Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 6
2.
Оглавление„Viel Scharfsinn gehört nicht dazu“, erwiderte Hasard. „Aber es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie uns mitteilen würden, welchen Reim Sie sich auf das Auftauchen dieser Schiffe gebildet haben. Sie haben doch eben erwähnt, daß Sie von den Gefechten im Kanal schon vernommen haben.“
„Ja, ja. Also, das muß schon ein tolles Stück gewesen sein. Die Spanier hatten sich in den Kopf gesetzt, mit ihrer stolzen Armada eine Invasion auf der englischen Insel zu veranstalten. Habe ich recht?“
„Stimmt“, erwiderte Hasard.
Hai, dachte er dabei, Marodeur, elender Galgenstrick, ich weiß genau, was du vorhast, aber ich werde es dir nicht auf den Kopf zusagen, ich will es von dir hören.
Strauchritter, dachte Jean Ribault, während er dem Dicken lächelnd in die Augen schaute, Schnapphahn, Küstenwolf, erbärmlicher Leichenfledderer, der Blitz soll dich treffen, daß du zerspringst.
„Aber Lordadmiral Sir Howard von Effingham, der Oberbefehlshaber der englischen Flotte, hat diesen dreisten Angriff zurückgeschlagen, ja?“ fuhr Bingham fort. „Die Armada ist zerschlagen, ihre Reste irren um die Insel herum, nicht wahr? Wie ist denn die Schlacht im einzelnen verlaufen? War das nicht ein Freudentanz für die englische Nation?“
„Wir haben das nicht so genau verfolgen können“, teilte Hasard ihm eher mürrisch mit. „Wir waren Statisten und haben kaum eingegriffen, während Lord Howard, Sir John Hawkins, Sir Martin Frobisher und Sir Francis Drake die Hauptaktionen leiteten.“ Das entsprach nun ganz und gar nicht der Wahrheit, aber Hasard hatte keine Lust, sich mit seinen Taten zu rühmen und dem Fettwanst die Einzelheiten der Schlacht gegen die Armada auf die Nase zu binden.
„Ach so“, meinte Bingham. „Und warum segeln auch Sie jetzt um die Insel herum, bis an Irlands Küsten?“
Jean Ribault beugte sich ein wenig vor. „Na, nun raten Sie doch mal, werter Richard.“
Bingham hob seine rechte Hand und stieß seinen wurstigen Zeigefinger in die Luft. „Ich hab’s! Sie sind hinter den letzten spanischen Hunden her, um ihnen den Rest zu geben.“
„Gewissermaßen“, bestätigte Jean so freundlich wie möglich.
Hasard griff jetzt nicht ein – bewußt nicht. Er wollte Bingham die Mission verschweigen, die er sich selbst gestellt hatte. Diese Mission lautete, den schiffbrüchigen Spaniern nach Möglichkeit zu helfen. Es war ein Gebot der Ritterlichkeit und der Fairneß, denn einen Gegner, der schon am Boden lag, trat man nicht auch noch mit den Füßen.
So dachte Hasard. So dachte aber bei weitem nicht jeder englische Seemann und Kapitän, wie sich erwiesen hatte.
Bingham nun zählte zu der übelsten Kategorie von Schnapphähnen und Profitgeiern. Hasard hätte ihm am liebsten eine geharnischte Antwort entgegengeschleudert, aber er brauchte den Proviant und das Trinkwasser wirklich, denn bei den Orkneys hatten sie mit ihren eigenen Schiffsvorräten verzweifelten Spaniern aus der Klemme geholfen.
Der Seewolf hatte beschlossen, zum Schein auf Binghams schmutziges „Geschäft“ einzugehen. Genauso sah es auch Jean Ribault. Hasard kannte ihn lange genug, sie brauchten sich in vielen Dingen nicht erst lange abzustimmen, um denselben Weg zu beschreiten oder dieselbe Taktik zu wählen.
