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5.

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Das Gesicht der Roten Korsarin schien zu Stein zu erstarren.

Ungläubig blickte sie auf die geöffneten Stückpforten der „Isabella“, auf die drohenden Geschützrohre und auf die Männer an den Drehbassen. Siri-Tong begriff nicht. Sie war wie vor den Kopf geschlagen und genauso fassungslos wie Thorfin Njal, wie Juan, der Boston-Mann und all die anderen. Die Rote Korsarin wußte nur eins: daß hier ihr Schiff innerhalb der nächsten Minuten in einen furchtbaren Feuerhagel hineinlaufen würde und sie sofort etwas tun mußte.

Mit einer wilden Bewegung warf sie den Kopf zurück. Ihre schwarzen Mandelaugen glänzten wie polierte Onyxe.

„Abfallen!“ peitschte ihre Stimme. „An die Brassen! Auf Ruder! Klar bei Musketen! Konzentriertes Feuer auf die Geschützführer der Bugdrehbassen!“

„Weg mit dem Besan!“ brüllte Thorfin Njal. „Vierkant brassen die Großrahen!“

Auf den Decks war es schlagartig lebendig geworden. Ohne achteres Segel fiel „Eiliger Drache“ rasch ab. Siri-Tong preßte die Lippen zusammen, als sie den Fremden auf dem Achterkastell der „Isabella“ sah und und die erschrokkene Geste, mit der er das Manöver des schwarzen Seglers quittierte. Für einen Moment lagen die beiden Schiffe genau auf Kollisionskurs, und selbst aus der Entfernung war das jähe Geschrei zu hören, mit dem der Unbekannte dort drüben anluven ließ.

Männer mit Musketen stürzten zum Backbord-Schanzkleid des „Eiligen Drachen“.

Befehle gellten, Juan und der Boston-Mann sorgten in fliegender Hast dafür, daß wenigstens die Backbord-Geschütze bemannt wurden. Die Männer schufteten in wilder Hektik, und dennoch schien sich die Zeit endlos zu dehnen.

Der Wind drückte den schwarzen Segler jetzt schneller herum.

Die „Isabella“ luvte an, um die drohende Kollision zu vermeiden. Trotzdem stand die Situation auf des Messers Schneide, aber Siri-Tong wußte glasklar, daß sie keine Wahl gehabt hatte.

Nicht mit einem Schiff, das nicht gefechtsklar war, völlig überrascht von dem Angriff, dem Gegner fast hilflos ausgeliefert. An der Steuerbord-Breitseite der „Isabella“ vorbeizulaufen, hätte das Ende bedeutet. Hart an ihrem Bug vorbeizuschneiden, blieb riskant genug, und das konzentrierte Feuer auf die Bugdrehbassen war die einzige Chance, ohne Treffer davonzukommen.

Eine dünne Chance!

Siri-Tong wußte es. Sie hielt buchstäblich den Atem an – und dann begingen die Piraten auf der „Isabella“ den entscheidenden Fehler.

Der Rudergänger paßte nicht auf.

Wahrscheinlich saß ihm die Angst vor einem Zusammenstoß mit dem unheimlichen schwarzen Schiff im Nacken. Jedenfalls schwang die „Isabella“ plötzlich schneller herum, und ihr Bug drehte an „Eiliger Drache“ vorbei, ohne daß die Männer an den Drehbassen Gelegenheit zum Schuß hatten.

Die Backbordkanonen der Galeone waren zwar feuerbereit, aber die Geschützführer hatten nicht damit gerechnet, so schnell feuern zu müssen.

Die „Isabella“ war in den Wind geschossen, und der schwarze Segler lief mit vierkant gebraßten Rahen aus dem Schußbereich. Sekunden später krachte die Breitseite. Aber von den acht siebzehnpfündigen Eisenkugeln klatschten sieben ins Wasser, und nur eine einzige riß ein Loch in das aufgegeite dreieckige Lateinersegel am Besan.

Immerhin war der Bretone geistesgegenwärtig genug, um sofort den Feuerbefehl für die achteren Drehbassen zu geben.

Pfeifend und orgelnd schlugen die Geschosse ins Rigg des schwarzen Seglers. „Eiliger Drache“ lag platt vor dem Wind und rauschte davon. Schon die nächsten Drehbassen-Schüsse lagen zu kurz und konnten nur noch das Wasser aufwühlen, aber das änderte nichts daran, daß die beiden ersten schon genug Schaden angerichtet hatten.

Siri-Tong hatte durch ihr riskantes Manöver verhindert, daß sie gleich im ersten Ansturm in Fetzen geschossen wurden.

