Читать книгу Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer - Страница 39

2.

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Dan O’Flynn hatte das Gefühl, als würden im nächsten Augenblick seine Lungen platzen.

Er brauchte Luft. Er mußte auftauchen. Schon tanzten rote Feuerräder vor seinen Augen. Als sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß, mischte sich das Brausen des Blutes in seinen Ohren mit dem Plätschern und Gurgeln der Wellen und dem heiseren Geschrei an Bord der „Isabella“

„Du solltest aufpassen, du Bastard!“ Das war Pepe le Mocos Stimme, wahrscheinlich stauchte er Barbusse zusammen. „Wo ist der Nigger, verdammt noch mal? Wenn sie entwischt sind, laß ich dich kielholen, du Penner, du lausiger …“

Dan pumpte seine Lungen voll Luft und tauchte wieder.

Mit gestreckten Armen und Beinen glitt er durch das dunkle Wasser, die Augen weit geöffnet. Undeutlich spürte er eine Bewegung neben sich: Batuti. Der schwarze Herkules schwamm wie ein Fisch und hielt sich mit Dan auf gleicher Höhe. Sekunden verstrichen, und auch dieses Mal tauchten sie erst auf, als die Atemnot unerträglich wurde.

Dan keuchte und sog gierig die frische, salzige Luft ein. Wasser plätscherte neben ihm, Batutis Kopf tauchte auf. Der Neger schnappte nach Luft, grinste gleichzeitig, und in dem schwarzen Gesicht blitzten die Zähne.

„Da!“ brüllte jemand auf der Galeone. „Da sind sie! Steuerbord querab!“

Im nächsten Sekundenbruchteil ertönte Jean Morros Stimme: „Beiboot abfieren! Hopp-hopp! Ich will diese Bastarde wiederhaben!“

„O verdammt!“ flüsterte Dan mit Inbrunst, während Batuti schon wieder wegtauchte.

Der drahtige Dan tauchte hinterher. Dabei wurde ihm klar, daß es nicht den geringsten Sinn hatte, stur geradeaus zu schwimmen. Undeutlich sah er die schwarze Hünengestalt vor sich und wie sie nach oben schwenkte. Dan tauchte ebenfalls auf.

„Nach links!“ zischte er. „Wir müssen sie täuschen, Haken schlagen oder so was.“

„Wie Hase?“

„Ja, verflucht! Oder wie Haifisch oder …“

„Fier weg das Ding!“ gellte die Stimme des Bretonen. „Sechs Mann abentern! Nehmt Waffen mit, ihr dreimal verdammten Idioten!“

Dan warf sich im Wasser nach links, stieß tief nach unten und versuchte, so weit wie möglich von seinem ursprünglichen Standort wegzuschwimmen. Sein Herz hämmerte, und das Stechen und Brennen in seiner Brust bewies ihm, daß er für längere Tauchstrecken nicht mehr gut genug war. Das Salzwasser biß in den Wunden an seinem Rücken, aber das nahm er kaum wahr. Verzweifelt stieß er die angehaltene Luft aus, schluckte Wasser, und die blubbernden Blasen vor seinen Augen schienen sich in bunte, explodierende Sterne zu verwandeln.

Mit letzter Kraft tauchte er auf und schnappte nach Luft.

„Still!“ zischte Batutis Stimme dicht an seinem Ohr. „Kerle in Boot suchen Bewegung.“

Jetzt erst hörte Dan bewußt die rhythmischen Ruderkommandos, die in seinem Schädel widerzuhallen schienen wie Hammerschläge.

„Hool weg! Hool weg!“

Das Boot löste sich von der „Isabella“.

Vier Männer pullten, zwei spähten aufmerksam über das Wasser. Sie waren mit Pistolen, Belegnägeln und Bootshaken bewaffnet – letztere vermutlich, um ihre Opfer aus dem Bach zu fischen, wenn sie sie erst hatten. Vorerst suchten sie in der falschen Richtung. Aber Dan O’Flynn bezweifelte, daß das so bleiben würde.

„Weiter!“ flüsterte er.

Sehr behutsam ließ er sich diesmal unter Wasser gleiten, und auch Batuti vermied es, sich heftig zu bewegen. Dafür gelangten sie auch nicht so schnell vorwärts, und zusätzlich vermieden sie es, das letzte Quentchen Luftreserve zu verbrauchen, um nicht zu unkontrolliert und hastig auftauchen zu müssen.

