Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 22
7.
ОглавлениеDer Sonnenschein ging Sir Francis Drake auf die Nerven. Er schwitzte. Und es gab kein Anzeichen dafür, daß es kühler werden würde. Im Gegenteil, es deutete alles darauf hin, daß es mitten im September noch einmal einen richtig heißen Sommertag geben würde.
Drake beugte sich vor, als er plötzlich die Kutsche und die Gruppe der Rastenden am Wegesrand sah.
Diese beiden Jungen!
Ihr Anblick stach ihm ins Auge. Schlagartig vergaß er alles, was ihn eben noch beschäftigt hatte. Selbst die Schweißtropfen auf seiner Stirn waren jetzt nebensächlich geworden.
Die Zwillinge, die vor der haltenden Kutsche stehengeblieben waren und ihr entgegensahen, erkannte er sofort. Ihre Gesichtszüge hatten sich damals in seine Erinnerung gebrannt, weil sie ihrem Vater so sehr ähnelten. Damals, das war bei dem Überfall auf Cadiz gewesen, als der verdammte Killigrew ihn schon einmal vor versammelter Mannschaft gedemütigt hatte. Seinerzeit hatte Drake auch die Söhne des Seewolfs kennengelernt.
Admiral Drake brauchte nur Sekunden, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Die Söhne seines Rivalen waren auf dem Weg nach Plymouth, vermutlich, um wieder an Bord der „Isabella“ aufgenommen zu werden. Nun, daraus würde vorerst nichts werden.
Drake faßte einen blitzschnellen Entschluß. Es war eine Entscheidung, die mit seinem brutalen Freibeuter-Instinkt in ihm durchbrach. Eine verstandesmäßige Erklärung hatte er dafür keineswegs.
„Anhalten!“ befahl er dem Mann auf dem Kutschbock, als sie den am Wegesrand haltenden Wagen schon fast erreicht hatten.
Der Kutscher zügelt das Zugpferd, und die Kutsche des Admirals blieb unmittelbar neben den Zwillingen stehen. Philip und Hasard blickten freundlich zu dem vornehm gekleideten Mann auf, an dessen Gesicht sie sich erinnerten. Nur wußten sie nicht auf Anhieb seinen Namen und wo sie ihn schon einmal gesehen hatten.
„Guten Morgen, Sir“, sagten die beiden höflich und wie aus einem Mund.
„Guten Morgen, Kinder“, erwiderte der Admiral mit scheinheiliger Güte. „Ich denke, ihr werdet mir bei eurer Rast ein wenig Gastfreundschaft gewähren, nicht wahr?“
„Oh, wir haben schon alles aufgegessen“, antwortete Philip Junior.
„Aber zu Trinken ist noch da“, fügte Hasard Junior eifrig hinzu.
„Na, dann ist es ja gut“, sagte Drake mit einem Lachen, zu dem er sich zwingen mußte. Er stieg aus und wurde von den beiden Jungen flankiert, als er um die haltende Kutsche herumging.
Bill sperrte Mund und Augen weit auf, als er den sehr ehrenwerten Admiral erkannte. Doc Freemont wollte zu einer Begrüßung ansetzen, doch seine Stimmbänder waren plötzlich wie abgeschnitten. Auch der Kutscher, der ebenfalls auf der Decke Platz genommen hatte, brachte kein Wort heraus.
Denn statt eines Guten-Morgen-Grußes zog Drake blitzschnell seine kunstvoll ziselierte Radschloß-Pistole aus dem Gürtel und richtete die Laufmündung auf den Doc.
„Ich nehme an, Sie führen hier das Kommando, Old Man“, knurrte der sehr ehrenwerte Admiral. „Sie werden mir diese beiden Knirpse übergeben und keine Scherereien veranstalten. Sonst müßte ich von der Waffe Gebrauch machen. Haben Sie mich verstanden?“
Doc Freemont wurde blaß. Er war gewiß kein ängstlicher Mann. Aber er sah, daß dieser elegant gekleidete Fremde von wütender Entschlossenheit beseelt war. Eine kochende Wut, die ihn mit Sicherheit nicht zögern lassen würde, abzudrücken. Weshalb es dieser Mann aus heiterem Himmel auf die Zwillinge abgesehen hatte, das vermochte sich Doc Freemont allerdings beim besten Willen nicht zu erklären.
„Wer immer Sie auch sein mögen“, murmelte er tonlos, „Sie müssen den Verstand verloren haben. Wie können Sie es wagen, zwei unschuldige Kinder zu entführen?“
„Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“ fauchte Drake in zunehmender Wut. Die Tatsache, daß dieser Kerl ihn, den ruhmreichen Admiral, nicht einmal kannte, trieb ihn fast zur Weißglut. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Im Moment war es wichtiger, daß diese Angelegenheit zügig abgewickelt wurde.
