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8.

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Sir Richard Bingham suchte seine Amtsstube im vorderen Gebäudeteil auf, gefolgt vom Lieutenant, von Harris und vier Männern der Stadtgarde. Er wollte dem Lieutenant gerade die Anweisung geben, Killigrew und Ribault zu, sich zu rufen, da sah er durch die Bleiglasfenster, wie der Seewolf und der Franzose an der Spitze einer starken Delegation auf die Kommandantur zumarschierten.

„Was wollen die denn?“ fragte er sich verblüfft. „Na, ist ja egal. Es trifft sich sogar gut, daß sie schon da sind. Wir sparen Zeit.“

Er ließ sie eintreten und breitete, wie von einer wunderbaren Erscheinung überwältigt, die Arme aus, als Hasard und Jean dicht vor seinem abgewetzten Eichenpult standen.

„Meine lieben Freunde“, sagte der ehrenwerte Sir Richard. „Ihre Stunde ist gekommen. Ich wünsche, daß Sie sich jetzt an Ihren Part unserer Vereinbarungen halten, verstehen Sie?“

Hasard fixierte Bingham und fragte sich, ob nicht die Stunde gekommen war, der ganzen Farce ein Ende zu bereiten. Jean Ribault lächelte mal wieder, aber der Rest der Männer von der „Isabella“ und der „Vengeur“ zeigte eisige Mienen. Carberry, der sich gerade den zeternden Sir John in den Wamsausschnitt stopfte, hätte furchtbar gern drei lange Schritte bis zu Binghams Pult getan, um dem unausstehlichen Kerl die Haut in Streifen abzuziehen.

Hasard dachte an die sieben spanischen Gefangenen, aber auch an die Stadtgarde. Wenn er jetzt versuchte, bis zu den Spaniern vorzudringen, um sich ein Bild von ihrem Zustand zu verschaffen – oder gar, um sie herauszuhauen, dann hatte er die Garde gegen sich, und es würde zweifellos ein Blutbad geben.

Der Wind blies wieder heftiger über die Bucht und den Hafen. Er ließ die Bleiglasfenster in der Kommandantur leise klirren und warf die Tür zu, die Smoky, der als letzter eingetreten war, offengelassen hatte.

„Der Wind ist plötzlich auf West umgesprungen“, sagte Smoky.

„Mann, wie der in die Bucht pfeift“, meinte Karl von Hutten nach einem Blick durch eins der Fenster.

„Das gibt neuen Zunder“, murmelte Old O’Flynn. „Dicke Wolken ballen sich zusammen, es reißt nicht mehr auf – na, vielleicht ist das ja auch ganz gut so.“

Sir Richard Bingham kümmerte sich nicht um die Wetterverschlechterung. Er stützte die kurzen, dicken Finger auf das Pult.

„Ich habe erfahren, daß bei Clare Island eine große spanische Galeone liegt“, sagte er. Mit zwei Kriegsschiffen Ihrer Königlichen Majestät dürfte es ja wohl eine Kleinigkeit sein, dieses Schiff, die ‚Gran Grin‘, zu entern und nach Westport einzubringen.“

„Aber sicher doch“, entgegnete Hasard seelenruhig. „Bloß sollten Sie jetzt mal einen Blick nach draußen werfen, werter Freund.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter. „Bei diesem Wind ist es völlig ausgeschlossen, aus der Bucht zu kreuzen und die Insel anzusteuern, geschweige denn, die spanische Galeone zu entern. Tut mir leid. So gern ich mein Versprechen erfüllen würde – im Moment geht das wirklich nicht. Lieber Richard, das müssen Sie doch einsehen.“

Der „liebe Richard“ mußte ihm recht geben.

„So ein Pech“, sagte er zähneknirschend. „Na schön, dann warten wir eben. Aber sobald das Wetter besser wird, laufen Sie zum sofortigen Angriff aus, nicht wahr?“

„Darauf können Sie sich verlassen“, versicherte Hasard ihm – nur lautete seine Auslegung dieses Unternehmens ganz anders, als Bingham annahm.

Die Gefangenen des Gouverneurs stammten von der „Gran Grin“, soviel stand fest. In der kurzen Zeit seit ihrem Eintreffen konnten sie noch nicht gefoltert worden sein, zumindest hoffte der Seewolf es. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie aus freien Stücken Auskunft über ihr Schiff gegeben.

