Читать книгу Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer - Страница 29

3.

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Die Vorpiek der „Isabella“ wurde von den Seewölfen seit jeher als „Vorhof zur Hölle“ bezeichnet.

Ein finsteres Loch, stickig, mörderisch heiß, von Ratten bewohnt und mit Gerüchen erfüllt, die auch dem härtesten Burschen den Magen umdrehen konnten. Unter der Gräting, auf der Ben Brighton, Big Old Shane und Stenmark kauerten, schwappte stinkendes Bilgewasser. Mehr als zwei Stunden hielten es die Männer jetzt schon hier aus, und ihr einziger Trost war, daß sie es freiwillig taten.

Was sich an Deck der „Isabella“ abspielte, nahmen sie nur als dumpfes Schrittegetrampel wahr, das sich vor ein paar Minuten für kurze Zeit zu wilder Heftigkeit gesteigert hatte.

„Scheint so, als ob sie sich prügeln“, sagte Stenmark mit gerunzelter Stirn.

„Sollen sie“, brummte Big Old Shane. Genausowenig wie Stenmark und Ben Brighton konnte er wissen, daß die Piraten Dan O’Flynn und Batuti mit an Bord geschleppt hatten. „Ich hoffe, sie schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Um so leichter können wir sie dann später auseinandernehmen.“

„Später“, wiederholte Stenmark angewidert. „Müssen wir wirklich erst die Nacht abwarten?“

Ben Brighton nickte nachdrücklich. „Doch, Sten. Wir sind darauf angewiesen, Jean Morro in seiner Kammer zu überraschen. Wir können nicht zu dritt gegen eine ganze Schiffsmannschaft kämpfen.“

Stenmark zuckte mit den Schultern. Dem blonden Schweden war anzusehen, daß er sich in einer Stimmung befand, in der er notfalls auch ganz allein über die Piratenbande hergefallen wäre.

Big Old Shane preßte die Zähne zusammen. Das verwitterte, graubärtige Gesicht des früheren Waffenmeisters von Arwenack wirkte wie aus Stein gemeißelt. Seine Fäuste schlossen sich fester um die Eisenstange, die er als Waffe benutzte.

„Ich bin nicht mal so sicher, ob es wirklich gut ist, die Nacht abzuwarten“, sagte er in seiner langsamen, bedächtigen Art. „Es sei denn, wir verlassen uns blindlings darauf, daß es so läuft, wie wir es uns vorstellen.“

„Dafür steht zu viel auf dem Spiel.“ Ben Brighton hob fragend die Brauen. Er wußte, daß der graubärtige Alte einen ganz bestimmten Gedankengang verfolgte.

Shane bewegte die mächtigen Schultern. „Angenommen, wir schaffen es nicht! Wenn die Piraten auf Jean Morros Leben keine Rücksicht nehmen, müssen wir kämpfen, und wie das ausgeht, mag der Teufel wissen. Wenn alle Stricke reißen, bleibt uns immer noch die Möglichkeit, von Bord zu verschwinden. Jetzt! Heute nacht wird sich die ‚Isabella‘ schon zu weit von der Insel entfernt haben, um zurückzuschwimmen.“

„Zurückschwimmen?“ stieß Stenmark durch die Zähne. „Und uns von den Haien anknabbern lassen?“

„Shane redet vom äußersten Notfall, Sten. Besser vielleicht im Bauch eines Hais als mit Sicherheit an der Rahnock, oder?“

„Aber dafür stehen unsere Chancen besser, wenn wir die Dunkelheit abwarten“, führte Big Old Shane seine eigenen Überlegungen weiter. „Ich glaube …“

Er konnte den Satz nicht mehr beenden.

Jäher Lärm ließ ihn den Kopf heben. Schritte näherten sich, die Schritte von mindestens sechs, sieben Männern.

„Verdammt“, stieß Stenmark durch die Zähne.

