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6.

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Es war wie eine Erlösung, als sich endlich wieder schützende Dunkelheit über den Hafen legte.

Unter der verdammten Festbeleuchtung hatte die schmähliche Rückkehr an Bord für Robert Parsons einen niederschmetternden Beigeschmack gehabt – ungefähr so, als hätte man ihn vor aller Öffentlichkeit entblößt und zur Lächerlichkeit degradiert. Und mit ihm war letztlich auch Admiral Drake gedemütigt worden.

Ratlosigkeit befiel den ersten Offizier der „Revenge“, während er sich in seiner Kammer von den Spuren des Kampfes säuberte. Seine Reserve an trokkener Kleidung war bald aufgebraucht. Noch einmal konnten sie sich einen solchen Untergang, eine solche Niederlage, nicht leisten.

Im blakenden Lampenschein holte Parsons eine Rumflasche aus seinem Schapp. Er entkorkte die Flasche, setzte sie an die Lippen und trank mit langen Schlucken. Der hochprozentige Stoff breitete sich in seinem Inneren wie flüssiges Feuer aus – wohltuend. Er nahm die Flasche zum Tisch hinüber und ließ sich auf den Schemel sinken. Sein blaues Auge war noch immer verklebt. Doch der Rum brachte seine Überlegungen wieder in halbwegs geordnete Bahnen. Jedenfalls glaubte er das.

Eine Tatsache erfüllte ihn indessen nahezu mit Entsetzen:

Wieder waren sie mit Pauken und Trompeten untergegangen. Wieder hatten sie eine Niederlage erlitten, die vollkommener war als alle vorherigen.

Diese Bastarde, die unter dem Kommando des dreimal verfluchten Killigrew und dieses französischen Strolchs Ribault fuhren, mußten mit dem Teufel im Bunde sein. Unbezwingbar.

Parsons stieß einen grimmigen Knurrlaut aus.

Unbezwingbar?

Nein, verdammt noch mal, sie hatten einfach kein Glück gehabt, die Bastarde. Der Zufall war ihnen zu Hilfe gekommen und hatte ihnen die besseren Chancen gegeben. In ihrer Niedertracht hatten sich die Kerle nicht gescheut, der Crew des ehrenhaften Admirals eine Demütigung nach der anderen zuzufügen.

Jawohl, so war es und nicht anders.

Robert Parsons gelangte zu der Überzeugung, daß ihm und seinen Männern furchtbares Unrecht geschehen war und es empörende Frechheiten waren, die sich die Lumpenhunde von der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ geleistet hatten – nur, um sich bei den ahnungslosen Leuten an Land in ein günstiges Licht zu rücken.

Daran, wer der Angreifer gewesen war, dachte Parsons nicht. Sie, die Männer der „Revenge“, hatten seiner Meinung nach nichts anderes getan, als sich gegen Bosheit und Unrecht zur Wehr zu setzen.

Parsons setzte die Rumflasche noch einmal an und genoß das Brennen in der Kehle und die wohlige Wärme im Magen. Dann knallte er die Flasche auf den Tisch und gab sich selbst einen Ruck.

Es mußte etwas geschehen. Killigrews und Ribaults Leute brauchten eine gründliche Lektion, damit sie von ihrem hohen Roß herunterstiegen.

Für den ersten Offizier der „Revenge“ gab es nicht den geringsten Grund, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Nein, jetzt mußten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Jetzt mußte über den Fall sozusagen an höchster Stelle entschieden werden. Es handelte sich mittlerweile um ein Problem, dessen Ausmaße zu schwerwiegend geworden waren, als daß man es noch mit einer Handbewegung abtun konnte. Es ging nicht mehr um kleine Zwistigkeiten. Viel mehr stand auf dem Spiel. Der gute Ruf der gesamten königlichen Flotte nämlich. Denn für Parsons gab es nur eine Mannschaft, die wirklich berechtigt war, eben jene Flotte zu repräsentieren – die Crew der „Revenge“ unter ihrem ruhmreichen Kapitän, dem hochverehrten Admiral Drake.

Ein Emporkömmling vom Schlage eines Killigrews sollte es nicht länger wagen dürfen, an diesem Ruhm zu kratzen.

Parsons steigerte sich in diese Überzeugung, je mehr er diese Gedanken wälzte.

Schließlich verließ er seine Kammer und stapfte über die Kuhl zum Mannschaftslogis. Sein Entschluß stand fest. Es mußte gehandelt werden. Sofort.

