Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 31

7.

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Schweigend umstanden sie Hasard auf der Kuhl, schweigend und ratlos. Was sie so niederdrückte, war die Erkenntnis, daß sie nicht wußten, was sie jetzt noch tun sollten. Nichts zu tun, das war immer die mieseste Sache von allem. Und da war keiner unter ihnen, dem es lag, passiv zu sein. Noch nie hatten sie etwas hingenommen, ohne sich zu wehren oder initiativ zu werden.

Sie nahmen jede Herausforderung an. Aber gegen etwas Unbekanntes konnte man nicht kämpfen. Das war wie Nebel, der einen umhüllte, ohne daß man ihn wegwischen konnte.

Hasard spähte aus schmalen Augen über die Mill Bay. Aus dem Morgendunst tauchten allmählich die Umrisse der vor Anker liegenden „Revenge“ auf. Auf der Back, mittschiffs und achtern waren deutlich die Wachen zu erkennen. Sie lehnten am Schanzkleid oder schlenderten auf und ab.

Hasard sagte: „Nach allem, was wir bisher mit Drake und seinen Männer erlebt haben, sollte es mich nicht wundern, wenn Matt, Sten und Sam in die Hände einer Preßgang der ‚Revenge‘ gefallen sind. Wenn diese Annahme stimmt, stellt sich die Frage, wie wir sie befreien können, ohne sie zu gefährden. Fällt jemandem dazu etwas ein?“

Big Old Shane sagte: „Drake hat jetzt drei Geiseln. Wir müßten versuchen, uns sechs von den Kerlen zu schnappen, um dann einen Austausch zu erzwingen.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Abgesehen davon, daß Drake voraussichtlich keinen seiner Männer an Land läßt, würde es uns meines Erachtens kaum etwas nutzen, ebenfalls Geiseln zu nehmen. Drake würde darauf pfeifen. Menschen sind für ihn nur Material.“ Erbitterung schwang in Hasards Stimme. „Gerade weil er weiß, wie eng unsere Crew zusammenhängt, hat er das ausgenutzt. Wir sind erpreßbar, er nicht. Er wollte es mit meinen Söhnen versuchen, jetzt hat er dafür Matt, Sten und Sam. Es läuft auf das Gleiche hinaus.“

„Wenn der Lordadmiral oder der alte Hawkins hier wären“, sagte Ferris Tucker, „würden die Drake ganz schön den Marsch blasen. Legal sind dessen Methoden wohl nicht mehr zu nennen. Und dem Ruf der Royal Navy tut er auch keinen Gefallen. Wäre in dieser Richtung nicht irgend etwas zu deichseln?“

„Wären wir in London, vielleicht“, erwiderte Hasard. „Aber wir sind in Plymouth. Noch nicht einmal der Stadtkommandant könnte hier etwas unternehmen, er steht dem Rang nach unter dem Admiral. Außerdem würde ich mich ungern hinter anderen verstecken, um mir die Glut aus dem Feuer holen zu lassen. Nein, wir müssen das selbst regeln.“

Ben Brighton sagte in seiner bedächtigen Art: „Bisher gehen wir von der Annahme aus, Matt, Sten und Sam seien von einer Preßgang der ‚Revenge‘ vereinnahmt worden. Wissen tun wir es tatsächlich nicht. Also sollten wir uns zuerst einmal vergewissern, ob unsere Annahme richtig ist.“

Die Männer hatten verblüfft zugehört, auch Hasard.

„Wie stellst du dir das denn vor, Ben?“ platzte er heraus.

Ben Brighton lächelte schwach. „Ich weiß, das sieht nach einem Bettelgang aus und entspricht nicht unserer Art, aber warum pullen wir nicht mit der Jolle hinüber und fragen den sehr ehrenwerten Admiral, ob sich die drei bei ihm an Bord befinden? Wenn ja, werden wir wohl auch erfahren, was er eigentlich beabsichtigt. Damit wären wir zumindest einen Schritt weiter.“

Keinem der Seewölfe schmeckte Ben Brightons Vorschlag – ihm selbst schon gar nicht –, aber unter den derzeitigen Umständen war er besser als nichts. Außerdem blieben sie nicht untätig und würden so oder so Gewißheit erlangen, ob die drei an Bord der „Revenge“ waren.

Und wenn nicht?

Es war Old O’Flynn, der etwas sagte, wofür sie ihn fast gekielholt hätten.