Jetzt galt es, das Schiff gefechtsklar zu machen, trotz zerraufter Takelage schnell auf Distanz zu gehen und Zeit zu gewinnen. Zeit brauchten sie am dringendsten. Und Zeit würde ihnen ihr Gegner nicht lassen, wenn es sich nicht gerade um einen blutigen Anfänger handelte. Siri-Tong hatte genug Erfahrung, um die Lage einschätzen zu können. Als der Wikinger neben ihr auftauchte, wirkte ihr schmales, rassiges Gesicht wie aus Marmor gemeißelt.

„Dreck!“ fluchte Thorfin Njal. „Wir sind im Nachteil. Wenn es wenigstens nicht die ‚Isabella‘ wäre!“

Die Rote Korsarin nickte mit zusammengepreßten Lippen.

Ihr Blick hing an dem Schiff – dem feindlichen Schiff, obwohl ihr das immer noch nicht recht in den Kopf wollte. Hätte es sich nicht um die „Isabella“ gehandelt, wäre die Sache einfach gewesen. Der schwarze Segler hatte Brandsätze an Bord, kleine Raketen, die weiter flogen und genauer trafen als Kanonenkugeln und die chinesisches Feuer regnen ließen, unlöschbares Feuer. Ein Schiff, das in dieses Feuer geriet, war rettungslos verloren. Deshalb würde Siri-Tong die Raketen nicht einsetzen. Denn weder sie noch der Wikinger wollten die „Isabella“ in Brand schießen.

Die Rote Korsarin warf das lange Haar auf den Rücken.

„Klar zum Halsen!“ befahl sie. „An die Geschütze!“ Und mit einem tiefen

Atemzug: „Wir versuchen, die Kerle von Steuerbord zu packen, den Rudergänger wegzuputzen und zu entern.“

Für Dan und Batuti erfolgte das Rumpeln, mit dem die Geschütze der „Isabella“ ausgefahren wurden, wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Sie hockten immer noch gefesselt in der Vorpiek. Seit das Schott wieder fest dichtgerammt worden war, hatten sie nur das Knarren der Rahen und Blöcke gehört und das Klatschen nackter Füße auf den Decksplanken. Dann wurden die Bewegungen an Deck plötzlich schneller, aufgeregter, und das Getrampel verriet, daß irgend etwas Ungewöhnliches passiert war. Die beiden Gefangenen richteten sich unwillkürlich auf – und kippten prompt auf die Gräting, als die Galeone urplötzlich anluvte.

Eine Breitseite donnerte.

Höchstens zwei Sekunden später hämmerten die achteren Drehbassen. Das taten sie bestimmt nicht, weil Jean Morro die Funktionstüchtigkeit der Geschütze prüfen wollte, denn zu diesem Zweck hätte er weder überhastet anluven noch das Schiff in den Wind schießen lassen müssen. Die Ereignisse ließen nur einen Schluß zu: Die „Isabella“ war in ein Seegefecht verwickelt.

„Mein lieber Mann“, flüsterte Dan ergriffen, während er sich aufrappelte.

Batuti lehnte mit der Schulter an einem der Süßwasser-Fässer. Im Dunkeln schimmerte das Weiß seiner Augäpfel.

„Verdammtes Don?“ fragte er heiser.

„Woher soll ich das wissen?“ Dan stockte, dann kniff er seine blauen Augen zusammen und sog scharf die Luft durch die Zähne. „Hölle! Das könnte der schwarze Segler sein. Ha! Die werden unser Schiff zu Kleinholz verarbeiten!“

„Kleinholz aus schönes ‚Isabella‘ von Seewolf?“ fragte Batuti empört.

Dan schluckte. Verdammt, daran hatte er nicht gedacht. Natürlich würde die Rote Korsarin Hasards Schiff nicht in Fetzen schießen. Und überhaupt: Woher sollten Siri-Tong und der Wikinger wissen, daß eine Bande von lausigen Piraten den Seewölfen das Schiff geklaut hatte? Thorfin und die Korsarin mußten völlig ahnungslos gewesen sein. Wahrscheinlich hatte die ganze Crew gejubelt, als die „Isabella“ gesichtet wurde. Und wenn sie irgend etwas veranlaßt hatten, dann waren allenfalls die Rumflaschen klar, aber ganz bestimmt nicht die Geschütze.

„Himmel, Mond und Haifischkotze!“ murmelte Dan. „Sie sind in die Falle gelaufen! O verdammt! Sie haben garantiert die volle Breitseite erwischt und …“

„Weil nix Ahnung, daß verdammtes Piraten auf ‚Isabella‘?“ fragte Batuti.