Trotzdem rauschte das Blut in Dans Ohren, als er auftauchte.

„Scheiße!“ hörte er Batutis Stimme, warf einen Blick über die Schulter und zuckte zusammen.

Das Boot hielt auf sie zu.

Die Kerle mußten sie entdeckt haben.

An Bord der „Isabella“ wurde im selben Augenblick ein zweites Boot abgefiert, weil der Bretone offenbar keinerlei Risiko eingehen wollte.

Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Dan.

Und Batuti kleidete den gleichen Gedanken in schlichtere Worte: „Nix hauen ab! Besser hauen drauf, rumms!“

„Ja, rumms! Wir tauchen, packen sie von zwei Seiten, schaukeln ein Bißchen, entern und hauen die Bastarde mit den Riemen zu Brei!“

„Rumms!“ wiederholte Batuti, begeistert.

Und mit dem nächsten Atemzug war er schon wieder verschwunden.

Dan tauchte ebenfalls. Sehr steil diesmal, so daß er sich im Wasser drehen konnte, denn die Kerle sollten ja annehmen, daß ihre Opfer an Abhauen und nicht an Draufhauen dachten. Mit aufgerissenen Augen glitt Dan auf den plumpen Schatten des Bootes zu. Batuti verschwand bereits hinter diesem Schatten, Dan hielt sich an der Backbordseite. Unmittelbar über ihm zogen die Riemenblätter durchs Wasser. Dan wartete, bis sie achtern waren, spannte die Muskeln und schnellte wie ein Tümmler dicht an der Bordwand hoch.

Jemand brüllte erschrocken.

Dans Körper blockierte die Riemen, seine Hände umklammerten das Dollbord, stemmten sich dagegen, gleichzeitig spürte er den Zug von der anderen Seite. Das Boot krängte nach Steuerbord. Mit fuchtelnden Armen versuchten die Kerle, die in Bug und Heck knieten, das Gleichgewicht zu halten.

„Hopp!“ schrie Dan gellend, und der jähe Gegenruck ließ das leichte Fahrzeug fast kentern.

„Du dreckige Wanze!“ brüllte einer der Rudergasten und riß den Riemen hoch.

Dan packte mit beiden Händen zu, um den Kerl außenbords zu ziehen. Das schaffte er auch: der Bursche nahm lieber ein Bad, als den Riemen fahren zu lassen. Der zweite Rudergast auf der Backbordseite hatte Dans Kopf aufs Korn genommen. Aber da war plötzlich kein Kopf mehr, der Hieb ging ins Leere, und auch dieser Kerl sprang dem im Wasser verschwindenden Riemen nach.

Damit war der Trimm beim Teufel.

Wie eine Nußschale schlug das Boot um. Gebrüll brandete auf. Auch Batuti schrie – ein kurzer, abgehackter Schrei. Er hatte die Kante des Dollbords an den Kopf gekriegt, aber das konnte Dan O’Flynn nicht sehen.

Drei Mann stürzten sich wie die Berserker auf Dan O’Flynn.

Er tauchte weg, bevor sie ihn zerquetschen konnten. Einem der Kerle rammte er von unten den Schädel in den Bauch. Der Bursche krümmte sich im Wasser. Dan glitt zur Seite, schnellte auf das Boot zu, das sie entern wollten, also wieder aufrichten mußten, aber er suchte Batuti vergeblich.

Eisiger Schrecken krampfte seinen Magen zusammen.

Blindlings schlug er um sich, als sich einer seiner Gegner von hinten über ihn warf. Nummer zwei erwischte er mit einem Fußtritt, aber der erste saß ihm wie eine Katze im Nacken und versuchte, seinen Kopf unter Wasser zu drükken. Dan stieß die Hand mit gespreizten Fingern nach oben. Er traf nicht und hörte grelles, triumphierendes Gelächter.

„Hierher!“ schrie jemand – und wie ein Schemen glitt das zweite Boot über das Wasser.

Mit der Kraft der Verzweiflung stieß Dan noch einmal zu. Diesmal fuhren seine gespreizten Finger dem Piraten ins Gesicht, und der Kerl schrie gellend auf. Der Würgegriff lockerte sich. Dan rang nach Luft, wollte wegtauchen und wußte zugleich, daß er keine Chance mehr hatte.

Nur verschwommen sah er den Rumpf des zweiten Bootes dicht vor sich.

