Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 23
8.
ОглавлениеDie Männer schufteten im Schweiße ihres Angesichts.
Am Kai und auf der Kuhl der „Isabella“ herrschte hektische Betriebsamkeit. Eine stattliche Reihe von Frachtwagen war vorgefahren, mit Kisten und Fässern beladen. Die Seewölfe würden noch mindestens zwei Stunden zu tun haben, bis sämtliche Vorräte an Proviant, Trinkwasser und Munition an Bord gemannt waren.
In dem Gewühl war es wieder Edwin Carberry, der die Männer mit seinen gewohnt liebevollen Bemerkungen auf Trab hielt. Der Profos hatte sich am Backbord-Schanzkleid aufgebaut, zum Kai hin, und hielt ein wachsames Auge darauf, daß die Kette der Männer nicht abriß. Mit Kisten oder Fässern auf dem gebeugten Rücken keuchten sie an Bord, während die anderen bereits wieder an Land trabten. Die, die für die Arbeit in den Laderäumen der Galeone eingeteilt waren, fanden ebenfalls keine ruhige Minute.
„Schlaft nicht ein, ihr Rübenschweine!“ brüllte Carberry. „Oder glaubt ihr Stinte, ihr hättet gestern abend so viel geleistet, daß ihr jetzt die Hände in den Schoß legen könnt, was, wie? Wer saufen und prügeln kann, der kann auch arbeiten! Bildet euch bloß nichts auf gestern abend ein, ihr lausigen Kakerlaken! In einer Stunde will ich die Laderaumschotten dicht sehen! Ist das klar?“
Natürlich antwortete niemand. Denn erstens waren die Männer viel zu sehr beschäftigt, und zweitens wußten sie, daß der Profos ohnehin keine Antwort erwartete.
Carberry hielt nur einen Moment inne, um Atem zu holen. Dann fuhr er fort, obwohl die Männer ihr Bestes gaben und ein noch schnelleres Arbeitstempo unmöglich war. Aber er bildete sich ein, daß sie seine Kommentare einfach brauchten. Es mußte für sie wie eine liebgewonnene Geräuschkulisse sein, ohne die sie sich einfach unwohl fühlten.
„Zum Teufel, rede ich denn gegen eine Wand? Selbst ein halbverhungerter Hering würde das noch schneller schaffen als ihr! Es dauert nicht mehr lange, und ich ziehe euch tatsächlich die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“
Er wurde unterbrochen, denn Sir John, der karmesinrote Ara-Papagei, ließ sich im Sturzflug vom Großmars fallen, bremste seinen Fall mit weit ausgebreiteten Flügeln und landete flatternd auf der breiten Schulter des Profos. Dort wiegte er sich aufgeregt von einer Seite zur anderen und stimmte ein durchdringendes Gezeter an.
„Rübenschweine! Affenärsche! Rübenschweine! Kakerlaken! Rübenschweine! Stinte! Rüben …“
Edwin Carberry packte den Vogel mit einem schnellen Griff und stopfte ihn unter sein Hemd. Sir John zeterte weiter, undeutlicher und gedämpft jetzt.
„Hm“, sagte Carberry grimmig. Mehr fiel ihm im Augenblick nicht ein, denn die Männer grinsten breit, obwohl ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter rann.
Aus dem Großmars ertönte ein helles Keckern, das nach Meinung des Profos überaus spöttisch klang. Arwenack, der Schimpanse, hielt dort oben die Stellung, die er vor einer Weile gemeinsam mit Sir John bezogen hatte.
Edwin Carberry hatte das Gefühl, daß sich mal wieder alle über ihn lustig machten. Fehlten nur noch die Sprößlinge des Seewolfs mit ihren hinterlistigen Schlingeleien. Es konnte gar nicht mehr lange dauern, bis die beiden mit ihren Hummeln im Hintern wieder an Bord herumquirlen würden. Der Profos seufzte bei diesem Gedanken. Schwere Zeiten standen ihm bevor.
Auch drüben im Dock der „Revenge“ wurde hart gearbeitet. Hammerschläge und das Kreischen von Sägen hallten weit über die Mill Bay und ihre Piers. Die Blicke, die aus dem Dock von Zeit zu Zeit zur „Isabella“ und zur „Le Vengeur“ geworfen wurden, waren finster. Aber an Bord der Galeone und der Zweimast-Karacke gab es niemanden, der sich um diese Blicke kümmerte.
