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Manchmal tut’s auch ein Fernseher – Über das Trinkgeld

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Das sogenannte Trinkgeld ist ein Ausgleich für den sehr geringen Lohn, wie er in der Gastronomie- und Hotelleriebranche gezahlt wird. Das Trinkgeldgeben ist eine Sitte, die bis in die Postkutschenzeit zurückgeht. Wenn die Herrschaft bei langen Reisen Rast machte und in die Wirtschaft ging, um zu essen, zu trinken und eventuell auch zu übernachten, war es die Aufgabe des Kutschers, die Pferde zu füttern, zu pflegen und, wenn nötig, auch zu wechseln. In die Gaststätte durfte er als gewöhnlicher Kutscher nicht hinein, doch wurden ihm ein Trunk und Essen zum Wagen gebracht. Das war oftmals auch schon sein ganzer Lohn. Geschlafen hat er im Stall bei den Pferden. Heute bekommen die Chauffeure keine Speisen und Getränke zur Limousine getragen, sie schlafen auch nicht im Auto, wohl aber erhalten sie Extrageld, um selbst etwas kaufen zu können. Das Trinkgeld. Dieses Trinkgeld hat sich im Laufe der Zeit auch auf andere dienende Berufe ausgedehnt, wie zum Beispiel Taxifahrer, Friseure, Servicebedienstete, Portiere, Stubenmädchen und eben Kellner.

Schon allein aufgrund dieser Herkunft des Brauchs bin ich der festen Überzeugung, dass man sich für die Entgegennahme von Trinkgeld nicht schämen muss. Ganz im Gegenteil. Es ist eher eine Ehre, wenn sich so mancher Gast und Dienstempfänger für die erhaltenen außergewöhnlichen Leistungen mit einem Extralohn bedanken möchte. Doch ist es für den Gast nicht zwingend nötig, Trinkgeld zu geben. Er allein entscheidet, was er für richtig hält.

Meine Devise war immer: Bediene und behandle jeden Gast so, als würde er viel Trinkgeld geben. Wie heißt es doch so schön: »Der Gast ist König.« (Allerdings geben Könige und Kaiser so gut wie nie Trinkgeld – entweder glauben sie, dass Lakaien oder Domestiken nicht trinken oder sie haben eben nie Geld bei sich.) Gibt er dennoch wenig oder kein Trinkgeld, so meine Devise weiter, dann bediene ihn bei der nächsten Gelegenheit noch besser. Wenn dann noch immer kein Trinkgeld kommt, so steigere dich noch einmal, dann klappt es meist. Wenn nicht, so habe ich immer noch meinen Lohn.

Ich erinnere mich sehr gut an einen meiner Mitarbeiter, der nur denjenigen Gast gut bediente, der ihm auch ein gutes Trinkgeld gab. Hatte er die Erfahrung gemacht, dass bei diesem oder jenem Gast kein Extrageld zu erwarten war, hat er ihn schlecht bedient und links liegengelassen. Von diesem Mit- oder besser gesagt »Gegenarbeiter« habe ich mich nach kurzer Zeit getrennt. Das war ich meiner Berufsehre schuldig.

Eine Trinkgeldszene bereitet mir heute noch besondere Freude; ja, sogar ein wenig Schadenfreude, die ja bekanntlich eine der schönsten Freuden ist – auch wenn mir als gläubigem Katholik diese Art von Freude eigentlich nicht erlaubt ist. Ein Stammgast im Grill, den ich sehr mochte, ein Hamburger Immobilienhändler, war mir als Geizhals bekannt. Ich wusste, dass er sehr wohlhabend war. Bei Tisch verlangte er jeden irgend erdenklichen Extraservice; extra honorieren wollte er aber nicht. Er hatte sozusagen ein Portemonnaie aus Maulwurfsleder – es hat nie das Tageslicht gesehen. Für mich war es in Ordnung, ich hatte mein erwähntes Prinzip. Eines Abends, es war um die Weihnachtszeit und er hatte wieder alle Möglichkeiten des Service ausgeschöpft, wollte er mir nun doch einen Obolus zukommen lassen. Er suchte in seinem Portemonnaie nach einem Zwanzigeuroschein, fand aber nur Zweihunderter. Das war ihm zum Verschenken natürlich viel zu viel. Er druckste herum, wusste nicht, wie aus seiner Bredouille herauskommen. Weil er aber eine gute Freundin dabeihatte, eine Architektin, vor der er gerne den Krösus gab, mochte er keinen Rückzieher machen und gab mir schließlich, mit bittersüß-schmerzlichem Lächeln, die zweihundert Euro.

