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1Urgründe der Einsamkeit Warum Einsamkeit so bedrohlich ist

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IRENE SUCHY6

Wir alle haben eine Biografie der Einsamkeit.

Wenn man die Entstehungsgeschichte von Empfindungen, Gefühlen, Fantasien und Gedanken zurückverfolgt, gelangt man immer irgendwann einmal zu einem Punkt, wo nur »ein Einziges« vorhanden ist. Ein Urgrund. Ruhe. Aber plötzlich geschieht etwas, es erhöht sich energetische Spannung, und dann entsteht eine Art von Teilung, Abspaltung und damit auch Vermehrung: Aus dem Ursprünglichen erwächst etwas anderes, Neues. Und das macht Hoffnung. Man fühlt sich erwartungsfroh, lebendig.

Und dann hofft man auch, mit oder in dem anderen wieder zu dem ungestörten Gefühl des Eins-Seins zu gelangen, des Einig-Seins, in dem nichts fehlt, in dem man sich erfüllt fühlt.

Der umstrittene altösterreichische Psychiater und Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897–1957) beschreibt einen solchen biologischen Vorgang mit folgenden Worten: »Nichtlebende Substanz pulsiert nicht, lebende Substanz pulsiert. Genau am Übergang von der Unbewegtheit zur pulsatorischen Bewegtheit ist die Lösung des Rätsels der Biogenese7 zu suchen. Diese Übergangsstelle lässt sich tatsächlich mikroskopisch beobachten und filmisch festhalten.«8 Anders formuliert: Alles Leben ist Bewegung, und solange man noch nicht erkannt hat, wie man sich selbst in Bewegung bringen kann – wie man also »etwas anregendes anderes« in sich selbst schaffen kann –, braucht man einen Impuls von außen.

Der erste Schritt dazu besteht in der Sehnsucht, dass »etwas passiert« – dass etwas von außen herankommt, eine spendende Mutterfigur oder eine lobende Vatergestalt, ein »Deus ex Machina«9 oder eben eine alltagstaugliche Partnerperson. In der Fantasie kann man sich dieses liebevolle Du perfekt idealisieren – solange man es nur erträumt.

In der realen Praxis wird man dann früher oder später enttäuscht – so wie es in einem Gedichtchen von Joachim Ringelnatz heißt: »Wenn man das zierlichste Näschen | Von seiner liebsten Braut | Durch ein Vergrößerungsgläschen | Näher beschaut, | Dann zeigen sich haarige Berge, | Dass einem graut.«10

Wen wundert’s, dass viele den Schritt in die Nähe vermeiden – und dies nicht nur, weil sie nicht wissen, wie sie ihn anlegen sollen, oder weil sie von ihren wesentlichen Erziehungspersonen davor gewarnt wurden, Bindungen einzugehen, sondern auch aufgrund schlechter Erfahrungen. Eigener oder fremder. Beispielsweise der der Mutter. Denn es sollte nicht unterschätzt werden, wie sehr in der gegenwärtig so scheidungsfreudigen Zeit die immer wieder aufgenommene erfolglose Suche der Mutter nach einem beziehungsmutigen Partner verlassene Kinder beeinflusst.

Der einsame Mensch

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