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5.

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Es war Diego Valeras, der im Großmars des schwarzen Seglers die „Isabella“ sichtete.

Die Galeone lag in einer der Buchten mit den schmalen, fast unsichtbaren Einfahrten, die typisch für diesen Küstenabschnitt waren. Ein kleines Schiff wäre dort völlig unsichtbar gewesen, aber die überlangen Masten der „Isabella“ ragten über den grünen Dickichtgürtel der Landzunge hinaus.

Diego Valeras meldete seine Entdeckung zum Achterkastell, und wenig später signalisierte der Stör aufgeregt zu der im Kielwasser des „Eiligen Drachen“ segelnden Karavelle hinüber.

Beide Schiffe fielen zunächst einmal ab und hielten etwas nach Westen, um von den Piraten nach Möglichkeit nicht sofort entdeckt zu werden.

Wenig später drehten sie bei, und Hasard, Ben Brighton, Ed Carberry und Big Old Shane pullten von der „Santa Monica“ zu dem schwarzen Segler hinüber.

Im Achterkastell des „Eiligen Drachen“ fanden sie sich mit Siri-Tong, dem Wikinger und dem Boston-Mann zu einer kurzen Lagebesprechung zusammen.

Viel zu besprechen gab es allerdings nicht. Denn was sie unternehmen mußten, ergab sich ohnehin aus der besonderen Lage.

Dan O’Flynn und Batuti befanden sich als Gefangene an Bord der „Isabella“.

Davon jedenfalls mußten die Seewölfe und die Crew des schwarzen Seglers ausgehen, und deshalb lief ihre Taktik vor allem darauf hinaus, zu verhindern, daß Jean Morros Halsabschneider ihre Gefangenen als Geiseln benutzten, um die Gegner zu erpressen.

Ganz davon abgesehen, daß Philip Hasard Killigrew seine „Isabella“ nicht als Trümmerhaufen wiederhaben wollte.

Es war sinnlos, die Bucht offen anzulaufen. Das konnte allenfalls als Ablenkungsmanöver dienen – und genau darauf basierte der Plan des Seewolfs.

In knappen Worten erläuterte er, was er vorhatte.

Siri-Tong hörte mit funkelnden Augen zu. Der Wikinger atmete tief und ließ krachend seine mächtige Faust auf den Tisch der Kapitänskammer fallen.

„Bei Odins Raben!“ grollte er tief in der Kehle. „Ich bin dabei! Ich freue mich schon darauf, es diesen Mistkerlen zu besorgen! Das wird endlich mal wieder ein Spaß, verdammt noch mal!“

„Hoffentlich!“ sagte Ed Carberry düster.

Der eiserne Profos brauchte Arbeit für seine Fäuste, wenn er sich wohlfühlen wollte. Und in letzter Zeit war es für seinen Geschmack zu oft passiert, daß sich der erhoffte Spaß als Kinderspiel herausgestellt hatte, das eher für Sonntagsschüler taugte denn für eine Bande von Teufelskerlen wie die Seewölfe. Edwin Carberry hatte richtige Sehnsucht nach einem handfesten Kampf, bei dem die Fetzen flogen. Es mußte wohl eine Art sechster Sinn sein, der ihm sagte, daß dies vorerst noch nicht geschehen würde.

Jedenfalls schnitt er ein ziemlich zweifelndes Gesicht.

Hätte er ahnen können, was in Wahrheit auf ihn zukam, wäre seine Miene wohl noch viel grimmiger gewesen.

Die Männer, die Edwin Carberry so liebend gern in ihre Einzelteile zerlegt hätte, befanden sich um diese Zeit in einem wahren Freudentaumel.

