Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 14

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Shane, Ferris, Dan und der Kutscher pirschten sich auf Umwegen an die Stadtkommandantur heran. Sie wähnten sich unbeobachtet, aber in einer düsteren Gasse trat ihnen plötzlich ein Mann in den Weg.

„Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle“, sagte er. „Doctor Wheeler. Bitte hören Sie mich an.“

Shane wollte schon Anlauf nehmen und den Mann, den er für einen Spitzel Binghams hielt, durch einen gezielten Faustschlag zu Boden schicken, da bremste ihn der Kutscher.

„Augenblick, Shane. Ich glaube nicht, daß der Mann feindselige Absichten hat.“

„Nur, weil er ein Quacksalber ist?“ zischte Ferris dem Kutscher zu. „Hör bloß auf.“

Sie schoben sich näher an Doc Wheeler heran, und dieser sprach hastig auf sie ein. „Ich weiß, daß der Seewolf nur zum Schein auf Binghams schmutzige Angebote eingegangen ist. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht vorstellen. Und ich weiß auch, daß Sie, Gentlemen, jetzt die sieben spanischen Gefangenen aus dem unterirdischen Verlies der Kommandantur befreien wollen.“

„Also doch“, sagte Shane. „Doc, die Gentlemen müssen Sie leider mitnehmen, und Sie werden hübsch brav sein, ja?“

„So warten Sie doch. Ich will Ihnen helfen. Sie müssen mir glauben. Selbst konnte ich für die Spanier nichts tun, weil Bingham mir gedroht hat, weil ich Familie habe … Aber ich wehre mich trotzdem dagegen, daß er sich an wehrlosen, kranken, halbverhungerten Menschen vergreift. Ich kann Ihnen versichern, daß die Spanier nicht gefoltert worden sind, soviel ist mir bekannt. Und ich will Ihnen noch mehr sagen: Das Tor zum Hof der Kommandantur wird von zwei Soldaten bewacht. Es gibt aber noch einen Nebeneingang, den sie leicht öffnen können. Ich verrate Ihnen, wie das geht.“

„Das ist eine Falle“, murmelte Ferris Tucker. „Hölle und Teufel …“

„Noch etwas“, fuhr der Arzt fort. „Ich gebe Ihnen Medikamente für die armen Teufel mit. Ansteckende Krankheiten haben sie nicht, aber die Zähne werden ihnen ausfallen, ihre Augen werden sich entzünden, sie werden Ausschlag kriegen, wenn nicht sofort etwas für sie getan wird.“

Der Kutscher lächelte. „Ich habe selbst schon Arzneimittel bei mir, Sir, aber selbstverständlich greife ich gern zu, denn mann kann ja nie genug Medikamente zur Verfügung haben.“

„Wie, Sie sind …“

„Nur ein Feldscher, Sir.“

„Kutscher“, raunte Shane ihm zu. „Mensch, hör auf. Merkst du denn nicht, was läuft?“

„Nein. Dieser Mann meint es ehrlich“, versicherte der Kutscher ihm. „Ich bin da völlig sicher.“

„Also, ich bin mit dem Kutscher einer Meinung“, sagte Dan O’Flynn. Genügend Menschenkenntnis hatte auch er. So aufrichtig, wie dieser Doc Wheeler sie anblickte, konnte sich kein Heuchler und Verräter verhalten.

„Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt“, sagte Big Old Shane gedämpft. Er traute hier in Westport keinem über den Weg. Die Stadt war seiner Ansicht nach ein ausgesprochenes Halunkennest.

Der Kutscher nahm die Medikamente von Doctor Wheeler entgegen und versenkte sie in einer ledernen Tasche, die er sich umgehängt hatte. Er deutete eine kleine Verbeugung an. „Meinen herzlichen Dank, Sir. Wir wissen Ihre Hilfsbereitschaft zu schätzen und werden Sie immer in angenehmer Erinnerung behalten.“

„Ich muß mich bedanken“, erwiderte der Arzt. „Verzeihen Sie, wenn ich nicht selbst an Ihrer Aktion teilnehme, aber ich muß in dieser Stadt leben. Mit meiner Frau. Mit meinen drei Kindern. Unter Binghams Knute.“

„Dafür haben wir volles Verständnis“, sagte der Kutscher. „Auf Wiedersehen, Sir.“

„Auf Wiedersehen – und viel Erfolg.“

Die vier von der „Isabella“ schlichen weiter. Doc Wheelers Gestalt verschmolz hinter ihnen mit dem Dunkel der Gasse.