„Ruhig“, sagte Ben Brighton mit schmalen Augen. „Vielleicht untersuchen sie nur das Schiff, die Laderäume …“

Er stockte abrupt.

Die Schritte waren jetzt deutlicher zu hören. Es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie sich der Vorpiek näherten.

Ben Brighton und Stenmark griffen schweigend nach ihren Pistolen. Big Old Shane richtete sich auf und glitt in den toten Winkel neben dem Schott. Die Schritte verhielten, dann erklang eine heisere, verzerrte und dennoch unverkennbare Stimme.

„Nimm deine Pfoten weg, du Sohn einer verlausten Wanderhure! Laß mich erst wieder die Hände frei haben, dann verarbeite ich dich zu Haferbrei, du verdammter, widerlicher …“

Ein klatschendes Geräusch erstickte die Stimme. Aber es war eindeutig die Stimme von Dan O’Flynn gewesen.

Die drei Männer in der Vorpiek starrten entgeistert das Schott an, das im selben Augenblick aufflog.

Eine Gestalt taumelte herein, ein hünenhafter Schatten, der stolperte, mit den gefesselten Händen das Gleichgewicht nicht halten konnte und auf die Gräting prallte.

Batuti, durchzuckte es Ben Brighton, und im selben Moment wurde auch Dan O’Flynn mit einem brutalen Stoß in die Vorpiek befördert.

Tanzendes Lampenlicht fiel in das finstere Loch.

Der Widerschein streifte die Gesichter von drei, vier Männern.

Sie grinsten hämisch. Einer von ihnen kicherte im Tonfall satter Zufriedenheit. Keine Sekunde später wurden ihre Mienen zu verzerrten Grimassen.

Gellend schrie einer der Kerle auf.

„N-n-nein …“ stammelte jemand im Hintergrund.

Die Männer glaubten, Gespenster zu sehen. Der bullige Pepe le Moco war der erste, der sich blindlings herumwarf und flüchtete.

Unter Vollzeug segelte „Eiliger Drache über den Wassern“ nach Südwesten.

Der Wind wehte raumschots, der schwarze Segler lag über Steuerbord und lief gute Fahrt. Die Stürme der letzten Tage hatten ihn weit nach Norden verschlagen, der Ruderschaden, der aufgetreten war, hatte ein übriges getan, um die Fühlung zwischen der „Isabella“ und dem „Drachen“ abreißen zu lassen. Aber Siri-Tong, Thorfin Njal und die anderen glaubten nicht, daß es besonders schwer sein würde, die Seewölfe wiederzufinden.

„Eiliger Drache“ war mit seinen vier Masten ein außergewöhnlich schnelles Schiff. Und das gemeinsame Ziel stand fest: der geheimnisvolle Westen, jene unbekannten Inseln inmitten der endlosen Wasserwüste zwischen der Westküste der neuen Welt und Siri-Tongs Heimat.

Die Rote Korsarin stand aufrecht auf dem Achterkastell und ließ ihr langes schwarzes Haar im Wind flattern. Ab und zu wanderte ihr Blick zu der riesenhaften, in Felle gekleideten Gestalt des Wikingers am Kolderstock.

Thorfin Njal trennte sich – genau wie Eike, Arne, Olig und der Stör – auch in der schlimmsten tropischen Hitze nicht von seiner gewohnten Kleidung. Und seinen alten, zerbeulten Kupferhelm abzunehmen, wäre ihm erst recht nicht eingefallen.

Im Augenblick steuerte er einen Kurs, bei dem das Kielwasser wie mit dem Lineal gezogen wirkte. In seinen mächtigen, schwieligen Fäusten nahm sich der Kolderstock wie ein Kinderspielzeug aus. Der schwarze Segler lief wie Samt und Seide. An Deck war es ruhig. Nur ab und zu unterbrachen knappe Segelkommandos die Stille, die Schreie der Seevögel, das Plätschern der Wogen gegen den Schiffsrumpf.

