Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 18

3.

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Da waren etliche fremde Gesichter an diesem frühen Abend, Gesichter, die sich sonst nie hierher verirrten.

Nathaniel Plymson nutzte einen arbeitsfreien Moment, um sich nachdenklich am Hinterkopf zu kratzen. Der Ansatz seiner Perücke bewegte sich dabei rhythmisch auf und ab. Rostrot leuchtete seine käuflich erworbene Haarpracht jetzt. Er hatte beschlossen, daß diese Farbe gut zu ihm paßte.

Die Erinnerung an seine letzte Perücke, die blond gewesen war, bescherte ihm Gedanken voller Unbehagen. Dieses Unbehagen wurde noch bestärkt durch jene fremden Gesichter. Bürger aus Plymouth zwar. Aber Leute, denen normalerweise die Zeit zu schade war für eine Schenke von der Art der „Bloody Mary“. Sie hatten sich abgesondert von Plymsons Stammkundschaft, den zwielichtigen Gestalten, die sich bei ihm stets wohlfühlten.

Denn dies war nun einmal kein normaler Tag.

Der dicke Plymson spürte es mit jeder Faser seiner Nerven. Auch die Stammkunden, die sich an der Theke niedergelassen hatten, waren weniger gesprächig als sonst. Eine unbeschwerte Unterhaltung, wie sonst, wollte nicht aufkommen. Die unbekannten Gäste verharrten sowieso in fast andächtiger Stille an den Tischen im Hintergrund.

Immerhin: Die Einrichtung der „Bloody Mary“ konnte sich sehen lassen. Alles nagelneu. Das Holz von Tischen, Stühlen, Bänken, Tresen und Regalen strömte noch den gleichen frischen Geruch aus, mit dem die Zimmerleute es hereingeschleppt und zusammengenagelt hatten.

Hölle und Teufel, sagte Plymsons ahnungsvolle innere Stimme, egal, in welche Richtung man denkt, man landet immer wieder bei diesen dreimal verfluchten Kerlen!

Die Seewölfe waren der Grund, warum die Fremden hier im Schankraum auf Sensationen harrten.

Die Seewölfe waren schuld daran, daß keine rechte Stimmung entstehen wollte.

Die Seewölfe waren für die soundsovielte Erneuerung des Bloody-Mary-Inventars verantwortlich.

Und die Seewölfe hatten auch Plymsons vorige blonde Perücke in das Hafenbecken der Mill Bay befördert.

Die ganze Stadt wußte von ihrer Ankunft. Außerdem noch dieses Franzosenschiff! Die Isabella-Crew allein war für Nathaniel Plymson schon Anlaß genug, klein und häßlich zu werden. Gemeinsam mit Ribaults Leuten aber waren sie der Ausbund der Hölle. Und mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig zu eins war damit zu rechnen, daß die rauhbeinigen Burschen an diesem Abend in der „Bloody Mary“ aufkreuzten.

Denn die Schenke, in der Nähe des Hafens, an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street gelegen, war schon seit Jahren das Stammlokal der Männer unter Philip Hasard Killigrew. Nicht etwa, weil sie den dikken Plymson besonders ins Herz geschlossen hatten. Nein, es lag vielmehr an der anheimelnden Art von rohgezimmerter Gemütlichkeit, die diesen Schankraum prägte.

Wie an diesem Tag, dachte Nathaniel Plymson stets mit gemischten Gefühlen an die Seewölfe. Sie hatten die unangenehme Gabe, ihm bis auf den Grund seiner schwarzen Seele schauen zu können. Manchmal brachte es ihn schier zur Verzweiflung, wie sie ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei seinen dunklen Geschäften ertappten. Wie sie ihm auf die Finger klopften, wenn er Seeleute an Pressgangs verscherbelte, oder unter dem Tresen mit Beuteware aus der unergründlichen Weite der englischen Seefahrt schacherte. Ganz zu schweigen davon, wie oft sie ihn erwischt hatten, wenn er jemandem gepanschten Wein andrehte.