Etwas krachte von oben auf seinen Schädel. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, sein Kopf fliege auseinander, dann fühlte er überhaupt nichts mehr.

Als er wieder zu sich kam, lag er bäuchlings auf den Planken der „Isabella“, und jemand bearbeitete seine Rippen mit Fußtritten.

„Rabenaas, verdammichtes!“ hörte er eine vertraute Stimme. „Wenn kleines O’Flynn umbringen, Batuti macht Picadillo aus dir …“

„Kleines O’Flynn, kleines O’Flynn!“ äffte Pepe le Moco wütend. „Dein kleines O’Flynn wird kielgeholt, du schwarzer Bastard!“

„Mistiges Hund! Sohn von verlaustes Wanderhure und triefäugiges Ziegenbock, du …“

Der nächste Tritt krachte in Batutis Rippen. Dan stöhnte vor Wut. Als er die Augen öffnete, sah er die hochgewachsene Gestalt von Jean Morro, der das Achterkastell verließ, und gleichzeitig sah er die Bewegung, mit der Pepe le Moco von neuem zutreten wollte.

Dan O’Flynn federte schneller hoch, als irgend jemand denken konnte.

Mehr war allerdings nicht drin, da sich sofort ein paar Mann an seine Arme hängten und ihm fast die Schultern auskugelten. Dan warf den Kopf in den Nacken. Er konnte hören, wie der Tritt in Batutis Rippen krachte. Mit einer wilden Bewegung spuckte der blonde O’Flynn Jean Morro an und fauchte erbittert, weil er nicht getroffen hatte.

„Mann!“ sagte der Bretone. Es klang beinahe anerkennend. „Dich müssen sie wirklich auf einer Kanonenkugel gezeugt haben.“

„Worauf du dich verlassen kannst, du feiger Bastard!“ fauchte Dan, dem jetzt alles egal war.

Der Bretone schüttelte den Kopf. Ein paar von seinen Leuten zerrten Batuti auf die Füße – oder besser, sie verhinderten, daß er auf die Füße und gleich auch noch Jean Morro ins Gesicht sprang. Der schwarze Herkules sah furchterregend aus. Eine tiefe Wunde klaffte an seinem Kopf, Blut lief über sein Gesicht. Es war ein Wunder, daß er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.

Pepe le Moco taumelte keuchend gegen das Schanzkleid.

Er hatte ebenfalls einiges abgekriegt, stellte Dan zufrieden fest. Wut und Rachsucht flackerte in den blutunterlaufenen Augen des Piraten wie ein Feuer.

„Auf was warten wir noch?“ schrie er. „An die Rah mit den Bastarden!“

„An die Rah! Zieht ihnen die Hälse lang!“

„Wer gibt hier eigentlich die Befehle?“ fuhr der Bretone dazwischen.

Pepe le Moco knirschte mit den Zähnen. „Du, Jean! Willst du sie etwa nicht aufknüpfen oder kielholen lassen?“

„Nein“, sagte der Bretone.

„Aber – aber du kannst doch nicht …“

„Nein!“ wiederholte Jean Morro schneidend. „Sperrt sie in die Vorpiek! Der nächste, der etwas an meinen Befehlen zu mäkeln hat, kriegt die Neunschwänzige zu spüren!“

Dan O’Flynn war immer noch ziemlich verdattert, als das Schott der Vorpiek hinter ihnen dichtgerammt wurde.

Er wurde nicht schlau aus dem Bretonen.

Aber er begann zu ahnen, daß sie den Kerl wohl irgendwie nicht ganz richtig eingeschätzt hatten.

Die Strahlen der Morgensonne tanzten über das Wasser wie glitzernde Pfeile.

Der schwarze Viermaster und die ranke Karavelle segelten dicht unter Land nach Nordwesten. Die Küste lag querab: Palmen, leuchtende Strände, wie ein dunkelgrüner Gürtel dahinter die üppige tropische Vegetation des Urwalds, und noch weiter landeinwärts die steil ansteigenden Berge, deren Gipfel bereits hinter Hitzeschleiern verschwammen.

Hasard stand am Steuerbord-Schanzkleid des Achterkastells und suchte die Küstenlinie mit dem Spektiv ab. Vor einer knappen Stunde hatte Siri-Tong die Fahrt des Viermasters verlangsamt und der aufsegelnden Karavelle signalisiert, auf Rufweite heranzudrehen.

