Читать книгу Der Dynamitkönig Alfred Nobel - Rune Pär Olofsson - Страница 14

3

Оглавление

Wir verabschiedeten uns von Mutter und begaben uns hinaus in das widerwärtige Stockholm; Emil mit seinem Mohrrübensack auf dem Rücken, ich mit meinem bescheidenen Gepäck.

Vergebens hatte ich mich Mutters Fingern widersetzt, als sie einen Schein in meine Rocktasche knüllte. Sie benötigte ihre paar Öre wahrhaftig selbst! Und von Emil hatte ich erfahren, daß Vaters vielgerühmte sechstausend Reichstaler vorläufig nur eine fromme Hoffnung waren, an einen flüchtigen Vorschlag gebunden von einer Demonstration der Segnungen des mit Nitroglyzerin vermischten Pulvers ...

Ich kehrte wieder nach Petersburg zurück. Schrieb einen scharfen doch respektvollen Brief an Vater und teilte ihm mit, daß ich mich derartigen Beschuldigungen wie bei meinem letzten Besuch nicht aufs neue auszusetzen gedachte, ›die weder dem einen zu äußern noch dem anderen anzuhören geziemten‹.

Augenscheinlich war es Vater gut bekommen, in seiner Einsamkeit nachzudenken, und er hatte dabei wohl auch die Hilfe Emils gehabt. Denn er antwortete rasch, er verstehe, daß er sich vergessen habe, und er sehe jetzt auch, daß er andere Richtlinien verfolgt habe als die, für die ich mich entschieden hätte. Er habe also seinerseits nichts dagegen, daß ich für meine Methode der Pulverzubereitung ganz im eigenen Namen ein Patent anmelde.

Während unsere Briefe die Ostsee kreuzten, hatte General Müller eine Unmenge unruhiger Petersburger auf den Hals bekommen, die sich wegen des lauten Krachens und der ›unvorsichtigen‹ Sprengschüsse beunruhigten. Auch die Arbeiter in Ludwigs kleiner Werkstatt äußerten ihre Bedenken. Daß ich also mein ›Laboratorium‹ auf Ludwigs Domäne verlegen konnte, war ausgeschlossen. Eine Alternative stand mir nicht zu Gebote. Müller würde mich auf die Straße setzen, wenn ich mit meinen Versuchen in der Wohnung fortfuhr.

Nach reiflicher Überlegung beschloß ich daher, mich dem Gesetz der Not zu beugen und Vaters und Mutters Angebot anzunehmen und zu ihnen nach Heleneborg zu ziehen. Der Fachwerkbau auf dem Hof, von dem Emil geredet hatte, war bereits zugesichert und würde ein geräumiges Laboratorium für mich abgeben. Meine Besorgnisse vor einer Zusammenarbeit mit Vater mußten weichen: Mehr denn je hatte ich Grund, mit meinen Versuchen fortzufahren, da sie nun endlich ein vielversprechendes Resultat gezeigt hatten!

Ein wenig hatte wohl auch Mutters Eifer zu meinem Entschluß beigetragen. Mir war klar, daß sie keine ruhige Stunde mehr haben würde, bis sie mich wieder unter ihre Fittiche nehmen und achtgeben konnte, daß ich ordentlich aß ... Zudem glaubte ich in meiner Einfalt, daß ich ihr bald ein wenig von ihrer ökonomischen Bürde würde abnehmen können. Daß Vater eine Last für sie sein könnte, durfte ich nicht einmal durchblicken lassen!

Ohne größeres Bedauern sagte ich vale zu dem jetzt sommerheißen Petersburg, trug meine magere Habe zum Schiff und verließ Rußland. Zu aufreibenden Abschieden war ich nicht gezwungen; meine Verwandten weilten am Finnischen Meerbusen, und die wenigen Freunde, die ich besaß, waren wegen der Saison in alle Winde verstreut. Am schwersten fielen mir Nikolajews Tränen. Er sei jetzt aller Mittel beraubt, weinte er. Ich riet ihm, mit meinem Bruder zu sprechen. Das habe er bereits getan, sagte er, wiewohl mit wenig Erfolg. Ich hatte erwartet, daß er mir wenigstens danken würde, weil ich ihm so lange Zeit Lohn gezahlt hatte ohne die geringste Gegenleistung zu fordern. Doch als ich das andeutete, wurde er unverschämt, und ich mußte ihn bitten, sich zum Teufel zu scheren.

So lohnen die Menschen Güte! »Pack«, pflegte Vater zu sagen; ich hatte gut Lust, ihm in dem Augenblick beizustimmen.

Ich hatte gerade den Fuß auf schwedischen Boden setzen können, als sich die Enttäuschungen aufs neue am Horizont türmten. Das in Aussicht gestellte Laboratoriumsgebäude sollte nicht vor Neujahr 1864 frei werden. Ich mußte mich folglich mit Vaters erbärmlichem Schuppen zufriedengeben, in dem man nichts fabrizieren konnte. Außerdem ergab sich, daß Emil im Frühjahrssemester Student in Uppsala werden sollte! Dazu konnte man ihn gewiß nur beglückwünschen, doch schrumpften unsere Möglichkeiten zur gemeinsamen Arbeit auf die Sommermonate zusammen; von den Wochenenden blieb uns nichts – ganz zu schweigen von den Nächten ...