Völlig zu Unrecht, so bemitleidete er sich selbst, bezeichneten ihn Killigrews Kerle als Schlitzohr und Geizkragen. Er betrachtete sich als einen angesehenen Bürger der Stadt Plymouth. Schließlich war er Geschäftsmann, Inhaber eines eigenen Unternehmens. Sein machtiger Bauch und das schwammige Dreifachkinn waren für ihn die außeren Zeichen hart erarbeiteten Wohlstands.

Wehmütig betrachtete Plymson den ausgestopften Stör, der über der Theke hing. Der mächtige Fisch hatte als einziges Einrichtungsstück alle Unbilden der Zeit überdauert. Gewiß, die Seewölfe bezahlten immer ausreichend für das, was sie zertrümmerten. Meist blieb dabei sogar noch ein Gewinn übrig. Aber es war vor allem deprimierend, daß die Burschen ihn nicht für voll nahmen, daß sie es ihm nicht abkauften, wenn er den ehrenwerten Geschäftsmann mimte.

„Nat, schenk nach“, sagte einer der Stammkunden unwirsch.

Plymson erwachte aus seinen unbehaglichen Überlegungen, nickte, griff sich die Bierkrüge und schob sie unter den Zapfhahn des schweren Eichenfasses.

Plötzlich schrak er auf, und alle Köpfe im Schankraum ruckten herum. Alle Augen richteten sich auf die Eingangstür, die im matten Schein der Öllampen nur undeutlich zu erkennen war.

Schritte. Rauhe Stimmen. Gelächter.

Der Wirt der „Bloody Mary“ wechselte einen ahnungsvollen Blick mit seinen Stammkunden.

Die Tür der Schenke flog auf und krachte gegen die Innenwand.

Edwin Carberry mußte sich beim Eintreten ducken, denn der Türrahmen war zu niedrig für ihn. Während die anderen hinter ihm hereindrängten, blieb er einen Moment stehen, breitete die Arme aus und strahlte über das ganze furchterregende Narbengesicht.

„Plymson! Du dickbäuchige Kakerlake! Wie schön, dich endlich mal wiederzusehen!“

Nathaniel Plymson erschauerte. Er spürte, wie ihm eine unsichtbare Hand über den Rücken kroch.

Die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ untermalten Carberrys Begrüßungsworte mit beifälligem Johlen. Wie ein Schwarm verteilten sie sich nach allen Seiten und konzentrierten sich zunächst darauf, die Theke zu umlagern. Längst hatten die Stammkunden Reißaus in eine geschützte Ecke des Schankraumes genommen.

Per Profos der Isabella-Crew ließ seine Riesenfaust auf die Theke krachen. Krüge und Kannen vollführten einen Satz. Nathaniel Plymson zuckte zusammen und drehte das Handtuch in seinen schwammigen Händen einer Zerreißprobe entgegen. Für einen Augenblick wurde es still.

„Herhören,“ ihr Rübenschweine!“ sagte Carberry dröhnend. „Die Order für den heutigen Abend lautet: Rücksicht und gutes Benehmen! Nichts und niemand wird zu hart angefaßt! Nichts wird umgekippt oder fallengelassen! Und nichts wird kaputtgehauen! Das gilt auch für unsere Freunde von der ‚Le Vengeur‘. In dieser Stadt sind wir immer freundlich empfangen worden, besonders in dieser netten, gemütlichen Saufbude. Also werden wir den besten Eindruck hinterlassen. Die königliche Lissy soll sich unserer nicht schämen. Ist das klar, wie, was?“

„Aye, aye, Sir!“ brüllte die Meute im Chor.

Edwin Carberry grinste breit und nickte dem dicken Schankwirt zu.

„Das war eine verdammt lange Ansprache, Nat. Meine Kehle ist davon trokken geworden. Und die Jungens wollen auch nicht zusehen. Also schwenk dich, alter Lappen!“

„Sofort, Sir, sofort“, dienerte Plymson und begann, die Krüge aus seinen Regalen zu räumen.