In der tropischen Hitze waren sämtliche Wasservorräte des schwarzen Seglers verdorben. Die Rote Korsarin und der Wikinger wollten Frischwasser an Bord nehmen, möglichst bevor sie auf die „Isabella“ stießen und vielleicht in unvorhersehbare Verwicklungen gerieten. Das war vernünftig. Hasard fand es überdies ganz nützlich, sich an Land umzusehen und die Gegend ein wenig kennenzulernen, bevor es ernst wurde.

Jetzt luvte der schwarze Segler an und drehte auf die Küste zu.

Sein Bugspriet zielte auf eine Stelle, wo die Palmen zurückwichen. Hasard hatte den schmalen Einschnitt ebenfalls entdeckt, konnte jedoch noch nicht erkennen, um was es sich handelte. Aber wenn es eine Bucht war, die dem schwarzen Segler Platz bot, würde die kleine Karavelle es ebenfalls schaffen.

Der Seewolf setzte das Spektiv ab. „Klar zum Anluven! Dichter holen die Rahen! Gei auf Groß- und Marssegel! Ruder hart über!“

„Hart über!“ bestätigte Pete Ballie.

„Hoch mit den Lappen, ihr Säcke!“ rief der Profos, und „Aye, aye“, ertönte die Bestätigung von den Männern an Geitauen und Brassen.

Die „Santa Monica“ ging an den Wind und blieb unter Fock und Besan im Kielwasser des „Eiligen Drachen“.

Auch auf dem schwarzen Schiff wurden Segel weggenommen. Die Donnerstimme des Wikingers dröhnte über das Wasser, das Bugspriet des Viermasters verschwand im undurchdringlichen Grün des Dickichts.

Etwas wie ein gigantischer Rachen schien das Schiff zu verschlingen, aber das täuschte. Über den dunklen Buckeln des Buschwerks konnte Hasard die Mastspitzen des schwarzen Seglers sehen, dem Stand der Flögel, die wie kleine Wimpel über dem Gebüsch schwebten und sich tiefer ins Landinnere bewegten. Platz bot die Bucht offenbar genug. Auch der Bugspriet der Karavelle zielte jetzt auf den grün schimmernden Rachen, und Hasard ließ das Ankergeschirr klarlegen.

Minuten später glitt die „Santa Monica“ sanft durch die Einfahrt der Bucht.

Die Segel begannen sofort zu killen, da der Wald die Bucht wie mit dunkelgrünen Wänden umgab und den Wind wegnahm. Platz war genug: das ruhige Wasser lag schimmernd in der Sonne wie ein riesiger kreisrunder Spiegel.

Der schwarze Segler war mit der letzten Fahrt nach Steuerbord gelaufen, die Karavelle wandte sich nach Backbord. Pete Ballie legte Ruder, und die „Santa Monica“ beschrieb einen sanften Bogen, bis von See her allenfalls noch ihre Mastspitzen zu sehen waren.

„Fallen Anker!“ rief Hasard über Deck.

„Aye, aye“, erfolgte Ben Brightons Bestätigung.

Die Ankertrosse rauschte aus, und Minuten später lag die Karavelle wie ein Klotz auf dem Wasser.

Hasard ließ ein Faß im Boot verstauen, da er ebenfalls die Gelegenheit wahrnehmen wollte, die Wasservorräte zu ergänzen. Er nahm acht Mann mit, schwer bewaffnet: die Gegend sah zwar friedlich und ruhig aus, aber das konnte täuschen.

Auch auf dem schwarzen Segler wurde ein Boot abgefiert, und schließlich war es eine ziemlich starke Gruppe, die an der Ostseite der Bucht an Land ging und die beiden Fahrzeuge auf den schmalen Uferstreifen zog.

Siri-Tongs Mandelaugen leuchteten flüchtig auf, als sie dem Seewolf zulächelte. Thorfin Njal und die vier anderen Wikinger waren bereits dabei, den Waldsaum abzusuchen, dieses grüne, dampfende, vom ohrenbetäubenden Konzert der Vögel und Affen erfüllte Dickicht, das gerade die fünf Nordmänner ganz besonders verabscheuten.

Hasard mußte lächeln, als er Thorfins grimmig verzogenes Gesicht sah. Der bärtige Hüne murmelte etwas, das sich wie „dreimal verdammter Scheiß-Wald“ anhörte.