Auf der Kuhl döste Mißjöh Buveur vor sich hin, eine Flasche in der Faust, aber da er Freiwache hatte, verzichtete Siri-Tong darauf, ihn wegen der Sauferei zusammenzustauchen.

Dafür begann plötzlich Cookie, der Koch, lautstark zu lamentieren.

Wie eine Wildkatze fuhr er auf Mißjöh Buveur zu und versuchte, ihm die Flasche zu entreißen. Der untersetzte Mann wehrte sich. Binnen Sekunden war ein wildes Gerangel im Gange, das erst Siri-Tongs scharfer Zuruf stoppte.

„Er hat geklaut!“ zeterte der schmierige, dickliche Koch. „Er hat den Kokosnuß-Schnaps aus der Kombüse …“

„Kokosnuß-Schnaps?“ fragte die Rote Korsarin.

Cookie schluckte erschrocken. In seiner Aufregung fuhr er sich mit allen fünf Fingern durchs Haar – und dieses Haar war fast einen halben Yard lang und mit Öl von rechts nach links an den Schädel geklebt, um eine kahle Stelle zu verdecken. Rod Bennet, genannt Cookie, sah in Sekundenschnelle aus, als habe ihm jemand einen Eimer Algen über den Kopf gekippt.

„Das – das ist ein Rezept von den Eingeborenen“, stotterte er. „Man – man bohrt Löcher in die Kokosnüsse, damit Luft an die Milch dringt. Dann stopft man die Löcher wieder zu. Na ja, und dann wird mit der Zeit eben Schnaps daraus.“

„So“, sagte Siri-Tong.

Cookie sagte gar nichts, sondern fuhr fort, seine Haarpracht zu verwirren. Er wußte genau, was jetzt folgen würde.

„Kannst du dich vielleicht noch entsinnen, warum wir die Kokosnüsse in den Laderaum gepackt haben, Mister Bennet?“ fragte die Rote Korsarin gefährlich sanft.

„Als – als Verpflegung, Madam!“

„Nicht, damit du dir deinen Privatschnaps daraus herstellst?“

„N-nein, Madam!“

Siri-Tong atmete tief durch. Ihr Gesicht wirkte steinern. Sie überlegte noch, wozu sie den Sündenbock verdonnern sollte, da wurde sie unterbrochen.

„Deck!“ ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen Backbord voraus!“

„Ho!“ brüllte der Wikinger. „Das muß die alte ‚Isabella‘ sein! Kannst du sie erkennen?“

Hilo sah im Augenblick nur drei Mastspitzen, haarfeine Nadeln über der Kimm, und es würde auch noch eine Weile dauern, bis er mehr erkennen konnte. Siri-Tong wollte sich wieder dem Koch zuwenden, der sich an den Vorräten vergriffen hatte, aber der war inzwischen verschwunden.

Dafür drang gedämpftes Wehgeschrei durch das geschlossene Kombüsenschott.

Siri-Tong wandte sich ab. Sie gab vor, nichts zu hören, aber sie wußte, was jetzt passierte, genau wie die Wikinger, der Boston-Mann und der Rest der Crew, die sich eins grinsten.

Der Koch wurde gebraucht.

Man konnte keine der üblichen Disziplinarstrafen über ihn verhängen, ohne daß die gesamte Mannschaft darunter litt. Aber die rauhen Kerle hatten da im Laufe der Zeit ihre eigene Methode entwickelt.

Dazu brauchten sie nichts weiter als die heiße Herdplatte in der Kombüse.

Und danach wurde meist sogar das Essen, das der Koch zustande brachte, etwas besser. Allerdings nur für eine Weile. Ungefähr genauso lange, wie Cookie auf dem Bauch schlief und es sorgfältig vermied, sich hinzusetzen.

Das Geschrei verstummte allmählich.