Bingham ließ sich auf seinen Sitzplatz zurücksinken und bot auch Hasard und Jean durch eine großzügige Geste endlich an, sich hinzusetzen.
Er strahlte plötzlich über sein pausbäckiges Gesicht, breitete die kurzen Arme aus und sagte: „Das trifft sich ja ausgezeichnet, meine lieben Freunde. Sie tun mir einen kleinen Gefallen, der auf einer Linie mit ihrem eigentlichen Vorhaben liegt, und ich stelle Ihnen dafür reichlich Proviant und Trinkwasser zur Verfügung.“ Er legte eine kleine Pause ein, ließ die Arme sinken, faltete die Hände über dem Bauch und erkundigte sich: „Nun, wie ist es? Werden wir handelseinig?“
Hasard überlegte, bevor er antwortete.
Bingham war, nachdem er den Kaperbrief gelesen hatte, dazu verpflichtet, den Männern der „Isabella VIII.“ und der „Vengeur“ Hilfe zu leisten. Hasard konnte leicht auf seine königlichen Privilegien pochen, die er jetzt genoß. Er konnte sein Recht ausspielen, und Bingham hatte keine Chance, ihn kalt ‚abfahren“ zu lassen.
Aber wie gesagt: Vielleicht war ein solches Verhalten nicht gerade taktisch klug. Vielleicht konnte man den Spanieren, die ihre grausige Odyssee um England und Irland herum fuhren, besser beistehen, wenn man diesen Fettwanst täuschte.
Sir Richard Bingham indes meinte, diesen Killigrew und diesen Ribault durch sein Geschick zu nutzbaren und willfährigen Werkzeugen in seinen Händen machen zu können. Sie sollten ihm helfen, die an der Clew Bay und an Murrisk vorbeisegelnden halbwracken Spanier auszuplündern.
Er war geradezu verrückt darauf. Und ihm standen fast die Tränen der Wut in den Augen, wenn er daran dachte, wie viele Spanier bereits an der Clew Bay vorbeigezogen waren, die eine leichte Beute für ihn hätten werden können.
„Diese Spanier“, sagte er mit verschlagenem Gesichtsausdruck. „Wir sollten sie nicht nur versenken, damit sie ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen, wir sollten ihnen auch wegnehmen, was sie noch an Bord ihrer Schiffe mitschleppen. Gentlemen, alles, was sie nach Spanien und Portugal zurückbringen, dient doch letztlich ihrem verfluchten König, diesem Philipp, wieder eine neue Flotte aufzubauen und auszurüsten. Habe ich recht?“
Diesmal war es Jean, der darauf erwiderte: „Sehr richtig, lieber Freund. Vom kriegstechnischen und vernunftmäßigen Standpunkt aus gesehen, ist dem, was Sie eben ausgesprochen haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen eine gehörige Portion Schlauheit zu leugnen.“
„Wie?“ sagte Bingham verdutzt.
„Ich meine, was Sie da über König Philipp II. von Spanien gesagt haben, stimmt schon“, entgegnete Jean, ohne dem Dicken zu verraten, wie er über den Rest seiner Worte dachte.
So rechtfertigte Bingham also, was er plante – Spanien zu schaden, wo man konnte. Fehlte nur noch, daß er behauptete, er tue dies für seine Königin, der er treu ergeben sei.
