Читать книгу Seewölfe Paket 6 - Roy Palmer - Страница 33
7.
ОглавлениеEine halbe Stunde später kauerten die Seewölfe versteckt zwischen Felsen und Dickicht und beobachteten die Bemühungen der spanischen Karavelle, möglichst dicht an die Insel heranzulaufen.
Hasards Lippen hatten sich zu einem Strich zusammengepreßt. Neben ihm rang Ed Carberry verzweifelt die Hände.
„Nein!“ flüsterte er. „Das darf nicht wahr sein! Diese Rübenschweine! Diese Vollidioten – verstehen die überhaupt was von der Seefahrt?“
„Die sind lebensmüde“, meinte Smoky.
„Oder blind.“ Matt Davies kratzte sich mit seinem Haken im Genick. „Vielleicht haben sie ’n Tropenkoller oder … Da! Gleich kracht es!“
Hasard knirschte mit den Zähnen.
Sein Blick hing an der Karavelle, die den wahnsinnigen Versuch unternahm, in die Lagune einzulaufen. Am liebsten hätte sich der Seewolf die Haare gerauft. Den anderen ging es genauso.
„Die kriegen es fertig, unserem Schiff den Bauch aufzuschlitzen, ehe wir es überhaupt haben“, prophezeite Ferris Tucker düster. „Der Kerl muß doch – sag mal, Kutscher, gibt’s irgendeine Krankheit, bei der man ein Mauseloch mit einem Scheunentor verwechselt?“
„Größenwahn“, sagte der Kutscher. Womit er nicht einmal unrecht hatte. Um etwas anderes als Größenwahn, gepaart mit heilloser Dämlichkeit, konnte es sich nach Hasards Meinung bei dem Spanier überhaupt nicht handeln.
„Wenn der den Kahn auf Grund setzt, krieg ich’s in den Kopf“, murmelte Smoky.
„Im Kopf hast du’s sowieso“, knurrte der Profos. „Gesalbter Mist, sieht der denn nicht, daß er gleich aufläuft? Abfallen, du Blödmann von Kapitän, abfallen, in drei Teufels …“
Der Spanier konnte Carberrys durch die Zähne gezischten Worte nicht verstanden haben, aber vielleicht hatte ein gütiges Geschick den Profos erhört.
Noch ehe er mit seinem Fluch zu Ende war, brüllte drüben auf der Karavelle eine sich fast überschlagende Stimme „Klar zum Abfallen!“ Der Capitan, erkannte Hasard, hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich nach vorn auf die Back zu begeben, um nachzusehen, ob er sich bei der vermeintlichen Einfahrt im Riff nicht verschätzt hatte. Die Warnung des Bootsmanns war buchstäblich in letzter Sekunde erfolgt, und jetzt wurden auf der Karavelle in fliegender Hast die achteren Segel aus dem Wind genommen, damit das Schiff nach Backbord abfiel.
Es ging gerade noch gut.
Blacky bekreuzigte sich, der Profos drehte die Augen gen Himmel. Ben Brighton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Kopfschüttelnd verfolgte er, wie die Karavelle dicht an den Felsen des Riffs entlangschor, eine halbe Ewigkeit platt vor dem Wind lag und endlich auf dem anderen Bug anluvte, um aus der Gefahrenzone herauszulaufen.
„Mannmann“, stöhnte Ferris Tukker.
„Der ist wohl auf ’nem Waschzuber Kapitän geworden“, sagte Bill mit seiner hellen Stimme. „Mit ’nem alten Hemd als Segel und einer Besatzung von verlausten, triefäugigen Kakerlaken.“
„Wenn du dem Profos in allen anderen Dingen auch so nacheiferst, bist du bald ein perfekter Seemann“, sagte Hasard trocken.
Bill schluckte. „Das – das möchte ich ja auch werden, Sir.“
„Dann fluch mal weiter“, sagte Smoky erheitert. „Wenn du fleißig übst, bist du bald besser als Sir John, Junge.“
Bill schluckte noch einmal. Der Seewolf grinste still vor sich hin. Er beobachtete die Karavelle, die jetzt fast genau dieselbe Stelle ansteuerte, an der die „Isabella“ auf Reede gelegen hatte. Fast wunderte sich Hasard, daß auch dieser Esel von Capitan die Vorzüge des Platzes erkannte.