„Ich habe den Eindruck, als ob es auf Ihrem Schiff niemals langweilig wird, Sir Hasard“, sagte Lord Mayor Abbot Cummings, der mit dem Seewolf vor dem Niedergang zur Kapitänskammer stehengeblieben war. Cummings beobachtete schmunzelnd den Profos, der von neuem sein Donnergebrüll anstimmte und sein unerschöpfliches Repertoire an Kraftausdrücken noch einmal von vorn herunterbetete.
Hasard nickte lächelnd.
„Wenn wir den Profos und sein Gebrüll nicht hätten, würde sich keiner mehr an Bord wohlfühlen.“
„Tja, der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, nicht wahr?“ Cummings lachte.
„Sicher. Aber Carberry ist ein hervorragender Mann. Seine Sprüche sind nur die äußere Schale, die er nicht ablegen kann.“
„Oh, das verstehe ich; andernfalls würde ihn die Crew wohl kaum akzeptieren.“
„Mit Sicherheit nicht. Denn jeder von ihnen ist so gut wie der Profos selbst.“ Hasard deutete auf den Eingang zu seiner Kammer. „Gehen wir hinunter?“
„Danke, gern.“ Der Lord Mayor folgte ihm.
Die Kapitänskammer lag in ungewohnter Helligkeit. Denn dank der späten Jahreszeit fielen die Sonnenstrahlen flach durch die Heckfenster. Das Licht verlieh dem Raum mit seiner Einrichtung aus dunkel gebeiztem Holz besondere Behaglichkeit.
Auf Hasards Aufforderung nahm der Bürgermeister am Tisch Platz. Der Seewolf nahm eine Karaffe aus seinem Schapp und schenkte zwei Gläser halbvoll. Eins bot er seinem Gast an.
„Was ist das?“ fragte Cummings und schnupperte.
„Rum aus der Karibik“, antwortete Hasard, „ein außergewöhnlich guter Tropfen, den die Eingeborenen normalerweise nur für sich selbst brennen. Auf Ihr Wohl, Lord Mayor.“
„Auf das Ihre, Sir Hasard.“
Cummings nahm einen vorsichtigen Schluck. Seine Augen weiteten sich, als er das Glas absetzte.
„Donnerwetter. Das ist wirklich ein handfester Tropfen. Aber ausgezeichnet. Sie haben recht.“
Hasard setzte sich ihm gegenüber.
„Ich nehme an, Sie sind nicht nur gekommen, um karibischen Rum zu probieren“, sagte er unumwunden.
Abbot Cummings wurde ernst.
„Nein, keineswegs. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, nach dem gestrigen Vorfall noch einmal ein klärendes Wort mit Ihnen zu sprechen. Vor allem möchte ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Hätte ich die Zusammenhänge gekannt, hätte ich mich niemals zu dieser fatalen Doppel-Einladung hinreißen lassen. Dieser Faux-pas ist mir äußerst peinlich, und ich kann nur hoffen, daß Sie Plymouth trotzdem in guter Erinnerung behalten.“
Hasard schüttelte energisch den Kopf.
„Sie haben keinen Grund, sich für irgend etwas zu entschuldigen, Lord Mayor. Die Kontroversen zwischen Admiral Drake und mir sind nicht Ihr Fehler. Im übrigen muß ich genauso hoffen, daß Sie meine Crew und die Ribaults ebenfalls in guter Erinnerung behalten, obwohl sie sich gestern abend einiges geleistet haben, was mir nachträglich die Haare zu Berge stehen läßt.“
„Die Geschichte in der ‚Bloody Mary‘?“ rief Cummings amüsiert. „Um Himmels willen, wer würde denn so etwas ernst nehmen! Sie wissen doch selbst, zu welcher niederen Kategorie diese Schenke gehört. Außerdem weiß ich, daß Ihre Männer noch immer für jeden Schaden geradegestanden haben. Plymson, dieser alte Gauner, kann sich gewiß nicht beklagen.“
Hasard wiegte den Kopf auf den Schultern.