„Was ist denn, wenn sie von der Fahne gegangen sind und heimlich abgemustert haben?“

Ein einstimmiger Wut- und Protestschrei ertönte, Fäuste wurden geschüttelt, Carberry rückte auf Old O’Flynn los, das Rammkinn vorgeschoben, die anderen drängen nach.

„Halt!“ sagte Hasard scharf. „Seid ihr verrückt geworden? Niemand rührt Old O’Flynn an, verstanden? Auch wenn er Unsinn verzapft hat, ist das noch kein Grund, über ihn herzufallen. Ihr scheint alle ein bißchen überdreht zu sein.“ Sie blickten betreten auf die Decksplanken. Hasard wandte sich zu Old O’Flynn um. „Vergiß, was du gesagt hast, Old Donegal. Es gibt Beleidigungen, die tief verletzen können. Deine Bemerkung war von dieser Art, und sie trifft auch mich. Männer desertieren von Schiffen, wenn ihre Schiffsführung nicht in Ordnung ist. Ich nehme nicht an, daß deine Bemerkung in diese Richtung zielte – oder irre ich da?“

Old O’Flynn, knochenhart, wettergegerbt, weißhaarig, Vater von sieben Söhnen und einer Tochter, stand kerzengerade. Er sagte: „Ich hatte noch nie Grund, die Schiffsführung anzuzweifeln. Was meine Bemerkung betrifft – sie rutschte mir heraus. Als sie heraus war, wußte ich selbst, daß ich etwas Böses gesagt hatte.“

„Danke, Old Donegal. Vergessen wir’s. Ed, fiert die Jolle ab. Big Old Shane, Pete, Gary, Batuti, Dan, Smoky und Bob begleiten mich zur ‚Revenge‘. Es werden keine Waffen mitgenommen.“

„Aye, aye!“ tönte es zurück.

Zehn Minuten später nahm die Jolle Kurs auf die „Revenge“. Sie mußten pullen, der Wind war an diesem Morgen zu schwach, als daß es sich gelohnt hätte, das Segel zu setzen. Über die Mill Bay kreischten die Möwen. Im Osten stand die Sonne wie ein glutroter Ball zwei Handbreiten über der Kimm.

Sie brauchten eine halbe Stunde. Die „Revenge“ lag mit dem Bug nach Westen vor Anker. An ihrem Heck hing ein Beiboot. Ob Drake das requiriert hatte, nachdem die „Le-Vengeurs“ und die Seewölfe die Beiboote der „Revenge“ in der nächtlichen „Seeschlacht“ versenkt hatten? Wenn sich Matt, Sten und Sam auf der „Revenge“ befanden, dann mußten sie mit diesem Boot an Bord gebracht worden sein.

Hasard, der an der Pinne saß, schaute zurück. Am Strand der Firestone Bay konnten sie die drei auf das Boot verschleppt haben. Dieser Strand war von der Mill Bay her nicht einzusehen, er lag im toten Winkel.

„Boot, ho!“ brüllte einer auf der „Revenge“. „Nähert sich von Steuerbord!“

„Die merken auch alles“, brummte Big Old Shane. Er saß neben Hasard auf der achteren Ducht.

Mehrere Gestalten erschienen am Schanzkleid der Steuerbordseite und starrten zu dem Beiboot der „Isabella“.

Big Old Shane kniff die Augen zusammen.

„Ich erkenne auf dem Achterdeck den verdammten Parsons“, sagte er, „das ist Drakes erster Offizier, ein rachsüchtiger Hammel erster Güte, Ed hat ihn mehrere Male verdroschen. Bei der Prügelei in der ‚Bloody Mary‘ und bei der Wasserschlacht in der Mill Bay hat dieser Kerl das Kommando geführt.“

Hasard nickte stumm und steuerte das Beiboot auf das Achterschiff der „Revenge“ zu.

Dann befahl er: „Auf Riemen, laß laufen!“

Die Männer lüfteten die Riemen aus den Runzeln und hielten sie längsseits der Bordwand. Hasard legte etwas Ruder und steuerte in einem sanften Bogen auf Rufweite heran, bis er parallel zur „Revenge“ auslief.

„Kapitän Killigrew von der ‚Isabella‘!“ rief er zu Parsons hoch. „Bitte an Bord kommen zu dürfen!“

Parsons grinste höhnisch zu dem Beiboot hinunter, legte die geöffnete rechte Hand hinter das rechte Ohr und brüllte: „Wie meinen?“

Hasard wiederholte seinen Wunsch.

