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Zu nichts machen

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Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, zeigen sich immer wieder Machtkämpfe, in denen Verachtung, Boykott, Isolierung einerseits, Verbannungen und Deportationen andererseits als Mittel zur gezielten psychischen Vernichtung angewandt wurden. Das hat seinen Anfang bei ungewollten, ungeliebten Kindern, setzt sich in der Schule fort, wo Lehrkräfte unbewusst die Schüler bevorzugen, die ihren Erwartungen entsprechen, führt über die geheimen Auswahlkriterien beliebter Teenager, Partnerpersonen und Mitarbeiter bis zu den Wahlmodalitäten für politische Mandatare – und dem Umgang mit den Konkurrenten und Opponenten, die durch den Psychoterror der Ignoranz und Exklusion zum Aufgeben veranlasst werden sollen.

Aber nicht nur auf national- und religionspolitischen Ebenen kann man den Ausschluss aus der sozialen Gemeinschaft als Attacken auf die psychosoziale Gesundheit beobachten – auch in kleineren Gruppen, in denen Nähe eigentlich zu Mitgefühl und Kooperation motivieren sollte, wie Arbeitsteams, Nachbarschaften und leider auch in Familien, wird versucht, Menschen mittels gewaltsamer Ausgrenzung oder Ausschlussandrohungen zur Anpassung zu zwingen. Vor allem Frauen und all diejenigen, von denen man keine körperliche Gegenwehr erwarten musste.

Es ist knapp hundert Jahre her, dass Frauen von Bildung, Selbstbestimmung und politischen Rechten ausgeschlossen waren, und das mit Berufung auf Natur und Gottgewolltheit, später mit absurden Argumenten wie dem vom kleineren Gehirngewicht im unfairen Vergleich zu dem des – meist größeren und schwereren – Mannes begründet wurde (statt die Vernetzungsdichte zu bewerten, von der bekanntlich die Intelligenz abhängt). Wie es den Frauen psychisch ging, in denen ein wissensdurstiger Geist, ein kämpferisches Naturell und ein starkes Herz brannten, war uninteressant – sie hatten sich der verordneten Rollenteilung zu fügen. Vielen blieb nur der Rückzug in eine einsame Traumwelt.

Behilflich bei diesen mentalen Vergewaltigungen rollenbildferner Personen waren immer schon die Medien, denken wir etwa an Friedrich Schillers »Lied von der Glocke«, das meine Generation noch auswendig lernen musste, damit die Ideologie sich nur ja im semantischen Gedächtnis verankert. Darin finden sich die rollenzuweisenden Zeilen: »Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben,| Muss wirken und streben | Und pflanzen und schaffen | Erlisten, erraffen | Muss wetten und wagen | Das Glück zu erjagen.« Und »Drinnen waltet | Die züchtige Hausfrau, | Die Mutter der Kinder, Und herrschet weise | Im häuslichen Kreise, | Und lehret die Mädchen | Und wehret den Knaben, | Und regt ohne Ende | Die fleißigen Hände, | Und mehret den Gewinn | Mit ordnendem Sinn.«27

Männer, die das soldatische Heldentum verweigerten, wie auch Frauen, die nicht daheim walten wollten, sondern etwa die Natur studieren und ihre Heilmittel, wurden verfolgt und ermordet – oder sie vermieden die als verständnislos bzw. feindlich erlebte Gesellschaft. Diese Angst vor Vernichtung lebt noch immer im kulturellen Gedächtnis und wird durch die Werke von Dichtern und Schriftstellern am Leben erhalten.28

Rollenteilung wird noch immer von vielen als naturgegebene Arbeitsteilung verteidigt. Dabei ist sie ein historisch-politisches Konstrukt, das in bestimmten Zeiten und Regionen von den jeweils Herrschenden nach deren Interessen – beispielsweise zur Sicherung legitimer Nachkommenschaft oder der Verheiratung aus ökonomischen oder dynastischen Gründen gegen den Willen der Frau – verordnet wurde. Dass dazu mögliche Liebespaare in Isolation gehalten werden mussten, war klar; wohin das führen konnte, zeigte William Shakespeare in seinem Drama Romeo und Julia – aber auch so mancher Bericht in der Tagespresse über die »mittelalterlichen« Gebräuche in anderen Kulturen.

Der einsame Mensch

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