Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 19
4.
ОглавлениеDer große Rathaussaal der Stadt Plymouth war erfüllt von feinen, dezenten Geräuschen.
Zwei Lautenspieler, auf einem Podium an der Stirnseite des Saales, zupften englische Tänze und Lieder. Sanfte Melodiefolgen und Akkorde bildeten den erhabenen Hintergrund für das Ereignis, das Lord Mayor Abbot Cummings und die Mitglieder des Town Council wirkungsvoll in Szene gesetzt hatten.
Vier mächtige Kronleuchter, mit insgesamt mehr als zweihundert Kerzen, tauchten den etwa fünfzig Quadratyards großen Raum in einen festlichen Glanz. Einzelne Kerzen erhellten auch die Tafel, die bereits fertig gedeckt war. Silbernes Geschirr funkelte im Schein des Kerzenlichts. Die dunkelroten samtenen Fenstervorhänge waren zugezogen und verstärkten dadurch die behagliche Atmosphäre.
Noch hatten sich die Gäste des Banketts nicht an der Tafel niedergelassen. Vor Beginn des Festessens hatte der Bürgermeister einen trokkenen spanischen Rotwein der Provenienz Rioja kredenzen lassen. Vor dem prasselnden Kaminfeuer am anderen Ende des Saales – dem Podest der Lautenspieler gegenüber – klirrten leise die kristallenen Gläser, wenn die Honoratioren, die Ladys und ihre Gäste sich zuprosteten.
Hasard und Jean Ribault hatten ihre nobelsten Kleidungsstücke angelegt. Beide trugen unter dem eleganten Wams weiße Seidenhemden, die aus dem Fernen Osten stammten. Ihre weichen, glänzenden Stulpenstiefel bildeten einen wirkungsvollen Kontrast zu den enganliegenden schwarzen Beinkleidern.
Lord Mayor Abbot Cummings und seine Ratsherren waren vorerst abgeschrieben. Die Ladys und ihre unverheirateten Töchter umlagerten die beiden Kapitäne und hatten sie mit Beschlag belegt. Hasard und Jean Ribault konnten sich der vielen Fragen kaum erwehren, und gleichzeitig spürten sie immer eindringlicher die schwärmerischen, bewundernden Blicke – vor allem von den Töchtern der Honoratioren.
Am Rand des Saales, vor den Türen zu den angrenzenden Korridoren, standen die Rathausdiener in abwartender Hab-Acht-Stellung. Die Männer trugen dunkle Kleider mit weißen Halskrausen, die die Tradition ihres Berufes symbolisierten.
„Eine Frage hätte ich noch, Sir Hasard“, plapperte eins der Mädchen, eine blonde Schönheit mit sorgfältig frisiertem Haar und kostbarer Robe. „Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie und Ihre Männer ein feindliches Schiff entern? Ich meine, was empfinden Sie in solchen Momenten? Angst? Oder Wut?“
Hasard schüttelte lächelnd den Kopf.
„Nichts dergleichen, Miß. Meistens wird es einem erst hinterher bewußt, was alles hätte passieren können.“
„Geht es Ihnen genauso, Monsieur Ribault?“ fragte ein anderes Mädchen, brünett und mit einer kleinen Gruppe von Sommersprossen in der Umgebung der hübsch geschwungenen Nase.
„Ja, natürlich“, antwortete Jean Ribault, während sich die schwärmerischen Blicke der versammelten Weiblichkeit auf ihn richteten. „Mein Freund Hasard hat es richtig beschrieben. Würde man über das nachdenken, was man tut, während man es tut – nun, dann könnte es doch sein, daß einem vor der eigenen Courage angst und bange wird, nicht wahr?“
Die Mädchen lachten leise und vornehm, tauschten Blicke aus und tuschelten hinter vorgehaltener Hand.
„Oh, Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, Gentlemen“, sagte Lady Bethesda Cummings, die Frau des Bürgermeisters. „Jedermann in England weiß, welche siegreichen Schlachten Sie geschlagen haben. Wir können uns zwar die Einzelheiten nicht recht vorstellen, aber wir können uns sehr wohl vorstellen, wieviel Mut und Tapferkeit dazugehören, um solche Siege zu erringen.“
Hasard und Jean wehrten das Lob höflich ab. Geduldig ließen sie die vielen Fragen der Ladys und ihrer Töchter über sich ergehen.