Stenmark und Gary Andrews sprangen mit ein und unterstützten den Wirt bei seinem plötzlichen Arbeitsanfall. Denn sie alle hatten ein Interesse daran, den ersten guten Tropfen an Land möglichst schnell zwischen die Kiemen rinnen zu lassen. Und außerdem wußten sie aus Erfahrung, daß es gut war, dem dikken Plymson ein wenig auf die Finger zu schauen. Dann geriet er nicht in Versuchung, aus Versehen die Register seiner Panschkunst zu ziehen.

Plymson arbeitete in fliegender Hast, füllte die Bierkrüge reihenweise und überließ den beiden Helfern die Whiskybecher. Hin und wieder warf er der lärmenden Schar verstohlene Blicke zu. Himmel, sie schienen alle noch ein paar Grade wilder und härter geworden zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Und die Crew des Franzosen Ribault war dem Wirt der „Bloody Mary“ ebenfalls noch in guter Erinnerung. So gut, daß er abermals einen Schauer über seinem fettgepolsterten Rücken spürte.

Karl von Hutten, dieser große blonde Bursche, sah noch genau so unheimlich aus wie früher. Ein Mann, der die Spanier haßte wie die Pest, und er mußte wohl Grund dazu haben, denn er war der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter.

Pierre Puchan trug eine Perücke. Aber Nathaniel Plymson würde es niemals wagen, mit dem Franzosen über seine Erfahrungen bezüglich künstlicher Haartracht zu fachsimpeln. Weil Puchan sich über seine Glatze ärgerte, und weil er höchst grantig reagierte, wenn jemand ihn darauf ansprach.

Da war noch so ein Franzose, der einen das Fürchten lehren konnte: Grand Couteau, das „große Messer“. Ein kleiner, dunkelhaariger Bursche, der seinen Namen nach seinem vertrautesten Handwerkszeug erhalten hatte.

Jan Ranse, der Steuermann der „Le Vengeur“, war Holländer und ehemaliger Karibik-Pirat. Er trug noch immer diesen wüsten blonden Vollbart. Roger Lutz, ein weiterer Franzose, war mit seinen prachtvollen schwarzen Haaren der typische Frauenheld. Der englische Koch an Bord des Franzosenschiffes hieß Eric Winlow, sah reichlich beleibt aus, hatte eine Glatze und Fäuste wie Bratpfannen. Seine Fettleibigkeit trog. In Wahrheit verfügte er über beachtliche Muskeln, die sich lediglich unter wohlgerundeter Außenhaut verbargen.

Ebenfalls unter dem Kommando von Jean Ribault fuhren die Engländer Tom Coogan, Dave Trooper, Fred Finley, Donald Swift und Mel Ferrow. Gordon McLinn, dessen Haut stets leicht gerötet wirkte, war Schotte von Geburt und Überzeugung.

Nathaniel Plymson stellte fest, daß vier Männer der Ribault-Crew als Bordwache zurückgeblieben sein mußten: Bootsmann Nils Larsen, Rudergänger Piet Straaten, Decksmann Sven Nyborg und der Schiffsjunge Jonny. Nun, auch ohne die Bordwachen schlugen die vereinigten Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ noch mit Leichtigkeit jede Kneipe in Plymouth zu Kleinholz. Mehr als das. Plymson erinnerte sich seufzend an Zeiten, in denen sogar eine kleine Handvoll von Killigrews Leuten seinen Laden in Trümmer gelegt hatte. Es brauchte nur jemand da zu sein, der die Himmelhunde herausforderte – versehentlich oder absichtlich.

Nathaniel Plymson schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel, letzterer möge ihn und die Seewölfe an diesem Abend von jedweder Herausforderung verschonen.

Ein Teil der Männer, mit gefüllten Krügen und Bechern versorgt, ließ sich an den freien Tischen nieder, um sich mit Würfeln die Zeit zu vertreiben oder sich ganz einfach in lautstarke Gespräche zu vertiefen. Hasards Männer genossen es, endlich einmal wieder mit den Freunden von der „Le Vengeur“ an einem Tisch zu sitzen. Schließlich hatten sie während der meisten Zeit auf See nur Sichtkontakt gehabt.

Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Batuti, Matt Davies und Gary Andrews blieben gemeinsam mit Karl von Hutten und Jan Ranse an der Theke.

„Trinken wir auf England“, sagte Karl von Hutten und hob seinen Bierkrug. „Und darauf, daß die königliche Lissy immer eine Spur gewitzter bleibt als der spanische Philipp!“

„Auf England!“ wiederholte Ed Carberry mit dröhnendem Organ.

„Das ist ein Wort!“ rief Matt Davies und stieß seinen Eisenhaken in die Luft, während er mit der linken Hand den Humpen an die Lippen führte.

Nathaniel Plymson erschauerte von neuem.

Der dunkle Gerstensaft rann den Männern wie Öl durch die Kehlen. Mit vernehmlichen wohligen Lauten setzten sie die geleerten Krüge ab. Plymson hatte noch nie begreifen können, wie sie es schafften, eine Viertel-Gallone auf einen Zug herunterzukippen.

„Nachfüllen“, befahl der Profos der „Isabella“, und Plymson beeilte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Nun, das eine Fünfzehn-Gallonen-Faß würde an diesem Abend garantiert nicht ausreichen. Zumindest war also ein Rekord-Umsatz gewährleistet. Und Killigrews und Ribaults Leute waren nicht nur rauhe, sondern auch sehr zahlungskräftige Burschen.

Ferris Tucker sah sich betont ausgiebig in der Schenke um.

„Du machst dich, Plymson“, sagte er schließlich anerkennend. „Gute Arbeit. Du hast bestimmt den besten Zimmermann von ganz Plymouth für die neue Einrichtung beschäftigt.“

Der Schankwirt blickte verlegen auf seine Wurstfinger, die mit Bier und Schaum benetzt waren.

„Nun ja, Sir, äh … Sie haben immer gut bezahlt, wenn in meinem Geschäft etwas, äh, beschädigt wurde.“

„Beschädigt?“ fragte der riesenhafte Schiffszimmermann verblüfft. Die anderen grinsten. „Zu Klump gehauen haben wir deine Bude. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß wir halbe Arbeit geleistet hätten?“

„Nein, Sir, natürlich nicht, Sir.“ Plymson begann zu schwitzen. Doch das lag nicht daran, daß er sich mächtig anstrengte, die Krüge schneller als gewöhnlich nachzufüllen. Er hoffte inständig, daß sie die Sprache nicht auf ein bestimmtes Thema brachten.

„Eigentlich ist er viel zu gut bedient worden“, meinte Gary Andrews. „Jedenfalls liegt mir die Sache mit Red Fox Killarney immer noch im Magen. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, daß unser Freund Plymson seine Fettfinger nicht in dem schmutzigen Spiel gehabt hat.“

Der Dicke duckte sich unwillkürlich. Da war es, was er befürchtet hatte. Wie, zum Teufel, sollte er beweisen, daß er die Seewölfe dem irischen Banditen nicht ans Messer geliefert hatte? Das Fatale war, daß er eben zu oft in undurchsichtigen Geschäften mitgemischt hatte. Und so eine undurchsichtige Sache war es nun einmal gewesen, die der irische Halunke in Plymouth durchzuziehen versucht hatte.

„Hätte Plymson eigentlich Entschädigung zahlen müssen an uns“, meldete sich Batuti zu Wort, wobei er seine schneeweißen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößte.

„Tja“, sagte Edwin Carberry gedehnt, „die Meinung ist im Grunde gar nicht so verkehrt.“

„Darf man erfahren, um was es geht?“ erkundigte sich Karl von Hutten, wobei er den Schankwirt durchdringend musterte.

„Ist doch klar“, sagte Jan Ranse feixend, „wenn einer eine krumme Sache veranstaltet, ist Plymson mit im Spiel.“

Der Eigentümer der „Bloody Mary“ hielt es für angebracht, seine Ehre zu retten. Beschwörend hob er die schwitzenden Handflächen, nachdem er die vollen Krüge auf die Theke geschoben hatte.