„Wir lassen uns nicht entführen!“ schrie Philip Junior zornig.
„Nein, wir gehen nicht mit diesem Mann!“ ereiferte sich auch der kleine Hasard.
Beide machten Anstalten, das Weite zu suchen.
Drake stoppte den Ansatz ihrer Bewegungen mit schneidender Stimme.
„Das werdet ihr hübsch bleiben lassen, ihr kleinen Strolche! Wenn ihr nicht pariert, bin ich gezwungen, eurem Opa, oder was er sonst ist, ein Loch durch den Schädel zu blasen!“
Die Zwillinge erstarrten vor Überraschung. Aus geweiteten Augen blickten sie Doc Freemont an.
„Es tut mir leid, Kinder“, sagte dieser voller Bitterkeit. „Aber wir können nichts gegen diesen gemeinen Überfall tun. Nur eins: tut, was der Mann von euch verlangt. Leistet keinen Widerstand. Versprecht ihr mir das?“
Philip und Hasard waren wütend. Aber sie waren beide intelligent genug, um jetzt den tödlichen Ernst dieser Situation zu begreifen.
„Ja“, antwortete Philip mit erstickter Stimme.
„Ausgezeichnet“, höhnte Drake, „dann hätten wir die Fronten ja geklärt. Los, rüber, ihr beiden! In meine Kutsche!“
Die Jungen befolgten den Befehl und trotteten zu dem Einspänner des Admirals, der in ihren Augen gar nicht mehr so ehrenwert war, wie sie es immer gehört hatten.
Drake ging langsam rückwärts, wobei er die schwere Pistole fortwährend auf den Doc gerichtet hielt. Die großkalibrige Kugel dieser Waffe hatte genügend Durchschlagskraft, um einen wilden Stier zu töten.
„Kutscher!“ brüllte Drake während seines vorsichtigen Rückzugs. „Spann ihnen die Pferde aus und trieb sie weg! Los, los, Beeilung!“
Während Drake auf halbem Weg verharrte und den Doc und die beiden anderen in Schach hielt, sprang sein Kutscher vom Bock. Das Klirren von Geschirr war zu hören. Dann die rauhe, anfeuernde Stimme des Mannes. Und schließlich rasendes Hufgetrappel, als die beiden Zugpferde Doc Freemonts ins freie Gelände flohen.
Sir Francis Drake stieg auf seinen ledergepolsterten Sitz zurück, als auch der Kutscher wieder seinen Platz einnahm. Die Zwillinge saßen dem Admiral stocksteif gegenüber, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Ihre Augen waren schmal und zornig, als sie ihren Bezwinger anstarrten.
Drake schob die Pistole zurück in seinen Gürtel und lächelte. Es war ein kaltes, hämisches Lächeln. Die Zwillinge nahm er kaum wahr. Seine Gedanken waren weit entfernt.
Er hatte noch keine klare Vorstellung darüber, was er mit den beiden Jungen anfangen würde. Auf alle Fälle aber würde ihm dieser gelungene Handstreich mehr als nützlich sein. In seinem Bestreben, sich an Killigrew zu rächen, würden sie ihm äußerst brauchbare Werkzeuge sein. Auf die eine oder andere Weise.
Nicht einen Moment wurde ihm bewußt, zu welchen erbärmlichen Mitteln er sich damit herabließ. Für ihn zählte nur die Tatsache, daß der Vater dieser Knirpse im Begriff war, ihm den Rang abzulaufen und seinen Ruhm zu schmälern.
Das konnte und durfte ein Francis Drake nicht hinnehmen.
Jede Methode war seiner Meinung nach gerechtfertigt, um das zu verhindern. Verdammt, ja, diesem Bastard, der sich selbstherrlich als Seewolf feiern ließ, würden die Augen übergehen! Klein und häßlich sollte er vor ihm, dem ruhmreichen Admiral, zu Kreuze kriechen!
Drake lehnte sich zurück, nachdem sein Kutscher das Zugpferd angetrieben hatte.
„Oh, mein Gott“, stöhnte Doc Freemont. Langsam, wie unendlich müde, richtete er sich auf. „Ich begreife das nicht. Wer ist dieser Mann, daß er einen solchen Haß hat, um zwei hilflose Kinder zu entführen?“
Bill und der Kutscher standen mit betroffenen Mienen neben ihm.
„Das war Sir Francis Drake“, sagte Bill leise.