Irgendwann, Minuten später, sah Hasard, daß ein Rathausdiener die Tür öffnete. Jemand überbrachte eine Nachricht. Der Diener nickte, schloß die Tür wieder und ging mit würdevollen Schritten auf den Lord Mayor zu, der mit den Ratsherren in der Nähe des Kamins versammelt war.
Hasard stellte fest, daß sich Cummings’ Miene erhellte, als der Diener ihm etwas ins Ohr flüsterte. Dann, als der Livrierte wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, klatschte der Bürgermeister in die Hände, um auf sich aufmerksam zu machen.
Die Ladys unterbrachen ihr Geplapper.
„Sehr verehrte Ladys und Gentlemen!“ rief Cummings. „Ich darf Sie jetzt bitten, Platz zu nehmen. Das Festbankett zu Ehren unserer Gäste soll sogleich eröffnet werden.“
Die Ladys und Gentlemen setzten sich in Bewegung. Diener eilten mit silbernen Tabletts herbei, um die leeren Rotweingläser fortzuschaffen. Die Lautenspieler unterbrachen ihre Zupfmusik, bis das Stühlerücken beendet war. Dann setzten sie das Hintergrund-Konzert mit einer betont rhythmischen Ecossaise fort.
Lord Mayor Abbot Cummings nahm am Kopfende der Tafel Platz. Links neben ihm begann die Reihe mit Philip Hasard Killigrew, dann Lady Bethesda Cummings und Jean Ribault. Neben dem Kapitän der „Le Vengeur“ hatte sich Mistreß Gilda Bishop niedergelassen, gefolgt von ihrem Ehemann Anthony Bishop, dem ersten stellvertretenden Bürgermeister. An derselben Seite der Tafel saßen auch der zweite stellvertretende Bürgermeister Charles Henderson mit Ehefrau, außerdem Father Crowley und Doctor Abraham Shafter und dessen Frau.
Der Platz rechts neben dem Lord Mayor war freigeblieben. Die übrigen Plätze belegten die Council-Mitglieder James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon, jeweils von ihren Ladys flankiert. Die unverheirateten Töchter der Honoratioren hatten sich um das andere Ende der Tafel gruppiert, von wo sie wehmütige Blicke zu Hasard und Jean Ribault schickten.
Abbot Cummings klopfte mit dem Messer an eines der noch leeren Weingläser, das einen hellen Glokkenklang von sich gab.
Das Gemurmel endete. Alle Blicke richteten sich auf das Kopfende der Tafel.
„Ladys und Gentlemen“, sagte Cummings mit geheimnisvollem Lächeln. „Sie alle wissen, daß dieses Festbankett zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault stattfindet. Um diesem feierlichen Anlaß aber einen noch würdigeren Rahmen zu geben, ist es mir mit einiger Mühe gelungen, einen Ehrengast einzuladen, der seine Teilnahme auch zugesagt hat. Bitte empfangen Sie ihn jetzt auf angemessene Weise.“
Abermals brach die Lautenmusik ab. Andächtige Stille kehrte ein, als die Doppelflügel der großen Saaltür geöffnet wurden.
Schritte hallten vom Korridor herein.
Zwei Diener flankierten den Ehrengast, der jetzt in der offenen Tür erschien und zielstrebigen Kurs auf das Kopfende der Tafel nahm.
Die Ladys und Gentlemen erhoben sich von ihren Plätzen. Ein respektvolles Raunen wurde laut. Dann klatschten sie spontanen Beifall.
Hasard hatte das Gefühl, einen Schlag ins Gesicht zu erhalten. Notgedrungen waren auch Jean Ribault und er aufgestanden.
Der Ehrengast war von kleinem Wuchs, aber kräftig gebaut. Ein Spitzbart und ein Schnurrbart mit hochgezwirbelten Enden zierten sein rundes, leicht rötliches Gesicht. Seine hellen Augen blickten energisch und selbstbewußt. Er trug ein teures braunes Wams, das mit goldenen Litzen besetzt war. Das Ende seines Spitzbarts reichte bis in die Rüschen seines weißen Hemds. Seine etwas kurz geratenen Beine steckten in schwarzen Stiefeln, die zu spiegelndem Glanz poliert waren.
