Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 11
7.
ОглавлениеDort hatte sich inzwischen einiges ereignet. Vega de la Torre und seine sechs Kameraden waren in die finsteren Kerkerzellen im Kellergewölbe des Gebäudes gesperrt worden, je zwei Mann in eine vergitterte Zelle, de la Torre in Einzelhaft. Gardisten hielten vor den Türen Wache. Dann erschienen eiligen Ganges Sir Richard Bingham, der hagere Harris und ein Koloß von Kerl mit einem etwas kleineren Gehilfen – der Foltermeister und sein Knecht. Doc Wheeler war auf Binghams Anordnung nach Hause zurückgekehrt, ein betroffener, unruhiger Mann, der von schwersten Gewissensbissen geplagt wurde.
Bingham richtete über Harris noch einen Apell an die sieben Gefangenen: „Redet! Ihr befindet euch in der Gewalt des englischen Gouverneurs von Westport und habt die Pflicht, mir alles zu verraten. Wo ist euer Schiff? Wer ist euer Kapitän? Was habt ihr geladen? Was wolltet ihr am Ufer der Clew Bay auskundschaften?“
De la Torre trat an die Tür seiner Zelle und schloß die Finger um die dicken, rostigen Eisenstäbe. „Unser Schiff ist gesunken. Wir sind die einzigen Überlebenden“, erwiderte er. „Was sollen wir sonst noch berichten? Ich weiß es nicht. Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Gouverneur.“
Harris übersetzte seine Worte, und Bingham ließ eine Reihe lästerlicher Verwünschungen vom Stapel.
„Du Hund lügst!“ schrie er den spanischen Offizier an. „Aber das wirst du noch bereuen! Hinkle, nimm dir diesen frechen Hurensohn als ersten vor!“
Hinkle, der Foltermeister, trat mit seinem Gesellen auf de la Torres Zelle zu. Ein Gardist öffnete mit umständlichen Gesten die Verriegelung.
„Etwas schneller, wenn ich bitten darf“, fuhr Bingham den Mann an. „Harris, sag den spanischen Hunden, daß sie zum letztenmal Gelegenheit haben, es sich zu überlegen. Danach kenne ich keine Gnade mehr.“
Harris tat seine Pflicht, aber die Spanier schwiegen.
Hinkle und sein Gehilfe wollten sich Vega de la Torre greifen, der mit unbewegtem Gesicht in der jetzt offenen Zellentür stand, da geschah etwas Unerwartetes.
Juan Flores klammerte sich an den Gitterstäben seines Verlieses fest und rief: „Nein, nicht, aufhören! Ich rede! Ich sage alles, was ich weiß!“
Harris übersetzte auch dies. Bingham stoppte seine Schergen durch eine herrische Gebärde, blickte zu Juan, überlegte kurz und befahl dann: „Den Kerl ’rauslassen. Wenn er schwindelt – was ich garantiert sehr schnell herausfinde –, lasse ich ihn standrechtlich erschießen.“
Francisco Sampedro, der in derselben Zelle untergebracht war wie Juan Flores, versuchte den Moses zurückzuhalten. „Bist du wahnsinnig geworden?“ zischte er.
„Ruhe!“ brüllte Bingham. „Schlagt diesen Hund zusammen, wenn er noch ein Wort sagt!“
Harris übersetzte auch dies, er war ein pedantischer, diensteifriger Untertan. Sampedro fuhr zurück, als zwei Stadtgardisten in drohender Haltung auf ihn zurückten. Er und die anderen mußten tatenlos zusehen, wie Juan Flores aus seiner kurzen Haft geholt und zu Bingham geführt wurde. Der hatte die Arme vor der fetten Brust verschränkt und sah den jungen Mann erwartungsvoll an.
Nein, Juan hatte nicht einmal mit Sampedro besprochen, was er plante. Er wußte, daß der Koch der „Gran Grin“ ihn daran gehindert hätte.
Aber Juan hatte sich in den Kopf gesetzt, seine Kameraden vor dem peinlichen Verhör zu bewahren – und nicht nur das. Er hatte auch eine List ersonnen, mit der er Bingham und dessen Schergen gründlich hereinlegen konnte. Er, Juan, würde wahrscheinlich dabei vor die Hunde gehen, aber das war ihm völlig egal, denn er dachte an seinen Schwur.