„Fallen Anker!“ ertönte das spanische Kommando.
„Fallen Anker!“ klang es von der Back zurück, die Trosse rauschte aus, und zwei Minuten später verkündete der Bootsmann, daß der Anker Grund gefaßt hatte und die Trosse steifkam.
Danach tat sich erst mal eine Weile gar nichts.
Die Spanier suchten mit Spektiven die Insel ab, die Seewölfe duckten sich tief in ihre Deckungen. Eigentlich war es ganz klar, daß die Dons mißtrauisch werden würden: Wer Rauchzeichen gab, brauchte Hilfe, und wer Hilfe brauchte, versteckte sich nicht, wenn die Retter nahten. Ein halbwegs vernunftbegabter Mensch hätte jetzt äußerst vorsichtig werden müssen. Aber ein Capitan, der sein Schiff fast auf ein Riff setzte, das ein Blinder als unpassierbar erkannt hätte, konnte nach Hasards Meinung nur in sehr geringem Maße mit Vernunft begabt sein.
Nach fünf Minuten ergebnisloser Beobachtung fierten die Spanier ein Beiboot ab.
Sechs Mann kletterten hinein und pullten zu den Felsen, die an der Westseite der Insel den Strand begrenzten. Hasard lächelte matt. Er nahm an, daß die Spanier genau das tun würden, was auch die Seewölfe getan hatten: zunächst einmal das gesamte Eiland umrunden. Dabei würden sie auf die Nordseite mit der Steilküste geraten, außer Sicht- und Hörweite der Karavelle – und dort konnte man sie dann in aller Gemütsruhe vereinnahmen.
Erwartungsgemäß wandten sich die sechs Männer zunächst nach rechts, um am Strand entlangzugehen.
Hasard fragte sich flüchtig, warum das eigentlich jeder tat, der die verdammte Insel untersuchen wollte. Weil der Strand mit der tiefblauen Lagune und dem Palmengürtel soeinladend wirkte? Oder weil man annahm, daß derjenige, den man suchte, sich zuerst an diesem einladenden Strand zeigen würde? Egal! Die Spanier würden bis zur Nordseite der Insel etwa eine halbe Stunde brauchen, und die Seewölfe hatten Zeit genug, einen Hinterhalt zu legen.
Vorsichtig zog sich Hasard tiefer zwischen die Felsen zurück.
Die anderen folgten ihm. Zwei Dutzend Schritte, dann deckte der kleinere der beiden Bergkegel sie gegen die Sicht von der Karavelle aus. Ein paarmal mußten sie sich noch durch Dickicht kämpfen, dann durch lichteres Gebüsch, und schließlich erreichten sie die zerklüftete Hochfläche oberhalb der Klippen.
Noch war von den Spaniern nichts zu sehen. Die Seewölfe – mit Ausnahme der Gruppe, die Hasard zurückgelassen hatte, um die Karavelle zu beobachten – verbargen sich zwischen den Felsen und kletterten so weit wie möglich nach unten. Sie würden wie die Teufel über die ahnungslosen Spanier herfallen. Und sie würden schnell sein müssen. Ein bißchen Geschrei und Kampflärm durfte es getrost geben, aber der Knall eines Schusses würde auf der Karavelle ganz sicher gehört werden.
Hasard, Ferris Tucker, Ed Carberry und Matt Davies kauerten an einer Stelle, wo eine vorspringende Felsenase mit der Brandungskehle unter dem Kliff eine Art Höhle bildete. Die Männer rührten sich nicht und lauschten gespannt. Ihre Bewaffnung war spärlich, das meiste hatten die Piraten mitgenommen. Aber wenn alles nach Plan lief, würden die Spanier ohnehin nicht dazu kommen, Degen oder Pistolen zu ziehen.
Ein paar Minuten später verrieten das Poltern von Schritten und die wüsten Flüche, daß sich die Gruppe näherte.
Die Sonne brannte immer noch erbarmungslos vom Himmel, die Felsen auf der Landzunge speicherten die Hitze des Tages: Jedenfalls registrierte Hasard mit einem vorsichtigen Blick, daß die Spanier reichlich verschwitzt aussahen. Der Seewolf zog den Kopf zurück, grinste leise und lauschte auf die keuchenden, verbiesterten Stimmen.