„Genau, Mann! Ich werde verrückt! Dieser Mistbock hat den schwarzen Segler in Trümmer gelegt!“

„Nix Trümmer“, sagte der schwarze Herkules mit schlagender Logik. „Wenn Trümmer, dann Krach, Bumm, Krrch, Rack! Und neue Breitseite, nix Drehbasse.“

Dan starrte seinen Freund an, schluckte zweimal und nickte.

„Ja, verdammt! Das stimmt!“ Und nach einer Pause: „Jetzt hab ich’s! Der ‚Drache‘ hat Lunte gerochen und ist im letzten Moment an unserem Bug vorbeigeschert. Vierkant platt vor dem Wind wahrscheinlich! Und weil der Bretone ein hirnrissiger Affe ist, hat er sich verschätzt und anluven lassen. Und dann ist dem Rudergänger der Kahn in den Wind geschossen! Ha!“

Dan grinste triumphierend. Batuti grinste auch, wie das Blitzen seines schneeweißen Raubtiergebisses bewies. Er lauschte und ließ die Augen rollen.

„Schwarzer Segler zurück“, prophezeite er. „Gleich Krach, Bumm, Krrch und …“

Weiter gelangte er nicht.

Das Donnern einer Breitseite riß ihm die Worte von den Lippen, und im nächsten Augenblick schien sich die „Isabella“ in den sprichwörtlichen Korken unter dem Wasserfall zu verwandeln.

Inzwischen war die Galeone abgefallen und glitt mit halbem Wind nach Norden. Das nächste schmetternde Krachen rührte eindeutig von den Backbord-Culverinen der „Isabella“ her. Nur sehr fern waren dröhnende Befehle zu hören. Wieder orgelte eine todbringende Ladung heran, wieder wurde die Galeone von Treffern durchgerüttelt. Diesmal krängte sie schwer nach Steuerbord, und Dan und Batuti wurden quer durch die Vorpiek gewirbelt.

Sie fluchten um die Wette.

Noch in ihre Flüche hinein begannen die Bugdrehbassen der „Isabella“ zu hämmern, während das Schiff weiter abfiel. Dan O’Flynn zappelte wie ein Fisch auf der Gräting und versuchte dabei zu rekonstruieren, was passiert war.

Der schwarze Segler hatte sich vermutlich erst mal außer Reichweite gebracht, in sicherer Entfernung gehalst, und war dann von achtern aufgesegelt – um längsseits zu gehen und zu entern, klar. Aber die Siebzehnpfünder der „Isabella“ waren mit ihren überlangen Rohren, ihrer großen Reichweite und Treffsicherheit nicht zu verachten. Und Siri-Tong wollte die Galeone in einem Zustand haben, in dem sie noch zu mehr taugte als zum Feuerholz. Mit einem einzigen Brandsatz hätte die Rote Korsarin das Gefecht entscheiden können. Doch genau das durfte nicht passieren.

Dabei dachte Dan einzig und allein an die „Isabella“, dieses Prachtstück von Schiff. Denn daß er und Batuti ebenfalls in den Flammen umkommen würden, hatte er im Augenblick völlig vergessen.

„Hölle und Leibhaftiges!“ fluchte der riesige Gambia-Neger in seinem schauderhaften Englisch. „Mist, elendig verdammichtes! Gleich großes Loch in Bauch von altes ‚Isabella‘. Batuti schneidet Streifen aus Haut von Wikinger, wenn …“

„Quatsch“, unterbrach ihn Dan. „Wenn sie gewinnen, ist der Bretone im Eimer, aber sie können nicht gewinnen, wenn sie Salut schießen. Wir fallen ab, verdammt! Himmel, wenn der Scheiß-Bretone jetzt das Heck des ‚Drachen‘ schneidet …“

Er sprach nicht weiter.

Das war auch nicht nötig. Batuti wußte selbst, daß der schwarze Segler keine Drehbassen führte und bei einem Angriff über Heck oder Bug ziemlich hilflos war, solange er nicht die Bronzegestelle zum Abschießen der Brandsätze einsetzte. Aber Siri-Tong verstand ihr Handwerk. Wenn die „Isabella“ abfiel, würde der schwarze Segler anluven. Und eine volle Breitseite, solange sie nicht die Wasserlinie traf, war immer noch besser als das chinesische Feuer.

Die nächsten Minuten schienen sich für die beiden gefesselten Männer in der Vorpiek zur Ewigkeit zu dehnen.

Wieder und wieder krachten die Breitseiten. Dan zerbiß sich die Lippen. Er glaubte jedes einzelne Manöver vor sich zu sehen. Dem Bretonen war am Anfang ein Fehler unterlaufen, als er anluven ließ und auswich, weil er die Gefahr des Zusammenstoßes überschätzte. Einen zweiten Fehler beging er nicht. Er wußte, daß er sich auf keinen Enterkampf einlassen durfte, weil die Besatzung des schwarzen Viermasters seiner Crew zahlenmäßig weit überlegen war.

