Читать книгу Der einsame Mensch - Rotraud A. Perner - Страница 21

Liebeszauber

Оглавление

Man muss sich die Biografien und die Gesichter derjenigen genau ansehen, die sich im Gefolge der mittelalterlichen »weisen Frauen« und Männer als Gurus inszenieren, denn viele wechseln in völliger Selbstüberschätzung einfach von der Schülerseite des Schreibtisches auf die Lehrerseite. So erinnere ich mich an ein Seminar an einer Volkshochschule in einer mittelgroßen Stadt, das Thema habe ich vergessen, an dem ein ältlicher Landwirt teilnahm und auf meine Frage an die Besucherschaft, weswegen sie diese Veranstaltung besuchten, antwortete, er habe bereits einmal so ein ähnliches Seminar besucht und das habe ihm so gefallen, dass er jetzt entschlossen sei, eine »Schule des Lebens« zu eröffnen und selbst Seminare abzuhalten, weil er könne das ja alles – nämlich den Leuten sagen, was sie tun sollten – selbst auch. Ähnlich erlebte ich, dass eine Frau, die unbedingt bei mir mitarbeiten wollte, auf meine Aufforderung, sie wolle doch bitte zuerst ihre Qualifikation ausweisen, eine Liste von völlig unterschiedlichen Vorträgen und Ein-Tages-Seminaren vorlegte, die sie besucht hatte, darunter auch solche bei mir; ich lehnte mit dem Vergleich ab, dass jemand, der gelegentlich Profiköchen beim Kochen zugesehen habe, sich auch nicht als gelernte Köchin verdingen dürfe – außer sie hätte über lange Zeit im eigenen Unternehmen alle Hürden und Kontrollen der Gewerbebehörden und Restaurantkritiker gemeistert. Aber genau da zeigt sich wieder das Vermeiden von Nähe: Statt sich in einer »Lehrzeit« der Konkurrenz zu stellen, was sicherlich öfters Stress auslösen mag, wird im »Alleingang« versucht, sich einen »Schein« (im Doppelsinn des Wortes) als Nachweis von Kompetenz zu kaufen oder über den Umweg von Tauschgeschäften kostenlos zu organisieren.

Dahinter verbirgt sich die Fantasie, nur über solch eine »Absolution« anerkannt und vielleicht sogar geschätzt und geliebt zu werden. Manche sind einfach schlau und nützen alle Schlupflöcher aus – aber auch hinter diesem »unethischen« Verhalten liegen alte Verwundungen; meist fühlten sich diese Menschen gegenüber einer »besser gestellten« Mitschülerschaft im Nachteil, durften ihre Potenziale nicht leben, haderten mit ihrem Schicksal und schworen sich insgeheim, »hinauf«kommen zu wollen, egal um welchen Preis. Ich kenne Männer und noch mehr Frauen, die nur in ihre »Außenfassade« Zeit und Energie investieren, ihre innere Reifung aber vernachlässigen. Bei Joachim Bauer findet sich der Satz: »Unsere neurobiologischen Potenziale entfalten sich nur in unterstützenden sozialen Kontexten«45, und dazu zählt auch »die Fähigkeit zur Übersicht über ein System mehrerer miteinander interagierender Menschen, die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen und abzuschätzen, welche Folgen das eigene Verhalten auf das Verhalten anderer haben wird.«46 Zum Beispiel die Folge, »gewogen und zu leicht befunden« zu werden.

Selbst die sogenannten »geborenen« Eigenbrötler haben Negativerfahrungen mit Konkurrenz und oft fühlen sie sich zu Recht benachteiligt.

Ich finde es daher unabdingbar, Lehrkräften praktisches Rüstzeug zum Erkennen und Vermeiden von durch pädagogische Fehler ausgelösten Traumatisierungen zu vermitteln. Dazu ist es notwendig, dass sie sich mit ihren eigenen Dominanzbedürfnissen auseinandersetzen. Bindung, Akzeptanz und Zugehörigkeit seien überlebenswichtig, betont Joachim Bauer.47 Sie betreffen nicht nur die ersten Lebensjahre daheim, sondern jeden Eintritt in eine andere Lebensphase bzw. in ein anderes »System« – wie das »System« Schule oder Arbeitswelt.

Der einsame Mensch

Подняться наверх