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6.

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Durch die nachlassende Dünung pullten sie in die Bucht. Sampedro saß dem ersten Offizier auf der Ducht gegenüber, und er dachte an das, was am frühen Morgen geschehen war. Er hatte erfahren, daß de la Torre nach seinem Dialog mit Alvarez an die vordere Balustrade der Back getreten war und auf die Galionsplattform hinuntergeschaut hatte. Das konnte nur Sekunden nach dem Verschwinden des Kochs und des Moses von der Plattform gewesen sein, um ein Haar hätte der Erste sie dort also entdeckt!

Die Wahrheit beichten? Sampedro fragte sich, welchen Wert es hatte. Keiner weinte dem Geschwader-Zahlmeister de Bobadilla eine Träne nach, auch de la Torre nicht. Gestand der Koch aber, so war der Offizier gezwungen, seinem Kapitän darüber Meldung zu erstatten und Sampedro bestrafen zu lassen.

Juan Flores saß hinter Sampedro und blickte auf den Rücken des Mannes, während er sich mit dem Riemen abmühte. Der Koch war sein bester Kamerad geworden, und er, Juan, würde sich lieber totschlagen lassen, als den Mann zu verraten.

Ein Baske hatte seinen ganz besonderen Stolz und Dickschädel. Juan hatte sich selbst ‚amor proprio“ geschworen, das Gesetz der Selbsterhaltung bis zur äußersten Konsequenz, weil Francisco Sampedro es von ihm verlangte. Nie wieder würde er versuchen, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, aber er wußte, daß er es für den Koch und die anderen Kameraden opfern würde, falls das erforderlich sein würde. Was immer er tun konnte, um ihnen zu helfen – er würde es tun.

Die Jolle gelangte in den Dunstschleiern, die noch zäh über weiten Bereichen der Bucht hingen, ans Ufer. De la Torre stieg als erster aus und blickte sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Seine sechs Begleiter zogen unterdessen die Jolle an Land.

„Ich glaube, weiter im Süden stehen Häuser“, sagte er plötzlich. „Juan, das Spektiv bitte.“

Juan Flores reichte ihm das Rohr. Der Erste hob es vors Auge und spähte durch die Optik. „Eine Stadt“, stellte er fest. „Mit einem Hafen. Wir schleichen uns etwas näher heran und versuchen, Genaueres auszukundschaften. Ich möchte zumindest feststellen, ob in der Stadt zivilisiertere Menschen leben als auf der Insel, ehe ich an sie herantrete und mit Verhandlungen beginne.“

„Gott gebe, daß wir diesmal Glück haben“, sagte Francisco Sampedro.

Sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Keine halbe Stunde später wurden sie zwei Meilen nördlich von Westport von Uniformierten gestellt, die als Reiterpatrouille des Gouverneurs Bingham einen Routineausflug unternommen hatten – und nun fündig wurden. Acht Mann, die ihre Musketen auf die Spanier richteten …

„Die Waffen weg“, befahl ihr Anführer, ein Leutenant der Stadtgarde, der von Sir Richard Bingham bezüglich „umherschweifender irischer Rebellen und spanischer Bastarde“ seine präzisen Anweisungen erhalten hatte.

De la Torre und seine sechs Männer befolgten den Befehl, denn sie hatten nicht die geringste Chance, sich mit ihren Säbeln und Schiffshauern gegen die Schußwaffen der Engländer zu behaupten.

De la Torre beherrschte die englische Sprache recht gut. Er verstand nicht nur die barschen Rufe, mit denen die Reiter sie jetzt in die Stadt trieben, er begriff etwas später auch fast jedes Wort von dem, was der fette Mann in dem größten Gebäude Westports, der Stadtkommandantur und Verwaltung, zu ihnen sagte.

Sir Richard Bingham – er betrachtete die sieben Jammergestalten mit angewiderter Miene und bedeutete den Gardisten, sie ja nicht zu nah an sein Pult heranzudirigieren.

