Aber Fußballspiele, das ginge vielleicht.“ Krachend fällt die Tür ins Schloss. „Glück gehabt“, murmelt der Chef und kriecht hinter seinem Schreibtisch hervor.

Dir ist nicht wohl bei der Sache. Was ist denn, wenn die eigene Mannschaft zu oft ver- liert? Kommt dann der Schläger vom „Glücksbringer“ wieder? Mit der Vorstellung, er könnte den Chef in den Papierkorb stecken, kannst du zwar ganz gut leben. Allein, was machst du, wenn dem Chef die Flucht gelingt? Besteht in diesem Fall nicht eine gewisse Wahr-scheinlichkeit, dass du stellvertretend im Papierkorb landest? Schließlich ist das böse Wirt-schaftsleben mit der Würde des Menschen häufig nur schwer vereinbar.

Verängstigt schlägst du vor, nur noch wahrheitsgemäße Werbung zu machen, die auch den Kunden des Kunden nutzt. Entgeistert schaut der Chef auf dich. Dann brüllt er los: „Wie kann man nur so blöd sein! Abgesehen von Preissenkungen gibt es keine solche Werbung! Wer die Wahrheit will, der braucht uns nicht!“

Mäuse und Tiger

Und den braucht vor allem der Chef nicht. Es ist dir aber sehr wichtig, gebraucht zu werden. Finanziell wird das sogar von Tag zu Tag wichtiger, weil du wieder mal in der Probezeit gescheitert bist. Warum nur musstest du Esel über die Wahrheit herumschwätzen? So etwas überlässt man den Philosophen. Nicht einmal die kennen sich wirklich mit diesem komplexen Gebilde aus. Manchmal gibt es einen ganzen Sack voller Wahrheiten. Holst du eine heraus, dann schillert sie in vielen Facetten. Wahr ist, dass du dringend einen neuen Job benötigst, wahr ist, dass du einem Dienstherrn keine wahren Erfolge vorweisen kannst, wahr ist, dass du deshalb lügen musst.

Also prahlst du mit deinen neu gewonnenen Marketing-Erfahrungen im Finanzsektor. Fürs Lügen haben die dort zwar schon genug Leute, immerhin glaubt ein Teamleiter vom „Glücksbringer“-Konkurrenten „Pechmeider“, es mal mit dir versuchen zu können. Der nimmt erst mal jeden, den er nicht von vornherein als hoffnungslos dämlich einstuft. Von zehn Angeworbenen, erzählt er, bleibe am Ende vielleicht einer übrig. So gänzlich lässt sich das Pech offenbar nicht vermeiden.

Zunächst einmal muss der „Pechmeider“ herausfinden, ob du eine graue Maus bist. Graue Mäuse eignen sich nämlich nicht für einen Strukturvertrieb. Sie gehen mit der Wahrheit nicht ausreichend innovativ um und bleiben im analotiven stecken. Deshalb bringen sie höchstens einen Versicherungs- oder Geldanlagevertrag pro Woche zustande. Ein innovativer Tiger schafft mindestens zehn. Weil von allen Provisionen Prozente an Teamleiter, Oberteamleiter, Oberoberteamleiter und Fürst Pechmeider abgegeben werden müssen, stellt sich für diese anspruchsvollen Führungskräfte natürlich die Frage: Was ist eine Maus gegen einen Tiger?

Zur Prüfung der animalischen Gen-Lage hat Fürst Pechmeider rund hundert neu Ange-worbene in den Saal eines noblen Hotels zum Vortrag eingeladen. Vornehm ist wichtig, die Leute sollen Geld riechen und Gier entwickeln. Gier ist extrem bedeutsam, sonst wird es nämlich nichts mit dem Pech meiden. Der Fürst im dunklen Cerruti-Smoking, goldener, mit Rosen-Diamanten verzierten Krawattennadel und purpur-schimmerndem Ohrring geht durch die Reihen und fragt schüchterne kleine Menschlein, was sie denn so für Autos fahren.

Du liebe Güte, was kommt da für ein Mist zusammen!: ein 20 Jahre alter verrosteter Ford Fiesta, ein zerbeulter Fiat Panda, ein schon von der Großmutter zerschrammter Opel Corsa, ein Rover, für den der TÜV bestochen wurde, ein Dacia der hässlichsten und billigsten Sorte mit Fensterkurbeln, ein Citroȅn mit mahlenden Radlagern. Aber es gibt noch Schlimmeres. Jemand ist sogar mit einem alten Ost-Moped, einer stinkenden Schwalbe, da. Leute, so geht das nicht! Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wollt ihr wirklich so weiterleben?

Steht endlich auf und kämpft! Setzt euch große Ziele. Nur wer sich große Ziele setzt und hart dafür arbeitet, der wird eines Tages Porsche fahren. Es gibt nur zwei Arten von Men-schen: Die, die Porsche fahren und die, die von einem Porsche überfahren werden. Zu wel-cher Kategorie wollt ihr gehören? Räuspern im Saal. Die meisten haben sich schon entschie-den. Auch du würdest deinen Platz lieber im als unterm Auto finden. Der Oberguru vom „Pechmeider“ hat sogar einen Maserati, mit dem er Leute überfährt.