Dabei polterte es – vermutlich flogen Töpfe und Pfannen durch die Kombüse. Ein paar Minuten später war auch das vorbei, und die Männer, die leicht zerrauft auf die Kuhl zurückkehrten, widmeten ihre Aufmerksamkeit nun ebenfalls dem Schiff, das der Ausguck gesichtet hatte.

Nur Cookie ließ sich nicht sehen.

Er heulte fast vor Wut. Am liebsten hätte er sich mit einer Kakerlaken-Suppe oder etwas ähnlichem revanchiert, aber dafür hatte ihm die Herdplatte als Sitzplatz denn doch zu wenig gefallen.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte in der Vorpiek der „Isabella VIII.“ eine Stille geherrscht, wie man sie im Zentrum, im „Auge“ eines Wirbelsturms findet.

Esmeraldos Aufschrei und die Art, wie sich Pepe le Moco jählings herumwarf, wirkten als Signal. Dann ging alles so schnell, daß die Männer des Bretonen es im einzelnen erst viel später begriffen.

„Arwenack!“ schrie Dan O’Flynn, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war und überhaupt nichts unternehmen konnte.

„Arwenack!“ brüllten Batuti, Stenmark und Big Old Shane im Chor, und die Piraten erhielten endgültig den Eindruck, als habe die Hölle selber ihre Dämonen ausgespuckt.

Vier Mann wollten sich gleichzeitig zur Flucht wenden.

In dem engen Durchlaß des Schotts war das etwas schwierig. Für einen Moment behinderten sich die Kerle gegenseitig, und der erste, der handelte, war Big Old Shane.

Wie ein angreifender Stier senkte er den Schädel und stürmte einfach in die schwankende Front seiner Gegner.

Die beiden mittleren Kerle torkelten zurück wie von einem Rammsporn getroffen. Einer von ihnen stieß einen gurgelnden Schrei aus und klappte zusammen. Der zweite ruderte verzweifelt mit den Armen, um nicht zu fallen. Dabei ließ er die Öllampe los, die er getragen hatte. Im Bogen flog sie durch den kleinen Laderaum unter dem Vordeck der „Isabella“, knallte auf den Boden und ging in Scherben.

„Feuer!“ kreischte einer der Piraten entsetzt. „Feuer! Feu …“

Er verstummte, weil Ben Brighton ihm die Faust in die Zähne geschlagen hatte.

Dem letzten Mann, der noch völlig verdattert im Schott stand und nicht wußte, wie ihm geschah, verpaßte Stenmark ein Ding in die Magengrube.

„Uuuiiie“, gurgelte der Kerl. Dabei quollen ihm fast die Augen aus den Höhlen. Den Weg gab er erst frei, als Stenmark ihn am Kragen packte und kurzerhand in die Vorpiek beförderte.

„Was soll das denn?“ schrie Dan O’Flynn aufgebracht, als der Bursche über ihm landete.

„Feuer!“ schrien jetzt auch andere Stimmen. Tatsächlich tanzten ein paar Flämmchen auf den Planken des Laderaums. Feuer stellte auf einem Schiff eine furchtbare Gefahr dar. Vor allem auf einem Schiff mit schwerer Armierung und entsprechenden Pulvervorräten, die verhältnismäßig trocken gehalten werden mußten, damit sie im Bedarfsfall funktionierten.

Ben Brighton wollte sich auf die Flammen stürzen, aber einer der kopflosen Piraten rannte ihm – vielleicht in gleicher Absicht – vor die Füße.

Der ruhige, besonnene Bootsmann brauchte immer einen kleinen Anlauf, um richtig in Fahrt zu geraten. Jetzt war es soweit. Nur mit halbem Ohr nahm Ben Brighton das Gebrüll an Deck wahr, wo Pepe le Moco vermutlich den Rest der Crew alarmierte. Er sah das Feuernest, und er sah den keuchenden Kerl dicht vor sich. Es war der, den sie den „anderen Burgunder“ nannten, aber das konnte Ben Brighton nicht wissen.