„Ich versichere Ihnen, Gentlemen, ich hatte mit der Angelegenheit nichts …“

Weiteren Erklärungen wurde er entbunden, denn zum zweiten Male an diesem Abend flog die Eingangstür der „Bloody Mary“ krachend auf.

Die Männer an der Theke drehten sich um. An den Tischen wurden Würfelspiele und Gespräche unterbrochen.

Wer sich solchermaßen polternd in Szene setzte, hatte keinesfalls vor, fromm und andachtsvoll sein Bier zu konsumieren.

Der Anblick derer, die sich durch die offene Tür drängten, ließ den Männern der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ blitzartig klar werden, was die Stunde geschlagen hatte.

Robert Parsons war der erste, der sich mit funkelnden Augen einen Weg durch die dichten Tischreihen bahnte. Hinter ihm quollen die anderen herein. Es schien kein Ende zu nehmen. Die gesamte Crew der „Revenge“ hatte sich auf die Socken gemacht.

„Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Edwin Carberry, „das ist alles andere, nur kein Zufall.“ Für ihn gab es keinen Zweifel, daß Drakes Strolche sie auf dem Weg in die „Bloody Mary“ beobachtet hatten. Daß sie nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, sich für das zu bedanken, was in der Nordsee passiert war.

Nathaniel Plymson blickte verzweifelt zu den verräucherten Dekkenbalken seiner Schenke hoch.

„Bitte nicht schon wieder!“ flehte er leise. In grausamer Deutlichkeit sah er die schöne neue Einrichtung in tausend zersplitterten Trümmerstücken vor seinem geistigen Auge.

Es war unheimlich still geworden in der „Bloody Mary“. Hätte jemand die berühmte Nadel fallengelassen, so hätte es geklungen wie das Klirren eines Säbels.

Der erste Offizier der „Revenge“ hatte mehr als fünfzig Männer mitgebracht. Wie ein Rattenschwanz folgten sie Robert Parsons auf seinem herausfordernd langsamen Weg in Richtung Theke. Im freien Raum zwischen den Tischreihen wurde es eng. Noch immer strömten weitere Männer von draußen herein und brachten kühle Abendluft in die „Bloody Mary“.

Nathaniel Plymsons Stammkunden verdrückten sich eilends durch die Hintertür. Die fremden Schaulustigen zögerten noch und waren offenbar nicht in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen.

Robert Parsons war ein muskulöser, stämmig gebauter Mann.

Edwin Carberry und die anderen blickten Drakes ‚Erstem‘ gelassen entgegen. Daß die Burschen nicht zu ihrem Vergnügen aufkreuzten, war allen klar. Vor allem war es die Geschichte mit dem zerschossenen Ruderblatt, die ihnen noch immer höllisch an die Nieren ging. Jetzt wollten sie das, was der Name ihres Schiffes so schön ausdrückte: Revenge – Rache.

Einen Schritt vor dem Profos der „Isabella“ blieb Parsons breitbeinig stehen. Hinten stand die Tür noch immer offen. Plymsons Schenke war nicht groß genug für die vielen rauhen Gestalten.

„Es zieht, Mister Parsons“, sagte Edwin Carberry. Seine Worte tropften wie flüssiges Blei in die Stille.

Parsons verzog die schmalen Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

„Das liegt daran, Mister Carberry, daß hier ein paar Leute zuviel sind. Es ist nicht genug Platz für uns alle.“

„Richtig, richtig.“ Der Profos nickte, immer noch ruhig. „Ein paar von uns werden wohl gehen müssen.“

„Das meine ich auch“, sagte Parsons höhnisch. „Am besten trinkt ihr schnell aus und verschwindet. Meine Leute haben einen guten Tropfen verdient. Hinter uns liegen anstrengende Wochen und Monate. Die Jungens sind leicht reizbar. Wenn sie nicht schnell genug ihr Bier und ihren Whisky kriegen, könnte es sein …“

Was er noch sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken.