„Mit den wenigen kleinen Schiffen, die Sie im Hafen liegen haben, dürfte ein solches Unternehmen aber scheitern“, sagte nun der Seewolf. „Mit den Einmastern können Sie nur was anfangen, wenn Sie hervorragende Entermannschaften haben, Burschen, die weder Tod noch, Teufel fürchten und reiche Erfahrung im Kapern haben.“
Bingham rang die Hände. „Daran mangelt es mir ja gerade, Freunde. Keiner meiner Untergebenen ist kampferfahren genug, um so was leisten zu können. Meinen Sie denn, ich säße sonst noch hier herum?“
„Und die Iren?“
„Die irischen Bastarde sind dazu sowieso nicht zu gebrauchen“, sagte Bingham verächtlich. „Mit anderen Worten, nur Sie können das erledigen.“
Hasard schlug ein Bein über. „So viele spanische Schiffe wie möglich entern? Darüber läßt sich reden, denn das ist unsere Spezialität. Und wie sieht es mit unserem Anteil aus?“
„Proviant und Trinkwasser, reichlich …“
„Ach. Und Sie glauben, damit begnügen wir uns?“
Bingham rutschte ein Stück auf seinem Stuhl vor und legte die Hände auf das blankgewetzte Pult. „Gold und Silber habt ihr Seewölfe auf euren Fahrten doch genug gerafft. Was ihr jetzt braucht, ist ausreichend gutes Essen, Wasser, Wein, Bier, Whisky – ihr glaubt ja nicht, wie gut es um meine ganz privaten Vorräte bestellt ist.“
Doch, Hasard glaubte fest daran, daß Bingham sich gut eingedeckt hatte, denn wo man den Iren kein Geld und keine Wertsachen entreißen konnte, da nötigte man ihnen eben Naturalien ab, an denen man sich gütlich tun und mit denen man auch einen schwunghaften Tauschhandel betreiben konnte.
„So?“ sagte Jean Ribault. „Habe ich richtig gehört? Sie haben auch Whisky? Etwa den echten irischen, der mit einem ‚e‘ vor dem ‚y‘ geschrieben wird: W-h-i-s-k-e-y?“
„Ja, den.“
Jean blickte zu Hasard. „Also, das sollten wir uns aber wirklich gut überlegen. Da ist doch einiges für uns drin, Hasard.“
„Kann sein.“
Hasard spielte den Zögernden und feilschte noch eine Weile mit Bingham über die Mengen herum, die er forderte, obwohl er dem Dicken am liebsten zwei deftige Maulschellen verpaßt hätte.
Endlich hatten sie eine „Einigung“ erlangt, und Hasard fragte: „Wann sollen wir denn mit dem Überfall auf spanische Schiffe beginnen?“
„So schnell wie möglich“, erwiderte Bingham hastig. „Die Clew Bay ist übrigens ein ideales Versteck, aus dem man wie der Teufel über einen Feind herfallen kann. Sie brauchen bloß auf die verdammten Philipps zu warten, Freunde, und dann rupfen Sie sie, einen nach dem anderen.“
„Es stürmt“, erwiderte der Seewolf. „Und meine Männer sind hungrig. In der Kneipe von Westport können sie saufen und mit den Ladys scherzen, aber da gibt es nichts zu essen.“
„Meine Männer sind auch hungrig. Wie die Bären“, hieb Jean sogleich in dieselbe Kerbe. „Seit zwei Tagen haben sie nichts Vernünftiges mehr zwischen die Zähne gekriegt.“
„Und wer Hunger hat, kann nicht kämpfen“, erklärte der Seewolf. „Also sollten wir den Proviant, das Wasser und die übrigen Kleinigkeiten, die Sie, werter Richard, uns versprochen haben, so schnell wie möglich übernehmen.“
„Wenn der Sturm nachläßt, oder?“ fragte Bingham.
„Am besten noch heute nacht“, sagte Hasard.
„Und wenn es weiterhin stürmt?“
„Auch dann“, entgegnete Hasard und entblößte seine Zähne. „Meine Leute und die Männer Jean Ribaults werden schon nicht von der Gangway fallen, wenn sie Fässer und Kisten zur ‚Isabella‘ und zur ‚Vengeur‘ hinübermannen. Je mehr Bier und Schnaps sie in Ihrer Spelunke die Kehlen hinunterstürzen, desto sturmfester wird ihr Gang.“
Er lachte. Jean lachte auch. Bingham fiel glucksend mit ein, dann erhob er sich und schüttelte den beiden spontan die Hände. Hasard und Jean wäre es lieber gewesen, voll in eine glitschige Nesselqualle zu packen als diesem Widerling die Hand zu drükken, aber sie taten auch das.