Er trat den Burschen mit Wucht vor das Schienbein, rammte ihm die Faust ins Gesicht, als er sich jaulend zusammenkrümmte, und schlug ihm zum Abschluß noch von oben aufs Haupt – was entschieden mehr war, als der „andere Burgunder“ vertragen konnte.

Er sackte sang- und klanglos in sich zusammen.

Ben Brighton wirbelte herum, suchte das Feuer und sah statt dessen einen um sich schlagenden Schatten durch die Luft fliegen. Der einäugige Esmeraldo überschlug sich zweimal und krachte auf die Planken. Die riesige Faust des Waffenmeisters von Arwenack hatte den Piraten genau dahin befördert, wo Shane ihn hinhaben wollte: auf die Flammen, die unter dem Anprall zum Glück erstickten.

Jäh breitete sich Dunkelheit aus.

Eine Dunkelheit, die erfüllt war von Stöhnen, Geschrei und keuchenden Atemzügen.

„Da!“ knurrte Stenmarks Stimme. „Und da – und da – und das auch noch …“

Jedes „da“ wurde von einem klatschenden Geräusch begleitet. Der Empfänger der Hiebe wimmerte zum Steinerweichen. Irgendwo erklangen tiefe, grollende Atemzüge, die nur aus dem mächtigen Brustkasten von Big Old Shane stammen konnten. Ben Brighton riß sich die Jacke vom Leib, um den Rest des brennenden Öls zu löschen.

Als er die letzten Funken austrat, sprang ihm jemand von hinten in den Nacken.

Ben spürte heißen Atem über sein Ohr streichen und feuerte einen Ellenbogen nach hinten. Der Pirat ließ los. Nicht nur das: Er segelte auch noch ein Stück durch die Luft. Unglücklicherweise prallte er im Dunkeln gegen Big Old Shane, und der graubärtige Alte lehrte den Burschen endgültig das Fliegen.

Wo der Kerl landete, war nicht zu überhören, weniger wegen des Aufpralls als wegen des Empörungsschreis, der aus der Vorpiek ertönte. Dan O’Flynn fand es ausgesprochen unfair, daß man ihm ständig Leute auf die Figur warf, statt ihn endlich zu befreien, damit er sich in den Kampf stürzen konnte. Was Dan O’Flynn von sich gab, war allerdings nicht zu verstehen. Denn mindestens zwei von den Piraten, die noch auf eigenen Beinen stehen konnten, ergriffen jetzt blindlings die Flucht und verursachten ein fürchterliches Gepolter.

Sie kannten den vorderen Laderaum der „Isabella“ nicht so gut. Im Gegensatz zu Ben Brighton und Big Old Shane, die keine Schwierigkeiten hatten, den Flüchtenden auch im Dunkeln nachzusetzen.

„Ihr seid vielleicht Kameraden!“ schrie Dan O’Flynn mit etwas gequetschter Stimme. „Verdammt, wollt ihr uns nicht endlich …“

„Losbinden!“ forderte der hünenhafte Neger mit Donnerstimme. „Batuti fressen Bretonen zum Frühstück. Gottverdammt, ihr nicht ganzes Vergnügen für euch allein!“

„Mist!“ schrie Stenmark im selben Moment.

Nicht wegen Batutis berechtigter Forderung, sondern wegen des bewußtlosen Piraten, über den er gestolpert war. Nach der Bauchlandung fühlte sich der blonde Schwede sekundenlang benommen, und bei dieser Gelegenheit wurde ihm bewußt, daß Batuti ständig etwas von „Frühstück“ und „Vergnügen“ schrie.

Stenmark verstand das nicht so recht, aber er verfiel von selbst auf den Gedanken, daß es von Vorteil war, die beiden Gefesselten in der Vorpiek zu befreien.