Das Gefühl des Fremden, Gefährlichen, der ungreifbaren Drohung – das alles war beim Anblick des unermeßlichen Schatzes dahingeschmolzen wie Eis an der Sonne. Was blieb, war purer Triumph, gierige Euphorie, ein Rausch, der in seiner lautlosen, gespenstischen Intensität an Wahnsinn grenzte. Die Männer schrien nicht, jubelten nicht, redeten überhaupt sehr wenig, und wenn, dann im Flüsterton. Aber sie stolperten mit fiebrig glühenden Augen von einer Ecke des Raums zur anderen, sie taumelten fast, berührten das Gold, das Silber, die funkelnden Edelsteine und gebärdeten sich wie Kranke im Fieberwahn, die Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderzuhalten vermochten.

Außer Dan und Batuti gab es nur zwei, die der Taumel nicht angesteckt hatte.

Jacahiro, der Maya, stand reglos und wie versunken am Fuß der Wendeltreppe. Sein bronzenes Gesicht war unbewegt, über seine Augen schien sich der Ausdruck dunklen Wissens wie ein Vorhang gesenkt zu haben. Für den Maya gab es keine Zweifel: dies war der Tempelschatz Itzamnás, und der Fluch der Gottheit würde die Frevler treffen. Jacahiro hatte keinen Anteil mehr an dem triumphierenden Rausch, der seine Leute mitriß. Der Maya stand stumm daneben, gleichsam in sich selbst und sein eigenes mythisches Drama versponnen, und etwas von der dunklen Melancholie in seinen Augen schien sich auch Jean Morro mitzuteilen.

Der Bretone stand ebenfalls stumm da, gespannt, konzentriert, als lausche er mit jeder Faser seiner Nerven.

Seine grauen Augen hatten sich verhärtet. Er sah sich um, prüfte, überlegte und versuchte offenbar, die Situation in den Griff zu kriegen. Schließlich straffte er sich, atmete tief durch, und als er sprach, war seine Stimme von schneidender Schärfe.

„Hört endlich auf, verrückt zu spielen! Wühlen könnt ihr in dem Gold, wenn wir es an Bord haben. Also reißt euch zusammen! Ich habe keine Lust, länger als unbedingt nötig in diesem verdammten Loch zu bleiben. Wir werden jetzt zunächst einmal alles nach draußen schaffen, was wir tragen können. Was wir wirklich tragen können, wohlgemerkt! Wir müssen mit dem Zeug nämlich eine ziemlich lange Strecke zurücklegen. „Esmeraldo?“

Der Einäugige wandte sich um.

Er hatte an einer riesigen goldenen Statue gezerrt, die auch ein Dutzend Männer nicht hätten bewegen können – jetzt zog er die Finger zurück und duckte sich unter Morros Worten wie unter Peitschenhieben. Auch Pepe le Moco, Jacko und der Burgunder wandten sich um. Jean Morro stand breitbeinig mitten in dem Gewölbe, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und seine schneidende, befehlsgewohnte Stimme brachte es fertig, seine Leute aus einer Rotte von Halbirren wieder in eine Crew einigermaßen vernünftiger, zurechnungsfähiger Männer zu verwandeln.

Binnen Minuten hatte er es geschafft, so etwas wie eine vernünftige, zweckmäßige Organisation auf die Beine zu stellen.

Der Bretone hatte Format, stellte Dan O’Flynn fest. Er war ein nüchterner Mann, der sich nicht das Gehirn vernebeln ließ, auch nicht vom Anblick dieser unermeßlichen Reichtümer. Wenn das Gold ihn blendete, dann wußte Jean Morro das jedenfalls mit eiskaltem Verstand und einer gehörigen Portion Augenmaß auszugleichen.

Er hielt sich nicht erst mit dem Versuch auf, eine der überlebensgroßen goldenen Statuen von ihrem Platz zu rücken. Wie Peitschenhiebe fielen seine Befehle. Knappe, eiskalte Kommandos, die keinen Widerspruch duldeten. Mit eingezogenen Köpfen gingen die Piraten daran, die verstreuten Perlen einzusammeln. Edelsteine auszubrechen, kleinere Statuen von ihren Sockeln zu heben, und schließlich begannen die ersten Männer, keuchend unter der Last wieder die endlose Wendeltreppe emporzuklimmen.