Was tat man nicht alles zum Schein!
„Ich werde alles Notwendige veranlassen“, sagte Sir Richard Bingham feierlich. „Und nun lassen Sie uns erst mal trinken – auf gute Geschäfte.“ Er kicherte, setzte sich wieder und zog aus dem untersten Fach seines Pultes eine leicht angestaubte Flasche hervor. Guter irischer Whiskey befand sich darin, zehn Jahre alt, ein edler Tropfen, den Bingham eigentlich für sich ganz persönlich aufgespart hatte.
Zum Teufel mit allem Geiz, dachte er, das hier ist schon ein Opfer wert.
Der Sturm hielt an. Immer noch kämpfte die „Gran Grin“ mit ihm. Ihr Kapitän und ihre Besatzung entdeckten in den ihnen unbekannten Gewässern keine schützende Bucht, in die sie verholen konnten. Dunkelheit und Regen hüllten das große Schiff ein, Brecher rollten donnernd gegen die Bordwände an und vergrößerten die Lecks.
1160 Tonnen groß war die „Gran Grin“, ein einst stolzes Schiff, wie es in dieser Größe und prachtvollen Bauweise nur selten vom Stapel gelassen wurde.
Sie war das Vize-Flaggschiff aus dem Biskaya-Geschwader des Juan Martinez de Recalde, eine gut armierte Viermast-Handelsgaleone. Aber von ihren vier Masten standen jetzt nur noch der vordere Besanmast und der Fockmast. Der achtere Besanmast war im Gefecht weggeschossen worden. Der vordere Besanmast war lateinergetakelt, an dem Fockmast bauschten und beutelten sich im zornigen Wind die beiden Rahsegel – Fock und Vormarssegel –, und zwischen diesen beiden Masten stand als Überrest des Großmastes ein unbrauchbarer, kläglicher Viertelstumpf. Die oberen drei Viertel waren samt Takelage und Segeln längst gekappt und schwammen nördlich der Orkney-Inseln.
Und die Armierung?
Es waren nur noch die Kanonen da, von denen sich die eine oder andere leicht aus ihren Brooktauen lösen konnte und dann als Geschoß quer über Deck rollen würde – eine Gefahr für die letzten halbwegs gesunden und kräftigen Männer, die sich an Oberdeck hielten und verbissen die Manöver durchführten, gegen den Kolderstock drückten, der im Toben des Wetters zu brechen drohte.
Munition für die Kanonen befand sich nicht mehr an Bord, so daß sich die „Gran Grin“ bei der möglichen Konfrontation mit einem Gegner nicht auf ein Gefecht einlassen konnte.
Die Besatzung – ursprünglich mit den Seesoldaten eintausendzweihundert Mann – war auf etwa zweihundert Mann zusammengeschrumpft. Und von diesen zweihundert war der Großteil völlig unterernährt und halbverdurstet, war im Kampf verwundet worden, litt an den gefürchteten Krankheiten Skorbut, Typhus, Diarrhöe.
Der Feldscher fürchtete, daß sich auch die Cholera einschleichen würde, aber hierüber hatte er bisher nur mit Kapitän Pedro de Mendoza gesprochen, um die Verzweiflung an Bord nicht noch zu vergrößern.
Pedro de Mendoza hatte die Offiziere in seiner Kapitänskammer im Achterkastell des Schiffes versammelt, hörte sich ihren kurzen Lagebericht an und fällte dann seine Entscheidung. Er hatte keine Karten von dem Seegebiet vor der Westküste Irlands, aber er brauchte sie dazu auch nicht.