Und der Stör, der die Angwohnheit hatte, ständig die letzten Worte seines Kapitäns nachzuplappern, konnte es natürlich auch diesmal nicht lassen.

„Dreimal verdammter Scheiß-Wald!“ sagte er mit Inbrunst.

„Recht hat er“, knurrte Ed Carberry. „Da drüben scheint es übrigens so was wie einen Pfad zu geben.“

„Pfad? Du bist wohl nicht ganz dicht, Mann!“

Sam Roskill hatte das gesagt, und ehe ihn der Profos packen konnte, flitzte der schlanke schwarzhaarige Mann bereits über den Uferstreifen zu der Stelle, wo zwischen Gestrüpp und Schlinggewächsen eine dunkle Öffnung klaffte. Sam blieb verblüfft stehen, runzelte die Stirn und stieß schließlich einen Pfiff aus.

„Da ist wirklich ein Pfad! Ich werd verrückt!“

„Das bist du sowieso, du Stint“, grollte der Profos.

Genau wie die anderen trat er näher heran, um sich den Pfad – oder was immer es war – genauer anzusehen. Hasard tat ein paar Schritte und schob einige Ranken beiseite, die von einem der Baumriesen herunterhingen. Die schmale Lücke im Dickicht beschrieb eine Kurve und führte tiefer ins Landinnere. Es war ein Pfad. Und er mußte wohl auch regelmäßig benutzt werden, da der Urwald ihn mit seiner gierigen Vegetation sonst längst überwuchert hätte.

„Vielleicht ein Wildwechsel?“ fragte der Bootsmann des schwarzen Seglers gedehnt.

Siri-Tong schoß ihm einen vernichtenden Blick zu. „Wildwechsel? Kannst du mir erzählen, welche Art Wild wohl an den Strand kommen und Salzwasser saufen sollte?“

Dem war nichts entgegenzusetzen. Die Rote Korsarin zog die Unterlippe zwischen die Zähne und sah Hasard an. Der zuckte mit den Schultern.

„Die Bucht ist ein guter Ankerplatz“, meinte er. „Vielleicht wird sie regelmäßig von Leuten angelaufen, die ihren Schlupfwinkel im Landinneren haben. Oder die Indianer stellen hier Posten auf, damit sie gewarnt sind, wenn spanische Schiffe aufkreuzen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich eine ganze Menge Mayas in den Regenwäldern versteckt hält.“

„Und Spanier gibt es garantiert in der Nähe“, sagte Ferris Tucker. „Die lassen doch nichts aus.“ Er schwieg einen Moment und kratzte in seinem roten Haarschopf. „Vielleicht sollten wir uns ein bißchen beeilen. Nicht, daß ich keine Lust hätte, mal wieder ein paar Dons zu verhackstücken, aber das würde uns jetzt nur unnötig aufhalten.“

„Richtig“, sagte Hasard ruhig. „Also folgen wir dem Pfad! Ferris, Matt – wir bilden die Vorhut. Ed, du suchst dir ein paar Leute und sicherst nach hinten. Fertig?“

„Aye, aye“, ertönte es im Chor.

Siri-Tongs Augen blitzten, aber sie sagte nichts. Sie war wütend – wie immer, wenn Hasard etwas über ihren Kopf hinweg bestimmte, das auch nur entfernt danach aussah, als wolle er sie absichern. Ihre Nasenflügel vibrierten leicht, mit einem Ruck warf sie das schwarze Haar auf den Rücken. Der Wikinger, der sie beobachtet hatte, grinste still vor sich hin.

Minuten später setzte sich der ganze Trupp in Bewegung.

Der Seewolf hatte die Spitze. Er lauschte und versuchte angestrengt, aus dem vielstimmigen Zirpen, Kekkern und Krächzen ringsum ungewöhnliche Geräusche herauszuhören. Viel sehen konnten sie nicht in der grünen Dämmerung. Hoch über ihnen bildeten die Kronen der riesigen Bäume ein fast undurchdringliches Dach, durch das einzelne Sonnenstrahlen wie Pfeile stachen. Der Boden war mit grüngoldenen Flekken gesprenkelt, die Luft so feucht, daß sie das Atmen erschwerte und sich wie eine zähe, klebrige Schicht über die Haut zu legen schien. Schon nach zwei Dutzend Schritten war Hasard in Schweiß gebadet. Die Kleidung klebte wie eine zweite, etwas faltenreichere Haut an seinem Körper, und den anderen ging es genauso.