Bingham dachte an O’Malla und hoffte inständig, daß dieser irische Rebellenführer und Galgenstrick ebenfalls keine Gelegenheit dazu fand, bei dem neu lospeitschenden Sturm die spanische Viermast-Galeone zu entern.

Dubhdara Rua O’Malla hielt die „Gran Grin“ von der Insel Clare aus fortwährend unter Beobachtung, aber er traf keine Anstalten, überzusetzen und die letzten Männer an Bord des Schiffes niederzumetzeln.

Das geschah nicht aus plötzlich aufkeimender Menschlichkeit, sondern aus einer sehr nüchternen Überlegung. O’Malla kannte den Gouverneur von Westport zur Genüge, und er konnte sich lebhaft vorstellen, daß Bingham erstens in Erfahrung gebracht hatte, daß die Galeone vor Clare Island vertäut hatte – und daß er zweitens vorhatte, den Segler wie ein schlachtreifes Huhn auszunehmen.

O’Malla indes legte keinen großen Wert darauf, die Galeone zu erobern. Er wollte zwar keine Eindringlinge auf seiner Insel und war bereit, jeden auch noch so starken Landetrupp aus dem Hinterhalt zu überfallen und auszuplündern. So war er mit den Spanieren verfahren, die sich erdreistet hatten, in den Felsen herumzusteigen, aber ein Überfall auf die Galeone erschien ihm zu riskant wegen der vielen Kanonen, die er auf dem Oberdeck des Schiffes gezählt hatte, es würde zu große Verluste geben.

Kurzum, O’Malla genügte es, wenn er seine Ruhe hatte. Den „dicken spanischen Brocken“ warf er dem englischen Besatzer Bingham gern zum Fraß vor.

Und genau dazu bot sich der Weststurm an, der bis zum Nachmittag andauerte und auch zum Abend hin nicht nachließ.

Ein prasselnder Regenguß ging auf die Insel und die Galeone nieder. O’Malla und vier seiner in Teerjakken gehüllten Kerle prischten sich zu der Stelle, an dem die eine Jolle der „Gran Grin“ herrenlos liegengeblieben war.

Es gelang ihnen, die Landtrossen zu kappen, ohne von Bord des Schiffes aus gesehen zu werden.

„Das genügt“, sagte O’Malla grimmig, während der Regen von seiner Mütze aus gefettetem Leder in seinen Jackenkragen lief. „Der Rest erledigt sich von selbst. Fahrt zur Hölle, Spanier!“

Er sollte recht behalten. Der Notanker hielt noch knapp eine Stunde, dann brach ihn das schwere Schiff aus dem Grund. Langsam setzte sich die „Gran Grin“ in Bewegung und trieb vor dem Weststurm hilflos in die Clew Bay hinein. Es sollte ihre letzte Fahrt sein.

Südlich der Newport Bay, einer kleineren Bucht im nordöstlichen Bereich der Clew Bay, erstreckten sich gut achtzig bis hundert Inseln und Inselchen dem Festland vorgelagert bis hinunter nach Westport.

Es nutzte Kapitän Pedro de Mendoza nichts, daß er in höchster Not selbst nach dem Kolderstock griff. Bei der Heftigkeit des Sturmes war das schwere Schiff manövrierunfähig. Es wurde zwischen Inselklippen gepreßt, ohne daß sich das Unheil noch hinauszögern ließ.

Ein einziger Schrei des Entsetzens gellte durch das Schiff. Es krachte und donnerte bis in die äußersten Verbände, knirschend brachen Planken der Außenhaut, rauschend drang das Wasser durch die sich vergrößernden Lecks ein.

Die „Gran Grin“ blieb in ihrer Falle hängen. Die schweren anbrandenden Brecher setzten ihr Zerstörungswerk fort. Das Chaos an Bord war vollkommen, und jeder Versuch, die Lecks wenigstens notdürftig abzudichten, war völlig sinnlos.

Kapitän de Mendoza riß es fast vom Achterdeck, nur im letzten Augenblick konnte er sich noch an einer Nagelbank festklammern. Unvollständig, teilweise zerfetzt waren die Manntaue, die über Deck gespannt worden waren, und es kam letztlich auf die Geistesgegenwart des einzelnen an, ob er sich noch auf dem Oberdeck des Viermasters hielt oder nicht.