„Verrückte Idee!“ knurrte jemand. „Wenn wirklich ein Schiff aus dem Verband untergegangen wäre, hätten sich unsere Leute doch längst gemeldet.“
„Wem sagst du das? Sag’s dem Capitan, du Hammel.“
„Der ist doch nicht bei Trost! Unsere Leute könnten verletzt sein und sich deshalb nicht am Strand zeigen – ha! Aber auf den Berg klettern und ein Feuer anzünden, das können sie, was?“
„Vergiß es! Wir tun, was man uns sagt und …“
„Und lassen uns von Eingeborenen auffressen oder sonst was, he? Ich habe die Schnauze voll! Bei der nächsten Gelegenheit mustere ich ab, da kannst du Gift drauf nehmen. Ich bin doch nicht blöd, ich doch nicht, Mann!“
Hasard spannte die Muskeln.
In der nächsten Sekunde mußten die Kerle in sein Blickfeld geraten. Sie erweckten zwar nicht gerade den Eindruck, als achteten sie besonders aufmerksam auf ihre Umgebung, aber man konnte nie wissen.
„Jetzt!“ flüsterte der Seewolf.
Mit einem Panthersatz schnellte er aus seinem Versteck und federte von der Seite her auf die ahnungslosen Spanier zu. Gleichzeitig wurde es überall zwischen den Felsen lebendig. Die sechs Kerle prallten zurück, als seien sie gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, wirbelten herum, aber da hatte Hasard den ersten schon am Kragen.
„Car …“ stieß der Bursche hervor.
Vielleicht wollte er „Caramba“ sagen, aber das brachte er nicht mehr heraus. Eine Faust krachte unter sein Kinn. Eine Viertelsekunde lang hatte er das Gefühl, sein Kopf fliege davon, und dann gingen für ihn so schnell die Lichter aus, daß er von der eigenen Luftreise nichts mehr merkte.
Hasard wirbelte herum und rammte dem nächsten Spanier den Kopf in den Bauch. Ferris Tucker schwang Batutis Morgenstern, Matt Davies zog sich einen der Kerle mit seinem Haken heran und donnerte ihm die Linke auf den Schädel. Ed Carberry hieb, ausnahmsweise ohne Gebrüll, mit einem Knüppel um sich, und alles in allem dauerte es nur ein paar Sekunden, bis die sechs Spanier bewußtlos im Geröll der Brandungsplatte lagen.
„Kinderkram!“ knurrte der Profos unzufrieden.
„Ein Mistspiel ist das“, pflichtete Matt Davies bei. „Macht gar keinen Spaß, wenn sich die Kerle schon beim ersten Antippen hinlegen.“
„Spaß kriegt ihr noch, wenn wir die Karavelle entern“, sagte Hasard trokken. „Das eine Boot ist ein bißchen wenig. Wir brauchen mindestens zwei. Aber die Kerle werden uns das zweite schon noch liefern.“
Smoky kicherte. „Na klar! Hat Ben ja auch getan, als wir ’ne Weile verschwunden waren. Wollen wir aus einem von den lahmen Dons herauskitzeln, wie viele Leute sie an Bord haben?“
„Gute Idee! Aber zuerst werden sie gefesselt und eine Etage höher gehievt. Ed, Ferris, Blacky!“
„Hopp-hopp, ihr müden Krieger!“ tobte der Profos los. „Ihr denkt wohl, heute ist Weihnachten, was, wie? Her mit den verdammten Tampen, aber ein bißchen plötzlich. Blacky, wenn du deine Quadratlatschen nicht schneller bewegst, hau ich dir auf deinen dicken Schädel, daß du genauso aussiehst wie die Mehlsäcke da! Seid ihr Betbrüder, oder was seid ihr?“
In diesem Stil ging es weiter. Nur etwas gedämpfter als gewöhnlich, denn der Profos hatte ein Organ, das normalerweise glatt Kanonendonner übertönte. Hasard grinste, während er mit Ferris Tucker und Big Old Shane über das Kliff aufenterte und ein stabiles Tau nach unten warf. Der erste Spanier war bereits gefesselt und wurde Hand über Hand hochgezogen.