„Du mit deinen geschraubten Reden, Kutscher“, zischte Ferris Tukker. „Ich sehe ja ein, daß ihr beide, Dan und du, auch recht haben könntet, aber manchmal bringst du mich ganz schön in Wut mit deinem Gequatsche.“

Der Kutscher entgegnete darauf nichts. Es war die innere Anspannung vor dem Unternehmen, die Ferris und auch Shane ziemlich unwirsch werden ließ. Sie fühlten sich hauptsächlich verantwortlich für den Ausgang ihres Vorhabens, und das zehrte doch ein wenig an ihren Nerven.

Sie schwiegen. Der Nebeneingang zum Hof der Kommandantur, den Doc Wheeler ihnen beschrieben hatte, existierte tatsächlich, und der Kutscher demonstrierte, daß er sich mit einigem Geschick auch auf genau die Weise öffnen ließ, die der Arzt ihm schnell mitgeteilt hatte.

So huschten sie Sekunden später über den Hof, an den Stallungen vorbei und dann in den Haupttrakt des Gebäudes. Dan hatte bei seinen Erkundungsgängen durch die Stadt herausgefunden, daß der Kerker sich hier befand. Er hatte niedrige, vergitterte Fensteröffnungen in Fundamenthöhe entdeckt, die darauf schließen ließen, daß es ein Kellergewölbe gab.

Waffen hatten die vier Männer reichlich von Bord der „Isabella“ mitgenommen und sich in die Gürtel gesteckt, aber, wie sooft, stellte sich auch diesmal wieder heraus, wieviel doch eine solide Handspake aus englischer Eiche wert war.

Dem ersten Posten im Gebäudeinneren, der sich überrascht zu ihnen umdrehte, hieb Big Old Shane die Spake auf das Haupt. Der Gardist Sir Richard Binghams sackte zusammen, ohne sich mit einem Wort oder Laut über die rüde Behandlung zu beklagen.

Shane, Ferris, Dan und der Kutscher pirschten weiter, fanden die Steintreppe, die gewunden in das Kellergewölbe hinabführte, und folgten ihrem Verlauf.

Wenig später traten noch einmal die Spaken in Aktion. Diesmal knüppelten Shane, Ferris und Dan auf die zwei Wachtposten vor dem Zugang zum eigentlichen Kerker ein. Es war das Pech der Gardisten, daß sie keine Helme trugen.

Der eine Soldat wollte seine Muskete in Anschlag bringen und abdrücken. Beinah wäre es ihm auch gelungen, was zur Folge gehabt hätte, daß sämtliche Wachen, die Bingham in seinem „Gouverneurspalast“ zurückgelassen hatte, zusammengelaufen wären und Shane, Ferris, Dan und dem Kutscher den Rückweg abgeschnitten hätten. Zwei oder drei Mann hätten genügt, um die Kellertreppe zu bewachen und den Männern der „Isabella“ die Hölle heiß zu machen.

Gerade noch rechtzeitig verpaßte Big Old Shane dem Soldaten den entscheidenden Hieb. Ächzend sank auch dieser Mann zusammen. Er blieb reglos neben seinem Kameraden liegen.

Der Kutscher hatte die Muskete aufgefangen, die dem Gardisten entglitten war. Behutsam löste er die Spannung des Hahnes und führte den Hahn mit dem Daumen in Sicherungsposition auf die Pfanne des Steinschlosses zurück.

„Hast du auch nicht zu hart zugeschlagen?“ fragte Ferris den graubärtigen Riesen.

Der Kutscher beugte sich über die Soldaten. Nach einer kurzen Untersuchung stellte er fest: „In Ordnung. Sie leben beide noch, sind nur bewußtlos.“

Ferris entnahm dem einen Gardisten ein Schlüsselbund und probierte an der Gittertür, die sie vom Verlies trennte, einen Schlüssel nach dem anderen aus. Dann hatte er den richtigen gefunden, und sie hasteten in den dunklen, feuchten Gang zwischen den Zellen, zu den sieben ausgemergelten Gestalten, die sie völlig entgeistert anblickten.