„Was?“ Doc Freemont starrte ihn entgeistert an. „Admiral Drake? Der berühmte Drake?“
„Ja, Sir, kein geringerer“, erwiderte Bill.
Doc Freemont schüttelte fassungslos den Kopf.
„Aber – dann – dann sind Drake und Hasard doch Kampfgefährten! Es ist unglaublich. Bist du auch ganz sicher, Bill? Dieser Mann kann sich doch nicht eines so gemeinen Verbrechens schuldig machen!“
Bill atmete tief durch.
„Er hat seine Gründe, Sir. Bestimmt war es ein Zufall, daß er hier auf uns gestoßen ist. Geplant hat er diese Entführung sicher nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, weshalb er es getan hat.“ Und der Moses der „Isabella“ schilderte dem erschütterten Doktor, durch welche Geschehnisse das früher gute Verhältnis zwischen Admiral Drake und Philip Hasard Killigrew getrübt worden war. Jene Ereignisse, die auf so tiefgreifende Weise dafür gesorgt hatten, daß dem Seewolf die Augen geöffnet worden waren.
Bill, der junge Moses, hatte trotz seiner jungen Jahre schon ein ausreichendes Urteilsvermögen, um jene Differenzen klarzulegen, die spätestens nach der Schlacht gegen die Armada zum offenen Bruch zwischen Hasard und dem Admiral geführt hatten. Vor allem hatte Bill auch begriffen, daß es Drakes ungezügelte Beutegier und sein unmenschliches Verhalten gewesen waren, die Hasard abgestoßen hatten.
Doc Freemont nickte bedächtig und verstehend. Die Zusammenhänge wurden für ihn so deutlich wie in einem aufgeschlagenen Buch. Er kannte Hasards Charakter und wußte, daß der Seewolf niemals von seinen Grundsätzen der Fairneß und der Menschlichkeit abweichen würde. Um so mehr mußte es ihn schokkiert haben, als er den wahren Francis Drake erkannt hatte.
Niemand schien indessen in England diese negativen Eigenschaften des ruhmreichen Admirals jemals erlebt zu haben. Sir Francis Drake war eine personifizierte Legende, wie jetzt auch Philip Hasard Killigrew. Verständlich, daß Drake giftig reagierte, seit jemand begonnen hatte, sein wahres Inneres bloßzustellen.
Doc Freemont war davon überzeugt, daß Bill in einem wesentlichen Punkt recht hatte: auf einem Plan beruhte diese gemeine Entführung der Zwillinge ganz sicher nicht. Drake mußte einfach die zufällige Gelegenheit beim Schopf ergriffen haben. Jetzt würde er improvisieren müssen, wenn er versuchen wollte, das Druckmittel auszuspielen, das er gegen Hasard in der Hand hatte.
„Sir!“ rief der Kutscher. „Wir müssen die Pferde einfangen!“
Doc Freemont erwachte aus seiner Erschütterung. Zu sehr hatte ihn die Ahnung dessen beschäftigt, was jetzt möglicherweise heraufbeschworen wurde. Er mochte nicht daran denken, wie Hasard reagierte, wenn er von der Entführung seiner Söhne erfuhr.
„Ja, natürlich“, murmelte der Doc zerstreut.
Gemeinsam mit Bill und dem Kutscher lief er in die Richtung, in die die Pferde davongetrabt waren. Admiral Drakes Kutsche war längst hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.
Der rhythmische Gleichklang der Hufgeräusche und das monotone Mahlen der Wagenräder wirkten einschläfernd, außerdem die Wärme der Sonnenstrahlen und die nervliche Entspannung, die Sir Francis Drake jetzt empfand.
Er fühlte sich wie nach einem ersten Sieg, den er endlich über seinen verhaßten Widersacher Killigrew errungen hatte. Diese Genugtuung erfüllte ihn mit innerer Ruhe und Zufriedenheit, wie er beides seit der Schlacht gegen die Armada nicht mehr erlebt hatte.
Die Kindesentführung betrachtete er als ein legitimes Mittel in seiner Auseinandersetzung mit Killigrew. Der Bastard hatte es sich selbst zuzuschreiben, denn die Methoden, die er angewendet hatte, waren weit weniger gerechtfertigt.
Nein, nein, dachte Drake beruhigt, wer zu solcher Niedertracht fähig ist wie Killigrew, der darf sich nicht wundern, wenn ihm mit einem empfindlichen Gegenschlag geantwortet wird.
Je mehr er sich diese Dinge vor Augen hielt, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß die Entführung der Zwillinge geradezu eine glanzvolle Leistung, ein hervorragendes Beispiel taktischer Kriegslist war. Immerhin – er war noch der alte Francis Drake, der selbst den ausgekochtesten Gegner zu übertrumpfen vermochte. Daran hatte sich nichts geändert, obwohl es eine Zeitlang so ausgesehen hatte, als würde ihm Killigrew den Rang ablaufen.