Abbot Cummings gab ein dezentes Handzeichen, noch bevor der Ehrengast die Tafel erreicht hatte. Der Beifall, an dem Hasard und Jean Ribault sich nicht beteiligt hatten, verebbte.
„Ich habe die Ehre, unseren hochverehrten Admiral, Sir Francis Drake, in unserer Mitte begrüßen zu dürfen!“
Wieder Beifall.
Drake verbeugte sich lächelnd, als er vor dem Lord Mayor stehenblieb. Gönnerhaft ließ er seinen Blick in die Runde schweifen – und versteinerte.
Das Lächeln fiel aus seinem Gesicht wie ein überreifer Apfel vom Baum. Blanker Zorn erglühte in der Tiefe seiner Pupillen. Seine blassen Lippen verdünnten sich zu einem kaum noch erkennbaren Strich.
Philip Hasard Killigrew lächelte frostig. Mühelos hielt er dem Blick des ehrenwerten Admirals stand. Drake indessen zog es vor, seine Aufmerksamkeit wieder dem Bürgermeister zuzuwenden. Der unbeugsamen Härte in den eisblauen Augen des Seewolfs schien Drakes zorniger Blick nicht gewachsen.
Der Lord Mayor war sichtlich verwirrt. Der jähe Wandel in Drakes Gesichtsausdruck war ihm keineswegs entgangen.
„Ich danke für die Einladung, Lord Mayor“, sagte Drake mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte. „Doch ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie mich zuvor über die Teilnehmer dieser Tafelrunde informiert hätten.“
„Ich verstehe nicht, Sir Francis“, entgegnete Cummings verblüfft, während an der Festtafel ein aufgeregtes Tuscheln einsetzte. „Dieses Festbankett gibt der Rat der Stadt Plymouth zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault. Da wir rechtzeitig von der bevorstehenden Ankunft der beiden ruhmreichen Kapitäne erfahren hatten, hielt ich es für eine nette Geste, auch Sie, Sir Francis, zu diesem Bankett einzuladen.“
Der ehrenwerte Admiral erbleichte. Seine Augen wurden groß und weit, wie er den Bürgermeister fassungslos anstarrte.
„Sind Sie bei Trost, Mann?“ fauchte er. „Dieses Bankett wird nicht zu meinen Ehren gegeben?“
Hasard und Jean Ribault konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie einen raschen Blick wechselten. Drake hatte es noch nie vertragen können, an die zweite Stelle gesetzt zu werden – egal, in welcher Situation.
Abbot Cummings schnappte nach Luft. Ihm fehlten die Worte. Für ihn mußte es ein kleiner Schock sein, daß die erhoffte Überraschung total mißlungen war. Er hatte letzten Endes damit gerechnet, daß sich die Sieger der Schlacht gegen die Armada unter tosendem Beifall um den Hals fallen würden. Daß sie sich aber offensichtlich spinnefeind waren, das hatte der Lord Mayor nicht im Traum erwartet.
Hasard sprang für den sprachlosen Bürgermeister in die Bresche.
„Eines versichere ich Ihnen mit Brief und Siegel, Admiral“, sagte er eisig, „wenn Kapitän Ribault und ich von Ihrer Anwesenheit gewußt hätten, wären wir diesem Bankett so fern wie nur irgend möglich geblieben!“
Es wurde totenstill im Saal.
Der Bürgermeister ließ sich mit einem Seufzer auf den hohen Stuhl sinken, dessen Lehne die Ornamente seiner Amtswürde trug. Cummings schlug beide Hände vor das Gesicht. Er brauchte eine Weile, um seine Fassung wiederzugewinnen.
Drake sah unterdessen die Chance, den Bastard Killigrew vor aller Öffentlichkeit in Grund und Boden zu stampfen. Mit zwei wütenden Schritten trat der Admiral auf den Platz zu, der ohnehin für ihn vorgesehen war. Nun stand er dem Bastard, der ihn schon mehrfach gedemütigt hatte, Auge in Auge gegenüber. Zornbebend stemmte Drake beide Fäuste auf die Tischplatte. Die Tatsache, daß dieser Kerl auch noch sein unbeeindrucktes Lächeln beibehielt, fachte seinen Zorn zu unermeßlicher Glut an.