Dabei wachte er auf und begann jämmerlich zu ächzen. Kein Wunder, denn er schwebte durchaus nicht in der Luft, sondern schrammte immer wieder unsanft über die Felsen. Und da zwei Kerle wie Ferris Tucker und Big Old Shane an dem Tau zogen, ging das Ganze durchaus nicht langsam, sondern sehr schnell und sehr ruppig vonstatten.
Einer nach dem anderen wurden die sechs Spanier hochgezogen, ein Stück vom Klippenrand weggeschleppt und nebeneinander auf den Boden geworfen.
Mit einer Ausnahme hatte die unsanfte Prozedur sie alle aus der Bewußtlosigkeit geweckt. Mit aufgerissenen Augen starrten sie in die grimmigen Gesichter der Seewölfe und sahen allesamt so aus, als hätten sie Bauchschmerzen.
Hasard blieb vor dem ersten stehen und grinste auf ihn hinunter. Der Spanier fand dieses Grinsen ziemlich beunruhigend, genau wie den zwingenden Blick der leicht zusammengekniffenen eisblauen Augen. Und die anderen sahen auch nicht friedlicher aus: dieser fürchterliche rothaarige Riese, der Bulle mit dem wüsten, zernarbten Gesicht und dem Amboßkinn, der Kerl mit dem Stahlhaken …
„Wie heißt euer Kapitän?“ fragte Hasard in seinem akzentfreien Spanisch.
„C-c-correggio“, stotterte der Bursche. „Juan de Correggio!“
„Wieviel Mann Besatzung habt ihr?“
Der Spanier schluckte unglücklich. Hasard zuckte mit den Schultern und gab Matt Davies einen Wink. „Ab mit dem Kerl!“
Matt schnitt eine wahrhaft furchterregende Grimasse, als er den Schweiger mit seinem Stahlhaken am Kragen packte. Das Opfer schrie Zeter und Mordio und wimmerte in allen Tonarten um Gnade. Kaum daß Matt hinter dem nächsten Felsen verschwunden war, verstummte das Geschrei, und das Gesicht des nächsten Spaniers nahm die Farbe von schmutziger Milch an.
Hasard grinste jetzt ausgesprochen bedrohlich.
Er wußte, daß Matt sein Opfer lediglich geknebelt hatte. Aber das wußten die anderen Spanier nicht. Sie glaubten felsenfest daran, daß ihr Kumpan über die Klinge gesprungen sei, und der Seewolf brauchte seine Frage kein zweites Mal zu stellen.
„Dreißig!“ sprudelte der Spanier hervor. „Wir sind dreißig Mann, wir …“
„Dreißig Mann für dieses Schiffchen?“ fragte Hasard zweifelnd.
„Es ist wahr! Wir – wir haben unterwegs die Leute einer leckgeschlagenen Karacke aufgenommen. Vor zwei Wochen war das. Ich schwöre …“
„Ab mit ihnen“, sagte Hasard. „Ihr werdet geknebelt und an die Felsen gebunden“, setzte er hinzu, als er das aufflackernde Entsetzen in den Augen des Mannes sah. „Wir brauchen nämlich noch ein zweites Boot, bevor wir euer Schiff entern.“
„A-aber …“
„Keine Angst, es gibt Wasser, Früchte und sogar Wildschweine auf dieser Insel. Ihr werdet wie im Paradies leben. Und außerdem seid ihr ja im Verband gesegelt, oder?“
„Aber die anderen sind doch längst weitergefahren. Nur Correggio, dieser verdammte Narr …“
Der Spanier schluckte und biß sich auf die Lippen. Daß man irgendwann nach ihnen suchen und sie sicher auch finden würde, fiel ihm bestimmt noch ein, wenn er Zeit zum Nachdenken hatte. Und die würde er haben, genau wie seine Kumpane, die jetzt einer nach dem anderen geknebelt und so an einzelne Felsblöcke gefesselt wurden, daß man sie höchstens aus unmittelbarer Nähe entdecken konnte.
Hasard lächelte zufrieden vor sich hin, als er das Ergebnis noch einmal inspizierte.