Ähnlich verhielt es sich auch mit einer bekannten Hamburger Kauffrau. Regelmäßig kommt sie mit etwa zehn bis fünfzehn Personen zum Mittagessen in den Grill und beansprucht dabei höchst intensiven Service, sozusagen »über Gebühr«. Das ist ihr gutes Recht, darum kommt sie schließlich auch ins Hotel Vier Jahreszeiten. Sie ist aber davon überzeugt, dass es genug ist, wenn sie ihre Rechnung bezahlt und dem Oberkellner, also mir, zwei bis fünf Euro in die Hand drückt. Zumal es ja nicht sein muss – ich bediene sie doch auch »um Gottes Lohn«. Ihr Mann allerdings, eine höchst liebenswerter, stiller, kultivierter Zeitgenosse, der um das Manko seiner hochgeschätzten Gemahlin wusste, gab dem Kellner beim Weggehen jedes Mal etwas extra – dies aber stets so, dass seine Frau es nicht sehen konnte. Und dann heißt es andauernd, es gäbe keine Kavaliere mehr!

Immer wieder habe ich, besonders von Stammgästen, mein »Trinkgeld« auch in Form von kleinen oder größeren Geschenken erhalten. Unvergesslich bleibt mir eine edle Geste des Hamburger Kaufmanns Dierk Cordes. Anlässlich seiner Mittagsmahlzeiten mit seiner charmanten Gattin führten wir, weit über die eigentliche Servicearbeit hinaus, viele Gespräche über allerlei Dinge. Er hat einen feinen, geistreichen Humor, und so war es für mich immer höchst vergnüglich, mit den Eheleuten zu parlieren. Klagte ich zum Beispiel, dass ich, wenn ich abends noch Kaffee trinke, nicht schlafen kann, antwortete er prompt: »Bei mir ist es genau umgekehrt, wenn ich schlafe, kann ich keinen Kaffee trinken.«

Eines Tages kam das Gespräch auf Fernsehapparate. Er erzählte mir, dass er anlässlich einiger Umbauarbeiten in seiner Villa verschiedene modernste Fernseher installieren ließe. Ich berichtete von meinem Gerät – ein riesiger Würfel, weit über zwanzig Jahre alt. »Na«, sagte er mit seinem typischen gelassenen Sarkasmus, den ich sehr vermissen werde. »Da wird er ja bald im- oder explodieren. Hoffentlich sind Sie dann im Dienst und nicht zu Hause, denn wer sollte mich sonst so aufmerksam bedienen, wenn Sie nicht mehr sind?« Eine Woche später rief ein Elektrofachgeschäft bei mir an: »Herr Nährig, für Sie ist hier ein neues Fernsehgerät bestellt, wann dürfen wir liefern?« Das ist Hamburger Understatement. Nobel. Verstecktes Trinkgeld.

Eine andere, ungleich weniger noble Form von »verstecktem Trinkgeld« habe ich auch einmal erlebt. Eine Gesellschaft von etwa zehn Herren kam sporadisch von auswärts auf ein schönes Abendessen mit anregenden Gesprächen in den Grill. Es waren allesamt gebildete, sehr wohlsituierte Herren aus Wirtschaft und Politik. Sie tranken und aßen gut und gern. Und wurden von mir bevorzugt behandelt. Ich gab sozusagen immer »noch einen drauf«.

Die geselligen Herren waren, wenn sie zechten, die letzten Gäste. Sobald sie gegangen waren, konnten wir, das Personal, unsere Schlussarbeiten erledigen. Einmal kam, kaum waren die Herren weg, einer wieder zurück. Mit den Worten »Herr Ober, ich habe meine Tasche vergessen« begab er sich zum Tisch, der sich in einer Ecke befand. Der Tisch war noch so, wie er verlassen worden war; noch nicht abgeräumt. Ich konnte ihn von meinem Empfangspult gerade noch einsehen. Mit einem Mal höre ich ein Geklirre und Geklimper und stelle fest, dass der feine Herr den sogenannten Zahlteller nimmt und die darauf liegenden Trinkgeldmünzen in seine Rocktasche schüttet. Na, denke ich, er will sein Trinkgeld wieder zurück – das er doch gar nicht gegeben hat.

Sollte sich eigentlich schämen. Tut er aber sicher nicht. So etwas würde selbst ein Diener nie machen.

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