Der erste Offizier Vega de la Torre staunte noch mehr, als er die fremden Männer in tadellosem Spanisch erklären hörte, was der Grund ihres Besuches sei, und was sie sonst noch vorhatten.

Rasch waren die Zellentüren geöffnet. De la Torre standen die Tränen in den Augen, als er in den Gang hinaustaumelte, und er schämte sich dessen nicht. Er blickte zu Juan Flores, trat zu ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise: „Du brauchst keine Gewissensbisse zu haben. Ich habe begriffen, warum du gesprochen hast. Du hast es zu unserem Besten getan – und für die Mannschaft an Bord der ‚Gran Grin‘.“

„Dennoch bin ich gescheitert“, erwiderte Juan bedrückt. Er hatte ihnen ja berichtet, daß die Galeone auf die Klippen gelaufen war – und was der Henker Bingham vorhatte.

„He“, raunte Ferris Tucker ihnen zu. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Vorwärts. Wir müssen uns mächtig beeilen.“

Sie verließen den Kerker, hetzten die wuchtigen Treppenstufen hinauf und konnten die Kommandantur ungesehen durch die kleine Tür verlassen, die sie auch zum Eindringen benutzt hatten. Ebenso ungehindert gelangten sie zu der Pier, an der die „Isabella“ und die „Vengeur“ zum sofortigen Auslaufen warteten.

„Kutscher“, sagte Shane etwas außer Atem, als sie an Bord geklettert waren und die Schiffe nebeneinander her in die Bucht hinausrauschten. „Du hattest also doch recht. Dieser Doc Wheeler hat uns nicht hereingelegt.“

Der Kutscher nickte. „Ich wette, er steht irgendwo in einem der Häuser dort hinter einem Fenster und beobachtet uns. Er darf jetzt aufatmen. Sein Gewissen ist rein.“ Er wandte sich zu den Spaniern um, die gerade vom Seewolf begrüßt wurden. „Senores“, sagte der Kutscher. „Bisher habe ich leider keine Gelegenheit gefunden, aber lassen Sie sich jetzt ein wenig Lebertran einflößen. Sie werden staunen, wie rasch der Ihnen wieder auf die Beine hilft.“

Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ segelten nicht westwärts, wie Bingham es von ihren Kapitänen verlangt hatte. Sie rauschten hoch am Wind mit Backbordhalsen und auf Steuerbordbug liegend nordwärts zu den kleinen, dem Buchtufer vorgelagerten Inseln.

Von Westport aus konnten sie nicht mehr beobachtet werden, denn die Stadt lag an einer kleinen Bucht, die nach Osten verlief – beide Schiffe befanden sich also für die Wache der Kommandantur, die jetzt das Verschwinden der Gefangenen bemerkt hatte, im toten Blickfeld. Das war gut so, denn auf diese Weise würde kein Bote lospreschen, um Bingham darüber zu unterrichten, daß die „lieben Freunde“ zu ihm unterwegs waren.

Das Wetter hatte sich beruhigt. Nur eine mäßige Dünung kräuselte das Wasser der Bucht. So war es selbstverständlich, daß Bill, der Ausguck, etwa eine halbe Stunde nach dem Auslaufen an Steuerbord der „Isabelle“ die „Flotte“ des Sir Richard Bingham sichtete, die sich viel dichter unter Land nach Norden bewegte.

Ebenso selbstverständlich war es, daß auch Bingham die „Isabella“ und die „Vengeur“ erspähte.

„Er wird sich die Haare raufen und mit den Zähnen knirschen“, sagte auf der „Vengeur“, die jetzt in Kiellinie hinter der „Isabella“ lief, Jean Ribault zu Karl von Hutten. „Was meinst du, ob unser übergewichtiger Freund wohl ahnt, was wir vorhaben, oder ob er glaubt, wir hätten uns im Kurs geirrt?“

Karl lachte. Er hatte durchs Spektiv zu den beiden Schaluppen und den vier Einmastern hinübergeblickt und gesehen, daß vom „Flaggschiff“ des stolzen Verbandes aus signalisiert wurde. „Er gibt uns Zeichen. Wir sollen beidrehen.“

„Husten werden wir dem was, nicht wahr, Sir?“ sagte auf der „Isabella“ Ed Carberry zum Seewolf.