„Spanisches Lumpenpack, heruntergekommene Bastarde“, urteilte er. „Wer, zum Teufel, hat euch die Erlaubnis gegeben, hier frei herumzulaufen? Von welchem Schiff stammt ihr? Himmel, man muß diese stinkenden Hunde untersuchen lassen, denn es könnte sein, daß sie uns die Cholera nach Westport bringen. Wer seid ihr? Was wollt ihr?“

De la Torre war nicht so dumm, ihm auf englisch zu antworten. Er erkundigte sich vielmehr in seiner Muttersprache: „Versteht hier jemand Spanisch?“

„Lieutenant“, sagte Bingham. „Offenbar ist keiner von diesem Gesindel unserer Sprache mächtig. Holen Sie sofort einen Dolmetscher – und den Arzt, verdammt noch mal. Und daß mir sonst keiner in die Kommandantur kommt, verstanden?“

„Ja, Sir.“

Bingham wollte auf keinen Fall von diesem Killigrew, diesem Ribault oder einem ihrer Männer gestört werden, denn er rechnete damit, daß sie ihm kräftig ins Handwerk pfuschten, wenn sie erst einmal mitansahen, wie er mit solchen Gefangenen wie diesen umzuspringen pflegte. Obwohl er gegen die Spanier kämpfte, sollte dieser Seewolf ein ritterlicher Typ sein, und es konnte gut möglich sein, daß er und seine Kameraden mit so rüden Methoden, wie Bingham sie anwandte, nicht einverstanden waren. Killigrew, so schätzte der Gouverneur, war glatt in der Lage, ihm diese sieben Gefangenen wegzunehmen.

Bingham hatte keine Skrupel, diese Burschen einzeln über die Klinge springen zu lassen, aber erst, wenn er von ihnen erfahren hatte, wo sich ihr Schiff befand und was es an Bord mitführte.

Die Garde hatte zu berichten gewußt, daß weiter nördlich eine Jolle auf dem Ufer der Clew Bay liege, die nicht aussah wie eine englisches oder irisches Boot. Zweifellos waren die sieben spanischen Strolche mit dieser Jolle eingetroffen.

Während der Lieutenant unterwegs war, um den Dolmetscher und den Arzt zu holen, wandte de la Torre sich an seine Begleiter.

„Jetzt können wir noch reden, da hier ja niemand Spanisch versteht“, sagte er. „Kameraden, ich habe den Eindruck, wir sind vom Regen in die Traufe geraten. Meine Menschenkenntnis sagt mir, daß der dicke Kerl dort hinter dem Pult uns nur ausplündern will. Wir dürfen ihm nicht verraten, wo unser Schiff liegt – um keinen Preis.“

„Ruhe!“ rief Bingham. „Ich dulde nicht, daß ihr Hunde miteinander tuschelt!“

„Senor“, sagte Francisco Sampedro zu seinem ersten Offizier. „Der Fettwanst scheint seiner Uniform nach den englischen Besatzungstruppen in Irland anzugehören. Der wird auch nicht davor zurückschrecken, uns ins peinliche Verhör zu nehmen, schätze ich.“

„Hast du Angst davor?“

„Nein, ich nicht.“

„Madre de Dios“, stammelte Juan Flores.

„Ruhe!“ brüllte Bingham. „Bringt diese Bastarde zum Schweigen!“

„Sir“, entgegnete ein Mann der Garde. „Sie verstehen uns doch nicht.“

„Legt mit den Musketen auf sie an, dann werden sie’s schon kapieren!“ schrie der sehr ehrenwerte Sir Bingham, der mittlerweile bedenklich rot im Gesicht geworden war.

Die Stadtgardisten hoben ihre Musketen und zielten auf die Köpfe der Spanier. Das wirkte. De la Torre, Sampedro, Flores und die anderen vier verstummten tatsächlich.

Bingham musterte sie aus schmalen, wäßrigen Augen, Vielleicht hatten sie ihn hereingelegt. Vielleicht verstand einer von ihnen ja doch die englische Sprache. Aber auch das würde er bald herausfinden. Sehr schnell würde er sie zum Sprechen bringen. Oh, sie würden noch froh sein, ihm alles über sich und ihr Schiff beichten zu dürfen.