„Lauter, Mister Pillimuh, Sie haben so ein zartes Stimmchen, das kaum zu hören ist – wie ein Gockelchen im Stimmbruch, ha-ha-ha!“

„Sie sollten Ihre Mauseöhrchen mal waschen, Mister Marsons!“ rief Hasard nach oben. „Oder hat Ihnen mein Profos zu harte Maulschellen verpaßt, daß Ihnen jetzt noch die Ohren klingen?“

„Ich heiße Parsons!“ brüllte der erste Offizier wutentbrannt.

„Und ich Killigrew!“ rief Hasard. „Fein, daß Sie offensichtlich doch etwas hören! Bestellen Sie Admiral Drake, daß ich ihn zu sprechen wünsche!“

„Der Admiral schläft noch und möchte nicht gestört werden!“ brüllte Parsons.

„Bei Ihrer Brüllerei wird er bestimmt wach!“ rief Hasard.

„Ich habe strikten Befehl, ihn nicht vor dem Mittag zu stören!“ rief Parsons. „Vielleicht geruhen Sie dann, noch einmal zu erscheinen, Killigrew!“

„Werde ich tun, Parsons!“ rief Hasard zurück. „Falls Sie jemals ein Schiff führen wollen, täten Sie gut daran, vorher die seemännische Etikette zu studieren. Es ist nicht üblich, daß der erste Offizier eines Schiffes den Kapitän eines anderen Schiffes, der höflich darum bittet, an Bord kommen zu dürfen, rüde vom Achterdeck herunter anpöbelt und wie seinesgleichen anspricht. Sie müssen noch viel lernen, Parsons, wenn Sie etwas in der Royal Navy werden wollen. Vielleicht gibt Ihnen der Admiral Unterricht über die allgemeinen Regeln von Takt und Anstand. Richten Sie ihm bitte meine Empfehlung aus!“

Parsons war weiß vor Wut. Das waren moralische Ohrfeigen, die schmerzten noch mehr als die Maulschellen des Profos. Außerdem hörte fast die gesamte Besatzung der „Revenge“ zu, und da und dort grinste einer versteckt.

„Klar bei Riemen!“ befahl Hasard.

Die Riemen krachten zurück in die Runzeln.

„Ruder an!“

Im Gleichtakt der Riemen schoß das Beiboot zurück in Richtung Mill Bay. Da saß jeder Riemenschlag exakt und harmonisch aufeinander abgestimmt.

Einer der Bootsleute auf der Kuhl direkt unter dem Achterdeck sagte vernehmlich: „Pullen können die, alle Achtung – wenn ich da an unseren Riemensalat denke …“

„Bootsmann Stenley!“ schrie der erste Offizier.

Der Bootsmann ruckte herum und schaute zum Achterdeck hoch. „Mister Parsons, Sir?“

„Ich verbitte mir solche Bemerkungen, verstanden?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Bootsmann Stanley ziemlich lässig.

Parsons schob den Kopf lauernd vor. „Ihr Ton gefällt mir nicht, Stenley.“ Er schien plötzlich ein sehr feines Gehör zu haben, dieser Mister Parsons.

„Sir?“ fragte der Bootsmann und zog die linke Augenbraue hoch. Er konnte das sehr gut, denn es gab seinem Gesicht einen Ausdruck höhnischen Trotzes. „Wie darf ich das verstehen?“

„Sie wissen sehr gut, was ich meine“, knurrte Parsons gereizt.

„Was meinen Sie denn, Mister Parsons, Sir?“ fragte der Bootsmann mit höflicher Unverschämtheit.

Die Stirnadern des ersten Offiziers schwollen dunkel an. Diesem Bootsmann war so nicht beizukommen. Das war keiner von denen, die sich duckten oder zu blöd waren, ihren eigenen Namen zu buchstabieren.

„Sie haben nichts zu fragen!“ schrie Parsons. „Kümmern Sie sich um das Reinschiff, Mann!“

„Aye, aye, Sir“, sagte Bootsmann Stanley noch lässiger als zuvor, drehte sich um und setzte einem Moses, der ihn mit offenem Munde anstarrte, sanft auseinander, daß eine Wurzelbürste zum Deckschrubben geschaffen sei – nicht dazu, sich daran festzuhalten. „Klar, mein Junge?“ fragte er zum Schluß.