Die Spanier waren unfähig, sich irgendwie bemerkbar zu machen. Wie lange sie so aushalten mußten, lag an ihren Kumpanen. Oder besser an ihrem Capitan, auf den sie offenbar eine Stinkwut hatten. Der Kerl war ein Idiot, das hatte er bereits mit seinen irrsinnigen Manövern bewiesen. Vielleicht würde er überstürzt handeln, vielleicht war er auch ein typischer Zögerer. Letzteres wäre Hasard lieber gewesen. Denn für das Enterunternehmen, das er vorhatte, mußte er ohnehin die Dämmerung abwarten.
Dreißig Mann, überlegte er.
Weniger sechs, waren vierundzwanzig. Noch mal weniger sechs, blieben achtzehn. Und die Seewölfe waren zwanzig. Damit war das Verhältnis mehr als ausgeglichen, wenn man bedachte, daß selbst der schmalbrüstige Kutscher und der alte O’Flynn mit seinen Krücken zwei Spanier aufwogen und daß Kerle wie Ferris Tucker oder Ed Carberry notfalls ganz allein ein halbes Dutzend Dons zu Hackfleisch verarbeiten konnten.
Hasard grinste vor sich hin.
Er wußte schon jetzt, daß sich Edwin Carberry hinterher wieder darüber beklagen würde, daß derartiger „Kinderkram“ einfach keinen echten Spaß bereitete.
„Rum für alle!“
Die Rote Korsarin lächelte. Ihr Blick wanderte über die erschöpften Männer, über die aufgeklarten Decks, über das Rigg, das wieder ganz manierlich aussah. Die neue Großrah war in Rekordzeit geriggt worden, obwohl sie keinen Schiffszimmermann an Bord hatten. Aber ein paar von den Männern hatten eine Menge von Ferris Tucker gelernt. Und nicht nur von ihm, sondern auch von Will Thorne, dem weißhaarigen Segelmacher der „Isabella“.
Siri-Tong war zufrieden mit ihren rauhen Kerlen. Eine Crew wie. der Seewolf hatte sie nicht und würde sie wohl auch nie kriegen, denn diese verschworene Gemeinschaft war etwas Einmaliges. Aber auch die Mannschaft des schwarzen Seglers konnte sich sehenlassen: Die Gefahren und Abenteuer der langen Fahrt hatten sie zusammengeschmiedet und zurechtgeschliffen und selbst aus einer schmutzigen Ratte wie Muddi am Ende einen halbwegs brauchbaren Kerl werden lassen, der zumindest in gefährlichen Situationen einigermaßen seinen Mann stand.
Was jetzt hinter ihnen lag, war der Beweis dafür gewesen. Die „Isabella“ in den Händen von Spaniern, Piraten oder was auch immer, die Seewölfe einem ungewissen Schicksal ausgeliefert – das ließ der Crew des schwarzen Seglers keine Ruhe. Sie hatten in den letzten Stunden eine Leistung vollbracht, die man nur bewundern konnte.
Thorfin Njals Flüche und Drohungen waren nur als vertraute Begleitmusik notwendig gewesen. Niemand hätte die Männer anzutreiben brauchen. Sie hatten ihr Bestes gegeben, sich nicht gedrückt, wie die Wilden geschuftet und alle Schäden in der Hälfte der Zeit behoben, die man normalerweise hätte dafür veranschlagen müssen.
„Cookie!“ rief Siri-Tong. „Mister Bennet, wo steckst du, verdammt noch mal!“
„Hier, Madam!“
Cookie erschien im Kombüsenschott. Er hatte nicht weniger geschuftet als die anderen. Und die nicht ganz saubere Pfanne in seiner Faust bewies, daß er sich selbst jetzt nicht auszuruhen gedachte, sondern seine Pflichten als Koch erfüllte.
Im übrigen sah er aus wie das leibhaftige schlechte Gewissen. Aber ein schlechtes Gewissen war schließlich der erste Schritt zur Besserung.
Die Rote Korsarin lächelte.
„Ich glaube, dies ist der richtige Augenblick, um deinen Kokosmilch-Schnaps zu probieren. Cookie“, sagte sie. „Eine Muck für jeden, zusätzlich zum Rum. Aber kein Besäufnis, wenn ich bitten darf! Mißjöh Buveur, ich lasse dich kielholen, wenn du nachher blau an Deck liegst.“
„Aye, aye, Madame“, schmetterte der dickliche Franzose.