Der Regen der zurückliegenden Nacht hatte das Land mit einer funkelnden Pracht überzogen. Im satten Grün der Gräser und Büsche, der Hecken und Bäume glitzerten die Regentropfen wie Millionen von kostbaren Diamanten. Die Morgensonne stieg vor einem wolkenlosen Himmel empor, der schon bald von den letzten Dunstschwaden befreit sein würde. Noch lagen Nebelbänke wie riesige Wattebäusche in den Bodensenken. Aber schon jetzt zeigte sich die rasch wachsende Kraft der Sonnenstrahlen.

Es würde ein herrlicher Tag werden.

Sir Francis Drake pumpte die frische Luft tief in seine Lungen. Die Hände auf den Rücken gelegt, spazierte er mit gemessenen Schritten am Rand des kleinen Weihers entlang, der zu seinem Anwesen gehörte. Das fröhliche Zwitschern der Vögel beflügelte seine Sinne und verscheuchte die düsteren Gedanken, die ihn nach dem Erwachen noch bewegt hatten.

Für seinen Morgenspaziergang auf dem eigenen Grund und Boden hatte Sir Francis Drake geruht, nur leichte Kleidung anzulegen. Flache Schuhe, weite Pluderhosen und ein bauschiges Seidenhemd, das von einem breiten, aber butterweichen Ledergürtel zusammengehalten wurde. Um diese Jahreszeit waren die Temperaturen in Cornwall meist noch sehr mild, manchmal sogar sommerlich, wenn die Sonne an wolkenlosem Himmel ihre immer noch beträchtliche Kraft ausspielen konnte – wie an diesem Tag.

In Größe und Gestaltung ähnelte der Garten einem Park. Rasenflächen, Ziersträucher, Blumenrabatten und Hecken gruppierten sich wirkungsvoll um verschlungene Spazierwege. Der Weiher war von Trauerweiden umrahmt, die sich wie ein schützendes grünes Dach über die stille Wasserfläche bogen.

Drake ließ sich auf einer Bank am Rande des künstlichen Teiches nieder. Die Bank, mit Schnörkeln und Putten verziert, war aus gemahlenem weißen Marmor gegossen, eine Spezialanfertigung, die der vorigen Eigentümer des Anwesens direkt aus Italien importiert hatte.

Das idyllisch gestaltete Grundstück war wie eine Oase in der unberührten Landschaft und fügte sich dennoch harmonisch in die menschenleere Umgebung ein.

Francis Drake hatte nicht lange gezögert, als ihm das Zwanzig-Zimmer-Haus angeboten worden war. Das Gebäude bot allen Komfort, der für einen Mann seines Standes nicht nur zu persönlichen, sondern auch zu Repräsentationszwecken angemessen war. Schließlich mußte er auch an seine Zukunft denken. Die Jahre auf See würden eines Tages zu Ende gehen. Dann brauchte er einen beschaulichen Platz zum Ausruhen. Schon jetzt genoß er einen Vorgeschmack davon. Er sagte zu sich selbst, daß es sich an einem Ort wie diesem durchaus leben ließ.

Die wildromantische, unberührte Landschaft Cornwalls hatte etwas von der unendlichen Weite der See. Und die Stadt Plymouth war nur eine halbe Tagesreise entfernt. Einen Mangel würde es also nicht geben, in keiner Beziehung.

Der vorherige Eigentümer des herrschaftlichen Hauses war ein wohlhabender Kaufmann gewesen, der seinen Firmensitz von Plymouth nach Bristol verlegt hatte. Deshalb hatte sich auch der private Wohnsitz in Cornwall nicht länger aufrechterhalten lassen. Drake hatte sofort zugegriffen. Der erste Eindruck von dem Anwesen hatte ihm genügt. Er hatte seine Entscheidung auf der Stelle getroffen, ohne langes Hin und Her. Schließlich war er ein wohlhabender Mann, der sich ein solches Objekt leisten konnte.

Plötzliches Hufgetrappel zerstörte die beschauliche Stille.

Stirnrunzelnd wandte sich Drake um und spähte zum Gartenportal. Wegen der hohen Hecken, die hier alle Wege säumten, konnte man Besucher erst hören, wenn sie das Grundstück bereits fast erreicht hatten.

Es war ein einzelner Reiter, der seinen Braunen aus flottem Trab in den Schritt fallen ließ und das offene Portal passierte. Auf dem mit groben Steinen ausgelegten Hauptweg verursachten die Pferdehufe ein rhythmisches Klakken.