Der sehr ehrenwerte Admiral faltete die Hände über dem Bauch und blinzelte in die Sonne. Diese Schläfrigkeit konnte er sich nicht leisten, das wußte er. Wenn er die Augen schloß, würden die Zwillinge bei der nächsten Gelegenheit aus der Kutsche hüpfen und das Weite suchen. Sie waren eine gerissene Brut – bei dem Vater. Aber sie mußten schon eher aufstehen, wenn sie ihm, dem kampferprobten Admiral einen Streich spielen wollten.
Seit er sie in seine Gewalt gebracht hatte, saßen sie schweigend da und starrten ihn an. Unablässig. Ihre Augen hatten etwas Durchbohrendes, Anklagendes. Aber er störte sich nicht daran und nahm es kaum wahr. Kinder zählten für ihn nicht zu dem Personenkreis, den man ernstnehmen mußte.
Gewiß, er hätte sie fesseln können, um völlig sicherzugehen. Aber wenn es nicht unbedingt sein mußte, wollte er das vermeiden. Denn es konnte bei etwaigen Beobachtern einen schlechten Eindruck hinterlassen. So aber sah es aus, als würde er, der gütige Admiral Drake dem alten Kampfgefährten Killigrew die Kinder zurückbringen. Eine scheinbar versöhnliche Geste vor aller Augen in Plymouth!
Drake schmunzelte bei diesem Gedanken. Killigrew würde natürlich der erste sein, der herausfand, wie es sich wirklich verhielt. Das würde ein teuflisch böses Erwachen für ihn geben. Recht so. Und in der Angst um seine Brut würde er wie ein winselnder Hund angekrochen kommen.
So weit, so gut. Die Maßnahmen, die daran anschließend zu ergreifen waren, mußte man noch planen und im einzelnen festlegen. Auf jeden Fall würde es so ablaufen, daß Killigrew dabei den kürzeren zog und nie wieder versucht sein würde, den ruhmreichen Admiral herauszufordern und zu demütigen.
Gut so. Drake schmunzelte noch immer und blickte wohlgefällig von oben herab auf die beiden Jungen, die ihrem Vater so verteufelt ähnlich waren.
Philip und Hasard erwachten aus ihrer scheinbaren Lethargie.
„Es wird Zeit, daß wir etwas unternehmen“, sagte Philip auf Türkisch. „Was denkst du, wie lange brauchen wir noch bis Plymouth?“
Hasard antwortete in derselben Sprache, die ihnen wie eine Muttersprache war. Denn die meisten Jahre ihres jungen Lebens hatten sie in der Obhut von türkischen und persischen Gauklern zugebracht, bevor ihr Vater sie in Tanger wie durch ein Wunder gefunden hatte.
„Wenn Onkel Freemont recht hat. dann sind es jetzt vielleicht noch eine oder eineinhalb Stunden. Meinst du, daß die Zeit reicht?“
„Sicher doch“, sagte Philip, „wir müssen nur genau wissen, was wir wollen. Auf jeden Fall kriegt dieser Lump von einem Admiral kein Wort mit. Siehst du, wie blöd er dreinschaut?“
„Ja!“ Hasard kicherte, ohne den Kopf zu wenden. Sie sahen sich gegenseitig an und vermieden es, Drake auch nur eines Blickes zu würdigen.
Der Admiral runzelte verblüfft die Stirn. Was, in aller Welt, war das für ein seltsames Kauderwelsch, in dem diese Bürschchen sich unterhielten? Um Spanisch oder einen spanischen Dialekt handelte es sich jedenfalls nicht. Das hätte er verstanden. Komische Brut, die Killigrew da großgezogen hatte. Wer so redete, der mußte schon eine sonderbare Vergangenheit haben. Nichts, dessen sich ein anständiger Engländer rühmen konnte. Wieder ein Pluspunkt, den man geflissentlich zur Kenntnis nehmen konnte. Es würde sich lohnen, ein wenig in Killigrews Vergangenheit zu forschen. Traten dann gewisse Dinge zutage, die man in der Öffentlichkeit breittreten konnte, würde das seinen frisch erworbenen Ruhm sehr schnell abbröckeln lassen.