„Aye, aye, Sir!“ schmetterte der Moses.

Und Parsons zuckte zusammen.

In der Vorpiek der „Revenge“ sagte Matt Davies: „Und es war doch Hasard, ich habe es genau gehört, aber euch läuft ja noch der Whisky aus den Ohren, verdammt noch mal.“

Sam Roscill, schlank, dunkelhaarig, dunkeläugig, sonst ein verwegener Draufgänger, stöhnte und murmelte: „Was ist hier überhaupt los? Ich glaub, mein Schädel platzt auseinander. Kannst du mir mal erklären, wo wir hier sind?“

„Auf der verdammten ‚Revenge‘“, erwiderte Matt Davies gallig.

„Du spinnst wohl, Mann?“ Sam Roscills Stimme klang fassungslos.

„Matt hat recht“, ertönte Stenmarks Stimme, „wir befinden uns auf der ‚Revenge‘.“

Keiner konnte den anderen sehen. Die Vorpiek tief unten im Vorschiff der „Revenge“ war ohne Licht. Es war jenes Loch auf englischen Schiffen, in das einerseits Ersatzteile oder nur dann und wann gebrauchtes Material wie Hilfsanker, schwere Trossen, Schleppleinen, Bojengeschirr und ähnliches gestaut wurden. Andererseits diente es dazu, renitente Seeleute, arme Sünder oder Gefangene dort einzusperren.

Auf den meisten Schiffen war dieses Loch der Vorhof zur Hölle, vor allem bei schwerem Seegang, wenn das stinkende Bilgewasser bei der Talfahrt ins Vorschiff schoß und Teile der Piek überflutete. Und wer einen empfindlichen Geruchssinn hatte, dem konnte sich in dem Mief dieses Loches schon der Magen umdrehen.

Matt Davies sagte: „Sie haben uns zusammengeschlagen, als wir die ‚Bloody Mary‘ verlassen hatten und zur ‚Isabella‘ zurück wollten.“

Jetzt dämmerte es Sam Roscill auch.

„Ach du dickes Ei“, murmelte er. „Aber wie soll dann Hasard wissen, daß wir hier sind?“

„Er hat zwei und zwei zusammengezählt, ganz einfach“, erwiderte Matt Davies. „Irgendwann waren wir überfällig. Dann haben sie nach uns gesucht und natürlich nicht gefunden. Ich an ihrer Stelle hätte jetzt auch vermutet, wo man uns zu suchen hat – auf der ‚Revenge‘.“

„Hm“, brummte Sam Roscill. „Und was soll das Ganze?“

„Drake hat irgendeine Schweinerei vor“, sagte Stenmark ruhig.

„Genau“, sagte Matt Davies.

Eine Weile schwiegen sie, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

Dann sagte Stenmark: „Die ‚Revenge‘ liegt noch vor Anker.“

„Na klar“, sagte Matt Davies, „schließlich haben sie uns ja nicht geschnappt, um uns spazierenzusegeln. Wie ich den alten Schweinehund kenne, wird er versuchen, Hasard mit uns zu erpressen. Dieser mistige Admiral gibt nicht eher Ruhe, bis er Hasard geschafft hat.“

„Nicht nur Hasard – die ganze Crew“, sagte Stenmark. „Von dem Stadtkommandanten hatte er verlangt, uns alle in den Kerker zu werfen. Tollwütige Bestien seien wir, hat er gebrüllt, die man erschießen, aufknüpfen und vierteilen müsse.“

„Der kann doch nicht ’ne ganze Schiffsbesatzung ausrotten“, sagte Sam Roscill.

„Weiß man’s?“ erwiderte Stenmark. „Verrückt genug ist er. Und vergiß nicht, daß er sich sogar an Hasards Söhnchen vergriffen hat. Der alte Carberry sagte, wer Kinder raubt, bringt noch ganz andere Sachen fertig. Ich meine, wir sollten mal allmählich darüber nachdenken, wie wir diesem Admiral in die Suppe spucken könnten. Vielleicht hat Matt Hasards Stimme wirklich gehört. Ich war vorhin auch noch nicht ganz richtig da.“

„Es war seine Stimme“, sagte Matt Davies. „Und dann hat dieser Parsons was gebrüllt. Der war ziemlich in Fahrt.“ Sie hörten, wie er lachte. „Vielleicht hat Hasard ihm ein paar Freundlichkeiten gesagt.“

„Hast du auch Drakes Stimme gehört?“ fragte Stenmark.