Drake mußte nicht zweimal hinsehen, um festzustellen, daß der Mann alles andere als ein geübter Reiter war. Mit krummem Rücken hing er im Sattel und wurde mehr durchgeschüttelt, als es notwendig war. Die Kleidung des Mannes verdeutlichte überdies, daß er im Normalzustand daran gewöhnt war, Schiffsplanken unter seinen Füßen zu spüren.

Der Admiral bequemte sich, dem Ankömmling entgegenzugehen und ihn abzufangen. Dies war niemand, dessen Rang es gebot, ihn im häuslichen Salon zu empfangen.

Sir Francis Drake witterte nichts Gutes, als er seine kurz geratenen Beine zu weit ausgreifenden Schritten streckte. All die Erinnerungen an das Debakel im Rathaus von Plymouth wurden plötzlich wieder in ihm wach.

Er fing den Reiter ab, bevor dieser dem Haus entgegenstreben konnte.

Beim Anblick des Admirals schwang sich der Mann ungelenk aus dem Sattel und straffte sich.

Obwohl er eine dumpfe Ahnung gehabt hatte, zog Drake überrascht die Augenbrauen hoch.

„Guten Morgen, Sir“, sagte der Mann, „ich bitte um Vergebung, wenn ich Sie stören muß. Aber …“

„Stopforth!“ sagte Drake entgeistert. „Was, in aller Welt, ist jetzt schon wieder passiert? Was kann so wichtig sein, daß man mir auch noch meine Erholung verleidet?“ Stopforth, ein untersetzter Bursche mit sandfarbenen Haaren, gehörte zu den Mittschiffsleuten auf der „Revenge“.

„Der erste Offizier schickt mich mit einer dringenden Nachricht, Sir.“ Stopforth bemühte sich, standhaft zu bleiben und sich mit keiner Miene das schlechte Gewissen anmerken zu lassen. Wenn der Admiral von den erlittenen Niederlagen in allen Einzelheiten erfuhr, war mit Sicherheit einer seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle die Folge.

„Heraus damit“, drängte Drake mit einer ungeduldigen Handbewegung.

„Mister Parsons läßt ausrichten, Sir, daß Ihrem Schiff äußerste Gefahr droht.“ Stopforth konnte den gehobenen Tonfall nicht länger beibehalten. Er war kein Mann von gepflegter Sprache. „Diese elenden Bastarde von Killigrews und Ribaults Schiffen wollen uns wieder mit ihren hinterhältigen Tricks ans Leder, Sir! Deshalb bittet Mister Parsons Sie, so schnell wie möglich nach Plymouth aufzubrechen.“

Admiral Drake lief rot an. Allein der Name Killigrew war geeignet, ihn zum Platzen zu bringen. Und dann auch noch die Nachricht, daß der Dreckskerl schon wieder Schwierigkeiten bereitete! Erst jetzt ließ sich Drake herab, den Boten von der „Revenge“ näher zu betrachten. Stopforths breitflächiges Gesicht war von mehreren Schwellungen verunziert, eine frische Schramme verlief quer über seine linke Wange.

Er ahnte die Gedanken des Admirals und schlug verlegen den Blick zu Boden.

„Stopforth“, sagte Drake gefährlich leise, „was ist los gewesen in Plymouth? Rede, Mann, oder ich lasse dich kielholen, sobald ich an Bord bin!“

„Es – es war – es war so, Sir“, stotterte der Mittschiffsmann beschämt, „wir hatten Landgang und sind in einer der Hafenschenken zufällig auf diese Killigrew-Bastarde und die Franzosenmeute gestoßen. Die Kerle waren in der Überzahl, und natürlich haben sie das ausgenutzt. Wir konnten nichts ausrichten. Es waren einfach zu viele.“

Die Schlacht auf der Mill Bay mochte Stopforth nicht erwähnen. Schließlich mußte man nicht alles auf einmal erzählen, und es war ja auch Parsons Idee gewesen, die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ zu versenken. Also sollte er gefälligst selbst dem Admiral darüber berichten!

Sir Francis Drake knirschte mit den Zähnen. Er begann, nervös auf den Zehenspitzen zu wippen. Seine rote Gesichtsfarbe näherte sich einem purpurnen Ton. Aber er beherrschte sich. Es waren nicht genügend Zuschauer vorhanden, um einen wirkungsvollen Wutausbruch in Szene zu setzen.

„Reite sofort zurück, Stopforth“, knurrte er wie ein gereizter Hund. „Melde Parsons, daß ich umgehend nach Plymouth aufbreche. Aber er soll kein Wort darüber verlauten lassen. Niemand braucht zu wissen, daß ich vorzeitig zurückkehre. Ist das klar?“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Stopforth unterwürfig. Dann begann er, unschlüssig von einem Bein auf das andere zu treten.