De Mendoza war ein fähiger Kapitän, vierzig Jahre alt, zäh wie Leder, tapfer und vor allem kein Leuteschinder. Reiche seemännische Erfahrung hatte er in Westindien gesammelt, mit diesem und mit anderen Schiffen, die der Neuspanien-Flotte angehört und Gold und Silber aus der Neuen Welt nach Spanien transportiert hatten.
Illusionen hatte er in einer Situation wie dieser nicht mehr. Die „Gran Grin“ war leck, und die Lecks waren mit Bordmitteln nur notdürftig abgedichtet. Die Besatzung hatte bis zum Äußersten gekämpft, aber jetzt war sie am Ende. Sie brauchte Ruhe, sie brauchte Proviant, Wasser und ärztliche Versorgung.
De Mendoza saß auf einem geschnitzten Holzgestühl hinter seinem reich verzierten Kapitänspult. Die Männer hatten ihn umringt und blickten besorgt und erwartungsvoll auf ihn hinunter. Ein Offizier fehlte bei dieser Besprechung – es war der zweite Offizier, der vor zwei Tagen seinen schweren Verletzungen erlegen war.
Einer der vielen. Sie hatten den Zweiten mit seemännischen Ehren in dem ungastlichen, mörderischen Meer bestattet, wie sie danach immer wieder Tote den Fluten hatten übergeben müssen, so viele, daß sie sie am Ende nicht mehr gezählt hatten.
In dieser Nacht hatte es Miguel, einen jungen baskischen Decksmann, getroffen, und auch jetzt, so wußte de Mendoza, hockte der Feldscher unten im Vordeck am Lager eines Todkranken, der das Morgengrauen nicht mehr erleben würde.
Der Sturm packte und schüttelte das Schiff. Die Offiziere mußten sich am Pult und an Stützbalken festklammern, um nicht umgerissen zu werden.
De Mendoza blickte seinen ersten Offizier Vega de la Torre an und sagte: „Solange der Wind noch aus Nordwest wehte, konnten wir unseren Kurs halten. Aber dem Sturm aus Südwest sind wir einfach nicht gewachsen, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, weiter gegen ihn ankreuzen zu wollen. Daher meine Order: Wir gehen auf Kurs Nordost und laufen vor dem Sturm her. Ja, wir bewegen uns dorthin zurück, woher wir gekommen sind, aber in diesen sauren Apfel müssen wir beißen. Senores, wir versuchen, irgendwo unter einer Leeküste Schutz zu suchen.“
„Und wenn wir statt dessen auf ein Riff laufen?“ fragte de la Torre.
„Dieses Risiko gehen wir ständig ein, so oder so“, erwiderte der Kapitän. „Oder haben Sie noch einen genauen Begriff davon, in welcher Wasserregion wir uns befinden?“
„Nein, Senor Capitán.“
„Sehen Sie. Soll ich Ihre Frage noch präziser beantworten? Wenn wir auflaufen, dann ist es das Ende für uns alle. Aber das wußten Sie doch schon, oder?“
De la Torre zeigte klar und sagte: „Sie, Senor Capitán. Ich bitte um Verzeihung wegen meiner unangebrachten Bemerkung. Ich werde sofort alles Notwendige veranlassen.“
„In Ordnung“, entgegnete de Mendoza, und zum erstenmal seit langer Zeit spürte er Mutlosigkeit und Schwäche in sich aufsteigen. Wie lange konnte er auf das Durchhaltevermögen dieser Männer noch bauen? Verlangte er ihnen nicht Übermenschliches ab? War die Zeit nicht längst reif für eine Meuterei?
Es ist die Müdigkeit, die dir so etwas vorgaukelt, sagte er sich im stillen.