„Nein, warum?“

„Drake plant doch offensichtlich etwas“, sagte Stenmark. „Ich frage mich, warum dann keine Reaktion erfolgte, als Hasard hier war. Vermutlich sind sie mit dem Beiboot hergepullt oder gesegelt.“

„Verstehe ich auch nicht“, sagte Sam Roscill. „Vielleicht sollten wir mal ein bißchen Krach schlagen und die Kerle in Trab bringen, um zu sehen, was sich dann tut. Ich hab sowieso Hunger und einen mächtigen Nachdurst.“

„Krach schlagen ist immer gut“, sagte Matt Davies. „Habt ihr noch irgendwelche Waffen bei euch?“

Hatten sie nicht. Die Messer waren ihnen abgenommen worden. Aber das störte sie nicht weiter.

„Klar Schiff zum Gefecht“, sagte Matt Davies. Daß er grinste, konnten sie nicht sehen. „Kann mir mal einer verraten, wo hier das Schott zu diesem verdammten Loch ist?“

Sie rappelten sich hoch und tappten umeinander wie Blinde, die mit tastenden Händen einen Weg suchen. Sam Roscill stolperte über irgend etwas und fluchte.

„Was war das?“ fragte Stenmark. Er befand sich hinter Sam.

Sam Roscill hatte sich gebückt und griff suchend herum. Dann hatte er es.

„’n Anker“, brummte er.

„Groß?“

„Nein, wohl für ’ne Pinasse.“

Matt Davies spitzte die Ohren. „Ist ’ne Trosse dran?“

„Ja.“

„Halleluja!“ sagte Matt Davies. „Her mit dem Ding. Ich steh jetzt vor dem Schott. Ich hab’s abgetastet. Sten, weißt du, was wir tun?“

„Klar. Laß mich mal vorbei, Sam, streck deinen Hintern nicht soweit vor. Gut so, gib mir die Trosse. Danke …“ Stenmark, größer als Matt und Sam, reckte sich und tastete in der Finsternis mit der linken Hand die Decke über sich ab. Er fand, was er suchte – den üblichen Decksbalken, wie sie auf allen hölzernen Schiffen querschiffs angebracht waren und das Schiffsgerippe stützten.

Er schlang die Trosse um den Decksbalken, bis sie steifkam.

„Sam“, sagte er, „heb den Anker an! Noch mehr, noch mehr …“

Sie hantierten in der rabenschwarzen Dunkelheit und mußten sich auf ihr Gefühl und ihren Tastsinn verlassen. Sam Roscill hatte begriffen, um was es ging.

„Junge, Junge“, sagte er, und seine Stimme hatte einen sehr heiteren Klang. „Wie hoch hängt er jetzt?“

Er meinte den Anker. Der baumelte inzwischen unter dem Decksbalken.

„Müßte hinkommen“, sagte Stenmark. „Nimm mal Maß, Sam. Reicht’s bis zum Schott?“

Er spürte, wie Sam Roscill den Anker packte. Dann tappte er mit dem ziemlich schweren Ding zum Schott.

„Laß bloß nicht los, Mann“, sagte Stenmark.

„Ich bin doch nicht blöd“, murmelte Sam. Er stieß gegen Matt Davies.

„Hier ist das Schott“, sagte Matt. Er tastete nach dem Anker. „Gut so. Der Anker müßte etwa die Mitte treffen. Das haut hin. Halt ihn noch fest, Sam. Zurück zu Sten.“

Sie bewegten sich vom Schott weg zurück, bis sie bei Stenmark unter dem Decksbalken standen. Stenmark zurrte erst jetzt die Trosse endgültig fest und sicherte sie zusätzlich mit ein paar halben Schlägen.

Was sie da in der Finsternis angebracht hatten, war eine Art schwingender Rammbock – ein gefährliches Ding. Es war ein Stockanker, der unter dem Decksbalken hing, ein Stockanker mit eisernem Schaft, Kreuz, zwei Ankerarmen und zwei Flunken. Diese Flunken, schaufelartig geformt, um sich gut in den Ankergrund eingraben zu können, liefen ziemlich spitz zu. Wer so eine Flunkenspitze schwungvoll an den Schädel kriegte, brauchte über sein künftiges Dasein nicht mehr nachzudenken.