„Nun, ich habe den Männern jedenfalls die Leviten gelesen. Es ging ja nicht um die ‚Bloody Mary‘ allein. Wenn Admiral Drake von der Schlacht in der Mill Bay hört, wird er mir erst recht die Pest an den Hals wünschen. Ich weiß nicht, ob ich es meinen Männern jemals beibringen werde, daß sie sich an Land wie zivilisierte Menschen benehmen.“
„Weder Sie noch Ihre Leute haben sich irgendwelche Vorwürfe zu machen“, wehrte der Bürgermeister ab. „Die Auseinandersetzung in der Mill Bay haben Drakes Männer schließlich selbst heraufbeschworen. Im Grunde kann der Admiral froh sein, daß es für seine Crew so glimpflich abgegangen ist.“
„Nun, ich brauche mich vor ihm nicht zu verkriechen“, sagte Hasard gedehnt. „Aber Drake ist kein Mann, der mit offenen Methoden kämpft. Er ist ein Meister der Intrige, und dagegen ist manchmal kein Kraut gewachsen.“
„Ich weiß“, erwiderte Cummings, „auch deshalb habe ich Sie noch einmal aufgesucht. Nach dem, was ich gestern abend gehört habe und was mir ohnehin bekannt ist, möchte ich Ihnen noch einmal versichern, daß ich voll und ganz auf Ihrer Seite stehe, Sir Hasard. Ich kann in diesem Zusammenhang leider nicht für den gesamten Stadtrat sprechen, denn es gibt Männer, die lieber übervorsichtig sind, als daß sie Partei ergreifen. Wenn Sie aber jemals hier an Land einen Verbündeten brauchen sollten, dann können Sie auf mich zählen. Das ist es, was ich Ihnen ausdrücklich gesagt haben wollte.“
„Ich danke Ihnen, Lord Mayor“, antwortete der Seewolf. Mehr nicht. Große Worte waren überflüssig, und Cummings war ohnehin kein Mann, der etwas von geschwollenen Reden hielt. Das hatte Hasard schon während des mißglückten Festbanketts gespürt.
Er wußte es zu schätzen, daß der Bürgermeister der Stadt Plymouth ihm symbolisch die Hand reichte. Vielleicht würde er eines Tages wirklich auf sein Angebot zurückgreifen müssen. Denn es war noch längst nicht abzusehen, wozu Francis Drake, in seiner ohnmächtigen Wut fähig war.
Hasard konnte noch nicht ahnen, wie nachhaltig sich diese Vermutung schon bald bestätigen sollte.
Ein unregelmäßiges Wechselspiel von Licht und Schatten begleitete die Kutsche auf ihrem Weg durch die engen Gassen von Plymouth. Das Geräusch der Pferdehufe und der Räder klang hell auf dem Steinpflaster und hallte zwischen den gedrängt gebauten Giebeln der Häuser lange nach.
Der Kutscher nahm den kürzesten Weg durch die Stadt, denn er wußte, daß der Admiral in höchster Eile war.
Doch trotz dieser Eile genoß Drake es, die Menschen zu sehen, wie sie stehenblieben, wie sie sich aus den Fenstern beugten und ihm zuwinkten. Jedesmal hob er gönnerhaft die rechte Hand und bewegte sie bedächtig vor und zurück. Seine Müdigkeit war verflogen. Er fühlte sich in jeder Beziehung bestätigt. Sein Ruhm als sieggewohnter Seeheld war ungebrochen. Die Menschen feierten ihn nach wie vor – vielleicht gerade deshalb, weil sie inzwischen wußten, welche Gemeinheiten sich der hirnrissige Bastard Killigrew ihm gegenüber geleistet hatte.
Aber diese begeisterten Menschen sahen auch, daß er die beiden Jungen bei sich in der Kutsche hatte. Ihre Freundlichkeit konnte folglich nur bedeuten, daß sie tatsächlich glaubten, er brächte Killigrew die Brut zurück.