Der Lieutenant kehrte mit dem Dolmetscher, einem hageren Asketen namens Harris, und dem Arzt von Westport, Doc Wheeler, zurück. Sir Richard Bingham gab den Männern knappe Anweisungen. Die Stadtgardisten hatten die Musketen inzwischen wieder sinken lassen, und der Arzt begann mit einer kurzen Untersuchung der Gefangenen, wobei Harris seine Worte übersetzte – beispielsweise: „Mund auf und Zunge ’raus!“

„Diese Männer leiden an Unterernährung und sind halb verdurstet“, verkündete Doctor Wheeler dann seine Diagnose. „Einige von ihnen sind dem Skorbut sehr, sehr nahe, aber Anzeichen von Cholera und anderen schweren Ansteckungskrankheiten kann ich nicht entdecken.“

De la Torre hatte auch dies verstanden und folgerte im stillen daraus, daß der Feldscher der „Gran Grin“, der seine Befürchtungen außer Kapitän de Mendoza nur ihm, de la Torre, anvertraut hatte, wahrscheinlich doch etwas übertrieben hatte. Noch schien der Hauch der Cholera nicht über der Galeone zu schweben, und das war ein winziger Lichtblick, denn die Mangelerscheinungen konnte man bei den leichteren Fällen auskurieren.

De la Torre war drauf und dran, den Gouverneur und besonders den Arzt jetzt doch um Hilfe zu ersuchen, da sagte Bingham: „Sehr gut, wir brauchen also nicht um unsere Gemütlichkeit zu fürchten. Harris, erklären Sie diesen Elendsgestalten, daß ich sie in den Kerker werfe und der Folter aussetze, wenn sie nicht sofort verraten, wo ihr Schiff liegt und was sie an Bord haben.“

Harris tat sein Bestes, aber de la Torre und seine sechs Begleiter schwiegen eisern. Kein Wort war aus ihnen herauszubringen.

„Führt sie ab“, ordnete Bingham vor Wut keuchend an. „Im Kerker hört man ihr Schreien nicht, wenn ich sie vom Foltermeister einer intensiven ‚Behandlung‘ unterziehen lasse.“

Doc Wheeler wandte sich um und trat zu Bingham ans Pult. „Du solltest dir reiflich überlegen, wie du mit diesen Männern verfährst, Richard“, sagte er. „Sie haben ärztliche Hilfe bitter nötig.“

„Wie? Du würdest sie wirklich pflegen?“

„Sie sind völlig am Ende.“

„Warum stellen sie sich dann so verbohrt an? Die haben noch Reserven, das sind zähe Hunde, sage ich dir.“

„Trotzdem …“

„Welches Gesetz schreibt mir vor, daß ich ihnen Beistand leisten muß?“

„Das Gesetz der Menschlichkeit, das Gesetz der Fairneß und Ritterlichkeit einem Feind gegenüber, der sich in unserer Hand befindet“, sagte der Arzt.

Binghams Blick wurde feindselig. „Solche Gesetze kenne ich nicht. Hör zu, mein lieber Freund, bisher haben wir uns nie gestritten, und ich möchte, daß das auch weiterhin so bleibt, denn ich schätze dich wirklich und würde es bedauern, wenn du für immer aus Westport verschwinden würdest. Ein anderer Arzt an deiner Stelle – nein, das mag ich mir nicht vorstellen, mein lieber Wheeler. Würdest du so weit gehen, das Schicksal dieser spanischen Bastarde zu teilen? Du, der du eine Familie mit drei Kindern zu ernähren hast?“

Doctor Wheeler war bleich geworden. „Ich will nichts gesagt haben“, entgegnete er.

Nach dem üppigen „Frühstück“, das sowohl auf der „Isabella“ als auch auf der „Vengeur“ stattgefunden hatte, fühlten sich Hasard, Jean Ribault, Karl von Hutten und die beiden Crews so richtig faul und zufrieden. Alle blieben vorläufig an Bord ihrer Schiffe, denn wer in der Nacht die Kneipe besucht hatte, hatte jetzt keine Genehmigung zum Landurlaub und vorläufig auch kein Interesse mehr daran. Wer hingegen nachts die Ankerwache hatte schieben müssen und jetzt berechtigten Anspruch auf Ausgang hatte, verspürte ebenfalls keine Lust, sich umzutun und an Land auf die Pauke zu hauen.

„Später vielleicht“, sagte Ben Brighton, der mit Big Old Shane, Ferris Tucker, Carberry, Old O’Flynn und Smoky beim Seewolf in der Kampitänskammer saß.

Ben hatte die acht Glasen dauernde Mittelwache, die von Mitternacht bis vier Uhr morgens dauerte, mit Matt Davies, Jeff Bowie und Al Conroy zusammen durchgeführt. Jetzt streckte Ben auf seiner Sitzgelegenheit die Beine weit von sich und gähnte herzhaft.