Denn Carberrys Riesenfäuste zuckten urplötzlich vor und packten den Kragen seiner Jacke. Den urgewaltigen Kräften des Profos hatte Parsons fast nichts entgegenzusetzen. Er wehrte sich vergeblich, als Carberry ihn dicht zu sich heranzog.

„Ihr wollt also Stunk, was, wie? Den sollt ihr haben, du Hering!“ Mit einem jähen Ruck stieß der Profos ihn von sich.

Robert Parsons segelte rückwärts auf seine Männer zu. Sie fingen ihn auf und bewahrten ihn davor, der Länge nach auf den harten Steinfußboden zu stürzen. Angriffslustiges Gemurmel entstand in den Reihen der „Revenge“-Crew.

Stühle fielen polternd um. Die Seewölfe sprangen von ihren Tischen auf.

Edwin Carberry reckte seine massige Gestalt, spuckte in die Pranken und rief: „Männer, es geht los! Hier wackelt jetzt die Bude! Bringt den unverschämten Rübenschweinen die Flötentöne bei!“ Er schnappte seinen Bierkrug, und während er ihn mit einem langen Zug leerte, peilte er über den Rand des Kruges bereits die Lage.

In der Schenke entstand Gewühl.

Die Zaungäste hatten jetzt endlich begriffen, daß es ungemütlich wurde. Fluchtartig sprangen sie von ihren Tischen auf und eilten zu der Tür, durch die zuvor schon Plymsons gewitztere Stammkunden verschwunden waren.

Robert Parsons riß sich von seinen Gefolgsleuten los und setzte zum Sturmangriff an.

Carberry schleuderte seinen leeren Bierkrug haarscharf über den Kopf des ersten Offiziers weg. Das brachte Parsons aus dem Konzept. Verwirrt zuckte er zusammen. Hinter ihm traf der Krug gleich zwei Schädel seiner Gefährten.

Tonscherben ergossen sich in einem wahren Regen ins Gewühl.

Das war das Zeichen zum Angriff. Nichts hielt die Seewölfe jetzt mehr auf ihren Plätzen.

Robert Parsons stieß einen gellenden Wutschrei aus und ging auf den Profos der „Isabella“ los. Links und rechts von ihm stießen sich Ferris Tucker, Batuti, Karl von Hutten, Jan Ranse und die anderen von der Theke ab.

„Um Himmels willen, nein!“ schrie Nathaniel Plymson in höchster Not. „Ihr habt doch gesagt, daß nichts zu hart angefaßt wird, daß nichts kaputtgehen wird, daß …“

Er mußte hinter der Theke Dekkung suchen, denn ein Schemel schwirrte heran, streifte den ausgestopften Stör, der in heftige Pendelbewegungen geriet, und krachte gegen das neue Holzregal. Ein Dutzend Krüge und Becher ging zu Bruch. Abermals gab es einen Scherbenregen, diesmal über Plymsons feistem Rücken.

Der Tanz hatte begonnen.

Carberry trieb den ersten Offizier der „Revenge“ mit zwei, drei Fausthieben in die keuchenden, drängenden Reihen seiner Männer zurück. Der Profos hatte ihnen nicht die Zeit gelassen, sich zum Angriff zu formieren. Genau das geriet ihnen jetzt zum Nachteil.

Die Seewölfe hatten den Vorteil, daß sie weiträumiger in der Schenke verteilt waren. Mit Gebrüll gingen sie auf die „Revenge“-Männer los, die in den engen Tischreihen noch nach einer besseren Ausgangsposition suchten.

Dan O’Flynn, Jeff Bowie und Sam Roskill hatten blitzschnell die offene Eingangstür erreicht, versperrten denen, die schon drinnen waren, den Weg und trieben die anderen wieder hinaus, die den Eintritt noch nicht geschafft hatten. Ein halbes Dutzend Kerle von Drakes Flaggschiff waren es, die sich auf dem Straßenpflaster vor der Schenke plötzlich drei wirbelnden, wild entschlossenen Kämpfern gegenübersahen. Und jäh begriffen Parsons Gefährten, daß sie zu sehr auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit vertraut hatten, daß sie ein leichtes Spiel erwartet hatten und ihnen dieser verbissene Kampfgeist fehlte, den Killigrews und Ribaults Männer von einem Atemzug zum anderen zu entfachen verstanden.