Juan sah den dicken Stadtgouverneur aus geröteten, brennenden Augen an. „Senor“, sagte er leise. „Wenn Sie mir und meinen Kameraden zu essen und zu trinken geben und uns verschonen, dann verrate ich wirklich alles – nicht nur, wo unser Schiff liegt, sondern noch viel mehr.“
Bingham lauschte Harris’ Übersetzung, dann erwiderte er: „Ich lasse mich von diesem ausgemergelten Kastanienfresser doch nicht erpressen. Er muß so oder so ausspucken, was er weiß. Sag ihm das, Harris.“
„Sir“, mischte sich Hinkle ein. „Ich an Ihrer Stelle würde ihm genehmigen, was er verlangt. Was kostet es Sie denn schon? Wir sparen eine Menge Arbeit und Zeit – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“
Bingham wollte Hinkle zunächst barsch zurechtweisen, dann aber gab er dem Foltermeister recht und ließ Juan Flores zurück ins Erdgeschoß führen, wo er ihm in einem karg ausgestatteten Raum Brot, Wurst, Käse und Wasser auftischen ließ.
Das gleiche ließ er auch de la Torre, Sampedro und den übrigen vier Gefangenen bringen. Die Spanier waren versucht, das Essen gegen die Kerkerwände zu schleudern und das Wasser zu verschütten, aber dann siegten doch Hunger und Durst, der Selbsterhaltungstrieb und die Gewißheit, daß sie gestärkt viel besser einen Ausbruchversuch unternehmen konnten, über die Wut, die sie wegen Juan Flores’ „Verrat“ empfanden.
In dem kahlen Raum des Erdgeschosses schlang Juan alles in sich hinein, was ein Bediensteter des Gouverneurs herzlos vor ihn hingeknallt hatte. Bingham saß auf einem Stuhl und verfolgte voll Abscheu, wie der junge Mann aß und trank.
„Ein Tier, dachte Harris, der ergeben neben ihm stand, das wärst auch du Fettsack, wenn du gehungert und gedurstet hättest wie der Junge dort.
Harris hütete sich aber, es offen auszusprechen. Er hing am Leben und wollte nicht, daß er es wegen einer unüberlegten Äußerung jäh verlor.
Juan Flores war am Ende seiner Mahlzeit angelangt. Seine Geschichte hatte er sich zurechtgelegt, und er blickte in gespielter Dankbarkeit zu Bingham hinüber, der ihm aufmunternd zunickte.
„So, und nun leg mal schön los“, forderte Bingham ihn auf. „Deine Freunde sind auch versorgt worden. Der Foltermeister und sein Knecht haben keine Hand an sie gelegt. Ich habe also mein Wort gehalten. Pack aus, Junge.“
Und Juan Flores legte los. Harris brauchte ihn nicht zweimal aufzufordern. Juan schluckte den letzten Bissen Brot gierig herunter und begann dann regelrecht zu schwadronieren.
„‚Gran Grin‘, so heißt unser Schiff, und es ist nicht gesunken, sondern liegt vor dem Ufer einer Insel, die dieser Bucht vorgelagert ist. Die ‚Gran Grin‘ ist das Vize-Flaggschiff des Biskaya-Geschwaders, Senor, jawohl, sie müßten mal sehen, was für ein schmuckes großes Schiff: 1160 Tonnen schwer. Sehr zugesetzt haben uns die Engländer bei Calais, dann sind wir auf unserer Reise rund um England und Irland in diesen Sturm geraten, der uns den Rest gegeben hat – und jetzt auch noch der Überfall der Inselbewohner – o Gott, es war das Allerschrecklichste, was ich je erlebt habe.“
Harris kam mit dem Übersetzen kaum nach. Als er an dem Punkt anlangte, der die halbwilden Inselbewohner betraf, hob Sir Richard Bingham unversehens die Hand.
„Moment mal“, sagte er. „Das kann nur Dubhdara O’Malla mit seiner Bande gewesen sein. Hölle, wenn der auch auf das Schiff scharf ist, müssen wir uns beeilen. Dieser irische Hurensohn darf uns den dicken Brocken nicht wegschnappen, auf gar keinen Fall. Hölle und Teufel, ich habe schon immer gesagt, man müßte mit genügend Schiffen und Männern auf die Insel Clare übersetzen und es diesen Strandräubern gründlich besorgen. Hol’s der Henker.“
„Sie sind sicher, daß es sich um die Insel Clare handelt, Sir?“ fragte Harris vorsichtig.