Wer will den Porsche, Hand hoch!, brüllt der Fürst. Zaghaft melden sich die ersten Menschlein, dann werden es immer mehr. Nur der Mann mit der Schwalbe und ein paar andere Verlierer glauben, dass sie das nicht schaffen. Sie müssen den Saal als ewige Mäuse verlassen. Für den Rest beginnt nun die Metamorphose von der Maus zum Tiger. Der Fürst lässt jeden zum Beweis der Ernsthaftigkeit des Willens einen Tiger nachahmen. Rrrrr, grrrr, rrrrch, grrrch, hallt es aus den Reihen.

Endlich bist du, was du schon immer sein wolltest: ein Tiger. Und Tiger sind gefährlich. Präge dir gut ein: Du bis jetzt gefährlich, gemeingefährlich.

Pyramide fällt um

Als ehemalige graue Maus musst du den Umgang mit einem Tigergebiss freilich erst noch lernen. Dazu wirst du geschult. Sehr zielstrebig, nicht so auf unnütze Allgemeinbildung ver-sessen, wie es die Pauker in der Schule für richtig halten. Als Erstes ist das Kapitel Gefühl dran. Dem Fürsten Pechmeider tun die Menschen in diesem Land sehr leid. Nicht nur die Armen, denen ist ohnehin nicht zu helfen. Es ist die breite Schicht zwischen arm und reich, die im Alter ebenfalls leicht in Not geraten kann, wenn sie nicht rechtzeitig vorsorgt. „Können Sie von der staatlichen Rente Leben?!“, brüllt der Fürst in den Raum und tippt auf eine junge Frau. Erschrocken fährt die zusammen und stammelt: „Ich, ich, ich weiß nicht.“ Der Oberguru wird noch lauter: „Falsche Antwort!“, schmettert er. Die Frau besinnt sich und wimmert: „Wohl eher nicht.“ Der Fürst klatscht in die Hände: „Richtige Antwort!“

Wenn etwas zum Tiger-Handwerk gehört, dann das Wissen, dass die armen Schweine mit ihrer normalen Rente nicht froh werden. Der Lehrmeister wirft mit dem Projektor ein Bild auf die Leinwand. Es zeigt eine Pyramide. Toll, wie die alten Ägypter das hingekriegt haben. Dann dreht er das Bild auf den Kopf. So sehen heute unsere Pyramiden aus. Die fallen um. Peng! Warum? Keine Verantwortung mehr in der Gesellschaft. Die Leute bekommen zu wenig Nachwuchs. Die vögeln wie die Wilden, aber sie vögeln nicht für die Pyramide: der fehlen die Kinder. Ein Desaster ist das für alle und ein Desaster für die im Umlageverfahren zu erwirtschaftenden staatlichen Renten. Früher hat es mehr junge als alte Menschen gegeben, jetzt kehrt sich das um, künftig können die Jungen die Renten für die Alten nicht mehr erwirtschaften. Und die leben auch noch viel länger.

Aber wie? Wollen wir das leben oder vegetieren nennen - mit so wenig Geld? Reisen? Größere Anschaffungen? Ausgehen? Mal gut im Restaurant speisen? Vergiss es. Jede Hose musst du beim Sozialamt beantragen. Und dort sind die Warteräume knüppeldickevoll. Jeder, der darüber nachdenkt, hat Angst vor der Zukunft. „Und Ihre Aufgabe ist es, die Kunden zu diesem Denken zu bringen! Die sollen ruhig Angst fühlen. Das ist der Zeitpunkt, ihnen eine Lösung anzubieten. Mit unseren Finanzprodukten können die Leute das Pech der Altersarmut meiden. Machen Sie deren Nachdenken zu Ihrer Provision!“

Du erinnerst dich, was dein Chef bei der Agentur über die Pyramide gesagt hat? Mund halten, sonst bis du gleich wieder draußen. Einen schöneren Job kannst du dir gar nicht vorstellen: Wenn andere denken, bekommst du Geld. Das müsste klappen. Die Leute können das mit dem Denken sowieso nicht lassen. Die halten das für was Gutes und denken unent-wegt. Du brauchst das Denken nur in die richtigen Bahnen zu leiten.

Nur einer im Saal denkt nicht in den richtigen Bahnen. Das muss so ein abgehalfterter Statistiker oder Galerie-Direktor sein. Der Mann will völlig sinnlos mit seiner Bildung prah-len und erklärt, das mit der Pyramide könne so nicht stimmen. Adolph von Menzel habe 1875 sein berühmtes Gemäde „Das Eisenwalzwerk“ fertiggestellt. Darauf habe er 50 Arbeiter ge-zählt. Heute würden fünf Arbeiter wahrscheinlich das tausendfache an Werten schaffen. Wichtiger als eine Menschenpyramide sei für die Rente folglich die Produktivitätspyramide.

Der Fürst ist außer sich. Klugscheißer kann er nicht gebrauchen. Solchen Personen ent-gleitet das Denken wer weiß wohin. Wie soll jemand etwas verkaufen, wenn er sein Denken nicht im Griff hat? „Sie werden nie ein Tiger!“, brüllt der Fürst und legt dem Mann nahe, den Raum zu verlassen. Trotzig wie der ist, befolgt er den Rat, und der Oberguru beruhigt sich wieder. Er philosophiert nun darüber, wie wichtig es ist, keine Zweifel zu haben. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Verkäufer als Zweifel. Zweifel übertragen sich auf den Kunden. Er fängt dann an, falsch zu denken. Wenn Sie es so weit kommen lassen, kriegen Sie nie eine Unterschrift. Dann werden Sie nie als Tiger Porsche fahren, sondern ewig als graue Maus auf dem Moped sitzen.

Aus dem bösen Wirtschaftsleben

Подняться наверх