Dan und Batuti schleppten gemeinsam ein goldenes Abbild der gefiederten Schlange, dessen Gewicht sie gerade noch tragen konnten.

Vor ihnen keuchte Jacahiro unter der Last einer vogelähnlichen Statue, deren Gefieder aus farbigen Edelsteinen geschnitten war.

Der Maya hatte sich schweigend Jean Morros Befehlen gefügt. Ein Schweigen, in dem nach Dan O’Flynns Gefühl pure Resignation lag. Jacahiro hatte sich in sein Schicksal ergeben, wie auch immer dieses Schicksal seiner Meinung nach aussehen mochte. Dan konnte nicht verhindern, daß das dunkle, wie zu Stein erstarrte Gesicht des Maya ihm einen gelinden Schauer über den Rücken jagte.

Batuti schien es ähnlich zu gehen. Jedenfalls preßte der schwarze Herkules die Lippen zusammen und sagte kein Wort. Beide waren sie froh, als sie aus dem düsteren Tempel wieder ins Freie traten, und auch Jean Morros Piraten wirkten sichtlich erleichtert.

Der Bretone hatte angeordnet, alles, was transportiert wurde, zunächst einmal über die endlose Treppe bis an den Fuß des Tempels zu schaffen.

Ein vernünftiger Befehl. Es war sinnlos, blindlings Schätze ans Tageslicht zu schaffen, ohne an die unumgängliche Realität des Rückmarsches zu denken. Um all die Kostbarkeiten aus dem Gewölbe des Tempels an Bord der „Isabella“ zu bringen, hätten die Männer eine Woche gebraucht. Und so viel Zeit hatten sie nicht. Jacahiro wußte es, Dan und Batuti ahnten es nur – und Jean Morro mußte es entweder ebenfalls ahnen oder einfach aufgrund kühler, nüchterner Überlegung annehmen.

Breitbeinig blieb er auf einem der mächtigen Steinquader am Fuß des Tempels stehen und ließ den Blick über seine erschöpften, von fiebriger Gier erfüllten Kumpane gleiten.

„Hört zu!“ sagte er ruhig. „Hört genau zu. Ich werde nämlich jeden erbarmungslos über den Haufen schießen, der später quertreibt. Wir haben den verdammten Schatz gefunden. Aber wir werden darüber nicht den Verstand verlieren. Ich bin genauso wild auf das Gold wie ihr, aber ich habe keine Lust, irgendwo im Urwald neben einem Haufen Gold zu krepieren. Wir werden das, was wir haben, jetzt zurückbringen und an Bord schaffen. Danach erkunden wir erst einmal die Gegend, damit wir nicht in eine Falle laufen. Und dann holen wir Stück um Stück den Rest. Ohne verrückt zu spielen oder uns zu übernehmen! Wir haben nämlich Zeit. Wir können auf Nummer Sicher gehen, und genau das ist es, was wir tun werden. Noch Fragen?“

Niemand sagte etwas.

Für ein paar Sekunden schien sich das Schweigen wie ein Mantel herabzusenken. Und dann, als die Stille jählings zerbrach, waren es nicht die Piraten, die dafür sorgten.

Von einer Sekunde zur anderen wurde es ringsum in der Wildnis lebendig.

Ein Schrei ertönte. Ein kehliger, tremolierender Schrei. Das Dickicht teilte sich. Braunhäutige, wilde Gestalten brachen aus den Büschen, Speere und Lanzen schwirrten, eine Wolke von Pfeilen ging mit hellem, vibrierenden Singen auf die Gruppe der Männer am Fuß des Tempels nieder – und für ein paar Sekunden waren die Piraten viel zu überrascht, um Schrecken zu empfinden, geschweige denn den unvermuteten Angriff mit irgendeiner vernünftigen Reaktion zu beantworten.

Maya-Krieger, durchzuckte es Dan O’Flynn.

Und dann schien ringsum mit einem Schlag die Hölle loszubrechen.

Seewölfe Paket 6

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