Trotzdem verfiel keiner von ihnen auf den Gedanken, etwa Hemd oder Jakke auszuziehen. Die Lektion, daß man im Urwald den Myriaden summender Plagegeister möglichst wenig nackte Hautflächen bietet, hatten sie schon in der Fieberhölle von Guayana gelernt.

Und denjenigen unter Siri-Tongs Männern, die auf guten Rat nicht hatten hören wollen, war die gleiche Lektion im Amazonasgebiet auf ziemlich unangenehme Weise eingetrichtert worden. Jetzt kannten sie die Tücken dieser Landschaft und wußten sich auch im tropischen Urwald recht gut zu behaupten, wenn er ihnen deshalb auch um keinen Deut sympathischer geworden war.

Der Pfad wand sich in engen Biegungen weiter und führte immer tiefer ins Landinnere. Schwärme von bunten Vögeln stoben vor den Männern auf, Insekten umtanzten sie in ganzen Schwärmen. Affenherden, die in ihrer Ruhe aufgeschreckt wurden, veranstalteten ein Höllenkonzert, und es grenzte an ein Wunder, daß es Hasard trotz allem gelang, das Rauschen und Gurgeln eines nahen Bachlaufs wahrzunehmen.

Eine Viertelstunde später hatten sie die Quelle gefunden, eine ergiebige Quelle mit klarem, überraschend kühlem Wasser, das in Kaskaden über ein paar Steine sprudelte und sich in einem runden Becken sammelte, bevor es im Dickicht verschwand, um sich seinen Weg zu einem der größeren Flüsse zu suchen.

Hasard probierte mit der hohlen Hand – es gab nichts auszusetzen. Die Männer tranken und gingen dann daran, die mitgebrachten Fässer zu füllen. Der Seewolf spielte Kavalier und reichte der Roten Korsarin einen Becher von dem köstlichen Naß.

Über den Rand hinweg lächelten ihre Augen ihn an. Wenn man vom schrillen Konzert der Vögel, Affen und Insekten absah, war es bemerkenswert still. Nicht einmal Ed Carberry brüllte in der gewohnten Art herum, weil er in diesem unbekannten Gebiet so wenig Lärm wie möglich veranstalten wollte. Eine Viertelstunde später war die Kolonne wieder zum Abmarsch bereit. Jetzt gelangten sie mit den schweren Fässern wesentlich langsamer vorwärts als auf dem Hinweg.

Hasard glaubte bereits, die salzige See zu riechen. Auch Ferris Tucker schnupperte prüfend und grinste dann breit.

„Gleich haben wir’s geschafft“, verkündete er.

Ein peitschender Knall riß ihm das letzte Wort von den Lippen.

Erschrocken blieben die Männer stehen, Siri-Tong wirbelte herum, daß ihre Mähne flog. Der Seewolf kniff die Augen zusammen, lauschte – und in der nächsten Sekunde fielen in dichter Folge weitere Schüsse.

Irgendwo hinter ihnen im Urwald war die Hölle los.

Musketen und Pistolen knallten. Stimmen schrien durcheinander – spanische Stimmen. Die Dons schienen jemanden zu verfolgen, und dieser Jemand versuchte, sich über denselben Pfad zu retten, den auch Siri-Tongs Piraten und die Seewölfe benutzten.

Seine Schritte näherten sich.

Wie vom Teufel gehetzt jagte er weiter, und so mochte er sich wohl auch fühlen. Ein einzelner Mann, hinter dem die Spanier mindestens im Dutzend herwaren. Der Bursche stolperte, landete offenbar halb im Dickicht, raffte sich wieder auf, und im nächsten Moment erschien er stolpernd und taumelnd hinter der Biegung des Pfades.

Es war ein schlanker, braunhäutiger Mann in zerfetzter Kleidung.

Er trug eine Art Zopf, mit bunten Bändern umwickelt, aber daß er kein Chinese war, ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Das dunkle, schweißbedeckte Gesicht verzerrte sich. Er prallte zurück, seine braunen, eigentümlich sanften Augen wurden so weit, daß das Weiße der Augäpfel gespenstisch schimmerte. Ein Maya, durchzuckte es Hasard — und im selben Moment versuchte der Mann, sich herumzuwerfen.

Sein Fuß verhakte sich irgendwo.

Mit einem Aufschrei stolperte er und stürzte.