„Natürlich, Ed. Wir halten unter Vollzeug auf die ‚Gran Grin‘ zu und erreichen sie so zeitig, daß Bingham nur noch das Nachsehen hat.“

„Man müßte ihm trotzdem noch eins auswischen.“

„Das tun wir auch, Ed“, sagte der Seewolf. „Warte nur ab.“

Kapitän Pedro de Mendoza glaubte zu träumen. Gaukelte der beginnende Wahn ihm Trugbilder vor? War diese Vision die letzte große seelische Qual, die er durchstehen mußte, ehe er zum Sprung über die düstere Schwelle ansetzte?

Mit schwachen, zittrigen Knien stand er auf der Back seines zertrümmerten Schiffes und blickte zu der dreimastigen Galeone. Auffallend hoch waren ihre Masten, flach die Aufbauten, und auf dem Achterdeck glaubte der Spanier ein Ruderhaus zu erkennen.

Ein Schnellsegler, dachte er.

Die Galeone schob sich näher und näher heran, und nach Süden sicherte eine zweimastige Karacke, deren Lateinersegel von einer flinken, kundigen Mannschaft aufgegeit wurden.

Auch die Galeone geite ihre Segel auf, und dann wurden zwei große Beiboote abgefiert und bemannt. Sie lösten sich von den Bordwänden der Galeone. Je sechs Rudergasten pullten sie mitten zwischen die Inselklippen – und dann wußte de Mendoza plötzlich, daß er keinem grausamen Traum erlegen war. In den Jollen erkannte er jetzt deutlich genug zwei seiner Männer – de la Torre und Francisco Sampedro. Mehr tot als lebendig sahen sie aus, wandelnde Skelette, aber sie konnten lachen, winken, rufen, die erlösende Nachricht überbringen.

„Capitán! Wir haben es geschafft! Senor Capitán – El Lobo del Mar ist erschienen, um uns zu helfen!“

Erlösung, ja, aber wenige Minuten später, als die Männer der Jollen zu ihm und den anderen an Bord der „Gran Grin“ kletterten, hatte de Mendoza doch wieder den Eindruck, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. El Lobo del Mar, der Seewolf – der große Schwarzhaarige, der jetzt auf ihn zutrat, wer hatte von ihm nicht schon gehört? Spaniens Todfeind. Und dieser Mann sollte jetzt allen Ernstes vorhaben, ihm Beistand zu leisten, ihn und den letzten Rest der Mannschaft aus dieser tödlichen Klemme zu holen?

Hasard blieb vor de Mendoza stehen und streckte die Hand zum Gruß aus.

„Sagen Sie nichts, Senor“, erklärte er in seinem tadellosen Spanisch. „Ich weiß auch so, was Sie denken. Der Feind wirft keinen rettenden Anker, nicht wahr? Ich gestehe, ich war mit dabei, auch vor Calais. Aber bei allem, was Sie über mich gehört haben, werden Sie nicht abstreiten können, daß ich auch für meine Fairneß bekannt bin. Sie und Ihre Besatzung sind in Not. Das ist keine Kriegssituation. Wir haben de la Torre und seine sechs Begleiter aus dem Kerker von Westport geholt. Wir bringen auch Sie von hier fort, ehe der korrupte, beutegierige Gouverneur Bingham Sie überfallen kann.“

De Mendoza erkannte die Ehrlichkeit in Hasards Worten. Er ergriff die dargebotene Hand und drückte sie.

Seine Besatzung und er wurden von der „Isabella“ übernommen, während Jean Ribault und Karl von Hutten mit der „Vengeur“ weiter nach Süden sicherten.

De Mendoza ließ auch die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders bergen und auf die Galeone des Engländers bringen. Und wieder hatte er einen Grund, sich zu wundern, denn keiner der Seewölfe rührte die Truhe an.

Wenig später segelten beide Schiffe westwärts. Die Spanier erhielten ihre erste. Mahlzeit, und der Kutscher, von einigen Männern der Crew unterstützt, kümmerte sich auch um ihren gesundheitlichen Zustand. Er behandelte die Spanier nicht nur mit Lebertran – es bedrufte weitaus mehr, um sie vor den Folgen ihrer großen Entbehrungen zu schützen.