Der blonde Schwede hatte nicht geahnt, daß sich noch zwei Männer aus der Crew auf der „Isabella“ aufhielten. Mit Dan und Batuti, fand er, waren sie so gut wie unschlagbar. Fünf Seewölfe gegen einen Haufen lausiger Piraten, da würden die Fetzen fliegen. Aber nicht bei den Seewölfen, sondern bei ihren Gegnern.

Stenmark grinste und rappelte sich hoch – etwas taumelig, da er unglücklicherweise mit dem Kinn auf eine Querplanke geschlagen war.

Die völlige Finsternis wurde ihm zum Verhängnis. Er griff bereits zum Messer, während er auf das Schott zuschwankte, aber weder er noch Batuti, noch selbst Dan mit seinen scharfen Augen konnten sehen, daß der Kerl, den Big Old Shane in die Vorpiek geschleudert hatte, eben jetzt aus seinen Träumen erwachte.

Jacahiro, reinblütiger Maya vom Stamme der Chamula.

Der Bursche war nicht nur zäh, er hatte auch den Instinkt eines Raubtieres. Als er sich aufrichtete, geschah es mit der lautlosen Geschmeidigkeit, die seiner Rasse angeboren war und die man zum Überleben in der Wildnis brauchte. Jacahiro trug einen unterarmlagen Bronzestab am Gürtel, eine fünfkantige Waffe, die – mit einer Schlaufe am Handgelenk befestigt – in ihrer Funktion entfernt an Batutis Morgenstern erinnerte. Lautlos löste der Maya-Krieger die Waffe von seinem Gürtel, streifte sie über seine Rechte und schloß die Augen, um sich völlig auf die Geräusche im Dunkeln zu konzentrieren.

Stenmark ging von der irrigen Annahme aus, daß der unbekannte Pirat aufgrund eines Faustschlags von Big Old Shane in der Vorpiek gelandet sei.

Wo der ehemalige Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack hinhaute, wuchs nichts mehr. Stenmark ahnte nichts Böses, als er sich bückte und über die Gräting tastete. Er grinste im Dunkeln, als er ein Hosenbein zu fassen kriegte.

„Bist du das, Dan?“ fragte er.

„Nein, die Königin Von England!“ knirschte Dan O’Flynn. „Verdammt, beeil dich! Ich will diesen verdammten Bretonen zu fassen kriegen.“

„Na, na, na“, sagte Stenmark, während er nach Dans Fesseln tastete.

„Verdammtes Pirat hat kleines O’Flynn auspeitschen lassen“, grollte Batuti. „Bretone wird Fischfutter! Picadillo! Grrr!“

„Dieser Bastard!“ knurrte Stenmark. „Verdammt, Dan, halt still, ich kann nicht …“

Er stockte abrupt.

In allerletzter Sekunde spürte er den Luftzug, aber er hatte keine Chance mehr, Jacahiros Bronzestab auszuweichen. Tief in Stenmarks Schädel schien etwas zu explodieren. Er fiel nach vorn, und Dan stöhnte auf, weil der Schwede auf seinem zerschundenen Rücken landete.

Jacahiro schwang herum und glitt lautlos in den Laderaum.

Dan und Batuti fluchten um die Wette, aber es nützte ihnen nichts. Sie waren gefesselt und vermochten sich nicht zu rühren. Sie konnten nur noch abwarten, wie der ungleiche Kampf ausgehen würde.

Ben Brighton und Big Old Shane hatten nichts mehr zu verlieren.

Die Kerle, die vor ihnen über den Niedergang flüchteten, prallten mit ihren eigenen Kumpanen zusammen und wurden zurückgespült von der Woge der Angreifer. Der einäugige Esmeraldo verlor das Gleichgewicht und stürzte. Ben Brighton empfing ihn mit einem Tritt, der ihn vor die Füße seiner Kumpane beförderte.