Als habe die jähe Bewegung den letzten Rest seiner Kraft verbraucht, unternahm er keinen Versuch mehr, wieder aufzuspringen, sondern blieb einfach liegen.

Um dieselbe Zeit hatte auch die „Isabella VIII.“ eine Bucht an der Küste von Chiapas angelaufen.

Dan und Batuti erlebten das Ankermanöver in der Vorpiek. Sie wußten, was jetzt folgte: ein langer Marsch durch den tropischen Urwald, mit einer obskuren Schatzkarte als einzigem Hilfsmittel. Und sie wußten auch, daß sie bei diesem Marsch dabeisein würden, denn Jean Morro und seine Piratenbande hatten sie sicher nicht am Leben gelassen, damit sie sich auf die faule Haut legten.

Tatsächlich sprang ein paar Minuten später das Schott auf.

Pepe le Moco und der einäugige Esmeraldo – wie gehabt. Hinter ihnen waren die Mündungen von schußbereiten Musketen zu sehen, und Dan hörte das typische Schnaufen des bulligen Barbusse. Esmeraldos einziges Auge funkelte böse. Auch Pepe le Moco sah ausgesprochen unzufrieden aus, weil er seine Opfer viel lieber an die Haifische verfüttert hätte.

„Raus!“ knurrte er. „Ganz schnell, bevor ich euch anlüfte!“

Dan verzog das Gesicht, Batuti knurrte etwas Unverständliches. Da nur ihre Hände gefesselt waren, konnten sie dem Befehl folgen. Vor den Musketen, die Barbusse und der Burgunder auf sie richteten, marschierten sie über den Niedergang an Deck, und dort blieben sie stehen und warfen einen raschen Blick in die Runde.

Auf der „Isabella“ herrschte Aufbruchstimmung.

Jacko, Valerio und der fette Tomaso fierten bereits das zweite Boot ab, die Männer hatten sich mit Säcken und Seekisten bewaffnet: Behältnisse, die offenbar dafür bestimmt waren, das legendäre Maya-Gold zu transportieren.

Dan O’Flynn unterdrückte ein abfälliges Grinsen. Für seine Begriffe war es mehr als fraglich, ob die Kerle in der grünen Hölle dort drüben auch nur einen Schimmer von Gold finden würden. Dabei hätten sie nur die Augen zu öffnen und die gute alte „Isabella“ etwas genauer zu untersuchen brauchen, um direkt vor ihren Füßen unzählige Kostbarkeiten zu entdecken.

Sie hatten es nicht getan, und das war auch gut so. Dans Blick wanderte zum Achterkastell hinauf, wo der Bretone die Hände auf die Schmuckbalustrade stützte. Für ein paar Sekunden kreuzten sich ihre Blicke, und Jean Morro zog die Lippen von den Zähnen und lächelte.

„Hört zu“, sagte er hart. „Ich habe darauf verzichtet, euch kielholen zu lassen, weil ich jede Hand brauche. Wir haben einen langen Marsch vor uns, und ihr werdet so bepackt werden, daß euch sämtliche dummen Gedanken vergehen. Wer unterwegs quertreibt, erhält ein paar Kugeln in die Beine und wird zurückgelassen. Und diesmal ist es mir Ernst, darauf könnt ihr euch verlassen. Haben wir uns verstanden?“

„Du kannst mich“, sagte Dan. Er wußte, daß sie so oder so keine Chance mehr kriegen würden, also sah er auch keinen Grund, mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten.

Der Bretone grinste nur.

„Wir werden sehen“, sagte er trokken. „Schneidet ihnen die Fesseln durch! Und dann ab in die Boote!“

Ein paar Sekunden später hatten Batuti und Dan die Hände frei.

Allerdings zielten immer noch zwei Musketen auf sie. Sie wußten, daß es völlig sinnlos war, jetzt loszulegen. Vielleicht ergab sich später eine Möglichkeit, wenn sie durch den Urwald marschierten. Die grüne Hölle war dicht und undurchdringlich, und wenn in dieser Wildnis erst einmal jemand verschwand, würde es verdammt schwer sein, ihn wiederzufinden.

Der blonde Mann und der hünenhafte Neger wechselten einen Blick.

Dan drehte fast unmerklich den Kopf in Richtung Küste. Batuti nickte, genauso unmerklich. Sie hatten sich verstanden, und sie wehrten sich nicht, als sie jetzt zum Schanzkleid hinübergestoßen wurden, wo die Piraten eine Jakobsleiter belegt hatten.