„Senor“, sagte de la Torre, der zur Tür gegangen war, sich jetzt aber noch einmal umwandte. „Senor, gestatten Sie mir noch ein Wort. Sie sollten sich zur Ruhe legen. Sie haben seit drei Tagen kein Auge mehr zugetan – oder seit vier Tagen?“
„Es sind mindestens vier Tage, Capitán“, sagte der Bootsmann, „Ich melde mich freiwillig zur Mittelwache mit dem Ersten, Senor.“
Plötzlich lächelte der Kapitän schwach. Am Horizont der Finsternis und Verdammnis erschien wieder ein schwacher Hoffnungsschimmer. Seine Männer – sie hielten doch noch voll zu ihm.
„Ich danke Ihnen, Senores“, erwiderte er. „Und ich glaube, ich werde Ihr Angebot annehmen. Santa Madre de Dios, vielleicht haben wir nach dieser entsetzlichen Pechsträhne ja doch endlich Glück. Vielleicht finden wir Schutz und Hilfe. Vielleicht können wir den Iren, vor deren Küsten wir uns befinden, wenigstens Trinkwasser und Nahrungsmittel abkaufen.“
„Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagte Luis de Bobadilla, der Geschwader-Zahlmeister, wie aus der Pistole geschossen. „Geld haben wir ja mehr als genug an Bord, Capitän. Falls die Bevölkerung dieser wilden Gegend uns nicht gerade freundlich gesonnen ist, wird sie doch die Augen weit aufsperren und sich vor Hilfsbereitschaft überschlagen, wenn wir ihr auch nur eine Handvoll Piaster oder Reales unter die Nase halten. Die Iren sollen bettelarme Hunde sein, habe ich gehört.“
Luis de Bobadilla, ein untersetzter Mann mit vollem Gesicht und gerötetem Teint, hielt sich mit beiden Händen am Pult seines Kapitäns fest. Zuversichtlich lächelte er de Mendoza zu.
De Mendoza begegnete seinem Blick. Dieser Zahlmeister – sah er nicht viel gesünder aus als die anderen Offiziere? War die Tatsache, daß er bisher von seinem Leibesumfang kaum etwas eingebüßt hatte, wirklich einzig und allein darauf zurückzuführen, daß er über die enormen körperlichen Reserven verfügte, mit denen er sich immer brüstete?
„Ja“, sagte de Mendoza etwas gedankenverloren. „Wir können wirklich froh sein, daß wir wenigstens die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders gerettet haben.“
„Die ja wohlverwahrt in deiner Kammer steht, nicht wahr, Luis?“ meinte der Bootsmann, bevor er zu de la Torre hinüberschritt und mit diesem die Kapitänskammer verließ.
„Ja“, entgegnete de Bobadilla, während sie schon durch den schwankenden Achterdecksgang nach vorn gingen. „Ja, da steht sie sicher und wohlbehütet, und jeder kann es überprüfen, wenn er will.“
Die anderen Offiziere äußerten sich nicht dazu. Keiner konnte de Bobadilla besonders leiden, aber sie hatten andererseits auch keine Lust, mit ihm über die mehr oder weniger sorgfältige Verwahrung der Kriegskasse herumzudiskutieren. Sie waren alle zum Umfallen müde.
Kapitän Pedro de Mendoza entließ die Männer, aber Luis de Bobadilla hielt er doch noch zurück.
„Auf ein Wort, Zahlmeister“, sagte er.
In diesem Augenblick erschien ein Mann der Deckswache unter dem Türpfosten der Kammer und meldete: „Senor, der Feldscher schickt mich. Der Kamerad, der im Logis im Sterben liegt, hat als letzte Bitte ausgesprochen, noch einmal mit Ihnen sprechen zu dürfen.“
De Mendoza erhob sich, gab sich einen inneren Ruck und ging, die Schiffsbewegungen durch Beinarbeit ausgleichend, zur Tür.
„Verschieben wir unser Gespräch auf später“, sagte er zu de Bobadilla. „Das kann warten.“
„Ja, Senor. Gewiß, Senor“, entgegnete der Zahlmeister. Es kam ihm wirklich gelegen, daß der Sterbende im Vorschiff gerade in diesen Minuten seine letzten Atemzüge tat.