„Alles klar?“ fragte Matt Davies.

„Alles klar, Matt“, erwiderte Stenmark. „Tretet ganz nach vorn zum Vorschiff, damit euch das Ding nicht erwischt, wenn es zurückschwingt. Ich regele das hier allein. Zu dritt sind wir uns nur im Weg.“

„Paß auf, daß dir der Brummer nicht an den Kopf fliegt“, sagte Matt Davies besorgt.

„Keine Bange, ich ducke mich ab. Seid ihr weit genug weg?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Sam Roscill. „Es kann losgehen.“

Stenmark packte die eine Flunke des Ankers und tappte rückwärts, bis er spürte, daß er den Anker etwa in Brusthöhe hatte.

„Jetzt!“ sagte er, schwang den Anker an der Flunke mit beiden Händen in Richtung des unsichtbaren Schotts und ging tief in die Hocke.

Die Trosse knarrte, unmittelbar darauf krachte es. Das klang, als sei eine Drehbasse abgefeuert worden.

Stenmark spürte über sich Bewegung und langte zu. Er kriegte einen Ankerarm zu fassen und stoppte den zurückschwingenden Anker.

„Klappt bestens!“ sagte er über die Schulter. „Ich hab ihn wieder. Jetzt folgt der nächste Bums!“

Dieses Mal steckte noch mehr Kraft in dem Schwung. Der Anker donnerte gegen das Schott, daß es durchs ganze Schiff dröhnte. Gleichzeitig hörten sie auch ein Splittern.

„Gib’s ihm!“ zischte Matt Davies erregt. „Da sitzt Musik drin, Junge! Weiter so!“

Stenmark war schon dabei und legte sich noch kräftiger ins Zeug. Der dritte Krach war ohrenbetäubend. Die ganze Vorpiek ächzte, als sei sie dabei, auseinanderzubrechen.

„Ho-ho!“ brüllte Matt Davies.

„Hinein in die Vollen!“ brüllte Sam Roscill. „Gib’s ihnen, Sten! Hau das Schott in Klump! Drauf, immer drauf!“

Auch Stenmark brüllte jetzt. Brüllen war immer gut. Wenn sie enterten, brüllten sie auch, das war nun mal so. Außerdem stachelte es einen an und erhöhte die Kampfeslust.

Jetzt hatte er auch schon Routine, der große, blonde Schwede, in dem eine unbändige Kraft steckte. Er wußte, daß steter Tropfen den Stein höhlt. Also mußte dieses verdammte Schott auch irgendwann zersplittern, wenn es immer wieder an derselben Stelle getroffen wurde. Oder es brach aus seiner Füllung.

Außerdem tat es gut, sich auf diese Weise Luft zu verschaffen und es den Kerlen zu zeigen. Ja, noch waren sie nicht am Boden! Selbst wenn sie eingesperrt waren, konnten sie noch kämpfen.

Rumms!

Und wieder: Rumms!

Und noch einmal!

Das war’s wohl – die Flunke brach durch das Holz und blieb stecken. Durch die Bruchstelle schimmerte trübes Licht.

Die drei Männer brüllten, als hätten sie die Absicht, ein Schiff allein zu stürmen.

Stenmark zerrte die Ankerflunke aus dem Holz, peilte durch die Bruchstelle und zuckte zurück.

„Jetzt geht’s rund, Männer!“ rief er über die Schulter. „Sie sind wachgeworden!“

Er wich mit dem Anker bis zu seiner Ausgangsposition zurück. Als das Schott aufschwang, stieß er den Anker vor und ließ los. Wie ein Keil raste der Anker zwischen die Kerle, die sich vor dem Schott drängten und mit Belegnägeln, Knüppeln und Spaken bewaffnet waren. Sie flogen nach rechts und links weg, als würden sie umgesenst.

„Vorwärts!“ brüllte Stenmark und hechtete in die Lücke.

Wie Tiger sprangen Matt Davies und Sam Roscill vor und folgten Stenmark, der bereits eine Gasse gebrochen hatte.

„Haltet sie!“ schrie eine Stimme hinter ihnen.

In dem Gang zur Vorpiek herrschte ein tolles Durcheinander. Die drei Männer der „Isabella“ hatten genug Zorn drauf, um sich rücksichtslos Platz zu verschaffen – jetzt waren sie nicht mehr betrunken wie in der Nacht.