Und der Koch kriegte rote Ohren, weil er sich freute, daß sein Kokosnuß-Schnaps, den er eigentlich für seinen Eigenbedarf gebraut hatte, nun doch noch zu Ehren gelangte.
Als dann Siri-Tong persönlich probierte und dem Zeug einen gewissen Wohlgeschmack bescheinigte, waren nicht nur die Ohren des Kochs so rot wie mexikanischer Pfeffer.
Thorfin Njal kippte gleich eine ganze Muck von dem Gesöff in sich hinein und nickte zufrieden. Auch die anderen Männer waren begeistert: Das Zeug war wesentlich stärker als Wein oder Bier und konnte es durchaus mit dem gewohnten Rum aufnehmen.
Cookie erzählte, daß ihm die Eingeborenen auf der Insel der Steinernen Riesen das Rezept verraten hätten. Eingedenk der Tatsache, daß der Besuch auf jener Insel damals sehr kurz gewesen war, fanden alle den Koch sehr clever. Der wiederum strahlte wie ein Posaunenengel – und Siri-Tong sah voraus, daß das Essen an Bord des „Eiligen Drachen“ mindestens zwei Wochen lang entschieden besser als sonst werden würde.
Sie gestattete noch eine weitere Muck Kokosnuß-Schnaps. Danach waren die erschöpften, körperlich bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit ausgelaugten Männer leicht beduselt, aber Siri-Tong wußte, daß sie trotzdem noch ihre Arbeit tun konnten.
Mit Thorfin Njal und dem Boston-Mann zog sie sich in ihre Kammer im Achterkastell zurück.
Wieder einmal wurden die Karten bemüht. Denn die Rote Korsarin kannte den Seewolf und wußte ganz sicher, daß er sich die „Isabella“ bestimmt nicht von irgendeinem Piratenschiff hatte abnehmen lassen. Ihre Vorstellungen über den Lauf der Dinge kamen der Wahrheit sehr nahe.
„Hier!“ sagte sie.
Ihr Finger beschrieb einen Kreis um ein Gebiet, in dem auf der Karte einige kleinere Inseln eingezeichnet waren. „Wenn sie irgendwo sind, dann müßten sie hier sein – oder?“
Thorfin Njal kratzte hingegeben an seinem Kupferhelm.
„Stimmt“, sagte er. „Wenn sie auf einer Insel sind.“
„Wo sollen sie sonst sein, zum Teufel? Wir haben doch selbst gesehen, daß die Kerle auf der ‚Isabella‘ nur vierzehn oder fünfzehn Mann waren. Selbst wenn wir mit einem Dutzend Todesopfern rechnen – so ein Trupp hat doch die ‚Isabella‘ nicht gekapert, Thorfin! Die Kerle müssen auf einer Insel festgesessen haben. Und dann ist es ihnen wahrscheinlich gelungen, Hasard zu schnappen. Du weißt doch, daß er jedes Unternehmen, das auch nur von Ferne nach Gefahr riecht, immer selbst anführt.“
„Bei Odin, das tut er“, sagte der Wikinger. „Du könntest recht haben. Vielleicht hat der verdammte Sturm auf der ‚Isabella‘ Schäden angerichtet, die sich nicht mit Bordmitteln beheben ließen. Oder sie haben Rauchzeichen gesichtet, was weiß ich.“ Thorfin Njal atmete tief durch und nickte. „Suchen wir also diese Inselchen ab! Sofort, meine ich. Bis heute abend dürften wir’s geschafft haben.“
„Und dann folgen wir der ‚Isabella‘ und zahlen es diesen Dreckskerlen heim!“ Siri-Tongs Augen funkelten, als sie aufstand und das schwarze Haar zurückwarf. „Die größenwahnsinnigen Halunken werden noch einsehen, daß sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen haben.“
Federnd wandte sich die Rote Korsarin ab, trat wieder auf den Niedergang und kehrte aufs Achterkastell zurück. Mit einem zufriedenen Blick stellte sie fest, daß bereits drei Mann am Spill standen, bereit, den Treibanker aufzuholen, und daß Brassen und Geitaue zum Laufen klargelegt worden waren.