„Jetzt ist es genug, Killigrew!“ schrie Drake mit schriller Stimme. „Endgültig genug! Ich dulde nicht, daß Ihre Vermessenheit und Ihre Unverschämtheit noch länger hingenommen werden. Die Öffentlichkeit soll jetzt erfahren, welche unglaublichen Dreistigkeiten Sie sich herausgenommen haben! Und ich werde nicht länger ein Blatt vor den Mund nehmen. Ich werde Ihre Unverschämtheiten nicht länger mit dem Mantel der Verschwiegenheit zudekken!“ Er räusperte sich und holte tief Luft.
„Dann legen Sie mal los, Verehrtester“, sagte Jean Ribault trocken.
Drake schluckte, lief puterrot an und hatte sichtliche Mühe, nicht vor Wut zu platzen. Aber einmal in Fahrt geraten, war er nicht mehr zu bremsen.
„Sie allein haben die Schuld, Killigrew!“ schrie der Admiral mit sich überschlagender Stimme. „Sie und Ihr französischer Kumpan sind schuld daran, daß die spanische Armada nicht mit Stumpf und Stiel vernichtet worden ist! Sie haben sich nicht gescheut, den Spaniern auch noch zu helfen, als es darum ging, ihnen den entscheidenden, Todesstoß zu versetzen. Das haben Sie sogar mit Waffengewalt durchgesetzt – zu dem Zeitpunkt nämlich, als ich mit meinem Schiff zum maßgeblichen Schlag gegen den Feind angesetzt hatte. Dabei wurde die ‚Revenge‘ sogar beschädigt. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die endlich einmal zur Sprache gebracht werden muß. Ich werde nicht länger schweigen wie bisher, als ich das eigene Nest nicht beschmutzen wollte!“
Unter anderen Umständen hätten Hasard und Jean Ribault den Drang verspürt, in schallendes Gelächter auszubrechen. Aber der sehr ehrenwerte Admiral war nun einmal ein Mann, den man trotz aller Lächerlichkeit seiner Behauptungen ernstnehmen mußte.
Die Teilnehmer der Tafelrunde verfolgten die blindwütigen Anschuldigungen Drakes mit entsetzten Mienen. Auch der Lord Mayor hatte sich von seinem ersten Schreck erholt und starrte den Admiral ungläubig an.
„Was Sie sich geleistet haben, Killigrew!“ fuhr Drake lautstark fort, „ist nichts anderes als Feigheit vor dem Feind! Ich werde bei Hof Anklage gegen Sie erheben. Und ich werde dafür sorgen, daß Sie dort enden, wo Sie hingehören: am Galgen! Die Besatzungen Ihrer Schiffe werden im Tower landen. Bürgermeister! Ich verlange von Ihnen, daß Sie Killigrew und Ribault sofort in Ketten legen lassen!“
Lord Mayor Abbot Cummings sperrte sekundenlang ungläubig den Mund auf. Dann sprang er mit einem Ruck auf.
„Admiral Drake!“ sagte er schneidend. „Sie begreifen hoffentlich die Ungeheuerlichkeit Ihres Ansinnens!“
„Nichts da!“ fauchte Drake. Zornig stampfte er mit dem Fuß auf. „Auf der Stelle führen Sie meinen Befehl aus, Lord Mayor. Sonst werde ich dafür sorgen daß auch Sie zur Rechenschaft …“
„Halten Sie den Mund!“ brüllte Cummings, dem der Kragen platzte. Er war kein Mann, der sich wie eine Marionette behandeln ließ. In der Beziehung hatte Drake in ihm den Falschen gefunden.
Der sehr ehrenwerte Admiral schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und brachte kein Wort mehr hervor.
Cummings schlug die Faust auf den Tisch, daß es krachte.
„Erstens“, fuhr er mit unverminderter Lautstärke hervor, „bin ich in diesem Haus der Gastgeber. Und zweitens, Admiral Drake, haben Sie mir keine Befehle zu erteilen. Merken Sie sich das! Was Ihre Anschuldigungen gegen Sir Hasard betrifft, so frage ich mich, ob denn etwa die Meldungen über den Branderangriff vor Calais nicht der Wahrheit entsprechen. Diese Meldungen beweisen einwandfrei, welch ein tapferer Mann Sir Hasard ist. Außerdem erscheint es mir auch mehr als merkwürdig, daß Sir Hasard aus irgendwelchen niederen Motiven Ihr Schiff, die ‚Revenge‘, angegriffen und beschädigt haben soll. Sir Hasard …“ Abbot Cummings wandte den Kopf. „Sind Sie bereit, eine Stellungnahme abzugeben?“
Francis Drake war weiß im Gesicht. Er starrte sein Gegenüber an, als wolle er ihn im nächsten Moment mit Haut und Haaren verschlingen. Aber er wußte auch, daß er vielleicht einen Schritt zu weit gegangen war. Unbehagen keimte in ihm auf.