Auch Pepe le Moco und der Burgunder stolperten. Klirrend schlidderte ein Säbel über die Planken. Die anderen Kerle rückten nach, sprangen über die Gestürzten weg – und prallten zurück angesichts der furchterregenden Gestalt, die sie im einfallenden Licht sahen.

Big Old Shane schwang mit beiden Fäusten eine mächtige Eisenstange.

Schritt um Schritt trieb er die Piraten zurück, fegte den Niedergang leer und kämpfte sich weiter. Wo er traf, gingen Männer brüllend zu Boden. Schon hatte Shane das Vordeck erreicht, doch im nächsten Moment ließ er sich fallen, weil die lange Flammenzunge aus einer Muskete auf ihn zuzuckte.

Ben Brighton schoß zurück, aber er schaffte es nicht mehr, seine Waffe wieder zu laden.

Wie ein lautloser Schatten tauchte Jacahiro hinter ihm auf.

Blitzschnell holte der Maya aus. Der Bronzestab wirbelte durch die Luft, traf den Nacken des Opfers – und der Bootsmann der „Isabella“ sank mit einem dumpfen Stöhnen zusammen.

Big Old Shane stieß einen Wutschrei aus, als er vom Boden hochschnellte.

Undeutlich sah er den geschmeidigen braunhäutigen Mann sowie den wirbelnden Bronzestab – und hob blitzartig die Eisenstange. Ein helles Klirren ertönte. Loslassen konnte Jacahiro seine Waffe nicht, da sie an seinem Handgelenk festsaß. Der Maya schrie auf. Urgewalten schienen an seinem Arm zu zerren und schleuderten ihn zur Seite. Jacahiro stolperte und fiel, aber Big Old Shane hatte dem Niedergang eine Sekunde zu lange den Rücken wenden müssen.

Den schmetternden Hieb mit dem Musketenkolben, der seinen Schädel traf, konnte selbst er nicht verkraften.

Ohne einen Laut kippte er nach vorn.

Er wachte erst wieder auf, als er zwischen Stenmark und Ben Brighton auf den Planken der Kuhl lag.

Auch die beiden anderen waren bei Bewußtsein. Sie waren nicht einmal gefesselt, aber das nutzte ihnen nichts. Mindestens ein halbes Dutzend Musketen zielten auf sie. Beim geringsten Widerstand würden die Geschosse sie zerfetzten.

„… vielleicht besser mitnehmen“, hörten sie die Stimme des einäugigen Esmeraldo. „Wir sind ohnehin zu wenig, wir könnten die Kerle gebrauchen.“

„Unsinn“, knurrte Jean Morro. „Es ist schon schwer genug, auf die beiden anderen aufzupassen. Mit fünf von diesen Teufeln an Bord hätten wir keine Minute mehr Ruhe.“

Für einen Moment blieb es still.

„Na dann“, sagte Esmeraldo gleichmütig und stieß Stenmark mit dem Fuß an. „Aufstehen, ihr Hunde! Ihr dürft schwimmen!“

Der blonde Schwede preßte die Lippen zusammen und quälte sich hoch. Ben wollte ihm folgen, aber Pepe le Moco stieß ihn mit dem Lauf der Muskete zurück.

„Einer nach dem anderen“, sagte er grinsend. Und in Stenmarks Richtung: „Hopp-hopp! Ab in den Bach! Und grüß die Haie!“

Die Seewölfe hatten keine Wahl.

Einer nach dem anderen wurde über Bord befördert, und dann konnten sie nur noch der „Isabella“ nachsehen, die wie ein stolzer Schwan nach Norden rauschte.

Wenig später sichtete der Ausguck auf der Galeone Mastspitzen über der Kimm, aber das konnten die drei Männer im Wasser nicht mehr hören.

Sie ahnten nicht, daß der schwarze Segler in der Nähe war. Sie mußten versuchen, die Insel zu erreichen, und alle drei wußten nur zu genau, was ihnen damit bevorstand.

Seewölfe Paket 6

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