Nun, alles würde also in der Weise aufgehen, wie er es geplant hatte. Die Zwillinge würde er zunächst auf die „Revenge“ bringen und dort in der Vorpiek einsperren. Dann konnte man einen Boten zur „Isabella“ schicken und Killigrew herbeizitieren. Welche Forderungen er im einzelnen dem Seewolf gegenüber erheben würde, nun, das wollte der sehr ehrenwerte Admiral erst dann festlegen, wenn er mit Robert Parsons gesprochen hatte. Denn zunächst mußte er einmal wissen, was sich während seiner Abwesenheit in Plymouth zugetragen hatte. Davon würde es abhängen, welche Daumenschrauben er dem Bastard Killigrew anlegte.
Die Zwillinge waren nach wie vor ruhig und friedlich. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie hübsch brav sein mußten, wenn sie nicht den Zorn des Admirals erwecken wollten.
Er erwiderte die freundlichen Grüße der Bürger, ohne wirklich hinzusehen. Die Ovationen begannen ihm lästig zu werden. Das ewige Zurückwinken wurde ermüdend.
Der Geruch von Salzwasser und Tang, den eine leichte Brise durch die Gassen fächerte, verstärkte sich.
Drake fühlte, wie er aufzuleben begann. Das war immer noch seine Welt, der er sich näherte. Die Welt, in der er sich immer noch am besten zurechtfand und in der er nach wie vor der Größte war. Er mußte es nur von Zeit zu Zeit wieder unter Beweis stellen – so wie jetzt. Er fieberte der Ankunft entgegen wie ein Kind. Seine Überlegungen hatten sich auf verschrobene Weise einen Weg zurechtgebastelt, den er selbst für völlig plausibel und gerechtfertigt hielt. Jeden, der ihn richtigerweise als Schnapphahn und gemeinen Kindesentführer bezeichnet hätte, hätte er ohne Umschweife in der Luft zerrissen.
Die Kutsche erreichte die letzte Gasse, die unmittelbar auf das Kaigelände an der Mill Bay mündete.
Drake beugte sich vor und spähte am breiten Oberkörper des Kutschers vorbei. Er achtete jetzt nicht mehr auf die Leute, die ihm auch hier zuwinkten. Am Ende der Gasse war bereits der Mastenwald des Hafens zu erkennen.
Philip und Hasard wechselten einen verstohlenen Blick. Hasard Junior nickte kaum merklich, beruhigend. Er ahnte, daß sein Bruder womöglich schon wieder Befürchtungen hatte, er könnte seine Sache nicht allein bewältigen. Aber für einen diesbezüglichen Wortwechsel war jetzt zum Glück keine Zeit.
Drake ließ sich zufrieden zurücksinken, als die Kutsche den Kai erreichte und nach links abbog.
Philip wandte den Kopf halb zur Seite. Er hatte ein besseres Blickfeld als sein Bruder.
Zur Linken glitten die Häuserfassaden der Schiffsausrüster, der Segelmacher und der Hafenschenken vorbei. Auf der anderen Seite gab es Wagen und Karren vor den zu löschenden oder zu beladenden Schiffen. Kleinere Kauffahrer überwiegend, aber auch Fischerboote, die weiter draußen an den Piers lagen. Und überall Menschen, die ihre Arbeit unterbrachen, sich umdrehten und dem Admiral zuwinkten.
Sir Francis Drake sah nicht, daß es unter den vielen Gesichtern etliche gab, die bei seinem Erscheinen einen spöttischen Zug annahmen. Denn er kannte noch nicht die Geschichte von der Schlacht auf der Mill Bay, die die meisten Leute hier miterlebt oder von anderen gehört hatten.
Philip Junior hatte das Gefühl, sein Herz vollführte einen Freudenhüpfer, als er am Rand seines Blickfelds plötzlich die schlanken Umrisse eines Schiffes sah, das er fast genauso gut kannte wie die „Isabella“.
Die „Le Vengeur“!
Wo das Schiff Jean Ribaults lag, konnte auch die „Isabella“ nicht weit sein. Der kleine Philip spürte, wie die Aufregung in ihm mit Macht anwuchs. Er mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht zappelig zu werden.
Dann, Sekunden, später, tauchte auch die ranke Galeone auf, die niemand anders als dem Seewolf und seinen Männern gehörte.
Philip versetzte seinem Bruder einen kaum merklichen Stoß in die Seite.
Hasard nickte ebenso unmerklich. Er hatte begriffen, und er musterte den Admiral jetzt sehr aufmerksam.