„Kein Zweifel. Es kann keine andere sein. Nur auf Clare haust ein so tückisches Gesindel wie das, das unser Freund hier soeben beschrieben hat.“ Er musterte Juan Flores prüfend. Bisher hatte er nicht den Eindruck gehabt, daß der Bursche log. Die Angst vor der Folter schien ihm, dem Jüngsten der sieben, ja tief genug in den Knochen zu stecken.
„Er soll jetzt schildern, was an möglichen Reichtümern auf der ‚Gran Grin‘ liegt“, sagte Bingham.
Auf Harris’ Übersetzung hin haspelte Juan das, was er sich beim Essen ausgedacht hatte, herunter. „Keine zweihundert Mann Besatzung haben wir mehr an Bord, und die meisten sind völlig entkräftet und krank. Oh, es sieht furchtbar aus auf unserem Schiff, aber wenigstens die Kriegskasse des Geschwaders hat unser Kapitän durch alle Kämpfe, Stürme und Entbehrungen retten können: die Kriegskasse mit fünfzigtausend Goldmünzen und fünfzigtausend Silbermünzen darin, Dublonen, Dukaten, Piaster, Reales und Escudos, so wahr ich hier sitze und Juan Flores heiße. In der Kammer des Zahlmeisters Luis de Bobadilla steht die wertvolle Truhe, ich habe es von unserem zweiten Offizier vernommen, der jetzt nicht mehr lebt. Viele sind gestorben, keiner hat gezählt, wie viele Leichen wir der See übergeben haben, aber die ‚hohen Herren‘ sind noch am Leben, wie es ja meistens so ist.“
Binghams Gesicht hatte einen verklärten Ausdruck angenommen, jetzt, da er von den insgesamt hunderttausend Münzen der Kriegskasse vernommen hatte. Er lauschte den Erläuterungen seines Dolmetschers hingebungsvoll, unterbrach dann aber wieder.
„Hohe Herren? Was für hohe Herren meint der Bursche?“
„Prinz Ascoli“, antwortete Juan auf Harris’ Frage hin wie aus der Pistole geschossen. „Das ist einer von ihnen. Ein Bastardsohn des spanischen Königs, ja, ja, ein Sproß von Philipp II. das können Sie mir glauben. Es wurde streng geheimgehalten, wer er ist, aber wir Decksleute haben es schließlich doch erfahren.“
Tatsächlich gab es einen Prinzen von Ascoli, und er war auch der „Bastardsohn“ Philipps II. – und dieser Mann hatte die Armada auch wirklich bei der Überfahrt von Spanien nach England begleitet. Nur war er bereits nach dem englischen Branderangriff vor Calais mehr oder weniger zufällig zu dem Herzog von Parma gestoßen und hatte an dem weiteren Kampfgeschehen und der langen Fahrt um die Inseln herum keinen Anteil mehr.
Was Juan Flores nicht einmal ahnte, was seine an den Haaren herbeigezogene Geschichte aber unverhofft zu bestätigen schien: Seit einiger Zeit hielt sich bei den Engländern in Irland hartnäckig das Gerücht, an Bord eines der spanischen Schiffe, die die Flucht um die Inseln herum angetreten hatten, segelte der Prinz von Ascoli mit.
Juan trug noch dicker auf: „Und der zweite hohe Herr ist Medina Sidonia – der Herzog! Der General-Kapitän der Armada! In der Nordsee ist er extra deswegen auf unsere ‚Gran Grin“ umgestiegen, weil er persönlich auf das Wohlergehen des Prinzen achten wollte, denn unser König, Senor, Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II., hat dies dem Herzog besonders ans Herz gelegt.“
Bingham wurde es abwechselnd heiß und kalt. Das war ja geradezu ungeheuerlich. Die Kriegskasse, Ascoli, Medina Sidonia – einfach phänomenal! Er, Bingham, konnte nicht nur die Schatztruhe an sich reißen, er konnte auch die beiden Adligen gefangennehmen und für ihre Freilassung von den Spanieren ein dickes Lösegeld erpressen!