Nur drei Männer blieben zurück: Valerio, Tomaso und ein spindeldürrer Bursche, der sich den Fuß verstaucht hatte und nicht laufen konnte.

Die beiden Boote legten ab. Batuti hockte im vordersten, Dan in dem zweiten Fahrzeug, das von dem Bretonen geführt wurde. Eine ganze Menge an Ausrüstung war zusammengekommen, und Dan fluchte lautlos, weil er bereits ahnte, daß sich Jean Morros Piratenbande nicht überanstrengen würde.

Er sollte recht behalten.

Er und Batuti wurden wie Maultiere bepackt. Jean Morro stand mit gezogener Pistole dabei, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. Dan grinste ihn so unverschämt an, als habe er sein ganzes Leben lang nichts arideres getan, als Lasten durch den Urwald zu schleppen.

„Viel zu schwer für kleines O’Flynn“, murmelte Batuti grollend.

„Quatsch mit Soße!“ fauchte Dan. „Die lahmarschigen Kakerlaken werden sich umschauen, wenn sie glauben, daß einer von uns schlappmacht. Schau dir die Idioten doch an! In einem Urwald ist von denen noch keiner gewesen.“

Er hatte recht: Jean Morros Piraten hatten keine Ahnung von den Tükken des tropischen Regenwaldes. Der feuchten Hitze suchten sie dadurch zu begegnen, daß sie Jacken und Hemden ablegten. Ein paar von den Männern schienen sogar die Absicht zu haben, ihre Stiefel bei den Booten zurückzulassen, aber Jacahiro, der Maya, schüttelte den Kopf.

„Sitegel gegen Schlangen“, sagte er mit seiner dunklen, kehligen Stimme. „Und Kleider gegen Stechmükken.“

„Quatsch“, brummte Pepe le Moco. „Ein paar Mückenstiche werden uns ja wohl nicht schaden.“

„Mückenstiche nicht. Aber Insekten legen Eier in Wunden. Maden fressen Haut. Viel Eiter, viel Schmerzen.“ Der Maya wies mit dem Kopf auf Dan und Batuti, die sich so weit wie möglich vermummt hatten. „Sie kennen Urwald. Sie wissen.“

Pepe le Moco schnitt ein ziemlich zweifelndes Gesicht. Dan und Batuti schwiegen, ihnen war es völlig gleichgültig, ob sich ihre Gegner mit entzündeten Wunden würden herumschlagen müssen. Jean Morro traf die Entscheidung. Der Maya kenne das Land, meinte er, also habe man sich gefälligst nach seinen Ratschlägen zu richten.

Eine Viertelstunde später war die Kolonne abmarschbereit – dreizehn Männer, die in den dichten Dschungel von Chiapas eindrangen. Jacahiro übernahm die Führung und richtete sich nach der Karte, die der alte Valerio dem Bretonen überlassen hatte. Der Maya kannte das Land, er kannte auch die Legende von dem sagenhaften „Schatz der Götter“. Ohne ihn hätten sich die Piraten wahrscheinlich niemals auf die Suche begeben, sondern Valerios Karte und sein Geschwätz über das Maya-Gold als Humbug abgetan.

Dan O’Flynn erschien es zumindest sehr zweifelhaft, daß Valerios Schatzkarte echt war.

Während Batuti dem Schluß der Kolonne zugeteilt worden war, marschierte Dan O’Flynn, bewacht von Pepe le Moco und Esmeraldo, direkt hinter dem Bretonen. Noch war der Wald ziemlich licht, da es in der Nähe der Küste Felsen gab, die ein allzu üppiges Wuchern der Vegetation verhinderten. Aber weiter im Landesinneren schlossen sich Baumriesen, Unterholz und ein Gewirr von Schlingpflanzen zu dichten Wänden zusammen. Trotz aller Tükken und

Gefahren hatte diese Wildnis auch eine Ausstrahlung von dunkler, unwiderstehlicher Lokkung.

Das Land der Maya!

Es war genauso geheimnisvoll wie das legendäre El Dorado, das Goldland der Inkas, das die Seewölfe entdeckt hatten. Bei aller Wut auf Jean Morros Halsabschneider mußte Dan sich eingestehen, daß ihm das Abenteuer dieser Schatzsuche beinahe Spaß zu bereiten begann.

Seewölfe Paket 6

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