„Auf was wartest du noch!“ fauchte Drake.

Stopforth zuckte zusammen, drehte sich hastig um und zog sich mühsam in den Sattel. Dann riß er das Pferd herum und trieb es zum Galopp an.

Drake sah ihm einen Moment nach, bevor er sich abwandte und zum Haus ging. Daran, daß der Sailor stundenlang unterwegs gewesen war, daß man ihm Essen und Trinken und eine kurze Rast hätte anbieten können – daran verschwendete der ehrenwerte Admiral nicht einmal den Anflug eines Gedankens.

Er hatte schließlich andere Sorgen. Und es war noch nie seine Art gewesen, an einen einfachen Mann übertriebene Fürsorglichkeit zu verschwenden.

Im Haus brüllte er nach dem Kutscher. Verdammt noch mal, es wurde Zeit, daß er endlich einmal mit der Faust auf den Tisch schlug. Und zwar so nachhaltig, daß sich gewisse Leute davon nicht mehr erholten.

„Ich habe Hunger“, sagte Philip Junior.

„Ich habe Hunger und Durst“, erklärte Hasard Junior energisch.

Sein Zwillingsbruder starrte ihn entrüstet von der Seite an.

„Spinnst du? Glaubst du, ich habe keinen Durst?“

Hasard Junior feixte.

„Was du hast oder nicht hast, ist für mich völlig unwichtig. Mich interessieren nur mein eigener Hunger und mein eigener Durst. Du hast doch selbst einen Mund, um zu sagen, was du willst.“

„Das tue ich auch!“ ereiferte sich Philip Junior. „Aber du brauchst dich nicht in den Vordergrund zu spielen. Wenn ich sage, daß ich Hunger habe, ist es klar, daß ich auch Durst habe. Aber du mußt natürlich wieder so tun, als ob du der perfektere von uns beiden bist.“

„Bin ich auch“, trumpfte Hasard Junior auf.

Sein Zwillingsbruder versetzte ihm einen Boxhieb in die Seite. Hasard klappte zusammen, stieß einen zornigen Schrei aus und setzte zum Gegenangriff an. Im Nu war die schönste Rangelei im Gange, und die weich gefederte Kutsche geriet in Schlingerbewegungen.

„Jetzt reicht es aber“, sagte Doc Freemont, der den Söhnen des Seewolfs gemeinsam mit Bill, dem Schiffsjungen, gegenübersaß. „Wollt ihr wohl aufhören! Es vergehen keine fünf Minuten, ohne daß ihr irgend einen Anlaß findet, eure Fäuste zu gebrauchen.“

„Soll ich sie zur Vernunft bringen?“ fragte Bill, der sich in Situationen dieser Art den Zwillingen gegenüber eher als Erwachsener fühlte. Manchmal dagegen, wenn er mit den Jungen allein war, juckte es ihm allerdings in den Fingern, bei den kleinen Streichen mitzumischen, die sie immer wieder ausheckten.

Nach einer Weile schienen sie sich an den Anlaß ihrer Auseinandersetzung zu erinnern und ließen die braungebrannten kleinen Fäuste sinken.

„Noch einmal“, sagte Philip Junior, und dabei blickte er Doc Freemont an. „Hasard und ich haben Hunger und Durst.“

„So klingt das schon viel besser“, sagte ihr väterlicher Betreuer lächelnd. „Es ist ohnehin Zeit, eine Rast einzulegen.“ Er drehte sich um und gab dem Kutscher ein Zeichen.

Drei Wegbiegungen weiter fanden sie einen geeigneten Platz für eine Pause. Die Hecke wich an dieser Stelle nach rechts von den ausgefurchten Räderspuren weg, und Furchen und Hufspuren zeigten, daß das Halbrund am Wegesrand offenbar ein beliebter Rastplatz war. Bis nach Plymouth würden sie noch etwa zwei Stunden brauchen. Grund genug also, auch ein wenig an das leibliche Wohl zu denken. Denn sie waren in den frühen Morgenstunden aufgebrochen.

Bill hatte im Hause Doc Freemonts übernachtet, und bis in den späten Abend hinein hatte er den Zwillingen zuvor schildern müssen, was sich an Bord der „Isabella“ ereignet hatte, seit Philip und Hasard wegen der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den Spaniern in sichere Obhut gebracht worden waren. Mit leuchtenden Augen hatten die beiden Jungen zugehört, und Bill hatte gespürt, daß sie ein Interesse an allen seemännischen Dingen entwickelten, das geradezu einer Besessenheit ähnelte. Morgens waren Philip und Hasard als erste auf den Beinen gewesen. Die Aufregung hatte sie nicht mehr ruhen lassen. Ihren Vater und die „Isabella“ bald wiederzusehen, war Anlaß genug zu überschwenglicher Vorfreude.

