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6.

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„Land ho!“

Stenmark war aufgesprungen und zeigte nach Süden, wo sich ein dunkler Buckel über die Kimm schob. Ferris Tucker fluchte, weil das Boot unter der heftigen Bewegung noch stärker schwankte. In einem mittleren Sturm würde es zweifellos sofort kentern. Der rothaarige Schiffszimmermann war auffallend schweigsam und grübelte darüber nach, wie er die Konstruktion verbessern konnte.

Überflüssige Grübeleien wahrscheinlich.

Hasard war überzeugt davon, daß der schwarze Segler sie finden würde. Aus schmalen Augen sah er zu den beiden charakteristischen Felsenkegeln der Insel hinüber und beobachtete die dünne Rauchfahne, die jetzt von der höchsten Erhebung aufstieg.

Sie hatten Wachen eingeteilt, die das Feuer unterhielten und in regelmäßigen Abständen grüne Zweige hineinwarfen, damit der Rauch dichter wurde. Das Signal war auf diese Weise aus großer Entfernung zu sehen. Die Männer auf dem Boot hatten die dünne graue Rauchfahne schon zweimal entdeckt, als die Insel noch hinter der Kimm lag, und dem Ausguck des schwarzen Seglers würde es genauso gehen.

Es dauerte noch fast eine Stunde, bis das schwerfällige Fahrzeug das Riff erreichte und durch eine der Lücken in die Lagune glitt.

Die Seewölfe standen am Strand, winkten und halfen dann, das Boot auf den Sandstreifen zu ziehen. Die Männer wirkten erregt, bedrückt, hin- und hergerissen zwischen der Erleichterung, Ben, Shane und Stenmark gesund und unverletzt wiederzusehen, und der Enttäuschung über das mißglückte Unternehmen. Ben Brighton mußte die Ereignisse auf der „Isabella“ noch einmal in allen Einzelheiten berichten, und die anderen knirschten mit den Zähnen vor hilfloser Wut.

Hasard, Ed Carberry und Blacky stiegen zu dem roten Felsenkegel hinauf, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen.

Die anderen gingen unter Ferris Tuckers Leitung daran, brauchbare Wrackteile für ein weiteres Floß zusammenzusuchen.

Im Grunde wußten sie alle, daß es nicht viel Sinn hatte. Aber niemand sprach es aus, denn alles war besser, als untätig hier herumzusitzen und auf den schwarzen Segler zu warten.

Die Karavelle „Santa Monica“ lag über Backbordbug am Wind und segelte Nordostkurs.

Juan de Correggio, Capitan im Dienste Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, stand auf dem Achterkastell und starrte aus schmalen Augen über die leicht bewegte, im Sonnenlicht glänzende See. Die „Santa Monica“ war in den Stürmen der letzten Tage von ihrem Verband getrennt worden. Es waren fünf Karavellen und eine dickbauchige Galeone, die Silber transportierte. Capitan Correggio hatte sich eingebildet, daß es leicht sein würde, die Schiffe wiederzufinden, aber in den letzten Stunden hatte es so ausgesehen, als schwimme die „Santa Monica“ mutterseelenallein auf dem Pazifik.

Der Capitan fluchte.

Nur in Gedanken allerdings, denn alles andere war seiner Meinung nach für einen Diener Seiner Allerkatholischsten Majestät nicht angemessen. Und Juan de Correggio hielt sich für einen besonders guten Diener seines Herrn – er hielt überhaupt eine Menge von sich, seinen seemännischen Fähigkeiten, seinem Verstand und seiner Kampfkraft.

Daß seine Mannschaft anderer Meinung war, hätte ihn im höchsten Maße erstaunt, denn natürlich kam es ihm nie zu Ohren. Die gesamte Crew vom Moses bis zum Steuermann wünschte den langen, dürren Capitan mit dem monströsen Zwirbelbart dahin, wo der Pfeffer wächst. Daß er einen Kaplan an Bord hatte, der jeden Morgen die Messe las, mochte noch angehen. Daß er jegliches Fluchen bei Strafe verbot, spielte auch nicht die Hauptrolle, da er seine Ohren nicht überall haben konnte. Aber Juan de Correggio war ein miserabler Kapitän, er war einfach unfähig, und das hatte auch der letzte der Mannschaft längst herausgefunden.

Daß die „Santa Monica“ nicht im Sturm gescheitert war, grenzte an ein Wunder, das einerseits dem Steuermann und andererseits einem gütigen Geschick zu danken war. Jetzt kreuzte der Capitan blindlings und sinnlos durch die Gegend, um den Verband wiederzufinden, der vermutlich längst in Richtung Nueva Espana segelte. Genau das hätte Correggio ebenfalls tun sollen, aber in diesem wie in vielen anderen Punkten hatte er nun mal seine eigenen Ansichten.

Ansichten, die sich anscheinend als richtig erwiesen, als der Ausguck im Großmars plötzlich Rauchzeichen Backbord voraus meldete.

Durch das Spektiv konnte der Capitan die dünne Rauchfahne jetzt ebenfalls sehen. Seine Augen glitzerten leicht, als er sich dem Steuermann zuwandte, der neben ihn getreten war.

„Rauchzeichen, Diaz! Eins unserer Schiffe ist gestrandet. Oder im Sturm gekentert. Die Männer haben sich offenbar auf eine Insel gerettet.“

Jose Diaz kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Daß das Feuer auf einer Insel brannte, stand fest. Aber wer es angezündet hatte, war nach Meinung des Steuermanns noch sehr die Frage.

„Es könnten auch Eingeborene sein, Capitan. Oder Piraten.“

Juan de Correggio schüttelte den Kopf.