Minuten später war der Anker oben.
Knatternd entfalteten sich die schwarzen Segel, der Wikinger legte Ruder, und „Eiliger Drache über den Wassern“ segelte dunkel und majestätisch seinem Ziel zu.
Der Capitan der „Santa Monica“ war nicht beunruhigt, sondern verärgert.
Er suchte nicht erst nach einer Erklärung für das lange Ausbleiben seiner Leute, denn nach seiner Meinung lag die Erklärung auf der Hand: Die Kerls hatten angefangen zu bummeln, kaum daß sie außer Sicht gewesen waren. Wahrscheinlich bereiteten sie sich ein paar angenehme Stunden, statt ihren Auftrag auszuführen. Juan de Correggio knirschte vor Wut mit den Zähnen und schwor sich, jedem einzelnen dieser faulen Halunken die Haut vom Rükken peitschen zu lassen.
Der Rest der Mannschaft spähte ziemlich besorgt zu der Insel hinüber, von der sie nur die felsige Landzunge im Westen und die weit geschwungene, palmengesäumte Strandlinie sehen konnten. Die Sonne senkte sich bereits, die Schatten wurden unmerklich länger. In spätestens einer Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen, und dann konnte nur noch ein Verrückter auf die Idee verfallen, die Insel zu durchsuchen.
„Wir sollten etwas unternehmen, Capitan“, sagte Jose Diaz, der Steuermann.
„Sicher. Wenn diese Kerle in einer Stunde nicht zurück sind …“
„In einer Stunde ist es dunkel, Capitan! Dann müssen wir bis zum Morgen hier liegenbleiben.“
Correggio biß sich auf die Lippen. Er war kein Freund von schnellen Entscheidungen, aber immerhin sah er ein, daß der Steuermann recht hatte. Diaz traf ohnehin die meisten Entscheidungen. Jeder an Bord wußte das, nur der Capitan nicht. Denn Diaz war geübt darin, den anderen glauben zu lassen, daß es nach seinem eigenen Kopf ging. Hätte Juan de Correggio geahnt, daß in Wahrheit nicht er, sondern der Steuermann das Schiff führte, hätte er das Kommando sofort wieder an sich gerissen, und das wäre für Schiff und Mannschaft verhängnisvoll gewesen.
„Beiboot klarmachen!“ befahl der Capitan. „Diaz, suchen Sie sechs Mann aus, die an Land pullen! Ein bißchen plötzlich, bevor es dunkel wird!“
Der Steuermann biß sich auf die Lippen.
Er hatte eher daran gedacht, zunächst einmal die Insel zu umsegeln, was auch wesentlich vernünftiger gewesen wäre. Aber er wußte, daß er Correggio nicht dazu bringen konnte; einen einmal gegebenen Befehl wieder zurückzunehmen. Wenn er beschlossen hatte, zum Beispiel in eine Lagune einzulaufen, weil er im Riff eine Durchfahrt sah, die überhaupt nicht existierte, dann versuchte er das eben. Und dann ließ sich die Katastrophe mitunter nur noch durch Tricks abwenden. Zum Beispiel damit, daß der Bootsmann eigenhändig die Tiefe auslotete und dabei – wie Diaz sehr genau mitgekriegt hatte – ein bißchen mogelte, damit der Befehl zum Abfallen noch rechtzeitig erfolgte.
„Jawohl, Capitan“, sagte Jose Diaz nur und sprang auf die Kuhl hinunter, um die Rudergasten einzuteilen.
Sechs Männer enterten ab und kletterten auf die Duchten.
José Diaz schwang sich als letzter über das Schanzkleid, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß er den Trupp anführte. Hinterher würde ihn der Capitan zusammenstauchen, aber nicht jetzt, vor versammelter Mannschaft, weil das die Disziplin untergrub, wie Correggio glaubte. Den Steuermann ließ das alles ziemlich kalt, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß auf der Insel etwas nicht stimmte.
„Nordkurs!“ befahl er den überraschten Männern. „Wir werfen erst mal einen Blick auf die Rückseite der Insel. Ich habe keine Lust, wie ein Anfänger in irgendeine Falle zu gehen.“