„Selbstverständlich“, sagte Hasard ruhig und nickte dem Lord Mayor zu. Dann wandte er seinen Blick den Teilnehmern des Banketts zu.
„Ladys und Gentlemen, es geht hier nicht um Fachsimpeleien aus der Seekriegsführung, hinter denen sich irgend jemand verschanzen müßte. Es handelt sich ganz einfach um die grundsätzliche Einstellung zu jedweder Art von Kriegsführung – einerlei, ob zu Lande oder zu Wasser. Noch einfacher ausgedrückt geht es um die Frage der Menschenwürde schlechthin. Gewiß, jeder Krieg ist grausam. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Barbarei und fairem Kampf. Lassen Sie mich das am Beispiel der Schlacht gegen die Armada verdeutlichen. Die spanische Seestreitmacht wurde von der englischen Flotte besiegt. Das ist eine Tatsache, an der auch Admiral Drake nicht vorbeikommt. Allerdings ist es sicherlich eine Frage der persönlichen Einstellung, ob man sich damit zufrieden gibt, einen Gegner zu besiegen, oder ob man das barbarische Verlangen verspürt, ihm noch den Säbel ins Herz zu stoßen, obwohl er längst hilflos am Boden liegt. Um nichts anderes handelte es sich im Falle der Armada.“
Hasard legte eine kurze Atempause ein. Es war totenstill geworden. Die Blicke der Bankett-Gäste hingen wie gebannt an seinen Lippen. Niemand dachte mehr an das Festessen, das eigentlich längst hätte beginnen müssen. Und Drakes Gesicht war noch immer weiß vor ohnmächtiger Wut. Doch er wagte es nicht, erneut das Wort an sich zu reißen. Zu deutlich spürte er, daß er im Augenblick keinerlei Sympathien auf seiner Seite hatte.
„Ich gebe zu“, fuhr Hasard fort, „daß ich nach dem Sieg über die spanische Flotte nichts weiter getan habe, als dem geschlagenen Gegner zu helfen. Das gilt auch für meinen Freund Jean Ribault. Nachdem die Niederlage des Gegners für uns einwandfrei erwiesen war, hielten wir jeden weiteren Angriff auf die Spanier schlicht für unwürdig. Denn wir hatten es nicht mehr mit einem Gegner zu tun, der überhaupt noch zum Kämpfen fähig war. Nein, das waren hilflose Menschen, von Verwundungen, Krankheit und Entbehrung gezeichnet. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Seefahrt hatten wir es mit erbarmungswürdigen Schiffbrüchigen zu tun. Und nach den gleichen ungeschriebenen Gesetzen war es unsere Pflicht, ihnen zu helfen. Sie waren nicht mehr in der Lage zu kämpfen – auf Schiffen, die zu Wracks zerschossen waren, ohne Munition und ohne Proviant. Diese Menschen waren restlos am Ende und hatten kaum noch Hoffnung, überhaupt ihre Heimat wiederzusehen. Geschweige denn, daß sie in der Lage waren, sich gegen die Hyänen zu schützen, die überall an den Küsten Englands, Schottlands und Irlands lauerten. Strandräuber und Piraten, denen die wehrlosen Spanier mit ihren teilweise manövrierunfähigen Schiffen wie reife Trauben in den Schoß fielen. Wir haben es erlebt, wie Kranke und Verwundete von unseren eigenen Landsleuten brutal erschlagen wurden. Einziges Motiv dafür war die Gier nach dem bißchen Geld und Gut, das sich auf den spanischen Galeonen befand. Ja, ich gebe unumwunden zu, daß wir die hilflosen Spanier vor solchen Meuchelmördern geschützt haben, wo wir nur konnten. Wir haben den einstigen Feind mit Proviant versorgt, haben die Wracks repariert, so gut es ging, und ihnen sogar Munition gegeben – nur damit sie in der Lage waren, ihre Heimat zu erreichen. In manchen Fällen waren ihre Chancen dafür immer noch gering. Aber wir haben wenigstens das getan, wozu man einem Schiffbrüchigen gegenüber verpflichtet ist. Ich betone noch einmal: Wir konnten es nicht mit ansehen, daß man wehrlose Menschen wie Tiere erschlägt!“ Hasard hielt einen Moment lang inne.