Sir Francis Drake war mit seinen Gedanken bereits weit voraus. Wieder spähte er angestrengt nach vorn und versuchte offenbar, die „Revenge“ im Dock zu erkennen.
„Kutscher!“ sagte Drake energisch. „Fahren Sie auf direktem Weg zu meinem Schiff. Egal, was auch passiert. Lassen Sie sich durch nichts und niemanden aufhalten.“
„Aye, aye, Sir“, antwortete der Mann auf dem Bock.
Hasard Junior spannte seine Muskeln bis in die letzte Faser, als er unvermittelt die „Le Vengeur“ aus den Augenwinkeln heraus erkannte. Jeden Augenblick mußte es soweit sein. Dann mußten sie den kürzesten Weg zur Galeone ihres Vaters nutzen.
Jetzt!
Der Bugspriet war unverwechselbar. Dann der Bug selbst, das Vordeck. Jede Planke war den Zwillingen so vertraut, als hätten sie ihr Leben nirgendwo anders verbracht als auf der „Isabella“.
Im nächsten Moment war Hasard Junior versucht, einen Triumphschrei auszustoßen.
Er sah die Männer, die Kisten und Fässer von Frachtwagen abluden. Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey, Blacky und all die anderen …
Mit einer beinahe nebensächlich wirkenden Bewegung zog Hasard Junior die Pistole unter dem Hemd hervor und richtete den Lauf auf Sir Francis Drake.
„Sofort anhalten!“ sagte Hasard Junior mit heller, fast schneidend klingender Stimme. „Anhalten, oder ich puste Ihnen ein Loch in den Bauch, Sie Rübenschwein von einem Admiral!“
Drake erbleichte. Fassungslos stierte er auf den Jungen, der die schwere Waffe mit beiden Händen halten mußte. Aber wie er die Pistole hielt, das ließ keinen Zweifel daran, daß er auch damit umgehen konnte. Der Hahn des Radschlosses war gespannt, und der nervige kleine Zeigefinger lag halb gekrümmt um den Abzug.
Erst jetzt begriff Drake den Zusammenhang. Ruckhaft klopfte er mit flachen Händen auf seine Hüftgegend, tastete beinahe verzweifelt und konnte doch nur feststellen, daß es in der Tat seine eigene Waffe war, mit der dieser Knirps ihn bedrohte.
Aber da war diese Entschlossenheit und die unbändige Wildheit im Gesicht des Jungen, der seinem Vater ebenso ähnelte wie sein Bruder.
Sir Francis Drake hatte das Gefühl, daß ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Es war diese furchtbare Ernüchterung, schlagartig alle Felle davonschwimmen zu sehen.
Denn ein Blick in das verbissene Gesicht des Jungen ließ ihn keinen Moment daran zweifeln, daß dieser unverschämte kleine Strolch auch wirklich abdrükken würde.
Drake begann, um sein Leben zu bangen. Hölle und Teufel, er hatte auf allen sieben Meeren ganze Seestreitmächte bezwungen und dem Teufel lachend in die grinsende Fratze geschaut. Und jetzt sollte es tatsächlich sein, daß er von einem Kind abgeknallt wurde?
Der Umstand, daß es wieder ein Killigrew war, der ihn zutiefst demütigte, brachte ihn fast zum Wahnsinn.
All diese Gedanken schossen in rasender Schnelle durch seinen Kopf. Es blieb nur die einzig mögliche Schlußfolgerung.
„Anhalten“, sagte er mit vibrierender Stimme. Er haßte sich selbst dafür, daß er es aussprechen mußte. „Sofort anhalten, Kutscher.“
„A – aber Sir, wieso …“
Philip Junior sprang mit einem Satz auf die Sitzbank und schrie es dem Mann ins Ohr.
„Hast du nicht gehört, was dein Admiral sagt? Dreh dich um, dann begreifst du es!“
Der Kutscher zuckte zusammen und befolgte die Aufforderung.
Er erstarrte vor Schreck.
Viel zu hart zerrte er an den Zügeln. Mit schrillem, protestierendem Wiehern stieg das Zugpferd auf den Hinterbeinen hoch.