Stenmark hatte sich eine Spake geschnappt, Matt Davies und Sam Roscill hinter ihm hatten Belegnägel an sich gerissen. Wo sie hinschlugen, sank einer zu Boden. Stenmark voran, der die Spake wie einen Dreschflegel schwang, kämpften sie sich zum Niedergang vor.

Flüche wurden gebrüllt, Männer schrien und ächzten, es klang, als rumore im Bauch der „Revenge“ ein Erdbeben.

Stenmark raste den Niedergang hoch, wich zwei Kerlen aus, die ihm von oben entgegenkamen, drehte sich blitzschnell, stieß dem letzten das Knie ins Kreuz und enterte weiter. Mit einem Blick hatte er gesehen, daß auch Matt Davies und Sam Roscill hinter ihm ausgewichen waren.

Die beiden Kerle sausten wie Lawinen den Niedergang hinunter und rissen unten die Nachdrängenden um. Dort bildete sich im Nu ein zappelnder, brüllender Menschenknäuel. Und damit war der Niedergang nach oben zunächst versperrt und blockiert.

Stenmark, Matt Davies und Sam Roscill tobten durch das Mannschaftslogis, wo die Backschafter gerade die Klappbänke und Backstische für das Frühstück der Freiwache aufgebaut hatten, als der Krach unten in der Vorpiek losgegangen war.

Wenn Backschafter und Freiwache gemeint hatten, die fünfzehn Männer, die hinunter zur Vorpiek gestürmt waren, hätten ausgereicht, um die drei Kerle von der „Isabella“ zur Räson zu bringen, dann sahen sie sich jetzt getäuscht. Einige saßen schon, andere standen noch. Sie waren viel zu verblüfft, um sofort zu reagieren.

Und als sie reagierten, flogen ihnen bereits Teile ihres Backsgeschirrs um die Ohren, Backstische krachten zusammen, Bänke kippten um. Einer taumelte umeinander, weil ihm Stenmark eine große Barkasse mit heißer Hafergrütze über den Kopf gestülpt hatte. Matt Davies stemmte blitzschnell die Kopfseite einer Bank hoch, auf der fünf der „Revenge“-Leute saßen. Die rutschten vereint nach unten, prallten aufeinander und boxten sich gegenseitig die Ellenbogen zwischen die Rippen.

Ein Wirbelsturm hätte nicht schlimmer im Vordeck wüten können.

Nur auf der Kuhl wurde der Sturmlauf der drei Seewölfe gestoppt – von Seesoldaten mit schußbereiten Musketen.

„Waffen fallen lassen!“ brüllte Parsons, der erste Offizier.

Waffen! Matt Davies, Sam Roscill und Stenmark grinsten sich an und warfen Spake und die beiden Belegnägel nachlässig Parsons vor die Füße.

„Was geht hier vor?“ brüllte Parsons.

Die drei Seewölfe bestaunten den Himmel und grinsten weiter. Was sollte man auf eine so dämliche Frage auch antworten!

Hinter ihnen taumelten Männer mit Beulen an den Köpfen und blutenden Nasen aus dem Schott zur Kuhl. Jemand schrie nach dem Feldscher. Der Kerl mit der Barkasse über dem Schädel schoß aus dem Schott, brüllte wie am Spieß, stolperte über Sam Roscills blitzschnell vorgestellten Fuß und schlitterte dem ersten Offizier vor die Stiefel.

Fast wäre der Krawall auf der Kuhl weitergegangen.

Die Barkasse rollte allein weiter und verteilte die restliche Hafergrütze über die gerade geschrubbten Planken. Parsons quollen die Augen aus dem Kopf.

Hinter ihm auf dem Achterdeck tauchte die kurzbeinige Figur des sehr ehrenwerten Admirals auf. Auf dessen Gesicht wechselten die Empfindungen wie zuckende Blitze. Zuletzt blieb nur der Ausdruck von berstender Wut.

Was sein erster Offizier zu hören kriegte, reichte, um Selbstmord zu begehen.

Matt Davies, Stenmark und Sam Roscill landeten wieder in der Vorpiek – gefesselt. Und die Vorpiek wurde ausgeräumt. Das Schott wurde mit Leckbalken doppelt und dreifach abgesichert.

Die drei Seewölfe hatten die „Revenge“ mit ihrer 250köpfigen Besatzung ganz schön auf Trab gebracht …

Seewölfe Paket 9

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