Achterdeck, Kuhl und Back hatten sich in eine abschüssige, glitschige, von brüllenden Wassermassen überspülte Rutschbahn verwandelt. De Mendoza sah einige seiner Männer außenbords fliegen, unter ihnen war auch Alvarez, der Proviantmeister.

De Mendoza schrie seine Verzweiflung in die einsetzende Dunkelheit hinaus. Er arbeitete sich vom Achterdeck auf die Kuhl hinunter, kroch durch ein kaputtes Schott ins Achterkastell, stieg tiefer in sein Schiff hinunter und watete schließlich durch das Wasser, das knietief in den Frachträumen schwappte. So gelangte er bis ins Vorschiff, klomm auf den Stufen der Niedergänge ins Mannschaftslogis hinauf – und sah zu seinem Entsetzen, daß das Wasser auch hier durch mehrere Lecks rann.

De Mendoza ging dem Feldscher zur Hand, der verbissen seine Arbeit an den Lagern der Sterbenskranken fortsetzte.

„Es wird aufhören“, sagte de Mendoza.

„Irgendwann muß es aufhören“, erwiderte der Feldscher.

„Vielleicht haben de la Torre und die anderen Hilfe gefunden …“

„Ja, vielleicht holen sie Hilfe.“

Sie führten die ganze Nacht hindurch die stumpfsinnigsten Reden, nur um sich selbst zu beweisen, daß das Leben noch eine letzte Barriere gegen den Tod bildete, der im Schiff nistete.

Der Sturm und die Brecher sägten an der „Gran Grin“ herum, füllten sie mehr und mehr mit Wasser, zermürbten ihren Rumpf.

Als Kapitän de Mendoza im Morgengrauen eine Zählung vornahm, befanden sich noch dreißig Männer an Bord des erbärmlichen Wracks – mehr nicht. Der andere Teil der Besatzung war entweder über Bord gerissen worden oder freiwillig gesprungen. Ja, de Mendozas vagen Berechnungen zufolge mußten sie sich in der Nähe des Festlandes befinden. Sie hatten am Vortag beim kurzen Aufklaren des Wetters ja die Ausmaße der Bucht gesehen. Viele seiner Männer mußten sich an die Möglichkeit geklammert haben, schwimmend ans Ufer der Clew Bay zu gelangen.

Die Lage auf dem Schiff war hoffnungslos. Wie lange der Rumpf noch hielt, war fraglich. Rundum kochte die See, und der Versuch, an Planken oder anderen Trümmern festgekrallt das Festland zu erreichen, war nach de Mendozas Meinung glatter Selbstmord.

Erst im Laufe des Vormittags beruhigte sich der Sturm allmählich.

Apathisch hockten die letzten Männer der „Gran Grin“ auf dem zerborstenen Oberdeck. Fiebriger Glanz war in ihren Augen. Sie spähten müde zum Ufer, das sie im Osten ahnen konnten. Ein zerschlagener Haufen, unfähig zur Aktion, selbst Pedro de Mendoza war am Ende seiner Energien angelangt.

„Wir könnten es jetzt wagen“, sagte er mit brüchiger Stimme zum Feldscher.

„Wir könnten was wagen?“

„Uns an Rettungsmittel zu klammern.“

„Um uns zum Land treiben zu lassen?“

„Ja.“

„Ich fühle mich zu schwach dazu, Senor Capitán.“

„Wir verlassen das Schiff. Das ist ein Befehl“, sagte de Mendoza.

„Senor“, erwiderte einer, der auf der untersten Stufe des Backbordniedergangs zum Vorkastell hockte. „Ich sterbe lieber hier.“

De Mendoza schaffte es nicht, die Leute aus ihrer Lethargie hochzureißen, jeder Versuch war sinnlos. Sie wollten in den letzten, langen Schlaf hinüberdämmern. Alles war ihnen gleichgültig. Die Grenzen ihres Leistungsvermögens waren schon seit einiger Zeit überschritten.

Die Räume unter Deck standen jetzt fast bis zu den Deckenbalken voll Wasser. Die Proviantlast war abgesoffen, die letzten Trinkwasserfässer mit halb fauligem Naß zerschlagen.

Es war das Ende.

Seewölfe Paket 9

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