Durch die Zweige der Hecke am Wegesrand war der River Tavy zu sehen, der Fluß, an dessen Ufer sich auch der Landsitz Doc Freemonts befand. Hier, nahe Plymouth, wand sich der Fluß jedoch schon mit imposanter Breite durch die grüne Landschaft.

Der Kutscher versorgte die Pferde, während Doc Freemont und Bill eine Decke auf dem Grasboden ausbreiteten und den Proviantkorb öffneten. Gemeinsam ließen sie sich auf der Decke nieder. Die Haushälterin des Doktors hatte einige schmackhafte Happen mit selbstgebackenem Brot zubereitet und außerdem zwei Tonflaschen eingepackt, in denen der Fruchtsaft herrlich kühl geblieben war. Philip und Hasard entwikkelten einen Appetit wie hungrige Wölfe und beanspruchten den größten Teil des Freßkorb-Inhalts für sich.

Doc Freemont ließ sie gewähren und beobachtete sie mit einem stillen Schmunzeln. Er wußte, daß sie ihren Weg gehen würden, den ihr Vater für sie ausersehen hatte. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Philip Hasard Killigrew, dessen Ruhm als Seewolf mittlerweile ganz England erfaßt hatte. Doc Freemont ahnte, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem der Seewolf eine endgültige Entscheidung getroffen hatte. Seine Söhne sollten bei ihm an Bord bleiben und das Leben als Seefahrer führen, wofür sie sich schon jetzt auf so stürmische Weise begeisterten.

Die Zwillinge ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig und geschmeidig wie Katzen. Ihre ernsten und scharfgeschnittenen Gesichter trugen die Züge ihres Vaters. Sie würden bald acht Jahre alt werden. Sicherlich ein Alter, in dem sie dem rauhen Leben an Bord eines Segelschiffes schon gewachsen waren.

Die Zeit verging wie im Flug. Dieses Gefühl hatte Doc Freemont wieder einmal, während ihn diese Gedanken bewegten. Die Erinnerung an Gwendolyn drängte sich in sein Bewußtsein, die Trauer um Hasards junge Frau und Mutter dieser beiden Söhne, die auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Dann die langen Jahre, in denen die Jungen verschollen gewesen waren. Und jener wundersame Zufall, durch den die Seewölfe während ihres Aufenthalts in Tanger plötzlich diese beiden gewitzten Burschen entdeckt hatten, die niemand anders waren als die schon totgeglaubten Söhne Philip Hasard Killigrews.

Ja, Doc Freemont hoffte, daß für sie und ihren Vater nun bessere Zeiten anbrechen würden. Zeiten gemeinsamer Abenteuer und gemeinsamen Glücks, wie es sich alle Väter und Söhne dieser Welt erhofften. Der Seewolf und diese beiden aufgeweckten Jungen hatten solche guten Zeiten mehr als verdient.

Philip Junior und Hasard Junior leerten ihre Saftkrüge und hielten sich den Bauch. Doc Freemont, Bill und der Kutscher mußten lachen.

„Auch das werdet ihr noch lernen“, sagte Doc Freemont, „die Augen haben immer größeren Hunger als der Magen.“

„Wie kommt das?“ fragte Philip Junior. „Ich bin so vollgefressen, daß ich platzen könnte.“

Sein Bruder knuffte ihn.

„Dann beweg dich, du faules Stück.“ Hasard Junior sprang auf und floh vor seinem Ebenbild.

„Das ist die menschliche Natur“, erklärte Doc Freemont.

Aber Philip Junior hörte schon nicht mehr hin. Nach dem einstudierten Ritual hatte er jetzt die Pflicht und Schuldigkeit, sich für den Knuff zu revanchieren – wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von seinem Bruder als Hasenfuß eingestuft zu werden.

Die beiden Jungen begannen eine rasante Verfolgungsjagd rings um die Kutsche. Beide waren flink wie Wiesel und von unerschöpflicher Ausdauer. So hatte Philip vorerst keine Chance, seinen Bruder zu erwischen.

Plötzliches Hufgetrappel und das Mahlen von Wagenrädern unterbrachen ihren Wettlauf.

Seewölfe Paket 9

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