Er sah sich bereits als Retter seiner Landsleute und Held der Stunde. Außerdem hatte seine Version ja immerhin etwas für sich, weshalb er auch keinerlei Gefahren sah, denen man besser auswich. Mit einem tiefen Atemzug richtete er sich auf und versuchte, seine eher schmal geratenen Schultern zu recken.

„Eingeborene und Piraten geben keine Rauchzeichen!“ erklärte er kategorisch. „Klar zum Abfallen! Wir laufen die Insel an und suchen nach den Schiffbrüchigen!“

„Schiff ho!“ brüllte Blacky. „Mastspitzen! Genau Backbord querab!“

Wenn man seine Sitzposition bedachte und sich die Insel als Schiff vorstellte, hatte er recht. „Backbord querab“ lag für ihn im Süden. Aber auf solche Feinheiten achteten im Augenblick weder Hasard noch Ed Carberry, dafür waren sie viel zu erleichtert.

„Eiliger Drache!“ schrie Carberry. „Verdammt, das muß er sein, das …“

„Was? Wo?“

Es war Pete Ballie, der das fragte. Er, Bob Grey und Matt Davies kletterten gerade über die Schräge des Felsenkegels, um die nächste Wache am Feuer zu übernehmen. Jetzt standen sie in der flachen Mulde auf der höchsten Erhebung der Insel und betrachteten verständnislos den wie ein Wilder mit den Armen fuchtelnden Profos und Blacky, der auf einem Felsblock hockte und unverwandt durch das Spektiv nach Süden starrte.

„Der schwarze Segler!“ dröhnte Carberry. „Was sagt ihr nun, ihr Rübenschweine?“

„Halt mal die Luft an, Ed!“ Hasard schwang sich mit einem Sprung zu Blacky auf den Felsen und nahm ihm das Spektiv aus der Hand. Selbst der Profos wurde sehr still. Sicher, es lag nahe, zu glauben, daß es sich bei dem fernen Schiff um den schwarzen Segler handelte. Aber es konnte genausogut ein Spanier sein, ein Pirat oder sonst was, und die Gesichter der Männer spiegelten fiebrige Spannung.

Hasard schwenkte langsam den südlichen Horizont ab.

Eine Viertelminute später hatte er die Mastspitzen im Blickfeld. Hauchfeine Linien – als ragten dünne Stecknadeln über die Kimm. Drei Stecknadeln! Hasard biß die Zähne zusammen, beobachtete weiter und starrte zwei volle Minuten auf das ferne Gebilde, aber an den Tatsachen konnte das nichts ändern.

Der Seewolf ließ das Spektiv sinken.

„Es ist ein Dreimaster“, sagte er ruhig.

„Verdammt!“ knirschte Matt Davies.

„Die ‚Isabella‘?“ fragte Blacky hoffnungsvoll.

„Du hast wohl Bilgewasser im Hirn!“ fauchte der Profos. „Die ‚Isabella‘ ist nach Norden abgehauen, du Heringsbändiger. Glaubst du, die ist durch die Luft nach Süden geflogen, was, wie?“

„Phh!“ machte Blacky.

Hasard setzte von neuem das Spektiv an die Augen. Die drei Mastspitzen waren jetzt deutlicher zu sehen, aber das Schiff würde noch mindestens eine Stunde brauchen, bis es die Insel erreichte – wenn es überhaupt Kurs auf die Insel nahm. Hasards Blick wanderte zu der dünnen Rauchsäule des Signalfeuers. Auch Ed Carberry starrte in die Flammen und kratzte sein zernarbtes Rammkinn.

„Sollen wir das solange löschen?“ fragte er.

„Warum? Erstens ist der Rauch bestimmt schon gesichtet worden. Zweitens, weshalb sollen sie uns nicht finden? Etwas Besseres als ein spanisches Schiff kann uns doch gar nicht begegnen, oder?“

Für einen Moment blieb es still.

Pete Ballie begann breit zu grinsen. Blacky wurde plötzlich so zappelig, daß er fast von dem Felsblock fiel. Ed Carberry starrte Hasard an, atmete tief durch – und schlug sich ziemlich unsanft mit der flachen Hand an die Stirn.

„Ich Esel!“ stöhnte er. „Na klar, wir entern den Don! Die Einfachheit selber, Himmel, Archibald und Zwirn! Die Dons werden nachsehen wollen, was die Rauchzeichen bedeuten. Wir locken sie auf die Inseln und klauen ihnen ihr Schiff unter den Füßen weg.“

„Abwarten“, sagte Hasard trocken. „Es könnte nämlich auch ein ganzer Verband sein. Und dann werden wir uns verdammt anstrengen müssen.“

Die Seewölfe grinsten nur.

Etwa so, wie man sich das Grinsen eines Tigers vorstellen mag, bevor er in die Hammelherde einfällt. Man hatte ihnen übel mitgespielt, sie waren wütend, sogar sehr wütend – und angesichts dieser Tatsache hätte auch ein spanischer Verband besser daran getan, in einem weiten Bogen um die Insel zu segeln.

Zwanzig Minuten später glaubte Hasard mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, daß sich kein Verband, sondern ein einzelnes, vielleicht versprengtes Schiff der Insel näherte.

Nach einer weiteren Viertelstunde war deutlich zu erkennen, daß es sich um eine Karavelle handelte.

Und noch etwas sah der Seewolf: das große Holzkreuz, das unter dem Bugspriet baumelte und das auf allen Meeren nur von den Schiffen Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, geführt wurde.

Als Hasard diesmal das Spektiv sinken ließ, grinste er mit blitzenden Zähnen.

„Es ist ein Spanier!“ verkündete er. „Und jetzt Tempo, Leute! Wir angeln uns den Fisch! Ich will endlich wieder Planken unter den Füßen haben.“

Seewölfe Paket 6

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