Die „Isabella“ und die Karacke verholten hinter Clare Island – auf Warteposition. Hier bot Kapitän de Menzoda dem Seewolf an: „Senor, übernehmen Sie die Kriegskasse. Ich überlasse sie Ihnen gern – als Entgelt für das, was Sie für uns getan haben.“

Hasard lächelte. „Danke für das Angebot, aber ich muß es ablehnen. Wenn ich jemandem helfe, dann tue ich es nicht, weil ich mir davon Gewinn verspreche.“

„Ich wollte Sie nicht beleidigen …“

„Das tun Sie auch nicht“, sagte der Seewolf. „Aber ich lege großen Wert darauf, daß Sie die Kriegskasse mit nach Hause nehmen. Es ist Ihr Verdienst, Capitán, daß dieser Schatz erhalten geblieben ist, und Ihnen steht dafür eine Auszeichnung zu.“

„Darauf verzichte ich gern“, erwiderte der Spanier ernst. „Ich hätte tausendmal vorgezogen, meine Mannschaft beisammenhalten zu können.“

„Sie haben keinen Grund, sich deswegen etwas vorzuwerfen.“

„Nein. Aber ich werde dies alles nie vergessen“, sagte de Mendoza. „Sollte Spanien jemals wieder versuchen, England anzugreifen, so werde ich zum Deserteur, Senor Killigrew.“

Der Angriff der Binghamschen „Flotte“, der rund eine Stunde später auf das Wrack der „Gran Grin“ erfolgte, stellte sich als völlige Pleite heraus. Kein Schuß fiel – auf wen sollten die fünfzig Soldaten des ehrenwerten Sir Richard denn wohl auch feuern?

„Die Ratten haben das Schiff verlassen“, sagte der Hauptmann.

„Behalten Sie Ihre weisen Sprüche für sich!“ schrie Bingham ihn an. „Los, entern! Wir wollen doch mal sehen, wo sich die Hunde verkrochen haben!“

Er enterte selbstverständlich als letzter, was ihm bei seinem Leibesumfang erhebliche Mühe bereitete. Dann hatte er selbst Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß sich auf dem Wrack keine Menschenseele mehr befand.

Nichts, kein Prinz Ascoli, kein Herzog von Medina Sidonia, keine Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders. Aus war der Traum von den unvorstellbaren Pfründen, den Erpressungsgeldern, dem Reichtum, in dem Bingham zu schwelgen gedachte.

„Ungeheuerlich“, ächzte Bingham, nachdem er sich gründlich ausgetobt und geflucht hatte. „Ich kann mir das nicht erklären.“

„Ob Killigrew und Ribault dahinterstecken?“ sagte der Hauptmann der Garde. „Sie sind doch an uns vorbeigesegelt.“

„Aber dann haben sie westlichen Kurs genommen“, fuhr Bingham ihn an. „Außerdem hätten die Kerle es nie so schnell geschafft, diesen Kahn zu plündern und dann heimlich zu verschwinden. Ach, rutschen Sie mir doch den Buckel ’runter, Sie Idiot!“

Bingham blieb gar nichts anderes übrig: Er mußte unverrichteter Dinge und mit leeren Händen nach Westport zurückkehren. Hier wartete eine neue bittere Überraschung auf ihn. Die sieben spanischen Gefangenen waren verschwunden – spurlos.

„Mein Gott, ich breche zusammen“, stöhnte Sir Richard Bingham, als ihm die Nachricht von den Soldaten überbracht wurde. Er hatte keineswegs übertrieben – plötzlich mangelte es ihm wirklich an Luft, und er sackte auf der Pier zusammen. Vier Gardisten mußten den japsenden und jammernden Mann in die Kommandantur tragen.

Doc Wheeler, der sich kurz darauf einfand und dem Dicken eine Flasche Riechsalz unter die Nase hielt, konnte sich, als er von Bingham, dem Hauptmann, dem Lieutenant und den Soldaten gerade nicht beobachtet wurde, ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen.

Bingham hatte noch nicht alles hinter sich – eine weitere hübsche „Überraschung“ stand ihm noch bevor.

In der Nacht drangen die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ wieder nach Westport vor. Der Seewolf wischte dem dicken Bingham noch einmal gründlich eins aus, zum Abschied sozusagen, wie er es seinem Profos versprochen hatte.

Ein Stoßtrupp von insgesamt zehn Mann unter der Führung von Ben Brighton und Karl von Hutten drang bis an Land vor. Die Männer setzten Spaken und Belegnägel ein, überwältigten so die Wachtposten am Kai und auf den Piers – und „vereinnahmten“ die beiden Schaluppen des Gouverneurs.