„Verzeihung, Sir“, sagte er. „Darf ich mich mal ein wenig gehenlassen? So gut habe ich seit mindestens zwei Wochen nicht mehr gefrühstückt.“

„Bitte, bitte“, entgegnete Hasard. „Du kannst dich auch in deine Koje packen, wenn du willst, es stünde dir rechtmäßig zu.“

„Nein, danke, darauf verzichte ich lieber.“

„Es ist wohl besser, wenn wir alle auf der Hut sind“, sagte nun Big Old Shane. „Diesem Bingham ist nicht über den Weg zu trauen. Der ist imstande und versucht, mit seiner Garde unsere Bordwachen zu überwältigen, sich seinen Proviant wiederzuholen und unsere Schiffsräume auszuplündern.“

„Viel ist bei uns doch nicht mehr zu holen, seit wir der Lissy unsere Schätze abgeliefert haben“, meinte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Der würde schön dumm glotzen, der Fettwanst, wenn er unsere leeren Frachträume sehen würde.“

„Spielt keine Rolle“, sagte der Profos. „So ein Widerling wie Bingham ist zu allem fähig. Möchte wissen, was der jetzt in seinem alten Stinkstall, der Stadtkommandantur, ausbrütet.“

„Er will uns doch auf spanische Schiffe hetzen“, sagte Ferris Tucker. „Bestimmt ist er am Tüfteln, wie sich das am besten hinkriegen läßt, statt in seinem Bett zu liegen und zu schnarchen.“

„Eben deswegen habe ich ja Dan und Bill auf Erkundungsgang geschickt“, sagte Hasard. „Sie waren die einzigen, die Lust dazu hatten, sich ein wenig die Beine zu vertreten und bei der Gelegenheit in der Stadt herumzuspionieren.“

Carberry grinste. „Diese beiden Lausekerle sind doch bloß darauf aus, hinter Weiberröcken herzuspionieren. Stimmt’s?“

Jemand klopfte an die Tür der Kapitänskammer, und Hasard hob den Kopf. „Herein.“

Unwillkürlich tasteten die Männer nach ihren Pistolen. Sollte sich jemand an Bord der „Isabella“ geschlichen haben? Das wäre ungeheuerlich! Aber nein, ein Eindringling hätte nicht angeklopft.

In der Tat, es waren Dan O’Flynn und Bill, die jetzt eintraten und sich gleich dem Profos zuwandten.

„Wir haben schon verstanden, was du gesagt hast, Mister Carberry“, erklärte Dan O’Flynn. „Aber du irrst dich. Wir haben unsere Pflicht erfüllt und herausgekriegt, daß der saubere Sir Richard Bingham Spanier gefangen hat.“

„Nun laßt mich mal raten“, sagte Hasard, während Carberry verdrießlich schnaufte. „Bestimmt handelt es sich um Schiffbrüchige.“

Bill nickte eifrig. „Sieben Mann. Es sind bis auf die Knochen abgemagerte Jammergestalten, bei deren Anblick einem ganz elend zumute wird. Wir haben nur gesehen, wie berittene Gardisten die Spanier in den Hof der Kommandantur getrieben haben, mehr nicht.“

„Aber als barmherziger Samariter wird Bingham sich bestimmt nicht aufführen“, fügte Dan O’Flynn hinzu.

„Der Himmelhund“, sagte sein Vater. „Er wird aus ihnen ’rausprügeln, wo ihr Schiff liegt. Dann erscheint er bei uns und verlangt, auszulaufen und den Kahn zu entern.“

Der Seewolf war aufgestanden. „Solange warten wir aber nicht. Dan und Bill, ihr habt gute Arbeit geleistet. Männer, rafft euch trotz eurer vollen Bäuche auf und bereitet euch auf einen Besuch bei Bingham vor. Ich lasse es nicht zu, daß dieser Bastard hilflose, halbverhungerte Spanier foltert. Wir gehen jetzt zu Jean Ribault hinüber und unterrichten ihn über das, was Dan und Bill gesehen haben. Danach marschieren wir mit einem starken Trupp geradewegs zur Stadtkommandantur.“

Seewölfe Paket 9

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