Immer wieder wich er geschickt aus und gab dem Gegner keine Gelegenheit, an ihn heranzukommen. Einmal dröhnte ein vielstimmiger Triumphschrei über die Decks der „Isabella“, den selbst die Gefangenen in der Vorpiek hörten. Noch einmal donnerte eine Breitseite, dann fiel die Galeone ganz plötzlich ab und legte sich vor den Wind.

Kein Zweifel, die „Isabella“ floh.

Hätte sie den schwarzen Segler versenkt, wäre sie wieder auf Nordkurs gegangen. Daß sie mit achterlichem Wind nach Westen segelte, konnte nur bedeuten, daß sich die Piraten so schnell wie möglich in Sicherheit bringen wollten. Und das hieß, daß der „Eilige Drache“ zwar nicht mehr die Verfolgung aufnehmen konnte, aber auch nicht in einem Zustand war, in dem er den Piraten als leichte Beute erschienen wäre.

Dan O’Flynn biß die Zähne zusammen.

„Mist“, knirschte er. „Elender Mist! Siri-Tongs Crew hätte die ganze Bande in die Planken gestampft, wenn sie nur herangekommen wäre.“

„Crew wird jetzt Hasard suchen“, sagte Batuti. „Und dann hinter ‚Isabella‘ herjagen wie Teufel hinter armes Seele.“

„Hoffentlich“, murmelte Dan. Und nach einer Pause: „Wir müssen hier ’raus, Batuti. Und wir müssen zusehen, daß wir nicht wieder hier landen. Wenn der ‚Drache‘ auftaucht und Jean Morro kann uns die Pistole an den Kopf setzen, ist alles im Eimer. Wenn es soweit ist, müssen wir die Hände frei haben.“

„Für Morro abmurksen? Krrch?“

Batuti vollführte eine Bewegung, als drehe er jemandem den Hals um. Dan brachte schon wieder ein Grinsen zustande.

„Von wegen krrch! Wenn wir den Bretonen ins Jenseits schicken, schnappen uns die anderen. Sobald wir einen Schimmer von dem schwarzen Segler sehen, jumpen wir außenbords, das ist die einzige Chance.“

Batuti nickte im Dunkeln.

„Gut! Jumpen außenbords, schwimmen zu schwarzes Segler und helfen mit, ‚Isabella‘ wieder unter Nagel zu reißen.“ Er legte eine Pause ein, grinste breit und zeigte sein prächtiges Gebiß. „Und dann werden Piraten in Planken gestampft“, vollendete er. „Und Bretone abgemurkst. Krrch!“

Auf dem schwarzen Segler war die Stille gespenstisch.

Siri-Tong, der Wikinger und der Boston-Mann standen auf dem Achterkastell und starrten das an, was einmal ein Rigg gewesen war. Jetzt bestand es vorwiegend aus Fetzen. Die Großrah lag zerbrochen an Deck, Brassen, Fallen und Geitaue bildeten ein unentwirrbares Knäuel, von Fock und Lateinerbesan wehten nur noch Reste im Wind. Die Rote Korsarin hatte es bis zuletzt vermieden, die „Isabella“ in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.

Die Galeone war zwar auch ziemlich zerrauft aus dem Gefecht hervorgegangen, aber sie befand sich immer noch in einem Zustand, in dem sie dem „Eiligen Drachen über den Wassern“ mit Leichtigkeit davonsegeln konnte.

„Ich begreife es nicht“, sagte Siri-Tong leise. „Die ‚Isabella‘ war unterbemannt. Vierzehn oder fünfzehn Leute, schätze ich. Ich begreife nicht, wie es dieser Haufen fertiggebracht hat, das Schiff in Besitz zu nehmen.“

„Vielleicht haben sie einen schmutzigen Trick angewandt. Der Teufel mag es wissen. Aber Hasard und die anderen müssen irgendwo stecken, verdammt noch mal!“

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihre Augen waren noch dunkler als sonst und wirkten wie mit einem Schleier überzogen.

„Es gibt Inseln in der Nähe“, sagte sie. „Wir müssen suchen. Aber zuerst müssen wir diesen Trümmerhaufen wieder in ein Schiff verwandeln.“

Der Wikinger nickte nur. Sein mächtiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug. Langsam wandte er sich um, stemmte die Fäuste in die Hüften und blickte auf die verwüstete Kuhl hinunter.

„Was steht ihr da herum?“ brüllte er. „Hopp-hopp! Klar Schiff überall, aber ein bißchen plötzlich, bevor ich euch Feuer unter den Hintern entfache.“

Seewölfe Paket 6

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