Die Kutsche stand. Der Mann auf dem Bock wagte nicht, sich zu rühren. Er sah das totenbleiche Gesicht des Admirals und wußte, daß mit dieser Situation nicht zu spaßen war.
Philip Junior wandte sich mit breitem Feixen wieder dem sehr ehrenwerten Sir Francis Drake zu.
„Ich denke, wir steigen jetzt aus und unternehmen einen kleinen Spaziergang. Nicht wahr, Hasard?“
„Das denke ich auch“, sagte Hasard Junior grimmig und stieß dem Admiral die Laufmündung der Pistole in den Bauch.
Sir Francis Drake erschrak wie unter einem Peitschenhieb.
„Nein, nicht!“ wimmerte er. „Um Himmels willen, das Ding kann doch losgehen, wenn man sich zu heftig bewegt.“
„Angst hat er auch noch“, sagte Hasard Junior verächtlich. „Als ob ich nicht mit so einem lächerlichen Pistölchen umgehen könnte!“ Seine beiden braungebrannten Hände, mit denen er die Waffe hielt, straften seine Worte Lügen. Doch ihre Wirkung verfehlten sie nicht. „Los aussteigen, oder es knallt!“
Drake hob die Hände, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Als der Junge den Pistolenlauf ein Stück zurückzog, kletterte er mit weichen Knien aus der Kutsche und mußte sich festhalten, bevor seine Füße den Boden erreichten.
Hasard Junior war mit einem Satz hinter ihm und rammte ihm die Mündung der Waffe in den Rücken.
Drake schrak von neuem zusammen.
„Vorwärts!“ bellte Philip Junior, der im selben Moment neben ihm auftauchte. „Wir besuchen das Schiff unseres Vaters!“
Der Admiral hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Wie durch einen wallenden Nebelschleier sah er die vielen Gesichter und die spöttischen Augen, die ihn anstarrten. Erst jetzt begriff er, daß dies die größte Niederlage seines Lebens war. Die allerschlimmste Demütigung. Viel schlimmer als alles, was Killigrew Senior ihm zuvor zugefügt hatte.
„Ich danke Ihnen noch einmal, Lord Mayor“, sagte der Seewolf, während er den Bürgermeister zur Pforte im Schanzkleid begleitete.
„Nein, nein“, wehrte Cummings ab, „ich habe Ihnen zu danken für Ihren Großmut, Sir Hasard. Sie hätten allen Grund, verärgert zu sein über …“ Mitten im Satz brach er ab und blickte Hasard an.
Der Seewolf spürte es im selben Atemzug.
Diese merkwürdige Stille.
Kein Wort von Edwin Carberry. Der Profos stand am Schanzkleid und starrte zum Kai, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Die anderen hatten ihre Arbeit unterbrochen und schienen von jäher Faulheit übermannt worden zu sein.
Hasard trat mit zwei schnellen Schritten auf das Schanzkleid zu, gefolgt von Abbot Cummings.
Im nächsten Atemzug spürte der Seewolf, wie seine Kinnlade haltlos herabsackte.
Nie zuvor in seinem Leben hatte ihn eine solche Entgeisterung gepackt.
Der, der dort mit seltsam abgehackten Schritten den Landgangsteg heraufstelzte, war kein geringerer als Sir Francis Drake. Seine Miene war die eines Leichenträgers, der zehn Verblichene auf einmal zu betreuen hat.
Hasard sah seine Söhne, die den Admiral mit den grimmigen Gesichtern von Henkersknechten begleiteten.
Der Seewolf glaubte, daß es ihn glatt aus den Stiefeln heben müsse.
„Gleich trifft mich der Schlag“, murmelte Ed Carberry mit einer Fassungslosigkeit, wie sie der Seewolf noch nie an seinem Profos erlebt hatte.
Doch dann, als Drake das Schanzkleid erreichte und seinen Fuß auf die Decksplanken der „Isabella“ setzte, konnte Carberry sich nicht mehr halten.
Erst war es ein Grollen, das tief aus seiner mächtigen Brust drang. Es ging in ein Dröhnen über und schwoll zu einem röhrenden Gelächter an, das über die gesamte Mill Bay und die gesamte Stadt Plymouth hallte. Dieses urwelthafte Gelächter steckte an, erfaßte die Männer der „Isabella“, pflanzte sich fort zur „Le Vengeur“ und weiter über den Kai.