Einer der Ratsherren an der Tafel machte den Anfang und klatschte spontan in die Hände.
„Bravo, Sir Hasard! Sie haben recht getan! Ein Hoch auf die Menschlichkeit! Wir wollen mit Barbaren nichts gemein haben, denn wir sind zivilisierte Menschen!“
Donnernder Beifall brach so unvermittelt aus, daß Admiral Drake ungewollt zusammenzuckte. Seine Hände begannen zu zittern. Er schien zu spüren, daß dies eine der schlimmsten Niederlagen war, die er jemals erlitten hatte.
Hasard wartete ab, bis der Beifall versiegte. Und dann gab er dem ehrenwerten Admiral den Fangschuß. Drake hatte es nicht anders verdient. Es waren bereits zu viele Unverschämtheiten, die er sich ungestraft geleistet hatte.
„Was nun unseren Admiral Drake betrifft“, sagte Hasard, „so gibt es auch dafür eine Erklärung. Jean Ribault und ich wurden zufällig Zeuge, wie die ‚Revenge‘ im Begriff war, über die fast manövrierunfähige spanische Galeone ‚San Mateo‘ herzufallen. Die Besatzung dieser Galeone war zu einem kläglichen Haufen zusammengeschmolzen und hatte keine Unze Pulver mehr, um sich überhaupt noch zur Wehr zu setzen. Beim Anblick dessen, was sich abzuspielen drohte, habe ich meine Entscheidung getroffen. Jean Ribault und ich haben verhindert, daß Admiral Drake einen wehrlosen Haufen von Schiffbrüchigen aus purer Beutegier umbringen konnte. Als wir uns mit der ‚Isabella‘ und der ‚Le Vengeur‘ schützend vor die ‚San Mateo‘ schoben, ging die ‚Revenge‘ zum Angriff auf uns über und versuchte, die ‚Isabella‘ zu rammen. Deshalb, und nur deshalb, habe ich dem Flaggschiff des Admirals das Ruder zerschossen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
Atemlose Stille folgte den Worten des Seewolfs.
Lord Mayor Abbot Cummings erhob sich von seinem Stuhl.
„Merkwürdig, nicht wahr, Admiral Drake?“ sagte er und konnte sich einen Anflug von Hohn in seiner Stimme nicht verkneifen. „Wir haben hier eine ganz andere Geschichte über dieses zerschossene Ruder gehört. Sie haben es mit keinem Wort dementiert, als Ihre Leute prahlerisch erzählten, das Ruder sei beim Enterkurs auf das Flaggschiff der spanischen Armada beschädigt worden. Ich muß schon sagen, das ist mehr als merkwürdig. Vielleicht wollen Sie jetzt die Güte haben, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Welche Version stimmt denn nun wirklich?“
Sir Francis Drake starrte den Bürgermeister einen Atemzug lang zornbebend an. Dann traf ein haßerfüllter Blick den Seewolf. Doch kein Wort kam über die blassen Lippen des Admirals. Jäh drehte er sich auf dem Absatz um und hastete mit kurzen, schnellen Schritten aus dem Saal.
„Nun, ich denke, diese Antwort genügt uns“, murmelte Bürgermeister Cummings.
Hasard und Jean Ribault erwiderten nichts darauf. Für Hasard hatte dieser Sieg über den Admiral einen bitteren Beigeschmack. Er wußte, daß er sich einen Todfeind geschaffen hatte. Einen Todfeind zwar, dem er mit ehrlichen Mitteln jederzeit gewachsen war. Aber gegen Intrigen konnte selbst ein Mann von Hasards Format nicht immer etwas ausrichten. Und Drake war ein Meister in der Kunst des Intrigierens.
Für den Seewolf hieß es von nun an, höllisch auf der Hut zu sein. An der Bewunderung, die er aus den Blicken der Honoratioren von Plymouth spürte, vermochte er sich nur wenig zu erfreuen.