Als ich dann mein Patentgesuch beim Commerce – Collegium der Königlichen Majestät und des Reiches einzureichen gedachte, schwand mir merkwürdigerweise der Mut. Ich meldete nur ein Patent an ›betreffend ein von mir erfundenes Verfahren der Herstellung von Pulver, sowohl für Sprengungen als auch für Schießzwecke‹. Kein Wort erwähnte ich von meiner Methode, Pulver und Nitroglyzerin zur Explosion zu bringen, indem ich beides getrennt plazierte und mittels eines ›Zünders‹ zur Detonation brachte. Ich beschrieb lediglich die Mischung von Pulver und Nitroglyzerin, bei der das Pulver das Nitroglyzerin in seine Poren absorbierte und somit das ansonsten detonationsunwillige Nitroglyzerin zusammen mit dem Pulver zur Explosion gebracht werden konnte. – Kurz gesagt, die Methode, von der Vater behauptete, ich hätte sie ihm gestohlen!

Vater versicherte, seine Mischung habe eine bis zu zwanzigmal stärkere Sprengwirkung als normales Schwarzpulver. Das entsprach allerdings nicht den Tatsachen, ich aber begnügte mich in der Patentbeschreibung zu erklären, daß das Pulver ›bedeutend‹ an Sprengkraft gewänne – ohne näher darauf einzugehen. Doch war der springende Punkt bei meinem Patent, daß ›die Verbrennungsgeschwindigkeit ein wenig geringer als bei gewöhnlichem Pulver‹ war. Natürlich hätte dastehen müssen, das Nitroglyzerin (das ich als eines von vielen Beispielen aufführte) könne durch meine Methode jetzt als Sprengmittel Verwendung finden, obwohl es im übrigen mit allzu großer Kraft explodierte, um für konventionelle Waffen einsetzbar zu sein.

Ich sollte bald die bittere Erfahrung machen, was es hieß, daß ›die Verbrennungsgeschwindigkeit ein wenig geringer war als bei gewöhnlichem Pulver‹! Doch darauf komme ich noch zurück. Ich erhielt mein Patent kurz vor meinem dreißigsten Geburtstag, und es erweckte großes Aufsehen in militärischen Kreisen. Wenn irgendein verständiger Artillerist oder Feuerwerker sich vielleicht fragte, weshalb ein Pulver mit geringerer Verbrennungsgeschwindigkeit als normales Schwarzpulver eine Errungenschaft sein sollte, so ließ er seine Zweifel gleichwohl nicht laut werden – damals nicht ...

Wenn ich nun im Nachhinein meine Patentbeschreibung genau studiere, kann ich nicht direkt behaupten, verwundert zu sein, daß Vater auch später noch der Meinung war, er habe zumindest einen ebenso großen Anteil an der ›Erfindung‹ wie ich. Wahrscheinlich konnte sich eine weitere Anzahl Sprengstoffchemiker diese Mixtur zugute halten, auch wenn sie sie nicht zur Detonation hatten bringen können!

Kurzum, das Ungewöhnliche geschah, und die höchste Militärführung reagierte auf das Patent. Vater und ich wurden vorgeladen, um über die Erfindung und die von uns betriebene Entwicklungsarbeit zu berichten. Vater log ein wenig und erzählte, General Totleben sei informiert und äußerst interessiert. Ersteres stimmte, letzteres war zumindest unbestätigt. Doch Totleben war als Kommandant von Sewastopol zur legendären Figur geworden, und nun war er oberster Befehlshaber des zaristischen Kriegsdepartementes. Totlebens Ruf trug vermutlich dazu bei, daß Vater jetzt die sechstausend Reichstaler erhielt, die er sich so clairvoyant bereits zugeschrieben hatte. Für diese bedeutende Bewilligung sollten wir eine Demonstration großen Ausmaßes auf der Festung Carlsborg vornehmen – jene Festung mitten in Schweden, für deren Bau man Ewigkeiten gebraucht hatte und die, als sie fertig war, keinen Wert besaß – wenn sie überhaupt jemals fertig geworden war.

Am anberaumten Tag fand die Demonstration vor einer vielköpfigen Militärkommission statt, die mit einigen zivilen Sachverständigen durchsetzt war.

Wir zündeten unsere Ladungen, in denen Pulver und Nitroglyzerin in verschiedenen Proportionen gemischt worden waren, mit dem Ziel, der Demonstration einen eskalierenden Effekt zu verleihen. Bedauerlicherweise gestaltete sich die Vorführung wohl eher zu einer Antiklimax, denn je weiter der Tag voranschritt, mit desto schwächerem Klang detonierten unsere Ladungen.