Ein Orkan des Lachens brach aus.
Nur drüben auf der „Revenge“ wurde keine Stimme laut. Die Gesichter der Drake-Mannen wurden lang und länger.
„Halt!“ befahl Hasard Junior mit höchstmöglicher Stimmgewalt, denn er mußte gegen das donnernde Gelächter ankämpfen.
Die Gesichtshaut des sehr ehrenwerten Admirals war purpurrot, und es schien, als würde sein Schädel jeden Moment zerspringen. Sein Blick fand keinen Zufluchtsort, denn von allen Seiten trafen ihn Hohn, Spott und Verachtung.
Allmählich beruhigten sich die johlenden und grölenden Männer, denn sie alle hatten ein brennendes Interesse an der Erklärung.
Hasard Junior ließ nicht lange darauf warten. Er trat einen Schritt beiseite, und erst jetzt sah sein Vater die kunstvoll ziselierte Radschloßpistole.
Der Seewolf schüttelte den Kopf, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Nein, es war kein Traum.
„Philip und Hasard Killigrew melden sich an Bord zurück, Sir“, sagte Hasard Junior schnarrend. „Melden außerdem, den Admiral gefangengesetzt zu haben, weil er uns entfuhren wollte.“
„Schlagen vor“, fügte Philip Junior hinzu, „diesen Schnapphahn von einem Admiral mindestens kielzuholen und anschließend zu teeren und zu federn.“
Wieder schwollen die Lachsalven an.
Doch dann war Edwin Carberry der erste, der still wurde. Er sah den Blick, diesen furchtbaren Blick, mit dem der Seewolf den Admiral maß. Carberrys plötzliches Verstummen griff auf die anderen über.
Es wurde totenstill.
Abermals erschrak Sir Francis Drake, als sein umherirrender Blick auf die eisblauen Augen Philip Hasard Killigrews traf.
Da war eine so eisige Kälte in diesen Augen, daß Drake glaubte, in den Boden versinken zu müssen.
„Jetzt ist es genug, Drake“, sagte der Seewolf mit einer Stimme, die so klirrend kalt war wie Gletschereis. „Dies ist das Letzte, was Sie sich herausgenommen haben. Noch so ein Bubenstück, und ich hole Sie mir Vor die Klinge! Verschwinden Sie! Aus meinen Augen, Sie Lump!“ Die letzten Worte brüllte Hasard, ohne daß er es gewollt hatte.
Drake wich schwankend zurück. Sein Mund öffnete sich, doch er brachte keinen Laut heraus. Entsetzt und angsterfüllt starrte er den Seewolf an. Dann wirbelte er panikartig herum, verlor fast das Gleichgewicht, mußte sich am Schanzkleid festhalten und stolperte schließlich den Steg hinunter.
Als er die Kutsche erreichte, verfingen sich seine Füße auf dem Trittbrett, und er stürzte der Länge nach zwischen die Sitzbänke.
Der Kutscher trieb das Pferd zu rasendem Galopp an – eilends fort vom Schauplatz dieser größten Niederlage des Admirals.
Sir Francis Drake, dessen Gesicht auf dem Kutschenholz blutige Schrammen davongetragen hatte, verspürte eine furchtbare Gewißheit.
Jetzt war er es selbst, der sich einen Todfeind geschaffen hatte.
Am Ende des Kais tauchte eine andere Kutsche auf. Doc Freemont, Bill und der Kutscher empfanden grenzenlose Erleichterung, als sie schon von weitem sahen, was sich abgespielt hatte.
An Bord der „Isabella“ schloß Philip Hasard Killigrew schweigend seine Söhne in die Arme. Seine Lippen waren wie versiegelt. Aber Worte waren in diesem Augenblick ohnehin überflüssig.
Edwin Carberry rieb sich verstohlen das rechte Auge mit dem Handrücken. Auch alle anderen aus der hartgesottenen, rauhbeinigen Crew standen in stummer Ergriffenheit da, als sie den Seewolf mit seinen Söhnen vereint sahen.
Eins wußten sie alle: Sir Francis Drake gehörte nicht zu den Siegern.
Nicht mehr …