Nur war da als Gegenspieler dieser verdammte O’Malla. Man mußte ihm zuvorkommen.
Bingham wollte neue Fragen an Juan stellen, aber in diesem Moment wurde an die Tür des Raumes geklopft.
Auf Binghams unfreundliche Aufforderung hin trat der Lieutenant der Stadtgarde ein.
„Sir“, sagte er. „Wir haben einen neuen Erkundungsritt unternommen, wie Sie es uns befohlen haben. Wir haben dabei zwar kein spanisches Schiff gesichtet, aber wir haben …“
„Unwichtig. Ich weiß schon, wo das Schiff liegt“, fiel der Dicke ihm ins Wort.
„Sir, wir haben aber eine männliche Leiche geborgen, die Sie sich unbedingt einmal anschauen sollten“, fuhr der Lieutenant fort. „Ich bitte Sie darum. Es handelt sich um einen Spanier, dessen Kleidung erstaunlich schwer ist. Er muß wie ein Stein gesunken sein, und es ist schon ein kleines Wunder, daß er nicht auf dem Grund der Bucht liegengeblieben ist, sondern nördlich der Stadt angeschwemmt wurde.“
Bingham horchte auf. Er erhob sich schwerfällig, winkte seinen Gardisten zu und erteilte auch Harris und Juan Flores die Order, ihn zu begleiten.
Auf dem Hof war die Leiche behelfsmäig aufgebahrt worden. Juan Flores brauchte nicht zweimal hinzusehen, um sie zu identifizieren.
„Das ist Luis de Bobadilla, unser Zahlmeister“, erklärte er. „Er hat in der Nacht heimlich das Schiff verlassen und wollte sich wohl an Land retten, aber es ist ihm mißlungen.“
„Zahlmeister“, wiederholte Bingham murmelnd auf Harris’ Übersetzung hin. „Und er ist ihnen von der Fahne gegangen. Los, Lieutenant, rasch ein Messer her.“
Mit dem scharfen Messer des Lieutenants schlitzte Sir Richard Bingham die Kleidung des toten Mannes auf – und siehe da, Gold- und Silbermünzen fielen klirrend auf das Pflaster des Hofes.
Das war der Beweis – Juan Flores hatte nicht gelogen, es gab diese Kriegskasse, de Babadilla hatte selbst kräftig hineingelangt, um dann zu türmen. Auch der Rest der Erzählung dieses Burschen stimmt, folgerte Bingham daraus – und er taumelte fast, als er an die Pfründe dachte, die da winkten, an all den künftigen Reichtum.
„Die Münzen aufsammeln“, ordnete er an. „Daß mir ja keiner was in die eigenen Taschen steckt. Lieutenant, Sie sind mir für die Vollständigkeit dieses bescheidenen kleinen Schatzes verantwortlich.“
„Ja, Sir. Zu Befehl, Sir.“
„Senor“, sagte Juan Flores. „Ich kann Sie zu unserem Schiff führen, ich habe mir die Stelle, an der es liegt, genau gemerkt.“ Harris übersetzte es sofort, und Juan wartete gespannt auf die Reaktion des Dicken. Alles hing davon ab, denn Juan wollte, wenn er als Lotse im Schiff des Gouverneurs fungierte, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, dafür sorgen, daß dieses Schiff in der Bucht sank, daß keiner der Insassen jemals die „Gran Grin“ erreichte.
Aber Bingham schüttelte den Kopf.
„Nicht nötig“, sagte er. „Ich weiß ja, daß die Dons vor der Insel Clare vor Anker gegangen sind, und sie werden wohl die Leeküste gewählt haben – bei dem Sturm, der in der Nacht aus Südwest heranfegte. Nein, wir brauchen keinen Führer. Ich halte es außerdem für ein Risiko, den Burschen mitzunehmen. Er könnte seine Kameraden doch noch warnen.“ Er winkte zwei Gardisten zu. „Führt ihn ab. Steckt ihn zu den anderen in den Kerker. Wir brauchen ihn nicht mehr. Ich überlege mir noch, was ich mit den sieben Hunden anfange. Jetzt habe ich weitaus Wichtigeres zu tun.“