Ich erkannte bald die Ursache: Der Sprengeffekt wurde im gleichen Maße geringer, wie das Pulver das Nitroglyzerin aufsaugte und die Mischung trocknete. Eigentlich wußte ich das bereits zuvor, doch hatte niemand von uns geglaubt, daß der Effekt so schnell abnehmen würde, wie er es nunmehr tat. Der Transport von Stockholm hatte freilich viel Zeit in Anspruch genommen – aber dennoch ...

Das Auditorium war im Auflösen begriffen, als ich ersuchte, noch ein Experiment durchführen zu dürfen. Meiner Bitte wurde stattgegeben, doch kaum in gnädiger Weise.

Stehenden Fußes stopfte ich eine Roheisenbombe mit gleichen Teilen Pulver und Nitroglyzerin. Riet den Zuschauern, etwas weiter entfernt als bisher Deckung zu nehmen – und feuerte los.

Nach dem gräßlichen Knall herrschte völlige Stille. Bis das Mundwerk der schwedischen Experten so weit in Gang gekommen war, daß sie einstimmig konstatierten, ein so unerhört starker Sprengstoff sei allzu riskant, um im Krieg Anwendung finden zu können ...

Das Problem mit meinem Pulver war folglich, daß es nicht gelagert werden konnte. Vielleicht hatte ich ein wenig sorglos damit gerechnet, daß das schon seine Lösung finden würde, nach bestimmten ergänzenden Versuchen. Vater tobte und schimpfte mich einen Taugenichts. Im Innersten war er in diesem Moment wohl dankbar, daß er nicht auf seinem Wunsch beharrt hatte, die ›Ehre‹ des Patents mit mir zu teilen.

Geister aus Niflheim wollen hin und wieder geltend machen, daß ich die Mischung meines Vaters durch mein Patent so völlig in Mißkredit hatte bringen wollen, daß er nie mehr von meinem ›Diebstahl‹ reden würde. In dem Fall hatte ich keinen Erfolg. Über die Arglist der menschlichen Seele kann manches gesagt werden – auch daß sie oft mit einem kurzen und jedenfalls äußerst selektiven Gedächtnis gekoppelt ist. Dennoch möchte ich glauben, daß die Geister mir hier ein größeres Maß an Bosheit anlasten, als ich aufzubringen vermag.

Von meinem ›Zünder‹ hatte ich also im Patent von 1863 nichts erwähnt. Doch schon im Mai des Jahres darauf entwarf ich ein Patentgesuch, das ich zwar einige Male umschrieb, dennoch aber einreichte; das bewilligte Patent wurde am 15. Juli 1864 rechtskräftig. Ich zähle eine lange Reihe Methoden auf, durch die ich die Explosion auszulösen vermag: mit einem Zünder, durch einen elektrischen Funken, mittels Zündhütchen etc. Ja, ich beziehe im großen und ganzen jede denkbare Initiierung in mein Patent ein.

Ich hatte in Carlsborg nicht den geringsten Nutzen von meinem ›Zünder‹ oder ›Zündhütchen‹. Nicht die Auslösung der Explosion war es, die die Demonstration zu Fall brachte. Doch heute, im Lichte dessen, was später mit und um das Nitroglyzerin geschah, erkenne ich, daß der Inititialzünder meine vielleicht wichtigste Erfindung war und ist.

Der Grund für meinen Wankelmut beim Patentgesuch anno 63 waren meines Erachtens die Erfahrungen, die ich nach der ersten geglückten Sprengung in Ludwigs Kanal gemacht hatte. Die weiteren Versuche, später in Heleneborg, zeigten Unbeständigkeit und wechselnde Resultate. Ich begriff, daß die Zündschnur schuld war; sie war außerdem schwierig anzubringen, zumal an rechter Stelle. Am Ende der Zündschnur mußte ich eine Art von – ja genau – Zündhütchen plazieren, das selbst explosiv war und rasch an die Zündschnur angeschlossen werden konnte, ehe diese in das ›Pulver‹ gesteckt wurde. Ich experimentierte lange, bis ich das ideale Zündhütchen fand – die einzelnen Schritte bis dahin kann ich jetzt außer acht lassen. Ich möchte nur festhalten, daß ich bereits frühzeitig erkannte, daß der Initialzünder das A und O der Sache war, wenn der neue Sprengstoff industriell anwendbar sein sollte.

Wichtig an dem Fiasko in Carlsborg war, daß es mein Zusammenwirken mit dem Militär beendete. Und bereits in dem weitausholenden Patent von 1864 bin ich ganz darauf eingestellt, mit meinen Erfindungen eine Revolution des Gruben – und Bergwerkhandwerks zu bewirken, dabei vor allem bei der Sprengung von Tunneln, die durch das Aufkommen der Eisenbahn so dringend notwendig wurden.

Wenn meine Erfindungen dann dennoch kriegerischen Zwecken zugute kommen, ist das gleichsam ein Nebeneffekt. Schon ein Brotmesser kann als Mordwaffe dienen – ohne daß man deshalb den Hersteller beschuldigen kann.

Der Dynamitkönig Alfred Nobel

Подняться наверх