„Damals, bei den Gauklern haben wir genug gelernt“, fuhr Philip in dem vermeintlichen Kauderwelsch fort. „Sachen, von denen sich dieser aufgeplusterte Knilch garantiert nichts träumen läßt.“
„Hm, eine gute Idee“, antwortete Hasard begeistert, „aber eins ist dabei wichtig: wir dürfen nicht zuviel riskieren, bevor wir in Plymouth sind. Denn sonst könnte es sein, daß er uns doch noch wieder reinlegt.“
„Richtig. Gehen wir mal davon aus, daß wir dem Knilch und seinem Kutscher körperlich nicht gewachsen sind. Also können wir sie nur ausschmieren. Und Tricks sollten wir genügend auf Lager haben.“
„Auch richtig. Wenn nicht körperliche Gewalt, dann nur Waffengewalt. Hast du gesehen, daß er die Pistole wieder in seinen Gürtel gesteckt hat?“
„Sicher. Er rechnet doch nicht damit, daß wir ihm das Ding wegnehmen könnten.“
„Und genau damit hat er sich verrechnet.“ Hasard kicherte von neuem. „Ob die Pistole auch wirklich geladen ist?“
„Natürlich! Glaubst du, so ein Halunke würde mit ungeladener Waffe durch die Gegend zuckeln?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Na also. Wer von uns beiden soll es tun?“
„Ich sitze ihm genau gegenüber“, sagte Hasard, „also werde ich es übernehmen.“
„Bist du sicher, daß du es schaffst?“
„Na hör mal! Das haben wir schließlich gründlich genug gelernt.“
„Aber wir haben lange nicht mehr geübt.“
„Trotzdem. So was kann man gar nicht verlernen. Das weißt du genau.“
„In Ordnung. Ich verlasse mich auf dich. Es würde zu sehr auffallen, wenn wir die Plätze wechseln, obwohl ich es lieber selbst übernehmen würde.“
„Fängst du schon wieder an zu spinnen!“ fauchte Hasard. „Langsam geht mir das gegen den Strich, daß du neuerdings meinst, du bist der Bessere in allen Dingen.“
Dem Admiral platzte der Kragen.
„Ruhe jetzt!“ sagte er konsterniert. „Schluß mit diesem albernen Palaver. Ich will dieses lächerliche Kauderwelsch nicht mehr hören. Habt ihr mich verstanden, oder muß ich böse werden?“
„Ja, Sir – äh, nein, Sir“, antworteten Philip und Hasard artig und wie aus einem Mund.
Sir Francis Drake lehnte sich zurück und nickte grimmig. Auf die Idee, den Inhalt des Kauderwelsch-Gesprächs zu erforschen, kam er nicht. Dazu waren seine Gedanken, die er über seinen Erzfeind Killigrew anstellte, viel zu wichtig.
Die Zwillinge schwiegen gehorsam, und Admiral Drake hatte ausreichend Gelegenheit, ungestört seinen wohlgefälligen Überlegungen nachzugehen. Die Monotonie der Geräusche und das Schaukeln der Kutsche ließen ihn abermals schläfrig werden. Doch er blieb wach, seiner Überzeugung nach wach genug, um die Killigrew-Brut unter Kontrolle zu halten.
Schon nach einer halben Stunde hatte er das unverständliche Palaver der Zwillinge bereits völlig vergessen.
Ein jäher Ruck ging durch die Kutsche, als das rechte Hinterrad in ein tiefes Schlagloch knallte.
Hasard Junior wurde von seinem Sitz hochgeschleudert. Während Philip sich mit Mühe noch festhalten konnte, verlor sein Zwillingsbruder den Halt und fiel dem Admiral unfreiwillig in die Arme.
Drake schüttelte sich, fluchte und befreite sich von der Umarmung des Killigrew-Sprößlings.
Hasard Junior rappelte sich unbeholfen auf und schob sich zurück auf seinen ursprünglichen Platz.
„Verzeihung, Sir“, sagte er artig und schlug den Blick nieder.
„Paß das nächste Mal besser auf“, knurrte Drake und faltete mit einer unwilligen Gebärde erneut die Hände über dem Bauch.
Philip und Hasard saßen von nun an wieder schweigend und stocksteif auf ihren Plätzen. Die kunstvoll ziselierte Radschloß-Pistole, die Hasard unter seinem weiten Hemd verborgen hatte, fiel nicht auf. Und Philip war beruhigt. Sein Bruder hatte den Trick nicht schlechter bewerkstelligt, als er selbst es gekonnt hätte.
Diese Taschenspielereien hatten sie bei den Gauklern bis zum Erbrechen geübt. Damals waren sie in der Lage gewesen, einem Mann den Ohrring abzuziehen, ohne daß er es bemerkte.
Und es funktionierte noch immer.
Jetzt brauchten sie nur noch auf den richtigen Moment zu warten.