Heimlich stahlen sich die Schiffe wieder aus dem Hafen, mit den Schaluppen im Schlepp.

„Schade“, sagte Carberry. „Schade, daß ich Binghams Schrei nicht hören kann, wenn er erfährt, daß wir ihm auch noch die Schaluppen geklaut haben.“

Hasard und Jean geleiteten die Spanier auf ihren Schiffen südwärts bis Fastnet Rock. In der Zwischenzeit faßten de Mendoza und seine letzten Männer wieder den nötigen Mut, den sie für die Heimreise nach Spanien brauchten. Die Schaluppen wurden bei Fastnet Rock mit allem ausgestattet, was sie brauchten – mit Proviant, Trinkwasser, Musketen und Munition, ja, sogar mit einigen Flaschen Wein und echtem irischen Whiskey.

„Ja“, sagte de Mendoza, als Hasard noch einmal mit einem Beibott der „Isabella“ zu der Schaluppe gepullt war, in der der Kapitän saß. „Wir werden die Heimat erreichen. Unsere Dankbarkeit kennt keine Grenzen, Senor Killigrew. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Wenn Sie es nicht wissen, dann schweigen Sie“, entgegnete Hasard lächelnd. „Kommen Sie, lassen Sie mich zu Ihnen an Bord, ich habe Ihnen Kartenmaterial mitgebracht und Kursanweisungen aufgezeichnet, die für Sie von größter Wichtigkeit sind.“ Er enterte in die Schaluppe auf und übergab de Mendoza das Material.

Sie verabschiedeten sich als Freunde voneinander.

Dann enterte der Seewolf wieder in seine Jolle ab und ließ sich zurück zur „Isabella“ pullen.

Carberry, der mitgekommen war und als Bootssteurer fungierte, grinste über sein wüstes Narbengesicht. Hasard begegnete seinem Blick und sagte: „Wenn jemand einen guten Witz erzählt hat, dann laß mich hören, Ed. Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd.“

Carberry ließ die Pinne los, griff unter die Ducht und wuchtete etwas darunter hervor – eine Truhe, die Hasard verdammt bekannt erschien. Der Profos grinste jetzt wie zwei Honigkuchenpferde.

„Die beste Beute, die wir je gemacht haben“, sagte er. „Weil sie nämlich ein Geschenk ist. O ja, das stimmt, Sir, wir haben die Kriegskasse nicht geklaut. Der nette Kapitän de Mendoza hat sie zu uns in die Jolle heruntergeben lassen, als du ihm deine Karten und Aufzeichnungen an Bord der Schaluppe überreicht hast. Nein, nein, wir brauchen gar nicht erst zu versuchen, den Spanieren die Truhe zurückzugeben – sieh doch mal.“

Hasard blickte nach Süden. Carberry wies auf die Schaluppen, die jetzt die Segel gesetzt hatten und sich rasch entfernten. Sicher, man hätte sie einholen können, aber vielleicht hätte de Mendoza es als Beleidigung aufgefaßt, wenn Hasard ihm die Kriegskasse nachgeschleppt hätte. Spanier waren sehr eigen, wenn sie jemandem etwas schenkten.

Als Hasard seine Überraschung verdaut hatte, sagte er: „Also, an dem Sprichwort ist doch was Wahres dran, Ed.“

„An welchem, wenn man fragen darf?“

„Daß die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln haben …“

Die Männer in der Jolle lachten – einschließlich Ed Carberry. Sir John, über den Lärm empört, hob von der breiten Profosschulter ab und flog zur „Isabella VIII.“ hinüber. Er flatterte bis zum Großmars hinauf und setzte sich auf dessen Umrandung. Arwenack, der Schimpanse, der Bill Gesellschaft leistete, sah den Papagei feindselig an.

„Kriegt euch bloß nicht in die Wolle, ihr beiden“, sagte Bill. „Grund zum Zanken besteht wirklich nicht. Wir segeln jetzt nämlich weiter und setzen Kurs auf Land’s End ab. Und wißt ihr, wohin die Reise dann noch einmal geht? Nach Plymouth …“

Sir John hob die Flügel ein wenig, wackelte mit dem Kopf und krächzte: „Arwenack. Ar-we-nack.“

Der Schimpanse gab nur ein beleidigtes Grunzen von sich.

Seewölfe Paket 9

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