Читать книгу Aus dem bösen Wirtschaftsleben - Rolf Anton Bartonek - Страница 8

Sprachregelungen

Оглавление

Unter Beachtung dieser Spielregeln hast du das Unwahrscheinliche geschafft und einen Leitungsposten ergattert. Da schwebst du nun herum und bist bemüht, dich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Denn im Grunde weißt du schon, wie sehr dir alle Voraus-setzungen für die erreichte Position fehlen. Immerhin verdienst du schönes Geld und kannst andere vor dir kuschen lassen. Mit der Firma geht es nun bergab. Den großen Chef hast du insgeheim schon immer als blöd eingestuft. Und deine eigene Begabung reicht schon gar nicht aus, um Innovationen hervorzubringen. Es gibt also keine ertragreichen neuen Produkte, mit denen sich ausreichend Profit erwirtschaften lässt.

Jetzt musst du zwei Dinge tun. Erstens analysieren, wie du von dem bisschen Gewinn noch einen möglichst großen Batzen auf dein privates Konto transferieren kannst. Schließlich hast du dich jahrelang für die Firma abgestrampelt. Der hat das zwar nicht geholfen, aber das tut im Moment nichts zur Sache. Zweitens musst du den großen Chef davon überzeugen, dass du im Falle eines Untergangs ins Rettungsboot gehörst, weil du genau so unschuldig an der Misere bist wie er. Es sind die widrigen Umstände, die die Oberhand behielten. Beeile dich. Denn ein Eisberg schwimmt schon ganz dicht vor dem Unternehmens-Schiff. Bald gibt es ein großes Krachen. Die paar Rettungsboote reichen wie üblich nicht für alle. Ein erhebli-cher Teil der Belegschaft wird ersaufen.

Beim großen Chef kannst du in dieser Situation vor allem punkten, wenn du die Sprach-regelung exakt einhältst. Ihr habt den Dampfer nicht gegen den Eisberg gefahren, die Strö-mung des Weltmarktes hat ihn dort hingetrieben. Das macht nun den Umstieg in die Ret-tungsboote notwendig, weil kleinere Einheiten viel flexibler sind. Dumme Ökonomen nennen das gesundschrumpfen, kluge sprechen von Restrukturierung mit anschließender Konsoli-dierung. Haltet euch an die klugen. Andernfalls könnte einigen auffallen, dass die An-gelegenheit für diejenigen, die im kalten Wasser landen, gar nicht so gesund ist.

Da wirken dann selbst positive Bezeichnungen wie sozialverträglicher Beschäftigungs-abbau irritierend. Der Begriff ist zu schwammig. Was ist damit gemeint? Dass es genügend Fische im Wasser gibt als Ernährungsgrundlage für die über Bord Gegangenen? Nein, Wörter wie Restrukturierung, Konsolidierung, Modernisierung und Anpassung sind wirklich besser geeignet. Ihnen fehlt die Aussage „gesund“ als Bestandteil. Folglich heizen sie die Stimmung nicht zusätzlich unnötig auf.

Wenn ihr endlich glücklich im Rettungsboot sitzt, wird es höchste Zeit, eine neue Losung auszugeben. Die Sprachregelung heißt nun „Gürtel enger schnallen“ und „durchstarten“. Das mit dem Gürtel nimmt die Belegschaft hin. Schließlich haben die Leute noch die Bilder vom Untergang vor Augen. Und „durchstarten“ kommt garantiert gut an. Flugzeuge starten durch und erheben sich in schwindelerregende Höhen. So einen Höhenflug haben alle gern. Eine Weile fliegt ihr auch, denn der Ballast ist abgesoffen, oder, in der neuen Luftfahrtsprache: abgeworfen. Das senkt die Kosten und macht die Firma für den großen Chef wieder attraktiv. Sieh zu, dass du was abbekommst.

Dauerhaft sind eure Probleme freilich nicht gelöst. Denn ihr habt immer noch keine guten neuen Produkte und immer noch keine brauchbaren Ideen. Allmählich schwant dir, dass ein Flugzeug abstürzen kann. So ist das eben, wenn man durchstartet und nicht weiß, wohin. Bei deinem Chef wächst die Einsicht, vielleicht doch kein Genie zu sein. Er gibt die Sprach-regelung von den schwierigen Rohstoffmärkten und der asiatischen Billigkonkurrenz heraus. Die Firma hat schon wieder Schulden und viele Gläubiger. Die Mitarbeiter bekommen Angst. Die Sprachregelung ist optimistisch und lautet: „Einen preußischen Leutnant, der Schulden hat, schickt man nicht an die Front“.

Du solltest dir da nicht so sicher sein. Es ist jetzt höchste Zeit, dich bei anderen Unter-nehmen in Bewerbungsgesprächen von deinem unfähigen Chef zu distanzieren.

Aus dem bösen Wirtschaftsleben

Подняться наверх