Die gleiche wilde Entschlossenheit entfesselten sie auch drinnen, im Schankraum der „Bloody Mary“.

Edwin Carberry setzte Parsons nach und erwischte ihn von neuem beim Kragen.

„Ho-ho!“ brüllte der Profos, daß die Wände wackelten. „Drauf, Männer! Gebt’s den gottverdammten Bastarden!“ Seine Riesenfäuste trieben den ersten Offizier zurück in das Gedränge wie einen unangespitzten Pfahl.

Und die Seewölfe stimmten in das Kampfgebrüll mit ein. Es flogen die Fetzen. Stühle und Tische gingen zu Bruch. Immer neue Scherbenregen entstanden, wenn Krüge und Becher zersplitterten. Nathaniel Plymson wagte nicht mehr, hinter seinem schönen neuen Tresen hervorzutauchen.

Plötzlich erschauerten die Männer der „Revenge“, die sich vor wenigen Minuten noch so überlegen gefühlt hatten. Denn ein Ruf hallte von den Wänden wider, ein Ruf, in dem sich die Männerstimmen in unbändiger Wildheit zu einem wahren Donnergrollen vereinten.

„Ar-we-nack! Ar-we-nack! Ar-we-nack!“

Die Betonung lag auf der ersten Silbe, die beiden letzten klangen abgehackt. Das ergab jenen dröhnenden Rhythmus, der auf schauerliche Weise an eine heranmarschierende Streitmacht erinnerte. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt.

Es war der alte Kampfruf derer von der Feste Arwenack, hoch über Falmouth an der Küste von Cornwall gelegen. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten diesen Schlachtruf übernommen und über die sieben Meere getragen. Und immer dort, wo sie ihr „Ar-we-nack“ dem Gegner entgegengeschleudert hatten, da hatten sie Angst und Schrecken verbreitet.

Die Männer der „Revenge“ gerieten aus der Fassung. Diese Wildheit, die ihnen entgegenbrandete, war zuviel. Mit nichts dergleichen hatten sie gerechnet. Und diejenigen von ihnen, die unter schmetternden Fausthieben zusammenbrachen, trugen allein durch ihren jämmerlichen Anblick dazu bei, die anderen zu demoralisieren. Dan O’Flynn, Sam Roskill und Jeff Bowie stürmten zurück in die Schenke. Draußen gab es nichts mehr zu tun. Sechs „Revenge“-Männer lagen langgestreckt auf dem Straßenpflaster, erlöst im Traumland, in dem es keine Schmerzen gab.

Und mit der Rückkehr der Drei wallte der Schlachtruf „Ar-we-nack“ von neuem auf.

Von wirbelnden Fäusten, splitternden Stühlen und zischenden Tonkrug-Geschossen umgeben, stapfte Edwin Carberry durch das Gewühl wie ein Fels in der Brandung. Parsons hatte noch immer nicht genug. Er rappelte sich von neuem in dem Durcheinander auf und ging abermals auf den Profos los.

Carberry knurrte unwillig. Jetzt reichte es. Mit einem kurzen Blick in die Runde stellte er fest, daß die Horde der Drake-Mannen bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen war. Und immer noch wirbelten die Fäuste der Seewölfe, die über Tische und Stühle turnten, als sei dies die leichteste und selbstverständlichste Art der Fortbewegung.

Carberry ließ den Angriff Parsons an seinen Unterarmen abprallen. Dann blies er dem ersten Offizier des sehr ehrenwerten Admirals den Marsch, daß Sir Francis Drake das Heulen gekriegt hätte, wenn er Zeuge geworden wäre.

