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Die fatale Suppe
ОглавлениеManchmal, besonders in meinen Anfangsjahren, ging es mit dem Dienen mitunter allerdings auch »in die Hose« – beziehungsweise in andere Kleidungsstücke. Wenn so der Dienst zum Bärendienst wird, kann das einem Kellner im unglücklichen Fall schon mal die Anstellung kosten, vor allem wenn das Unglück noch in seine Probezeit fällt.
Es war Mitte September 1976. Mein erster Arbeitstag im Jahreszeiten-Grill. Das Restaurant vollkommen ausgebucht. Ein Tisch mit etwa fünfzehn Personen ganz speziell mir zugeteilt. Der Oberkellner, der bereits erwähnte Herr Kröger, wies mich an, alle aufgetragenen Arbeiten mit größter Sorgfalt zu handhaben, denn es handelte sich um eine alteingesessene Hamburger Kaufmannsfamilie. Das Handelshaus Nordmann, Rassmann & Co. ist in der Hansestadt ein Name mit bestem Klang. Der Begriff »ehrbarer Kaufmann« hat in diesem Fall absolute Gültigkeit. Dass Herrn Krögers Ermahnung zur größtmöglichen Sorgfalt nicht gerade beruhigend auf mich wirkte, kann man sich denken. Im Gegenteil, mein Gemütszustand steigerte sich vielmehr von Aufregung zu einer fast schon an Panik grenzenden Nervosität. Sofern der Auslöser ein anderer ist, kann eine ähnliche Nervosität auch sehr angenehm sein. In diesem Fall war sie entschieden unangenehm.
Die Vorspeise war serviert, alles gut und fein, wunderbar, kein Grund zur Beanstandung. Als Nächstes kam die Suppe, heiß und dampfend, in Tassen serviert. Ich nahm, wie gelernt, drei Tassen in die Hand und servierte als Erstes der Frau des Hauses, Inge Nordmann. Gastgeber war, meine ich, der erstgeborene Sohn von Georg Nordmann, Edgar, der jetzige Konsul Nordmann. Es kam, wie es kommen musste. Die Hand zitterte, die Tasse wackelte und ich goss der Dame die Suppe in den Rücken. Nicht zwei, drei Tropfen. Nein, gleich die halbe Tasse. Wenn schon, denn schon.
Die Gespräche am Tisch verstummen. Sohn Edgar wirft mir einen Blick zu, der nicht gerade danksagend anmutet. Verständlich. Oberkellner Kröger glücklicherweise außer Sichtweite. Ich stand angewurzelt da, wie ein begossener Pudel – was, genau genommen, doch eigentlich eher die Dame war. Abwechselnd blass und rot, fahrige Bewegungen machend, die suppengetränkte Frau Nordmann im Auge. Sie mich auch. Hatte mich fest im Visier. Diese Sekunden entschieden über meinen weiteren Berufsweg. Jeden Moment konnte das Gepolter losgehen.
Es passierte – nichts. Absolute, unerträgliche Stille. Wie Frau Nordmann sahen auch alle Anwesenden mein versteinertes Gesicht.
Dann geschah ein kleines Wunder. Mein stilles Stoßgebet wurde erhört. Sie schenkte meinem erbärmlichen Zustand ein Lächeln und sagte in feinem Hamburgisch: »Na ja, das kann ja mal passieren.« Das war’s. Auch Edgars Gesicht entspannte sich. Meine Stellung war gerettet. Von jenem Tag an war mir Frau Nordmann wohlgesonnen. Ich hatte eine »Freundin« auf Lebenszeit. Dieses Wohlwollen übertrug sich auch auf ihre Kinder, im Besonderen auf Sohn Edgar, groß, stattlich und schlank noch heute, nur der Bart ist ab.
Im Laufe der Jahre, es sind nun fünfunddreißig, hat sich zwischen uns ein Verhältnis entwickelt, das von gegenseitiger Achtung und der Wertschätzung des jeweiligen Tuns geprägt ist. Seine Korrektheit bei gleichzeitiger Lebensleichtigkeit, sein philanthropisches Denken, sein Sinn für Genuss und vor allem sein feiner Humor haben mich stets beeindruckt. In den gesteigerten Genuss all dieser guten Eigenschaften kam ich, als ich vor einigen Jahren eine Einladung zu seinem runden Geburtstag erhielt. Zudem darf ich mich jährlich zur Weihnachtszeit einer von seiner liebenswürdigen Gattin immer mit viel Liebe ausgesuchten Gabe erfreuen. Das ist vornehmer Edelsinn. Nicht mehr allzu sehr verbreitet. Solche Gunstbezeigungen sind für einen Oberkellner die eigentlichen Auszeichnungen, Würdigungen, Orden – Orden, die man nicht anstecken kann, die man nicht sieht, die mich aber im Herzen schmücken und berühren. Für immer. Dafür bin ich sehr dankbar!