Robert Parsons erzitterte unter einem Trommelfeuer von Hieben, die den letzten Funken Mut aus ihm herausdroschen. Es sah kläglich aus, als er trotzdem versuchte, die Fäuste noch einmal gegen den bulligen Profos zu erheben. Carberry gab ihm mit einem letzten gnadenlosen Haken den Rest.

Parsons segelte durch die Tischreihen und landete in einem Haufen von Armen und Beinen, die zum bereits kampfunfähigen Teil seiner Meute gehörten. Und Parsons rührte sich nicht mehr. Die übrigen „Revenge“-Männer, die noch kämpften bemerkten es mit wachsender Verwirrung. Es war wie immer: Wo der Anführer die Segel strich, war auch mit dem Rest der Mannschaft nicht mehr viel anzufangen.

Carberry und die anderen droschen weiter auf den zusammengeschmolzenen Haufen ein. Bewußtlose, zersplitterte Stuhl- und Tischbeine bildeten ein wirres Durcheinander. Die Öllampen schaukelten bedrohlich unter den Dekkenbalken.

Ferris Tucker sah sich plötzlich allein auf weiter Flur. Desgleichen Karl von Hutten und Jan Ranse. Ihre Fäuste hatten pausenlos reiche Ernte gefunden, doch auf einmal war ihre Umgebung wie leergefegt. Und die übrigen Seewölfe sahen sich unvermittelt in der gleichen Lage. Die letzten von der „Revenge“ sanken seufzend zu Boden.

Aus.

Die plötzliche Stille war unheimlich. Jedenfalls für Nathaniel Plymson, der nur zögernd hinter seiner Theke hervorzukriechen wagte. Dann, als er die Bescherung sah, schloß er verzweifelt die Augen. Es war haargenau das Bild, das er schon vor Beginn der wilden Schlacht gesehen hatte. Und es war ein höllisch vertrautes Bild, das er schon viel zu oft erlebt hatte.

Edwin Carberry blickte abermals in die Runde. Seine Gefährten sahen zwar einigermaßen zerrupft aus. Aber zerrissene Kleidungsstücke und ein paar Schrammen waren bedeutungslos angesichts des Sieges, den sie errungen hatten. Wieder einmal.

Die Männer der „Revenge“ mußten bald an sich selbst verzweifeln. Immer wieder kriegten sie von den Seewölfen einen mehr als sprichwörtlichen Tritt in den Hintern verpaßt, und jedesmal wurde die Niederlage noch bitterer für sie. Immerhin hatte es bei den Vorfällen auf See bislang keine Zeugen gegeben. Aber hier, in Plymouth, hatten die Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ ihnen in aller Öffentlichkeit die Jacke vollgehauen.

„Na bitte“, sagte der Profos der „Isabella“ mit zufriedenem Nicken und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. „Dann wollen wir mal, Männer! Fangt an mit dem Aufräumen! Unser alter Freund Plymson soll die ganze Arbeit nicht allein tun. Ich denke, unsere lieben Kameraden von der ‚Revenge‘ brauchen ein bißchen Abkühlung, damit sie schneller wieder aufwachen und auf vernünftigere Gedanken kommen!“

Beifälliges Johlen war die Antwort. Carberry brauchte den Männern nicht zweimal zu erklären, was er meinte. Die Mill Bay lag quasi vor der Haustür.

Nathaniel Plymsons Augen waren vor Entsetzen geweitet, als er sah, wie sie die Bewußtlosen hinausschleiften. Das Klatschen, das anschließend in sehr kurzen Abständen zu hören war, ließ keine Zweifel offen. Diese Himmelhunde verhalfen der Crew des sehr ehrenwerten Admirals Drake doch tatsächlich zu einem kühlen Bad in der Mill Bay!

Plymson fröstelte. Der Abend hatte erst begonnen. Was mochte die Nacht noch bringen?

Bestimmt nichts Gutes. Denn die Seewölfe dachten nicht daran, schon in ihre Kojen zurückzukehren. Trotz des zertrümmerten Mobiliars war ihnen die „Bloody Mary“ noch gemütlich genug, um einen ordentlichen Schluck auf den Sieg zu trinken.

Seewölfe Paket 9

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